Von Roger Letsch — Wenn es noch so etwas wie Meinungsfreiheit gibt im Land, dann gehören dazu drei Aspekte. Die Freiheit, eine Meinung zu haben, sie gefahrlos äußern zu können sowie – und das steht natürlich am Anfang – sich zunächst selbst eine bilden zu können! Letzteres gelingt umso besser und unvoreingenommener, je näher man dem Entstehungsort der Information kommt, was im Zeitalter des Internets deutlich leichter fällt als früher. Wer ein Ei beschreiben will, muss sich mit den Hühnern abgeben und sollte nicht einfach ein Omelett anstarren. Was für Eier gilt, gilt auch für Informationen aus der Politik, Wirtschaft und der Polizeiarbeit. Die DLF-Sendung „@Mediasres“ vom 20.9.2018 zeigt jedoch, dass unsere Medien sehr unglücklich darüber sind, dass heute Informationen bereits am Entstehungsort verteilt und verbreitet werden und nicht mehr, wie früher üblich, durch die Filter der Presse laufen. Dazu ließ man gleich zwei Protagonisten des „betreuenden Journalismus“ zu Wort kommen: Marina Weisband (ehemals Piratenpartei) und den stellvertretenden Vorsitzenden des Presserates Manfred Protze (Referent der katholischen Journalistenschule ifp).
Protze, der die „Deutsche Journalistenunion“ in der Gewerkschaft verdi vertritt, ist der Meinung, die Polizei müsse sich stärker der „Richtlinie zur Berichterstattung über Straftaten im deutschen Pressekodex“ verpflichtet fühlen, die besagt, dass die Ermittlungsbehörden Nationalität und Herkunft eines Täters nicht nennen sollen, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Der Deutschlandfunk fragt: „Ist es also ein Problem, wenn die Polizei die Nationalität von Straftätern twittert und gilt der Pressekodex auch für die Polizisten?“
Das Ministerium für Wahrheit
„Natürlich…“, so Protze*. „…ein gewichtiges Problem, aber nicht nur für die Presse, sondern für die Gesellschaft. Medien müssten alles vermeiden, was einer Diskriminierung oder Sippenhaft gleichkomme, das haben die Erfahrungen aus dem Dritten Reich gezeigt.“
Da hat er leider nur teilweise recht! Diskriminierung und Sippenhaft waren im Dritten Reich nämlich nicht von realen Verbrechen induziert, die jemand oder eine Gruppe begangen hatte, sondern ausschließlich von der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und dem Willen der Regierung, diese Gruppe zu diskreditieren, auszugrenzen und zu vernichten. So beruhten beispielsweise die antisemitischen Stereotype, die man zur Ausgrenzung der Juden benutzte, eben gerade nicht auf Fakten oder polizeilichen Erkenntnissen, sondern auf einer kruden ideologischen Agenda. Die Frage muss also übersetzt in unsere Zeit zunächst lauten: stimmen die Vorwürfe? Man darf in Deutschland heute noch davon ausgehen, dass die Polizei beispielsweise zum Zweck einer Fahndung oder in einem Zeugenaufruf die Wendung „südländisches Aussehen“ nicht verwenden wird, weil sie für die Sippenhaft aller „Südländer“ ist, sondern weil im Tatzusammenhang eben jemand gesucht wird, auf den die Beschreibung zutrifft. Die Häufung dieser Meldungen beruht eben auf der Häufung der Vorfälle, nicht auf Stereotypen und Vorverurteilungen, ist also in keiner Weise vergleichbar mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten im Dritten Reich! Ich will keine Sekunde glauben, dass Manfred Protze dieser kleine Unterschied entgangen ist! Woher kommen dann aber seine Bauchschmerzen? Lassen wir ihn weiterreden:
„Früher hat die Polizei ihre Öffentlichkeitsarbeit an die Medien adressiert, das war ein Service…und zwar ausschließlich und die Medien haben in ihrer Verantwortung und im Rahmen der Pflichten, die sich aus dem Pressekodex ergeben, entschieden, welche der gelieferten Informationen sie veröffentlichen und welche nicht. Das hat sich geändert, die Polizei adressiert über die sozialen Netzwerke an die allgemeine Öffentlichkeit, das heißt, zwischen der Veröffentlichung durch die Polizei und dem Empfang beim Publikum gibt es keine …[ in diese kleine Pause hätte das Wort „Filter“ gut gepasst] …Instanz mehr, die entscheidet, ob es ethisch vertretbar ist, die Nationalität oder Ethnie zu nennen…“
Daher weht also der Wind! Protze möchte wie früher exklusiv mit den Eiern beliefert werden, die die Polizei findet, um selbst Omeletts daraus zu braten und dem Konsumenten mit einem Schnipsel Petersilie zu kredenzen. Er möchte an den Meldungen feilen, möchte optimieren, verschönern, gute von gefährlicher Information trennen und dem Kunden leicht Verdauliches bieten, um ihn nicht zu „verunsichern“. Die „allgemeine Öffentlichkeit“ soll also prinzipiell nur gefilterte Informationen erhalten, darin sieht er die Aufgabe des Journalismus.
