Ohne nachzudenken: One world - Refugees Welcome - Photo by: Ilias Bartolini - flickr.com - CC BY-SA 2.0

Kennen Sie diese Zahlen? — Legenden und Fakten zur Zuwanderungsdebatte

Poli­tiker und Medien behaupten, „wir“ hätten Grie­chenland und Italien mit den Pro­blemen der Zuwan­derung „allein gelassen“, weil dort die EU-Außen­grenzen sind und nicht in Deutschland. Das gehört zu den vielen Legenden in der Zuwan­de­rungs­de­batte. Die Behauptung ist ebenso abwegig wie die, man könne durch Ent­wick­lungs­hilfe die Flucht­ur­sachen beseitigen.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Hier einige Fakten aus offi­zi­ellen Sta­tis­tiken und Forschungsberichten:
1. Das Flücht­lings­hilfswerk der Ver­einten Nationen zählt in Deutschland zum Stand Ende vorigen Jahres 1,41 Mil­lionen Schutz­be­rech­tigte und Asyl­be­werber. Nr. 2 ist Frank­reich (402.000). Erst danach kommen Italien (355.000) – und weit hinter Ländern wie Schweden (328.000) und Öster­reich (173.000) erst Grie­chenland (83.000). Alleine in Berlin leben heute mehr Asyl­zu­wan­derer als in ganz Grie­chenland, wie aus einer Antwort der Bun­des­re­gierung auf eine Anfrage der LINKEN her­vorgeht. Demnach wohnten Ende 2017 in Berlin 83.222 Asyl­zu­wan­derer (Per­sonen mit einem der vier Schutz­titel, Asyl­be­werber im Ver­fahren, Geduldete, Nie­der­las­sungs­er­laubnis aus Flucht- sowie huma­ni­tären Gründen, Här­te­fälle). Dabei hat Berlin 3,7 Mil­lionen Ein­wohner und Grie­chenland 10,7 Mil­lionen. In Nord­rhein-West­falen leben 433.236 solcher Zuwan­derer über das Asyl­system, das sind mehr als das UNHCR für ganz Italien zählt. Dabei hat NRW 17,5 Mil­lionen Ein­wohner und Italien über 60 Millionen.
2. Auch die Daten zu Asy­l­ent­schei­dungen belegen die Ungleich­ver­teilung in Europa zulasten Deutsch­lands, nicht – wie immer wieder behauptet – zulasten Grie­chen­lands oder Ita­liens. Nach Eurostat-Zahlen wurden im ver­gan­genen Jahr 524.185 ent­spre­chende Ent­schei­dungen in der Bun­des­re­publik getroffen, mehr als in allen übrigen EU-Staaten zusammen.
3. Gebets­müh­len­artig wie­der­holen Poli­tiker, man müsse die „Flucht­ur­sachen besei­tigen“, und zwar durch Ent­wick­lungs­hilfe. Laut einem aktu­ellen For­schungs­be­richt für das Bonner For­schungs­in­stitut zur Zukunft der Arbeit IZA wird sich die Hoffnung, dass mehr Ent­wick­lungs­hilfe die Aus­wan­derung aus armen Ländern tat­sächlich redu­ziert, nicht erfüllen. Die Neigung zur Aus­wan­derung sinkt nämlich erst dann, wenn die betrof­fenen Länder ein Pro-Kopf­ein­kommen von etwa 8.000 bis 10.000 US-Dollar (gemessen auf Kauf­kraft­basis) erreicht haben. Länder mit einem Pro-Kopf­ein­kommen von 5.000 bis 10.000 US-Dollar (auf Kauf­kraft­basis) haben im Durch­schnitt eine dreimal höhere Anzahl an Aus­wan­derern als Länder, in denen das Pro-Kopf­ein­kommen unter 2.000 US-Dollar liegt. Mit anderen Worten: Bis zum Erreichen der oberen Schwelle nimmt die Migra­ti­ons­neigung in den ärmsten Ländern bei wach­sendem Wohl­stand sogar ten­den­ziell zu. Im Nor­malfall dauert es – wenn man die durch­schnitt­liche his­to­rische BIP-Wachs­tumsrate zugrunde legt – fast 200 Jahre, bis in einem armen Land der Impuls zur Migration nach­lässt. Und selbst wenn man sehr opti­mis­tisch annimmt, dass sich das Wirt­schafts­wachstum durch Ent­wick­lungs­hilfe um zwei Pro­zent­punkte pro Jahr steigern ließe – eine Ver­drei­fa­chung der der­zei­tigen Rate -, würde es bis zum Erreichen dieser Ein­kom­mens­schwelle noch ein halbes Jahr­hundert dauern. Doch das ist unrea­lis­tisch, weil Ent­wick­lungs­hilfe meist nichts bewirkt oder sogar kon­tra­pro­duktiv ist, wie ich im 2. Kapitel meines Buches Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ auf Basis ein­schlä­giger For­schungen Belege
4. Deutschland weist im Ver­gleich der EU die meisten Men­schen ohne Auf­ent­halts­ge­neh­migung auf. Im ver­gan­genen Jahr lebten im Bun­des­gebiet 156.710 Per­sonen ohne offi­zi­elles Blei­be­recht, so die EU-Sta­tis­tik­be­hörde Eurostat. Das ist etwa ein Viertel aller Men­schen, die sich ohne Papiere in der Euro­päi­schen Union aufhalten.
5. Deutschland war laut Eurostat zwar auch der EU-Mit­glied­staat, der 2017 die meisten Nicht-EU-Bürger zur Aus­reise anwies (97.165). Tat­sächlich ver­ließen mit 44.960 Men­schen weniger als die Hälfte der Betrof­fenen die Bundesrepublik.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de