Wir befinden uns auf dem direkten Weg in einen Überwachungs‑, Schnüffel‑, und Abstrafungsstaat, wie wir ihn aus dem Dritten Reich, der ehemaligen Sowjetunion und der DDR kennen. Nach Maas geht jetzt Bundesinnenminister Thomas de Maizière dem Bürger an Leib, Freiheit und auf den Geist. Das von den kürzlichen Maasregelungen bereits genervte Volk, aber auch Verbände und Parteien werden jetzt massiv ungehalten. „Der Bundesinnenminister hat scheinbar jeglichen realpolitischen Anstand verloren“ heißt es sogar aus der CSU. Auch aus der Wirtschaft kommen scharfe Töne.
Herr Minister de Maizière möchte der deutsche Industrie auferlegen, den deutschen Sicherheitsbehörden zu ermöglichen, alles und jeden, überall und zu jeder Zeit auszuspionieren: jedwede Gebäude, Autos, Wohnungen, Computer, Smartphones und Smart-TVs, kurz: geeignete Geräte aller Art. Diese Möglichkeit des sich einklinkens soll von den Produzenten digitaler Sicherheitssysteme schon von Anfang an in alle Geräte eingebaut werden. Der Antrag ist unter der Überschrift „Handlungsbedarf zur gesetzlichen Verpflichtung Dritter für Maßnahmen der verdeckten Informationserhebung nach §§ 100c und 100f StPO“ eingereicht worden.
Sicherheitsbehörden sollen demnach exklusive Zugriffsrechte für eine gezielte Überwachung auf private Tablets, Computer, Bord-Computer in Autos, Smart-TVs und alles, was irgendwie ans Internet angeschlossen ist, erhalten. Minister De Maizière will so den umfassenden Lauschangriff durch den „Einsatz technischer Mittel gegen Einzelne“ enorm ausweiten. Das Gesetz dazu soll, so heißt es, „technikoffen“ formuliert werden, damit auch ja jede Weiterentwicklung und jedes dazu nur halbwegs brauchbare Gerät auch wirklich von der Pflicht zu Schnüffeln erfasst wird. Der Staat möchte bei eventuellen Strafverfolgungen exklusive Zugriffsrechte überall hin haben, auch in Autos. Noch soll es ein kleines Feigenblättchen geben: Nur auf richterlichen Beschluss. Jetzt fehlt als nächster Schritt nur noch eine „anlassoffene“ Formulierung, die es erlaubt, auch ohne jeden konkreten Strafbarkeitsverdacht oder Richterbeschluss jeden Bürger überall und zu jeder Zeit auszuspähen und abzuhören. Gemach, lieber Leser, kommt sicher auch noch.
Das ist noch nicht alles. Herr Innenminister möchte überdies eine Ermächtigung für Sicherheitsbehörden, im Falle einer Krise, private Computer einfach abschalten zu können, genannt „Fachkonzept zum Takedown von Botnetzen“. Gedacht sei das Vorgehen, um Endkunden rechtzeitig zu warnen, wenn Hackerangriffe gestartet werden. Online Provider, die bei dem Super-Lauschangriff nicht mitmachen wollen, müssen mit weitreichenden Strafen rechnen.
Amüsanterweise entspringt die Notwendigkeit eines solchen 360°-Beschnüffelungsgesetzes einer Armutserklärung der offenbar nicht besonders technik-kompetenten Belegschaft der Sicherheitsbehörden. Geheimdienste und Sicherheitsbehörden scheitern zunehmend daran, mit ihren guten, alten Wanzen die „Zielpersonen“ in ihren Autos abzuhören, weil die neueren Modelle mittlerweile zu effiziente Sicherungssysteme haben. Das geheime Abhören, auch freundlich „verdeckte Überwindung von Sicherheitssystemen“ genannt, wird dadurch anscheinend verhindert.
