Die Töl­pelei der mora­li­schen Ent­rüstung — Oder: Die Renais­sance des Empörismus

Die Töl­pelei der mora­li­schen Ent­rüstung — so nannte der kris­tallklar for­mu­lie­rende Phi­losoph Friedrich Nietzsche schon vor 150 Jahren jenes Phä­nomen, das wir heute als den “Empö­rismus” kennen. Unsere zeit­ge­nös­sische mora­lin­saure Dau­er­em­pörung ent­springt bekanntlich der unse­ligen Poli­ti­schen Kor­rektheit und einem grund­sätzlich links­ideo­lo­gi­schen Denken. Die Ent­rüs­tungs­er­schei­nungen im 19. Jahr­hundert waren aber ganz offen­sichtlich ähnlich gestaltet wie die heutigen.
Der einzige Unter­schied zu heute bestand wohl nur insofern, als dass der Hyper­mo­ra­lismus damals nahezu aus­schließlich von der Religion getriggert wurde und Kenn­zeichen der “christ­lichen” Heuchler war, während er in unseren Tagen aus den säku­la­ri­sierten Ersatz­re­li­gionen namens Sozia­lismus und Moder­nismus kommt und meist von welt­lichen “Wür­den­trägern” ver­breitet wird.  Zum Aus­gleich ist er dafür aber um nichts weniger geheuchelt.
Der stete Quell der linken Empörung ist versiegt
Lange Zeit waren dezi­diert geäu­ßerte Zweifel an der Asyl­po­litik oder gar offene Wider­stände gegen die Mas­sen­mi­gration der Quell der linken Empörung: Wer 2015 nicht jubelnd am Bahnhof stand und dort den ara­bi­schen Ankömm­lingen Ted­dy­bären zuwarf, geriet schnell in den Ver­dacht, ein Rechts­außen oder Schlim­meres zu sein. Die Töl­pelei der mora­li­schen Ent­rüstung griff rasend schnell um sich und erfasste den Großteil der Poli­tiker und nahezu sämt­liche Kom­men­ta­toren in den soge­nannten Qua­li­täts­medien. Die deutsch­spra­chigen staat­lichen Rund­funk­an­stalten waren wegen ihrer per­so­nellen und ideo­lo­gi­schen Struktur ohnehin immer brav auf Linie.
Nach dem Hype
Mitt­ler­weile ist der Hype abge­kühlt, Öster­reich hat eine Mitte-Rechts-Regierung und die Grund­stimmung in der Gesell­schaft hat sich stark ver­ändert: Wo Ent­grenzung und kri­tik­loses Will­kommen waren, sind wieder Ver­nunft und Haus­ver­stand geworden. Wir wissen nun, dass der Migra­ti­ons­sturm von 2015 fast nur negative Folgen hat und längst sehen wir, dass sogar die ein­ge­fleischten Linken mit ihren xeno­philen Hal­tungen zurück­rudern und sich neu auf­stellen müssen.
Wenn der Hyper­mo­ra­lismus und seine Hohe­priester aber ein Betä­ti­gungsfeld ver­lieren, dann müssen sie sich zwanghaft ein neues suchen, so will das diese Ersatz­re­ligion — und zwar bedin­gungslos. Gelingt das nicht, bleibt ihnen nämlich nur das Rum­pel­stilzchen-Schicksal und das ist schandhaft. Also sucht man fie­berhaft nach Empö­rungs­ma­terial, an dem der eigene Hyper­mo­ra­lismus wieder Feuer fangen kann — sei das Feuer auch noch so geheu­chelt, die Haupt­sache ist, es lodert.
 #MeToo und das Skifahren
Und siehe da, man wird rasch fündig: Auf­ge­pfropft auf die inter­na­tionale #MeToo Debatte gibt es in Öster­reich ein besonders gehalt­volles “Schmankerl” polit­medial zu ver­zehren — nämlich die längst ver­jährten angeb­lichen Schand­taten im Umfeld des Ski-Natio­nal­teams aus den 70er Jahren.
Die Pro­po­nenten der Ski-Story wussten ganz genau: Ski und Sex und alles dabei irgendwie am Rande des gerade noch Tole­rablen oder eben nicht, viel­leicht sogar ins Straf­recht ragend — das gibt Material genug für eine Empö­rungs­welle son­der­gleichen. Den Ski­sport anzu­patzen ist in Öster­reich ein Sakrileg und so etwas schafft natürlich öffent­liches Interesse und große Auf­regung vom Neu­siedler- bis zum Bodensee. Als man bei den Hyper­mo­ra­listen sah, dass man mit Ski & Sex sei­ten­weise lachsrosa Blätter füllen kann und alle mög­lichen Mora­listen dazu betroffen nicken und Auf­ar­beitung fordern, ließ man die finale Bombe platzen und exhu­mierte im bild­lichen Sinne eine der größten öster­rei­chi­schen Ski­sport­le­genden: Toni Sailer.
Tote können sich nicht wehren
Man widmet sich jetzt mit Verve einem frag­wür­digen Ereignis aus dem Jahre 1974 (also 40 Jahre und einige Ver­jäh­rungs­fristen später), um dem drei­fachen Olym­pia­sieger, der seit neun Jahren tot ist, an den Karren zu fahren.  “Die Sache gehört auf­ge­klärt!” — so fordern die Mora­listen in den Inqui­si­ti­ons­medien. “Sauerei und Skandal, man will ein Idol stürzen!” — so reagieren die anderen, die Nor­malen, vom Lan­des­hauptmann Tirols bis zur Kro­nen­zeitung. Aber die Empörten wollen natürlich ihre Pseu­do­re­li­gi­ons­in­halte aus­leben, es gibt kein Zurück, diese Fatwa gilt — zumindest bis zur nächsten.
Man greift sich nur mehr auf den Kopf
Diese neu­er­liche Töl­pelei der mora­li­schen Ent­rüstung ist haar­sträubend, die Betu­lichkeit der “Auf­klärer” und Dossier-Ver­fasser uner­träglich und das Zelo­tentum der eif­rigen Nach­plap­perer nur noch peinlich. Die antiken Römer  hatten einen noblen Spruch, wenn es um das Andenken von Ver­stor­benen ging: Er hieß Nil nisi bene de mortuis. Das heisst soviel wie: Man möge über die Toten nichts sagen und wenn, dann nur Gutes. Aber womöglich haben die Ideo­logen der Hyper­moral wenig Bezug zum Noblen und ihre Halb­bildung ist ohne klas­sische Inhalte?
Den linken Eiferern, die wie alle Glau­bens­fa­na­tiker alles kurz und klein hauen wollen, was ihrer Ersatz­re­ligion im Wege steht, kann man nichts erklären, weil ihre ideo­lo­gische Welt­sicht ihnen Scheu­klappen implan­tiert hat und ihre gut­mensch­liche Tau­to­logie ihnen scheinbar recht gibt. Man kann ihnen aber emp­fehlen, im stillen Käm­merlein bei den großen Denkern wie Nietzsche nach­zu­schlagen. Viel­leicht ver­gessen sie über der luziden und gna­denlos über­zeu­genden Wort­gewalt des Genies ihre beiden Ersatz­re­li­gi­ons­gründer Marx und Engels und schaffen es danach, zumindest eine Ein­sicht in ihr grässlich fal­sches und töl­pel­haftes Tun zu gewinnen.
Dr. Marcus Franz / thedailyfranz.at