By Ji-Elle - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Richard David Precht, Merkel und Co. — Die Politik-Visionäre und der Seifenblasen-Komplex

Hier­zu­lande gilt er als Vor­zeige-Intel­lek­tu­eller, der in der medialen Welt fast Kult­status genießt. Doch Richard David Precht spült immer nur das in den Diskurs, was andere schon dachten. Das hat der Vor­zeige-Eklek­tiker mitt­ler­weile fast perfekt insze­niert. Bla­miert sind Deutsch­lands Intel­lek­tuelle. Doch Precht ist nicht der einzige, der das System Sei­fen­blase zum Umgangs­jargon gemacht hat.
Standen einst Karl Raimund Popper, Jürgen Habermas, Peter Slo­terdijk und Rüdiger Safranski für die intel­lek­tuelle Debat­ten­kultur in der alten Bun­des­re­publik, für eine aka­de­mische Kultur mit Niveau, schwebt nebulös mit Richard David Precht nun ein rich­tiger Mode­phi­losoph durch die medial abge­flachte Welt und bestimmt den Diskurs. Der pro­mo­vierte Ger­manist ist für das ZDF der Guru schlechthin, wenn es um Sachen phi­lo­so­phische Auf­klärung geht. Precht ist ein geschickter Selbst­in­sze­nierer und linker Ideologe, der sich als Welt­retter regel­mäßig auf­spielt. Damit passt er wun­derbar in die ger­ia­trische Fern­seh­kultur, die unter­halten und halb­seiden gebildet werden will. Monströs ver­kündet Precht das, was andere dachten, ver­ab­so­lu­tiert dies und ver­kauft es als seine ori­ginäre Phi­lo­sophie, er würfelt wie ein großer Magier alles zusammen, ist eklek­tisch und damit eigentlich post­modern – doch Licht­jahre von der immerhin den­ke­risch und spie­le­ri­schen Post­mo­derne entfernt.
Die schöne Sei­fen­blase des Pseudo-Talks
Precht ist der moderne Taschen­trick­spieler der Phi­lo­sophie, der auf alles eine Antwort hat – eine Art Welt­ge­wissen in Per­so­nal­union. Das Ganze ver­kauft er dann mit spie­le­ri­scher Hoch­nä­ßigkeit, Arroganz und im Gestus der Bes­ser­wis­serei wie ein Hohe­priester und tole­riert dabei nur seine je indi­vi­duelle Meinung. Argu­men­ta­tiver Diskurs ist seine Sache eben nicht und so macht er die ganze Phi­lo­sophie zu einer Nul­li­tä­tenbude samt mora­li­schem Zei­ge­finger. An die großen Denker der abend­län­di­schen Kultur reicht er in Bruch­stücken nicht einmal ansatz­weise heran. Was er ver­kauft, ist auf­ge­bla­sener Zeit­geist in mono­lo­gi­scher Struktur. Und seine Sendung „Precht“ ist eine schöne Sei­fen­bla­senshow, die die intel­lek­tuelle Ver­fla­chung in ihrer Reinheit wider­spiegelt und das aka­de­mische Gespräch ins Nirwana geschickt hat.
Die visi­onslose Tagespolitik
Nun hat Deutsch­lands „Vor­zei­ge­phi­losoph“ – mit seinem spürbar antrai­nierten Wissen – der deut­schen Politik Visi­ons­lo­sigkeit vor­ge­worfen und Kurz­sich­tigkeit bescheinigt. Precht, der die Elite ver­achtet, weil er aus keiner kommt, Precht, der alles ver­achtet und mit fast nietz­schea­ni­scher Dekadenz aus­hebelt, ‚was nicht in seinen intel­lek­tu­ellen Bau­kasten passt, erklärte gegenüber dem „Focus“, dass er „nie­manden aus der Riege der gegen­wär­tigen Spit­zen­po­li­tiker, der das Prä­dikat ‚Visionär’ zu Recht tragen würde“, wüsste. Der visi­ons­losen Tages­po­litik ermangele es nicht nur an Zeit, die enge Taktung ermög­liche keine freien Blicke und man müsse „völlig unter­schied­liche Themen gleich­zeitig bear­beiten“. Der geistige Horizont sei durch den „Rhythmus der Legis­la­tur­pe­rioden“ beschränkt und ferne Visionen kommen dem abhanden, der klein­geistig im Turnus von zwei bis drei Jahren denke. Die Wie­derwahl ins poli­tische Amt wird letzt­endlich als Kri­terium der Kurz­sich­tigkeit benannt.