Nun ist man in staatlichen Sicherheitskreisen beleidigt und düpiert, weil man nicht mehr mitspielen kann. Wie im Kindergarten rennt man zur Erzieherin und beschwert sich, dass man vom Agentenspielen ausgeschlossen wird. „Na, gut, wir können auch anders“, scheint man sich im Innenministerium zu sagen. „Dann müsst Ihr eben von Gesetz wegen uns ein Hintertürchen zum Ausspionieren einbauen!“. Jetzt bekommen die Unwilligen mit dem Finger gedroht. Das Bundesinnenministerium bestätigte gegenüber dem „Spiegel“, man wolle eine Rechtsgrundlage schaffen, „die Hersteller zur Mitwirkung , insbesondere zur Öffnung und verdeckten Überwindung von Warnanlagen verpflichte. Seit vergangenem Jahr seien in 25 Fällen Überwachungsmaßnahmen daran gescheitert. Ein Sprecher widersprach aber der Vermutung, dass damit auch der Zugriff auf Mikrofone in Computern oder in Smart-TVs ermöglicht werden solle.“ Wer’s glaubt.
Dieser feuchte Traum eines Stasi-Agenten stößt nun erfreulicherweise doch auf Empörung. Nicht einmal die Verbotspartei der Grünen findet diesen „Orwellschen Alptraum“ noch akzeptabel. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen: „Bald werden alle Wohnungen der Bundesrepublik mit Geräten ausgestattet sein, die potenzielle Wanzen sind. Die physische Hürde eines großen Lauschangriffs fällt weg. Wir müssen uns gut überlegen, ob wir — mit zwei Diktaturen in der jüngeren Geschichte — in einem Land leben wollen, in dem es keine privaten Rückzugsort mehr gibt und der Staat alles darf, was technisch möglich ist.“
Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft sieht bei Umsetzung des Vorhabens „keinerlei Privatsphäre, keinerlei Rückzugsraum und keinerlei Unbefangenheit“ mehr im Leben der Bürger. Das sei die „Antithese zu einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat“ und das Gegenteil des Menschenbildes in unserem Grundgesetz.
Der exklusive Zugang für staatliche Behörden wird im Übrigen so exklusiv nicht bleiben. Was die Sicherheitsbehörden technisch so draufhaben, das können Hacker allemal. Die „Hintertüre für den Staat“ wird sehr schnell sperrangelweit offenstehen für eine Menge Leute, die Interesse daran haben.
Frank Rieger, der Sprecher des CCC (Chaos Computer Club), sieht in dem neuen Gesetz einen „Frontalangriff auf die digitale und physische Sicherheit aller Bürger“. Der Zwang zu solchen Einfallstoren führe dazu, dass nicht nur jedes Gerät aus der Ferne zu einer Geheimdienst-Wanze gemacht werden könne, sondern der Zugriff auf die IT eines modernen Autos bedeute echte Gefahr für Leib und Leben: ein buchstäblicher Kill-Switch.“
Nicht ohne Grund wecken diese unglaublichen Pläne des Innenministeriums überall ungute Erinnerungen an die Verhältnisse unter der Naziherrschaft oder den auf Dachböden mit Mikrofonen hockenden Spitzeln der Stasi. Werden wir in unseren Häusern bald ebenfalls wieder auf den Computer zeigend, bedeutungsvolle Blicke tauschen und Zettel mit Botschaften hochhalten?
Und kommt Ihnen, lieber Leser, diese Situation nicht auch bekannt vor? Ein falsches Wort vor falschen Ohren …
Die Mittel der Unterdrückung und Bespitzelung sind in allen totalitären Regimen gleich. Sie werden nur technisch immer raffinierter.
Auf der Seite des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ finden wir folgenden Text:
„Für die Überwachung privater Wohnungen waren zwei verschiedene MfS-Abteilungen zuständig. Die auch für das Abhören der privaten Telekommunikation zuständige Abteilung 26 übernahm Einbau und Abhören von Wanzen. Die Hauptabteilung VIII (Beobachtung, Ermittlung, Durchsuchung und Festnahme) kam bei sogenannten “konspirativen Durchsuchungen” zum Einsatz.
