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Der Markt erkaltet! — Niedrige Kurs­zu­wächse trotz hoher Gewinne

Hohe Gewinne führen nicht zu Kurs­zu­wächsen – ein wei­teres Warn­zeichen an den Märkten, passend zur schwie­rigsten Periode des Jahres.
Der Mai steht vor der Tür und damit die tra­di­tionell schwie­rigste Periode des Bör­sen­jahres. „Sell in May and go away“ ist eine der zuver­läs­si­geren Bör­sen­regeln. Gemäß einer Studie ame­ri­ka­ni­scher Finanz­pro­fes­soren über­trafen die im Winter erzielten Ren­diten an der US-Börse die Kurs­ge­winne in den Som­mer­mo­naten um 6,5 Pro­zent­punkte. Ein ähn­liches Muster ließ sich für 36 weitere unter­suchte Märkte nachweisen. 
Kom­bi­nieren wir dieses Wissen mit der rapiden Ver­schlech­terung der Real­wirt­schaft in Europa und vor allem in Deutschland, liegt es nahe, Risiken abzu­bauen. Ich bleibe hier bei meinen Emp­feh­lungen der letzten Monate.
Die Bewer­tungen bieten keinen Puffer, sind doch Aktien nicht nur in den USA, sondern mitt­ler­weile auch in Europa teuer. Bereinigt man die Daten um die tief bewer­teten Ver­sorger in Europa und die hoch bewer­teten Tech­no­lo­gie­werte in den USA, stellt man fest, dass der Markt in Europa mitt­ler­weile teurer ist, als der wahrlich nicht günstige US-Markt. Überall hat das billige Geld der Noten­banken die Preise verzerrt. 
Tem­porär weniger Liquidität
Nun scheint die Geldflut der Noten­banken eine Pause ein­zu­legen. In den USA wird ernsthaft auf eine Zins­er­höhung und eine Kürzung der Fed-Bilanz hin­ge­ar­beitet. In Europa fehlen Mario Draghi und den anderen Tauben noch die Argu­mente, um weiter auf das Gas­pedal zu treten. Sie sind aber bereits auf der Suche und dis­ku­tieren über das nicht aus­ge­lastete Potenzial der Wirt­schaft der Eurozone, welches nach mehr Sti­mu­lation durch die EZB ruft.
Bis es soweit ist, dürfte die Wachs­tumsrate der Zen­tral­bank­geld­menge – und auf die Ver­än­derung der Ver­än­derung kommt es hier an! – weiter zurück­gehen. In China, der eigent­lichen Loko­motive der Welt­wirt­schaft, wird derweil eben­falls gebremst im Versuch, die über­mäßig von Schulden abhängige Wirt­schaft von der süßen Schul­den­droge etwas zu ent­wöhnen. Dau­erhaft dürfte das nicht funk­tio­nieren, kurz­fristig trägt es zur Reduktion der Über­schuss­li­qui­dität in den Märkten bei. Von mone­tärer Seite also Gegenwind für die Börsen. 
Kom­bi­niert man das mit dem stei­genden Finan­zie­rungs­bedarf der US-Regierung und den anzie­henden Infla­ti­ons­er­war­tungen, ist es kein Zufall, dass die zehn­jährige US-Staats­an­leihe erstmals seit vier Jahren wieder über drei Prozent notiert. Gefährlich nahe der kri­ti­schen Marke, die viele Experten als Aus­löser für einen Ein­bruch an Anlei­hen­märkten und Börsen sehen. Auch der Risi­ko­zu­schlag für Anleihen hoch ver­schul­deter Unter­nehmen hat zuletzt deutlich zugelegt. 
Noch deut­licher zeigt sich der Stress im Finanz­system bei den Kurz­frist­zinsen: Als die zehn­jährige Anleihe im Januar 2014 über drei Prozent lag, befand sich das Zins­niveau der zwei- bzw. fünf­jäh­rigen Lauf­zeiten bei 0,4 Prozent bzw. 1,75 Prozent. Heute liegt es bei  2,5 Prozent bzw. 2,8 Prozent. Die gesamte US-Ren­di­te­struktur ist demnach heute deutlich flacher als noch in 2014. Auch der Drei­monats-Libor notiert mit 2,36 Prozent auf dem höchsten Stand seit 2008. Immerhin neun Bil­lionen US-Dollar ver­schie­denster Finanz­in­stru­mente hängen weltweit an diesem Satz.
Wie immer wieder erklärt, haben wir es mit einem mehr­lagig gele­ver­a­getem System zu tun. Unter­nehmen steigern die Eigen­ka­pi­tal­ren­diten mit mehr Schulden, indem sie Akti­en­rück­käufe auf Kredit durch­führen oder zu viel Eigen­ka­pital aus­schütten. Inves­toren steigern die Rendite eben­falls, indem sie neben ihrem Eigen­ka­pital immer mehr Schulden ein­setzen. Alles zusammen treibt die Ver­mö­gens­preise nach oben, führt aber zu einer Beschleu­nigung des Abschwungs nach unten. Steigen die Zinsen für „risi­ko­freie“ Anlagen wie Staats­an­leihen, müssen die Risi­ko­zu­schläge für die weniger sicheren Schuldner zusätzlich steigen, was dann nicht nur Hochz­ins­an­leihen, sondern auch die Aktien unter Druck bringt, haften doch die Aktionäre als erste, wenn es brenzlig wird. Das gilt zumindest für normale Unter­nehmen, während Banken auch heute noch damit rechnen dürfen, vom Steu­er­zahler gerettet zu werden. 