Dar­über­hinaus will Precht die intel­lek­tuelle Elite des Landes mehr in poli­tische und zukunfts­wei­sende Dis­kus­sionen ein­binden. Men­schen, „die aus­rei­chend Zeit, Intel­ligenz und Bildung besitzen, um über grund­le­gende Zukunfts­fragen nach­zu­denken“ und deren Ideen zumindest in den „öffent­lichen Diskurs ein­ge­speist und debat­tiert werden.“ Darin mag Precht sicherlich recht haben: die intel­lek­tuelle Kultur hier­zu­lande ist, wie es Arnulf Baring schon vor Jahren beschrieb, im Nie­dergang. Doch mit seiner Kritik kocht Precht – als wäre er der Ent­decker der Utopie – wieder nur das in seinem Sup­pentopf auf, was allzu bekannt ist.
Prag­ma­tiker gefragt – Visionäre gibt’s genug
Was wir brauchen, sind keine Visionäre, keine Gesin­nungs­ethiker, sondern Prag­ma­tiker und Ver­ant­wor­tungs­ethiker. Intel­lek­tuelle Bes­ser­wisser – wie Herrn Precht – haben wir genug.
Eine Bun­des­kanz­lerin Merkel fühlt sich, so in ihrer Neu­jahrs­an­sprache neu­er­dings ver­pflichtet, endlich die Bedürf­nisse aller Bürger im Auge zu behalten. Doch ihre Vision bleibt ein mul­ti­kul­tu­relles Deutschland mit Sozialer Markt­wirt­schaft, der Aus­verkauf klas­si­scher Werte und vor allem der ihrer eigenen Partei. Die Bun­des­bürger haben die Richt­li­ni­en­kom­petenz schlicht zu akzep­tieren; wer rebel­liert, dem droht der Maulkorb.
Mehr DDR war nie nach der Wende im poli­ti­schen Berlin. Kritik an ihrer Person lässt Merkel blind­lings liegen. Mit ihrem Satz „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten“, hat sie bei vielen deut­schen Wählern end­gültig ver­spielt. Merkels Visionen von der Zukunft eines linken Deutsch­lands würden selbst bei Helmut Schmidt nur pures Ent­setzen aus­gelöst haben und sein dama­liger Satz ist mitt­ler­weile Legende: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“
Auch dem deut­schen Bun­des­prä­sident Frank-Walter Stein­meier ist erst zu Weih­nachten auf­ge­fallen, dass viele Bun­des­bürger finan­ziell abge­hängt sind, das ganze Regionen aus­bluten, die Alters­armut gra­vierend steigt und die Schere zwi­schen arm und reich in Schwindel erre­gende Höhe schnellt. Und dar­aufhin ent­wi­ckelt Stein­meier seine Visionen für die Sozi­al­schwachen. Eine späte Erkenntis für einen, dessen Partei einst die Inter­essen der Arbei­ter­schaft, der soziale-nie­deren Klassen vertrat.
SPD-Funk­tionär und Visionär“ Heiko Maas träumt gar von einer kri­tik­losen Gesell­schaft, regu­liert und bevor­mundet die Sozialen Medien wie ein großer Polizist. Die linke Bevor­mun­dungs­re­publik erweist sich so als ein Ver­kehrs­we­ge­system, das mitt­ler­weile nur noch aus Ver­bots­schildern besteht. Maas’ Vision ist ein Rede­verbot, zumindest wenn es unge­wünschte Kritik mit einschließt.
Auch der große Wahl­ver­lierer 2017 und nun Neu-Son­dierer, SPD-Chef Martin Schulz, hat eine Vision. Er träumt gar von einem geeinten Europa, wie das – bei allen natio­nalen Ver­schie­den­heiten und der weit­ge­henden Unei­nigkeit in Sachen Flücht­lings­ver­teilung – funk­tio­nieren soll, darauf hat auch der ehe­malige Prä­sident des Euro­päi­schen Par­la­mentes keine Antwort.
Kurzum: Sowohl auf­ge­blasene Gut­men­schen-Phi­lo­sophen als auch eine poli­tische Elite, die nur auf eine Wohl- und Flos­kel­po­litik abstellt und letzt­endlich nur den eigenen Macht­an­spruch samt Wie­derwahl sichern will, bleiben Sei­fen­blasen-Sta­tisten. Und die Große Koalition ist ein Sam­mel­surium von Visio­nären, die, wenn sie mit ihrer Politik des Weiter-so wei­ter­machen, letzt­endlich aber nur Visi­onslose bleiben.