Pictures of Money - flickr.com - CC BY 2.0

Linke Legenden: Armut als Folge „neo­li­be­raler Politik“

Jeden Tag kann man lesen: „Armut in Deutschland ist eine Folge neo­li­be­raler Politik“. Die Behauptung gehört zum Stan­dard­re­per­toire bei Sahra Wagen­knecht, den Grünen und den Jusos. Wer das behauptet, weiß nicht, was „neo­li­berale“ Politik ist.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Angela Merkel regiert seit zwölf Jahren, meist mit den Sozi­al­de­mo­kraten. Merkel als Ver­tre­terin einer „neo­li­be­ralen“ Politik – das ist so absurd, wie wenn man Recep Tayyip Erdogan als Ver­fechter einer libe­ralen Innen- und Rechts­po­litik bezeichnen würden.
Zwar pro­fi­tierte Merkel von den Reformen ihres Vor­gängers Schröder, die dazu bei­trugen, dass die Arbeits­lo­sen­quote heute halb so hoch ist wie zu der Zeit, als Schröder seine Agenda 2010 ver­kündete. Aber Merkel hat diese Politik nicht fort­ge­setzt. Im Gegenteil. Neo­li­berale Politik zeichnet sich aus durch Steu­er­sen­kungen, Pri­va­ti­sie­rungen, Dere­gu­lie­rungen, Senkung der Staats­quote. Nichts davon gab es in den zwölf Jahren Merkel. Die wich­tigsten Ver­treter einer neo­li­be­ralen Politik waren in den 80er-Jahren Ronald Reagan in den USA und Mar­garet Thatcher in Groß­bri­tannien. Die Ergeb­nisse ihrer Politik stelle ich aus­führlich in meinem aktu­ellen Buch Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung dar.
Hier ein Auszug über die Reagan-Zeit. Die Zahlen belegen, dass es den Armen nach den neo­li­be­ralen Reformen nicht schlechter ging, sondern besser.
Ergeb­nisse neo­li­be­raler Politik am Bei­spiel USA
Die Öko­nomen William A. Nis­kanen und Stephen Moore haben die Folgen neo­li­be­raler Politik in der Reagan-Ära auf Basis einer Analyse der wich­tigsten Wirt­schafts­daten unter­sucht. Die For­scher ver­glichen die Daten der Ära vor Reagan (1974 bis 1981) und nach Reagan (1989 bis 1995) mit der Reagan-Ära 1981 bis 1989.
Das Wirt­schafts­wachstum in der Reagan-Zeit betrug 3,2 Prozent im Jahr, ver­glichen mit 2,8 Prozent in den Jahren davor und 2,1 Prozent in den Jahren danach. Eigentlich ist die Zahl noch deutlich höher, denn die 3,2 Prozent beinhal­teten die Rezession der frühen 80er-Jahre, die eine Folge der Gegen­maß­nahmen zur Hoch­in­fla­tions-Politik war. In den Wachs­tums­jahren 1983 bis 1989 erhöhte sich das Brut­to­so­zi­al­produkt um 3,8 Prozent im Jahr, und am Ende der Reagan-Ära war Ame­rikas Wirt­schaft ein Drittel größer als zu dem Zeit­punkt seiner Amts­über­nahme. Zu Beginn von Reagans Amts­pe­riode war Deutsch­lands Wirt­schaft etwa ein Drittel so groß wie die der USA, d.h., in der Reagan-Zeit wurde wirt­schaftlich ein neues West­deutschland geschaffen.
Das war eine direkte Folge von Reagans Politik der Dere­gu­lierung und Steu­er­senkung, und gleich­zeitig halfen dabei auch die sin­kenden Ölpreise. Das Wachstum der US-Wirt­schaft in den Reagan-Jahren fiel größer aus als in den 50er- und 60er-Jahren. Nur unter John F. Kennedy, der die Steuern 1964 um 30 Prozent senkte, war das Wachstum mit fünf Prozent jährlich noch höher.
Auch die Haus­halts­ein­kommen der ame­ri­ka­ni­schen Bürger stiegen in der Amtszeit von Reagan, und zwar durch­schnittlich um über 4.000 Dollar – von 37.868 Dollar im Jahr 1981 auf 42.049 im Jahr 1989. Das war für die Ame­ri­kaner besonders spürbar, denn in den acht Jahren davor waren die Real­ein­kommen sta­gniert. Und in den Jahren nach Reagan sollten sie sogar fallen.