In beiden Fällen handelte es sich streng genommen um Dienstleistungen innerhalb des MfS-Apparates. Der eigentliche Auftraggeber war häufig die Hauptabteilung IX, zuständig für Ermittlungsverfahren mit politischer Bedeutung. Sie erteilte die Arbeitsanweisung, eine Wohnung zu durchsuchen oder darin Abhöranlagen zu installieren, um Hinweise oder Beweise für die weitere strafrechtliche Verfolgung einer Person zu sammeln. Häufig stammten Aufträge auch von der Spionageabwehr (Hauptabteilung II), generell konnte jede andere Diensteinheit Menschenrechtsverletzungen in privaten Wohnungen beauftragen.“
Was im heutigen Gesetzesantrag „Maßnahmen der verdeckten Informationserhebung“ heißt, wurde in der Abteilung 26 der Stasi “akustische Überwachung in geschlossenen Räumen” oder “B‑Maßnahme” genannt.
Heute wie damals in der DDR, wird dem ganzen Spitzeltreiben ein Mäntelchen des verantwortungsvollen Umgangs mit den Rechten der Bürger umgehängt. So heißt es auf der Webseite „Demokratie statt Diktatur“ über die Stasi-Bespitzelungsaktionen: „Innerhalb des MfS war ein komplizierter Dienstweg einzuhalten. Der Minister für Staatssicherheit selbst oder einer seiner Stellvertreter in den Diensteinheiten oder Bezirksverwaltungen genehmigten eine illegale Durchsuchung“. Hier und heute reicht ein Richterbeschluss.
Ebenfalls empfehlenswert zu lesen ist die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4 Februar 1933. Unter dem Abschnitt II, Druckschriften, finden wir:
§ 9
(1) Periodische Druckschriften können verboten werden,
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wenn in ihnen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder die innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen der verfassungsmäßigen Regierung oder der Behörden aufgefordert oder angereizt wird;
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wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden;
wenn in ihnen eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen, Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden;
wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden;
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Auch die Sperrfristen und endgültigen Löschungen bei Facebook sind keine neue Erfindung, nur mit dem Unterschied, dass Facebook dauerhaft löscht und es dabei nicht bleibt, sondern der „Delinquent“ auch noch regelmäßig empfindliche Strafen zu erwarten hat:
(2) Die Dauer des Verbots darf bei Tageszeitungen vier Wochen, in anderen Fällen sechs Monate nicht überschreiten. Diese Beschränkung fällt fort, wenn eine periodische Druckschrift, die auf Grund der Vorschriften dieser Verordnung bereits zweimal verboten war, innerhalb dreier Monate nach dem ersten Verbot erneut verboten wird, in diesem Falle darf die Dauer des Verbots bei Tageszeitungen sechs Monate, in anderen Fällen ein Jahr nicht überschreiten.
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Erstaunlicherweise war aber unter den Nazis eine Beschwerde dagegen möglich, was bei Facebook meist durch Ignorieren unterbunden wird:
§ 10
(1) Zuständig für das Verbot einer periodischen Druckschrift sind die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen. Gegen das Verbot ist binnen zwei Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde an einen vom Präsidium zu bestimmenden Senat des Reichsgerichts gegeben. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Beschwerde ist bei der Stelle einzureichen, gegen deren Anordnung sie gerichtet ist. Diese hat sie unverzüglich der obersten Landesbehörde vorzulegen. Hilft diese der Beschwerde nicht ab so hat sie sie unverzüglich an den Reichsminister des Innern weiterzuleiten. Der Reichsminister des Innern kann der Beschwerde abhelfen, andernfalls hat er sie unverzüglich dem Senat des Reichsgerichts zur Entscheidung vorzulegen. Gegen eine Entscheidung des Reichsministers des Innern, die der Beschwerde abhilft, kann die oberste Landesbehörde die Entscheidung des Senats des Reichsgerichts anrufen.
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Es geht doch nichts über Traditionspflege. Nur bei der Bundeswehr ist schon ein Foto von Altbundeskanzler Helmut Schmidt “Nazi”.