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Der Wind des Wandels in der EU

Die EU hat 28 Mit­glieder, die im Rat der Regie­rungs­chefs formal gleich­be­rechtigt sind. Durch die Wahl in Italien haben sich die Mehr­heits- und damit die Macht­ver­hält­nisse im Rat end­gültig geändert. Ein Blick auf die internen Bündnisse:
Es hat sich eine wäh­rungs­po­li­tisch sta­bi­li­täts­ori­en­tierte Nord­achse aus Irland, Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und den Nie­der­landen gebildet. Das sind 8 von 28 Staaten, also 28,6 %. Deutschland gehört bezeich­nen­der­weise nicht dazu, weil die große Koalition sich zu einer finan­ziell soliden bür­ger­nahen Politik nicht mehr bekennt.
(Von Wolfgang Prabel)
Im Osten gibt es das islam­kri­tische Bollwerk der Visegrad­staaten, der soge­nannten V4: Die Slo­wakei, Tsche­chien, Polen, Ungarn. Das sind 14,3 % der Mit­glieder. Seit Jahren sind diese Länder alle auch finanz­po­li­tisch sehr solide. Mit dem Nord­bündnis haben sie gemeinsam, daß eine Aus­weitung der Macht Brüssels und ein aus­ufernder EU-Haushalt nicht explizit gewünscht werden. Der Haupt­gegner der V4 sind nicht die Nord­länder, weil diese inzwi­schen wie bei­spiels­weise Dänemark auch schon die Not­bremse gegen zu starke mos­le­mische Ein­wan­derung gezogen haben, sondern Deutschland.
Nach den Wahlen in Öster­reich und Italien bilden letztere zwei Staaten das Zünglein an der Waage. In der Migra­ti­ons­po­litik dürften sich die Macht­ver­hält­nisse in Brüssel dadurch ändern. Selbst Frank­reich hatte seit der Wahl Macrons schon einen rea­lis­ti­scheren Kurs ein­ge­schlagen, zum Bei­spiel beim Küs­ten­schutz vor Libyen. Für Dr. Merkel dürfte die moral­in­haltige Luft im Ber­liner Kanz­leramt dünner werden. Der Ruf nach einem wirk­sa­meren Grenz­schutz, wie er von den V4 und Öster­reich ver­treten wurde, wird jetzt auch von Italien vehement unter­stützt. Überall in Europa – außer in Deutschland – wird der Ruf lauter, die pri­vaten Orga­ni­sa­tionen (NGOs) aus dem Schlepper- und Ver­sor­gungs­ge­schäft zu drängen, um eine demo­kra­tisch legi­ti­mierte staat­liche Kon­trolle über die Ein­wan­de­rungs­pro­zesse herzustellen.
Kon­flikte könnte es zwi­schen den V4 und Italien bei der Dis­kussion über die Ver­teilung der Asy­lanten geben. Auch zwi­schen der Nord­achse und Italien gibt es auf den ersten Blick keine Inter­es­sen­gleichheit. Eine Schul­den­aus­weitung in Italien würde den Norden Europas ärgern. Aber diese Diver­genzen lassen sich alle lösen oder eben auch nicht. Bei einem Aus­tritt Ita­liens aus dem Euro wäre allen mittel- und lang­fris­tigen Inter­essen Genüge getan. Der Norden würde der harten Währung ein Stück näher­kommen, Italien würde die Maas­tricht-Ketten end­gültig los. Eine Win-win-Situation, in der die roma­ni­schen Tra­di­tionen wieder aus­gelebt werden könnten. Viel­leicht nicht nur von Italien, sondern in abseh­barer Zeit auch von Frank­reich, Spanien und Portugal.
Immer öfter brechen Länder aus der Brüs­seler Kom­mis­si­ons­dis­ziplin aus. Nur drei  Bei­spiele: In Rumänien schwelt ein Ver­fas­sungs­kon­flikt, der aktuell dadurch genährt wird, daß die sozi­al­de­mo­kra­tische Minis­ter­prä­si­dentin den Umzug der rumä­ni­schen Bot­schaft von Tel Aviv nach Jeru­salem gegen den Wider­stand des Prä­si­denten vor­an­treiben will. Die Brüs­seler Ruß­land­sank­tionen sind immer stärker umstritten, der Bau der Nord­stream-2-Leitung spaltet die EU. Der Konsenz der EU zer­bröselt in einer unüber­sicht­licher wer­denden Themenvielfalt.
