Was die Alt­par­teien an der AfD am meisten stört

Der Einzug der AfD in den Bun­destag hat vieles ver­ändert. Von Wolfgang Schäuble bis zu Claudia Roth denken die Poli­tiker der Alt­par­teien ver­mutlich in einer Wehmut an Vor-AfD-Zeiten zurück, wie sie heute Men­schen meines Alters ereilt, wenn sie sich an die Zeiten erinnern, als es noch kein Internet und keine Mobil­te­lefone gab.
Michael Klo­novsky hat in seiner unver­gleich­lichen Art in den Acta diurna den Wandel, mit dem sich die­je­nigen, „die schon länger da sitzen“,  nun abfinden müssen, analysiert:
„Nun werden jah­re­lange ein­ge­spielte Rou­tinen der Demo­kratie-Vor­täu­schung durch die däm­lichen Rechts­po­pu­listen gestört.“
Die Situation der Bun­des­tags­par­teien vor dem Ein­treffen der AfD-Aliens muss man sich ungefähr vor­stellen wie eine „Käfer“-Box auf der Wies’n: Schlemmend, saufend, schwatzend, stets bereit, sich auf Kom­mando unter­zu­haken und los­zu­schunkeln, saßen die Volks­ver­treter in selbst­ge­fäl­liger Ein­tracht bei­ein­ander, die Musi spielte hin und wieder einen Tusch auf die Chefin, in den alle ein­stimmten, die Rechnung hatte der Ver­an­stalter im Voraus bezahlt, und wenn ein nase­weiser Ver­treter des Pöbels, den die Security unbe­greif­li­cher­weise hatte pas­sieren lassen, sich erkun­digte, ob noch ein Platz frei sei, wurde er mit einem unwil­ligen Grunzen des Raumes ver­wiesen. Schließlich hatte man die Box exklusiv und auf Jahre gebucht.
Das ist nun vorbei. Das wirk­liche Problem, welches die System- oder Kar­tell­par­teien mit dem neuen poli­ti­schen Mit­be­werber haben, ist gar kein primär poli­ti­sches, zumindest sind poli­tische Begriffe für dessen Beschreibung wenig hilf­reich, sondern man sollte vielmehr die Etho­logie bemühen. Das Revier ist bedroht. Es sind „Feinde im Lager!“ (so ein erschro­ckener Hurone im DEFA-Film „Chingachgook, die große Schlange“). Man ist nicht mehr unter sich. Die so gerne andere kon­trol­lieren, werden plötzlich selber kontrolliert.
Und sie hatten es sich so gemütlich ein­ge­richtet im großen Demo­kra­tie­si­mu­la­ti­ons­theater Bun­destag, mit eigenem Fahr­dienst, Bedienten mit weißen Hand­schuhen, Vor­kriegs­preisen in der Par­la­men­ta­ri­schen Gesell­schaft, eigenen Restau­rants, eigenem Rei­sebüro und jenem rund um die Uhr bewachten, mit Tunneln und Brücken ver­bun­denen Büro- und Sit­zungssaal-Kosmos um den Reichstag. Mit eigenen Regeln, eigenen Tages­ord­nungen, eigenen Floskeln, eigenen Pro­blem­ver­leug­nungs­me­cha­nismen und sich wech­sel­seitig die eigene Bedeutung versichernd.
So gehört es bei­spiels­weise zu den Gepflo­gen­heiten, Ple­nar­de­batten und Aus­schuss-Sit­zungen zur gleichen Zeit statt­finden zu lassen. Laut Geschäfts­ordnung des Bun­des­tages braucht das Par­lament zur Beschluss­fä­higkeit die Anwe­senheit von min­destens 50 Prozent der Abge­ord­neten. Gottlob wird aber nur nach­ge­zählt, wenn man es aus dem Saal heraus ver­langt, sonst gäbe es zum Bei­spiel kein Netz­werks­durch­set­zungs­gesetz. In jedem anderen Falle wird – wider bes­seres Wissen – von der Beschluss­fä­higkeit aus­ge­gangen. Das haben die rechts­po­pu­lis­ti­schen Spiel­ver­derber als erstes der Öffent­lichkeit vorgeführt.
Während im meistens gähnend leeren Par­lament – „Bei seinem Anblick gähnte der Abgrund wirklich“ (Johannes Gross) – immerhin noch Redner so taten, als debat­tiere das Hohe Haus über seine Geset­zes­ent­würfe und Beschlüsse, fanden sich die meisten Aus­schüsse nur noch zum Abnicken und Durch­winken zusammen. Der „Aus­schuss für Ange­le­gen­heiten der EU“ etwa, der seit kurzem von einem AfD-Mann geleitet wird, soll eigentlich eine ziemlich wichtige Funktion erfüllen, nämlich die Kon­trolle der supra­na­tio­nalen Brüs­seler Ent­schei­dungen durch das deutsche Par­lament. Der Aus­schuss ist überdies ermächtigt, die Rechte des Bun­des­tages gemäß Art 23 GG gegenüber der Bun­des­re­gierung wahrzunehmen.
Soweit die demo­kra­tische Theorie. In der kor­rum­pierten Rea­lität stehen die Dinge anders. Dis­kus­sionen, Kritik an ein­zelnen Punkten, Vor­schläge, Fragen – all das findet nicht statt. Als der neue Aus­schuss­vor­sit­zende sich erkun­digte, warum nicht, reagierten die schon länger dort Her­um­sit­zenden gereizt. Das sei eben so. Man kann es ja ver­stehen. Die Unter­lagen umfassen oft hun­derte Seiten und behandeln hoch­kom­plexe, aber auch hoch­lang­weilige Zusam­men­hänge. Ände­rungs­wünsche an Tages­ord­nungs­punkten können bis Don­nerstag der Vor­woche ein­ge­reicht werden, prak­ti­scher­weise trifft die Tages­ordnung auch oft erst am Don­nerstag bei den Aus­schuss­mit­gliedern ein. Die letzte ent­hielt 79 Daten­sätze mit je 80 Seiten Text. Wer soll das alles lesen? Außerdem: Die EU, die EU, die hat immer Recht! Nun werden jah­re­lange ein­ge­spielte Rou­tinen der Demo­kratie-Vor­täu­schung durch die däm­lichen Rechts­po­pu­listen gestört. Die AfD habe „die Ver­län­gerung der Sitzung bis über 17.00 hinaus“ vor­ge­schlagen, steht im Pro­tokoll. Und der Fahr­dienst wartet, der Tisch ist reserviert…
Ver­trau­ens­volles Durch­winken ersetzt ner­vende Sach­arbeit. Wer nach Details fragt und Pro­zedere anzweifelt, macht sich unbe­liebt. Ähn­liches hört man aus dem Bil­dungs­aus­schuss. Mer­kellob berichten die Medien nichts darüber.
 


Dieser her­vor­ra­gende Text wurde erst­ver­öf­fent­licht auf dem Blog des Autors David Berger www.philosophia-perennis.com