Wir werden zur Zeit Zeuge einer Kaskade von Krisen, die alle (wieder einmal) demselben Muster folgen. Es beginnt fast immer auf die gleiche Weise. In den Schwellenländern beginnt wirtschaftlicher Aufschwung und Wachstum, entsprechende Stimmung macht sich breit und der Staat, die Unternehmen und Start-ups wollen im Aufwind möglichst schnell und möglichst weit nach oben fliegen. Dazu braucht man Geld, das man investieren kann. Das tut man gern, denn morgen ist alles größer, schöner, bunter, besser und man muss weit vorne mit dran sein, sonst nehmen einem die anderen, die Kapital haben, um ihr Unternehmen wachsen zu lassen, die Marktsegmente weg.
Man nimmt dann gern Kredite auf, und oft in Fremdwährungen, weil die gerade sehr günstig sind und man dadurch Geld spart. Niedrigere Zinsen, ein vorteilhaftes Währungsverhältnis – ein Schnäppchen? Nein, ein Schnapp. Aber nur, solange alles gutgeht.
Das Wachstum wird auf Pump finanziert. Die globalen Finanzmärkte glauben an das Wachstum, die Medien schreiben von „Emerging Markets“ und – damals in der Asienkrise – gar poetisch von Tigerstaaten. Verliert die heimische Währung aber aus irgendwelchen Gründen an Wert, weil die Wirtschaft Probleme bekommt, der Staatshaushalt überschuldet ist und Austerität verordnet wird, was natürlich den Konsum bremst und die Wirtschaft schädigt, oder weil das Land von inneren oder äußeren Konflikten erschüttert wird … es gibt viele Gründe … dann werden die Fremdwährungs-Kredite unglaublich teuer, weil das eigene Geld nicht mehr genug wert ist. Denselben Effekt haben Zinserhöhungen auf der Kreditgeberseite. Oder eine schlechte Wirtschaftspolitik der Regierung. Auch wirtschaftliche Verflechtung mit anderen, krisengeschüttelten Ländern können so eine Entwicklung anstoßen oder beschleunigen.
Heimische Unternehmen gehen bankrott, zuerst die, die ihre Schuldendienste nicht mehr leisten können. Die Arbeitslosigkeit steigt und damit sinkt die Kaufkraft. Die Wirtschaft verzeichnet Umsatzeinbußen, wenn sie nicht stark auf den Export ausgerichtet ist. Die nachlassende Kaufkraft zwingt weitere Unternehmen in die Knie, die nicht auf einem stabilen Finanzfundament stehen. Die Todesspirale dreht sich selbst in den Boden.
Die Situation erinnert an die Asienkrise der 1990er-Jahre. Eine typische Schwellenländerkrise bahnt sich an und erfasst die Türkei, Brasilien, Südafrika, China und Indien.
Zuerst sackte die türkische Lira um 40% ab. Eine Katastrophe. Nun zeigen sich Ansteckungssymptome bei der indonesischen Rupyah, dem südafrikanischen Rand, dem mexikanischen Peso, dem brasilianische Real, den chinesischen Yüan und der indischen Rupie. Der Wertverlust dieser Währungen setzt sich seit April dieses Jahres fort und gewinnt seit Mitte August oft noch richtig Fahrt.
Ist die Leistungsbilanz eines Landes gut (die Leistungsbilanz umfasst in der Volkswirtschaftslehre alle Ausgaben und Einnahmen einer Volkswirtschaft, darunter auch die Importe und Exporte von Gütern und Dienstleistungen), wirkt das wie ein Immunsystem. Es gibt Schäden, aber das Land kann dagegen mehr oder weniger gut bestehen. Ein Leistungsbilanzdefizit dagegen ist wie ein geschwächter Körper, der auch noch gegen Angriffe von außen kämpfen muss.
Die Türkei weist zur Zeit ein saftiges Leistungsbilanzdefizit auf: ca 5,5% des Bruttoinlandproduktes, Südafrika etwa 2,3 % des BIP und Indien 2%.
Die Türkei hat mit den Sanktionen der USA zu kämpfen, hat innere Probleme, ist in den Syrienkrieg verwickelt und das Verhältnis zu Russland ist kompliziert. Die türkischen Unternehmen stehen mit rund 210 Milliarden US-Dollar im Ausland in der Kreide. Das sind etwa 33 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Südafrika enteignet zur Zeit die weißen Farmer, das „Backbone“ der Lebensmittelversorgung und des Exports von landwirtschaftlichen Gütern. Schon sehr bald wird man feststellen, dass Südafrika hungrig, verdorrt und bankrott ist.
Indiens Rupie ist auf Talfahrt. Die indische Wirtschaft hat die Geldentwertung immer noch nicht verkraftet, besonders auf dem Land ist keine genügende Versorgung mehr mit Bargeld gewährleistet und bargeldloses Bezahlen schwer. Dadurch sind unzählige Kleinunternehmen pleite gegangen und die Arbeitslosigkeit enorm hoch. Das traditionell arme Land hat noch mehr von seiner Kaufkraft eingebüßt. Zusätzlich kam dann noch die Entscheidung der US-Federal-Reserve-Bank, die Zinssätze zu erhöhen und die Politik der quantitativen Lockerung zu beenden. Damit wurde der sprudelnde Geldhahn mit billigen Krediten in Dollar zugedreht. Die indische Zentralbank musste dieses Jahr bisher ca. 20 Milliarden Euro aufwenden, um die Rupie einigermaßen zu stabilisieren. Zusätzlich kosten die Zinsen auf kurzlaufende Staatsanleihen (in Dollar) ca. 8,1 Milliarden Euro mehr, als geplant.
Bisher verlor die indische Währung dieses Jahr acht Prozent an Wert. Am Donnerstag erreichte die indische Rupie einen historischen Tiefstand: 72 Rupien muss man für einen US-Dollar bezahlen. Im September 2007 waren es ca. 40 Rupien.
Nun beschleunigt sich der Wertverfall der Rupie noch durch den Absturz der türkischen Lira. Jetzt zeigen sich die globalen Folgen der Aufwärtsbewegung des US-Dollars und der Zinserhöhung besonders in den Schwellenländern, die meistens sowohl Staatsschulden als auch Unternehmensschulden in Dollar eingehen.
Indien lag 2016 mit dem erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt an dritter Stelle der Weltrangliste, nach den USA und China. Im Jahr 2017 war Indien mit 7,2% die am viertschnellsten wachsende Wirtschaft der Welt. Vor Indien lagen nur kleine Volkswirtschaften, wie Äthiopien, Usbekistan und Nepal.
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