Das Gefühl für Diplo­matie, das heißt „die häss­lichsten Dinge auf net­teste Art zu tun und zu sagen“, – so eine Beschreibung des außen­po­li­ti­schen Hand­werks von Ambrose Bierce – ist ins­be­sondere nach dem Umzug der Regierung nach Berlin nicht mehr deutsche Art. Wie vor dem Ersten Welt­krieg hat sich Deutschland durch Lehr­meis­terei, Gerad­li­nigkeit und Allein­gänge iso­liert und zahl­reiche Gegner, ja geradezu feind­liche Alli­anzen her­an­ge­züchtet. Im Wirrwar der unter­schied­lichen natio­nalen Inter­essen könnte ver­bin­dendes Element zwi­schen vielen Euro­päern werden, Genug­tuung für unüber­legte deutsche Rüffel der Ver­gan­genheit zu erlangen. Viele EU-Staaten bzw. jetzige Regie­rungs­par­teien und Poli­tiker wurden vor­ge­führt oder beleidigt. Das ging mit den Sank­tionen gegen Öster­reich während der Schüssel-Regierung los und kul­mi­nierte mit der Her­ab­setzung von Grillo und Ber­lusconi als Clowns. Martin Schulz hatte sich im Euro­pa­par­lament zudem einen unnützen Angriff auf die ita­lie­nische Lega geleistet. Auch Dänemark und die Nie­der­lande wurden wegen Regie­rungs­un­ter­stützung durch Rechts­po­pu­listen von Deutschland aus ange­griffen. Ein litaui­scher Minister war von einem deut­schen EU-Beamten vor ver­sam­melter Mann­schaft aus nich­tigem Anlaß regel­recht zusam­men­ge­faltet worden, weil er ein Widerwort gewagt hatte. Das deutsche Dau­er­feuer gegen die V4 ist auch kein Beitrag zur Ein­ebnung der Gräben in der EU.
Wenn man das Ver­hältnis zwi­schen Frank­reich und den USA mit dem zwi­schen Deutschland und den USA ver­gleicht, so erschließt sich die deutsche Schwäche auf den ersten Blick. In der Sache liegen Macron und Merkel nicht weit aus­ein­ander, die fran­zö­sische Politik wirkt jedoch auf den unvor­ein­ge­nom­menen Betrachter geschmei­diger und ist im Pro­blemfall effi­zi­enter. Man ver­gleiche die Emp­fänge von Macron und Merkel in Washington. Die sehr gerad­linige Ber­liner Kom­mu­ni­kation erinnert an den Wil­hel­mi­nismus. Scho­nungslose Offenheit wie bei Bolle zu Pfingsten ist scheinbar der genius loci, der Geist des Ortes. Durch Berlin fließt eben nicht die Seine, sondern die Panke.
Im euro­päi­schen Mosaik der Inter­essen können emo­tionale Momente und Erin­ne­rungen an diplo­ma­tische Pein­lich­keiten Deutschland nur schaden. Diese nega­tiven Gefühle haben mit dem euro­päisch unab­ge­stimmten Vor­gehen der Kanz­lerin im Jahr 2015 viel zu tun und mit dem hal­tungs­ge­steu­erten Stän­kerkäse, den die SPD seit gut einem Jahr­zehnt gegenüber Nachbarn und Freunden pro­du­ziert hat. Ein Rückzug von Merkel und der SPD aus der Ber­liner Regierung könnte die unru­higen euro­päi­schen Wogen sicher etwas glätten und die auf­ge­brachten Geister auf mittlere Sicht beru­higen. Deutschland muß derzeit darauf bedacht sein, die Tar­get­salden und die Außen­stände bei der EZB zu retten. Neue unbe­lastete Gesichter wären dabei sicher hilfreich.
Ein zukunfts­fä­higes Leitbild für die deutsche Politik könnte die Aufgabe des Son­derwegs in der Asyl­po­litik sein, die Zustimmung zum Aus­tritt der roma­ni­schen Länder aus dem Euro, ein kon­struk­tiver Beitrag zu den anste­henden Aus­tritts­ver­hand­lungen (auch mit dem Ver­ei­nigten König­reich) und auf dieser kon­flik­tär­meren Basis eine ver­stärkte gemeinsame Sicher­heits­po­litik in der EU, die not­wendig unter Führung der Atom­macht Frank­reich erfolgen muß.
Sollte in Berlin alles beim Alten bleiben, haben die euro­päi­schen Partner viele Optionen auch gegen die deutsche Regierung zu agieren und die EU ohne deutsche Mit­wirkung zu ver­ändern oder zu erneuern. Die Macht­ver­hält­nisse sind im Fluß.


Dieser hevor­ra­gende Beitrag von Wolfgang Prabel wurde erst­ver­öf­fent­licht auf dem Blog des Autors www.prabelsblog.de