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Die Sau­di­schen Prinzen wieder frei: korrupt, gerupft und vom „Westen“ fallen gelassen

Das Ritz-Carlton Hotel in Riad ist eine höchst noble Her­berge. Hier können sich nur Gäste eine Über­nachtung leisten, die in Geld schwimmen. Unter 650 Dollar bekommt man in dem wuch­tigen Bau kein Bett. Die Gäste, die dort bis vor wenigen Tagen resi­dierten, gehören zu dieser Schicht. Aller­dings hielten sie sich nicht frei­willig darin auf, und die Über­nach­tungs­kosten waren noch der bil­ligste Kos­ten­punkt bei dem 99 Tage dau­ernden Aufenthalt.
Die Ein­quar­tierung der 381 sau­di­schen Unter­nehmer, Prinzen, hohen Beamten und Poli­tiker geschah sehr nach­drücklich auf Wunsch des neuen Staats­ober­hauptes Saudi-Ara­biens, Kron­prinz Mohammed Bin Salman. Man könnte diese Ein­ladung auch Ver­haftung nennen, wie es die meisten Medien tun. Tat­sächlich war es aber eher eine staatlich ange­ordnete Ent­führung mit Löse­geld­erpressung. Denn selbst, wenn nach rechts­staat­lichen Regeln Ermitt­lungen wegen drin­genden Kor­rup­ti­ons­ver­dachtes ange­stellt worden sein sollten, und eine Ver­haftung dem­zu­folge rechtens gewesen wäre, hätte es den Delin­quenten nicht möglich sein dürfen, sich einfach mit großen Geld­summen freizukaufen. 
Es gab keine offi­zi­ellen Anklagen, es gab keine offi­zi­ellen Anhö­rungen im Beisein von Rechts­an­wälten, keine Gerichts­ver­hand­lungen, nichts. Und bis auf ein paar wenige, die nun tat­sächlich in Gefäng­nisse gesteckt werden – natürlich ohne Gerichts­ver­fahren – weil sie sich standhaft wei­gerten, die gigan­ti­schen Löse­gelder zu zahlen, sind alle schwer­reichen Gefan­genen wieder frei, wenn auch finan­ziell arg gerupft. Ein rang­hoher Prinz des Königs­hauses, Miteb Bin Abdullah, soll angeblich sogar eine Mil­liarde Dollar bezahlt haben.
Was als „Anti­kor­rup­ti­ons­kam­pagne“ pro­pa­giert worden war, erweist sich als eine zwar höchst wirksame, aber ebenso rechts­widrige Macht­de­mons­tration Mohammed Bin Salmans. So schnell wird sich niemand aus den mäch­tigen und reichen Kreisen mehr mit ihm anlegen. Die Tat­sache, dass der neue, starke Mann seine Geiseln bis zur Löse­geld­zahlung im doch recht luxuriös im Ritz resi­dieren ließ und nicht ein karges Gefängnis geworfen hat, ist eben­falls intel­ligent. Kräftig ein­schüchtern? Ja. Sich mas­senhaft mächtige Tod­feinde schaffen? Nein. Die Dis­kretion wurde auch weit­gehend gewahrt. Bis auf ein paar wenige Namen weiß niemand so genau, wer im „Ritz“ fest­ge­setzt war.
Die skru­pellose Löse­geld­erpressung soll die Staats­kasse des Königs­hauses um ca. 100 Mil­li­arden Dollar reicher gemacht haben. Ein schöner Neben­effekt, der die brutale Macht­de­mons­tration ideal ergänzt. Mit Rechts­staat­lichkeit hat das alles nichts zu tun. Das “Wall Street Journal” schreibt sogar, das vor­dring­lichste Problem in den Ver­hören während der 99 Tage sei gewesen, die pas­sende Höhe der jewei­ligen Löse­geld­summe festzusetzen. 
Was aber noch viel mehr ver­blüfft (oder auch nicht?) ist die Reaktion des „Westens“ auf dieses Mas­sen­kid­napping. Es gibt nämlich keine. Auch nicht von unseren geschäfts­füh­renden Poli­tikern. Die­selben Mas­sen­medien und Polit-Dar­steller, die sich über die Inhaf­tierung eines Deniz Yücels über­haupt nicht mehr ein­kriegen konnten und können, geben hier keinen Mucks von sich. Sonst mischen sich diese Herr­schaften mit pom­pöser Mora­li­sie­rerei und meter­hoher Men­schen­rechts-Bug­welle unge­fragt in jedem Land und jeden Vorgang ein, wo es ihnen opportun scheint.
Man stelle sich nur einmal vor, der syrische Prä­sident Baschar al Assad oder gar der rus­sische Prä­sident Wla­dimir Putin hätte sich so etwas geleistet. Die Poli­tiker und Qua­li­täts­jour­na­listen würden vor Auf­regung und Abscheu rei­hen­weise am Herz­kasper umfallen. Auf den Titel­blättern der ton­an­ge­benden Magazine würden sich die Kari­ka­tu­risten einen Wett­bewerb um die bös­ar­tigste Dar­stellung des grau­samen Dik­ta­toren und Des­poten liefern.
Aber nein: Schweigen im Walde. Nicht einmal als US-Prä­sident Donald Trump — nor­ma­ler­weise der zuver­lässige Start­knopf für öffent­liche Empö­rungs­auf­tritte unserer Poli­tik­dar­steller — öffentlich die Fest­nahmen in Saudi-Arabien begrüßte, regte sich Widerspruch. 
Die „west­lichen Partner“ Saudi-Ara­biens haben ihre Gründe. Saudi-Ara­biens Rolle in der Region ist für den Westen, ins­be­sondere die USA unver­zichtbar. Die Waf­fen­käufe Saudi-Ara­biens bei deut­schen Her­stellern möchte man auch nicht gefährden. Und last, but not least: Die Vor­würfe der Kor­ruption gegen die Fest­ge­setzten sind zwar sicherlich nicht von der Hand zu weisen – aber die Gegen­seite der Kor­ruption, denn einer zahlt ja die Bestechungs­gelder, ist bei den west­lichen Firmen zu finden, zu denen die „Ver­haf­teten“ enge Geschäfts­be­zie­hungen pflegen. Da gehört die Bestechung zum nor­malen Geschäfts­ge­baren. Bekann­ter­maßen können die deut­schen Firmen diese Bestechungs­gelder — da unum­gänglich — auch steu­erlich geltend machen. Nun stellt sich im mora­lisch so hoch­ste­henden „Westen“ die bange Frage: Was pas­siert, wenn die bestech­lichen Poli­tiker, Prinzen und Geschäfts­leute von Mohammed Bin Salman aus dem Verkehr gezogen werden? Und was pas­siert mit den west­lichen Firmen, die bestochen haben? Da stehen mit Sicherheit viele Mil­li­arden schwere Deals im Feuer.
Deshalb hält „der Westen“ lieber den Mund und die Füße still.