Als Reagan die Regierung übernahm, lag die Arbeits­lo­senrate bei 7,6 Prozent und stieg in der Rezession 1981/82 sogar auf fast zehn Prozent. Danach fiel sie kon­ti­nu­ierlich Jahr für Jahr und betrug am Ende seiner Amtszeit 5,5 Prozent. In den Jahren 1981 bis 1989 wurden 17 Mil­lionen neue Jobs geschaffen, also etwa zwei Mil­lionen jedes Jahr.
Die erwähnte zwei­stellige Inflation, die Reagan zu Beginn seiner Prä­si­dent­schaft vorfand, hatte sich bereits im zweiten Amtsjahr mehr als hal­biert (6,2 Prozent), und in seinem letzten Amtsjahr 1988 lag sie bei 4,1 Prozent. Dies war vor allem das Ver­dienst der klugen Politik des Zen­tral­bank­gou­ver­neurs Paul Volcker, der noch von Reagans Vor­gänger Carter ernannt worden war. Reagan unter­stützte Volckers Politik aktiv, obwohl er wusste, dass sie vor­über­gehend zu einer Rezession führen würde. Anders als von vielen seiner Kri­tiker vor­her­gesagt, führten die dra­ma­ti­schen Steu­er­sen­kungen von Reagan nicht zu einem Wie­der­an­stieg der Inflation. Im Gegenteil: Das Erfolgs­rezept der Reagan-Jahre war gerade die Kom­bi­nation von einer restrik­tiven Geld­po­litik mit hohen Steuerentlastungen.
Die Zinsen fielen in der Reagan-Ära stark. Für einen 30-jäh­rigen Haus­kredit betrugen sie 1981 noch 18,9 Prozent; in den fol­genden sechs Jahren fielen sie auf 8,2 Prozent. Ent­spre­chend hal­bierten sich die Zinsen für Staats­an­leihen in den Jahren 1981 bis 1988 von 14 auf sieben Prozent.
Den Armen und den Schwarzen ging es besser
Die These, Reagan habe den Wirt­schafts­auf­schwung nur durch brutale Ein­schnitte bei den Sozi­al­aus­gaben erreicht, lässt sich durch die Daten nicht belegen. 1981 betrugen sie 339 Mil­li­arden Dollar und bis 1989 waren sie auf 539 Mil­li­arden Dollar gestiegen. Rechnet man den Effekt der Bevöl­ke­rungs­zu­nahme und die Inflation heraus, dann bleibt immer noch ein Anstieg von jährlich 0,9 Prozent in der Reagan-Ära, was aller­dings der geringste Anstieg in der ame­ri­ka­ni­schen Nach­kriegs­ge­schichte war – und bis heute ist. In jedem Ein­kom­mens­quartil – von den reichsten bis zu den ärmsten Ame­ri­kanern – legten in der Reagan-Zeit die Ein­kommen zu.
Der ame­ri­ka­nische Traum, der heute offen­sichtlich nicht mehr funk­tio­niert und zu so viel Unzu­frie­denheit bei den Ame­ri­kanern führt, funk­tio­nierte gerade für die ärmsten Ame­ri­kaner in den 80er-Jahren: 86 Prozent der Haus­halte, die 1980 dem ärmsten Quartil ange­hörten, stiegen bis 1990 in der Ein­kom­mens­leiter in ein höheres Quartil auf. Es gab sogar etwas mehr Haus­halte, die vom ärmsten in das reichste Quartil auf­stiegen als solche, die im ärmsten Quartil ver­harrten. Die Zahl der­je­nigen Ame­ri­kaner, die weniger als 10.000 Dollar im Jahr ver­dienten, sank in den 80er-Jahren um fünf Prozent, gleich­zeitig erhöhte sich die Zahl der­je­nigen, die mehr als 50.000 Dollar ver­dienten, um 60 Prozent, und die Zahl der­je­nigen mit über 75.000 Dollar Jah­res­ver­dienst, sogar um 83 Prozent. Es gibt viele Legenden über die Reagan-Jahre, so etwa die, dass nur die ohnehin schon reichen Weißen pro­fi­tiert hätten auf Kosten der ärmeren Schwarzen. Tat­sächlich stiegen die realen Haus­halts­ein­kommen der Schwarzen in den Jahren 1981 bis 1988 sogar stärker als die der Weißen.
Mehr über die Folgen neo­li­be­raler Reformen in den USA, Groß­bri­tannien und vielen anderen Ländern lesen Sie in: Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de