Genau diese Ent­wicklung zeichnet sich ab und sie ist gemein­ge­fährlich. Der Ein­bruch ist schnell und zudem selbst beschleu­nigend. Je tiefer die Märkte fallen, desto tiefer müssen sie noch fallen, weil immer mehr Schuldner unter Druck kommen. 
Rekord­ge­winne führen zu Abgaben
Das dürfte auch hinter einem wei­teren inter­es­santen Phä­nomen an den Märkten stehen. Im Schnitt stiegen die Gewinne der US-Unter­nehmen, gemessen am Gewinn pro Aktie, im letzten Quartal um beein­dru­ckende 23,6 Prozent. Fak­tisch alle Unter­nehmen haben damit die ohnehin schon hoch­ge­steckten Erwar­tungen über­erfüllt. Zu erwarten wären also deutlich stei­gende Kurse. 
Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Rekord­ge­winne führen gerade in zykli­schen Sek­toren eher zu Abgaben. Während prak­tisch alle Aktien zunächst positiv auf die Zahlen reagieren, kippt die Stimmung im Laufe des Han­dels­tages. Besonders aus­ge­prägt ist diese Ent­wicklung bei den Indus­trie­werten. Im Schnitt legten die Aktien zu Beginn des Handels – also als erste Reaktion auf die zuvor mit­ge­teilten Zahlen – um 0,9 Prozent zu, um dann den Tag mit einem Verlust von 1,6 Prozent zu beenden. Tech­no­logie liegt mit einem Plus 0,4, welches mit einem Minus von 1,2 Prozent endet nicht wenig dahinter. 
Wirk­liche Gewinner sind nur Immo­bi­li­en­werte, Ver­sorger und Gesund­heits­aktien, die zum Han­dels­schluss noch weiter zulegen (zwi­schen 0,8 und 1,1 Prozent). Gekauft wird also Sicherheit, sind es doch diese Werte, die in der letzten Phase des Auf­schwungs noch zulegen, weil sich die Profis bereits aus den ris­kan­teren Sek­toren zurückziehen. 
Dahinter liegt wie­derum ein Phä­nomen, was schon im Vorfeld des Crashs von 1929 zu beob­achten war und seither immer wieder: Die Inves­toren können sich nicht ganz aus dem Markt zurück­ziehen, „solange die Musik spielt“, wie 2007 der damalige CEO der Citibank Chuck Prince fest­stellte. Also schichten sie um in Werte, die eine relative Sicherheit bieten. Qua­li­täts­aktien mit gerin­gerer Kor­re­lation zum Markt. Das ist kein gutes Zeichen. 
Cater­pillar und die Konjunktur
Letztlich wittern die Märkte die Rezession, sind aber unsicher, ob sie denn schon da ist, erst kommt oder erst in zwei Jahren droht. Warn­si­gnale gibt es. So sank das Wachstum in Frank­reich von 0,7 auf 0,3 Prozent, die Bun­desbank spricht von einem „deut­lichen“ Wachs­tums­rückgang und der Rezes­si­ons­in­di­kator des IMK Institut aus Düs­seldorf liegt auf einem höheren Niveau als im März 2008. Der Welt­handel ist im Februar um 0,4 Prozent geschrumpft. All dies kann nur auf eine kurze Abschwä­chung hin­deuten und wir werden erst in ein paar Monaten Gewissheit haben. 
Die Reaktion der Wall Street auf die Zahlen von Cater­pillar passt ins Bild. Zunächst legten die Aktien auf­grund der sehr guten Zahlen deutlich zu, um dann nach der Inves­to­ren­kon­ferenz deutlich ins Minus zu drehen. Am Ende stand ein Tages­verlust von über sechs Prozent. Aus­löser war die Aussage des Manage­ments, dass die Erträge des ersten Quartals den Höchstwert des Jahres defi­nieren würden. Dies ver­stärkte die Angst, dass wir uns am Wen­de­punkt befinden. 
Cater­pillar gilt dabei nicht nur als Indi­kator für den Indus­trie­sektor, sondern für den Markt gesamt. Der Markt hat eine starke Tendenz, Cater­pillar zu folgen. Nach oben, aber eben auch nach unten. 
Käme es wirklich zu dem kon­junk­tu­rellen Abschwung, gerade hier in Europa, dann könnte das auch erheb­liche Aus­wir­kungen auf den US-Dollar haben. Wie hier schon vor einigen Wochen ver­mutet, neigt der Dollar wieder zu Stärke. Ange­sichts anzie­hender Zinsen und stei­gender Staats­aus­gaben sollte der Dollar eigentlich viel stärker notieren. Bisher hat der Glaube an eine anhal­tende Erholung in der Euro-Zone den Euro gestärkt. Sollte dieser Glaube erschüttert werden, droht eine rasche Auf­wertung, was den Druck auf die US-Dollar-Schuldner erhöhen und so den Abschwung der Welt­wirt­schaft ver­schärfen würde. Schließlich sind alleine in den Schwel­len­ländern Unter­nehmen und Staaten mit mehr als 15 Bil­lionen Dollar verschuldet. 
Tanz­pause einlegen
Alles spricht dafür, eine Tanz­pause ein­zu­legen: hohe Bewer­tungen, stei­gende Zinsen, zuneh­mende Regu­lierung, abküh­lende Wirt­schaft und schlechter Sai­son­zyklus. Taktik passt heute zur Stra­tegie. Liqui­dität ist die beste Asset­klasse in diesem Umfeld. 

 


 Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com → WiWo.de: „Der Markt erkaltet“, 4. Mai 2018