Eva Herman: Das Ende der »Her­ren­men­schen«

Unsere Nach­barin sagt, dass »jetzt alles anders wird« in Deutschland. Und das sei auch gut so. Viel mehr Vielfalt, und ein fri­scher Wind. Die vielen Flücht­linge, sagt sie, »sind jetzt schon fast alle inte­griert.« Sie ist froh darüber, denn die Kanz­lerin »hatte eben doch recht recht«, auch wenn sie aus Bayern ständig Ärger bekäme. Die Deut­schen, findet unsere Nach­barin, »haben ja schon immer viel Power gehabt«, aber zu viel sei eben auch nicht gut. Sonst kämen sie wieder auf »dumme Gedanken«.
Her­ren­aus­statter wird »so schön orientalisch«
Unsere Nach­barin hatte neulich bei unserem Her­ren­aus­statter im Ein­kaufs­zentrum den Herrn Schmidt nicht wie­der­ge­funden. Der war über zwanzig Jahre lang der Chef gewesen und wusste alle Kon­fek­ti­ons­größen ihres Mannes und der Söhne aus­wendig. Schließlich sagte man ihr, Herr Schmidt arbeite nicht mehr dort. Dafür stellte man ihr einen neuen, sehr netten, tür­ki­schen Fili­al­leiter vor. Unsere Nach­barin war sofort begeistert, weil die Familie des Mannes aus der Nähe von Antalya kommt, welch ein schöner Zufall. Denn da kennt sich unsere Nach­barin aus, schließlich war sie schon zweimal dort im Urlaub gewesen.
Der neue Fili­al­leiter hatte auch gleich ein paar junge Männer ein­ge­stellt, »alles Flücht­linge«, nicht nur aus der Türkei, sondern auch aus Syrien und dem Irak, sagt unsere Nach­barin. Einige von ihnen sollen sogar eine Aus­bildung machen. »Das ganze Geschäft ist jetzt irgendwie ganz anders geworden«, sagt sie. Viel leb­hafter alles, etwas lauter als sonst, und so »so schön ori­en­ta­lisch. Nicht mehr so lang­weilig und ete­petete. Halt Leben in der Bude!«
Blonde Haare nicht so füllig
Unsere Nach­barin kennt sich in den Sozi­al­struk­turen unserer Gesell­schaft ziemlich gut aus. So hatte sie erst kürzlich erzählt, dass es in unserem Stadtteil keinen Frisör mehr gebe, der noch deutsche Azubis hätte, nur tür­kische und ara­bische. »Das gibt eine ganz neue Haar-und Bart­kultur für uns«, freut sich unsere Nach­barin. Nur mit ihren dünnen, blonden Haaren kämen diese Leute noch nicht klar: »Zu fis­selig, da hält leider keine Frisur.« Sie sagt, nicht mehr lange, und dann gebe es gar keine blonden Haare mehr. Weil dann alle dunkel wären. »Eine viel bessere Haar­struktur, viel dicker.«
Wir sollten jetzt auf Mett­brötchen verzichten
Na, ja, so schlimm wäre das nun auch wieder nicht mit den vielen Flücht­lingen, gerade hier in Deutschland, »wo man sich in der Ver­gan­genheit nicht gerade mit Ruhm bekle­ckert« hätte. Unsere Nach­barin hatte auch gelesen, dass »Deutschland ohne die vielen Kriegs­flücht­linge schon bald aus­ge­storben wäre«. Sie findet, dass man viel zu selten spricht über die Vor­teile der Flücht­linge, eben zum Bei­spiel, »dass sie Deutsch­lands Wirt­schaft stärken und uns vor dem Aus­sterben retten«.
Neulich aber, als sie bei dem neuen, großen Back-Shop war, wo es die leckeren, belegten Brötchen gibt, da wurde sie doch nach­denklich. Seit Kurzem arbeiten dort zwei junge, mus­li­mische Mädchen mit Kopftuch. Sie müssen das Geschirr abräumen und dürfen nur Kaffee kochen, sonst nichts. Im Verkauf können sie nicht arbeiten, weil sie »keine Salami und Mett­brötchen anfassen dürfen«. Wegen der Religion. »So was unge­rechtes.« Unsere Nach­barin spricht in diesem Fall von »echter Dis­kri­mi­nierung«, und findet, dass man hier »nach Jahr­hun­derten voll Schwei­nemett ja mal endlich darauf ver­zichten kann«. Und die Salami nur noch vom Lamm oder Rind essen sollte. Das sei alles sowieso viel gesünder.
»Ära der weißen Her­ren­men­schen geht zu Ende«
Als ich unserer Frau Nach­barin einmal sagte, dass von den vielen »Flücht­lingen« nur wenige »echte Flücht­linge« ins Land gekommen seien, da wischte sie diese Bemerkung schnell weg und schaute mich ganz streng an. So etwas wolle sie nicht noch einmal hören, denn unser Land sei so reich, dass wir alle Men­schen, auch Mil­lionen, die kämen, unter­stützen sollten: »Die Welt ist doch wirklich schon unge­recht genug, oder!«
Unsere Nach­barin inter­es­siert sich sehr für Politik. Als der pen­sio­nierte Deutsch­lehrer von oben aus dem Dach­ge­schoss neulich beklagte, dass Stu­denten der Lon­doner School of Ori­ental and African Studies jetzt for­derten, weiß­häutige Phi­lo­sophen wei­test­gehend aus dem Lehrplan zu ent­fernen, um die afri­ka­nische und asia­tische Kultur her­aus­zu­stellen, wurde sie ihm gegenüber ganz schön ener­gisch. Jetzt sei endlich mal Schluss »mit dem ewigen Gejammere«. Denn nun sei die Zeit der Wahrheit gekommen, und die »Ära der weißen Her­ren­men­schen geht damit zu Ende!« Das hatte unsere Nach­barin neulich in einer Fernseh- Doku gesehen, und es spreche ihr voll aus dem Herzen. Diese »Tat­sache« sollten wir endlich kapieren.
 


Dieser her­vor­ra­gende Beitrag mitten aus dem Leben der Autorin wurde erst­ver­öf­fent­licht auf Eva Hermans Blog www.eva-herman.net