Dass es sich bei den Polizeimeldungen um Tatsachen handelt, wie die Polizei selbst argumentiert, reicht Protze ethisch „überhaupt nicht aus“. Und weiter „wir als Gesellschaft haben auf jeden Fall zu verhindern, dass durch eine regelmäßige Verknüpfung zwischen Nationalität und Kriminalität ein diskriminierender Effekt entsteht.“ Ich frage mich allerdings, ob eine solche „regelmäßige Verknüpfung“ überhaupt entstehen könnte, wenn es nicht auch „regelmäßige Vorfälle“ gibt. Soll man vielleicht auch die Schilder „Cave Canem“ am Gartenzaun gegen „Vorsicht, Tier beißt“ tauschen, um Hunde nicht zu diskriminieren? Protze tritt offen dafür ein, durch Weglassen, Verflachen oder Verklausulieren die Informationen der Polizei so zu verändern, dass diese bei den Konsumenten nicht zu Verhaltensänderungen führen können und ihm und einigen Journalistenkollegen weiterhin einen sicheren Job beim Durchsieben des Informationssandes nach unangenehmen Kieseln sichert. Mit derselben Begründung könnte man auch eine Sirene auf „stummen Alarm“ umstellen, um den Schlaf der Nachbarn nicht zu stören. In einem künftigen „Ministerium für Wahrheit“ hat sich Manfred Protze mit solchen Äußerungen mindestens für den Job eines Abteilungsleiters empfohlen!
Die neue Ordnung des Journalismus
Die ex-Piratin Marina Weisband empfiehlt sich mit ihrer Kolumne in derselben „@Mediasres“-Sendung ebenfalls für das „Ministerium für Wahrheit“. Wir erinnern uns: „Mehr Transparenz in der Politik“ – mit diesem ehrenwerten Ziel traten die längst vergessenen Piraten einst an. Spontan fallen mir noch Begriffe wie „Wissensgesellschaft“, „freie Information“ und „Schutz vor staatlicher Willkür“ ein, liberale Basisideen allesamt. Ich will hier aber gar nicht die Wurst der Pelle hinterherwerfen, denn die Piraten sind Geschichte – einige ihrer Frontleute scheinen aber auch inhaltlich ziemlich weit von der Fahne gegangen zu sein.
So wie Marina Weisband, die ehemalige eloquente Geschäftsführerin der Piraten. Ihre Kolumne beim DLF scheint mir so gar nicht mehr zum Prinzip der Informationsfreiheit zu passen, die sie einst vertrat. Natürlich kann man seine Meinung ändern, ein Standpunkt ist schließlich kein Stehpunkt. Aber das Publikum und ich im Besonderen wüsste schon ganz gern, wer die Meinung präsentiert, die Frau Weisband im DLF feinstimmig vorträgt. Es geht nämlich auch in Weisbands Kolumne, unvermeidlich dieser Tage, um Meinung und Journalismus und (wie Douglas Adams es ausdrücken würde) den ganzen Rest. Und natürlich um Trump! Aber keine Sorge, der kommt nur als Metapher vor, der redet ja ohnehin nur Müll, mit dem sich keinesfalls seriöser Journalismus, sondern Comedy zu befassen habe. Zuhören muss dem niemand. Wozu auch, steht dessen vollständiges Danebenliegen doch ohnehin von Anfang an fest. Doch jetzt kommt Marina über den Teich und zur Sache.
„Auch hierzulande bemühen sich öffentlich-rechtliche Medien immer wieder, beide Seiten eines Arguments darzustellen, in dem Bemühen um fiktive Objektivität.“
Da frage ich mich doch, in welcher Höhle ohne WLAN und Satellitenempfang Frau Weißband die letzten Jahre verbracht hat. „Beide Seiten?“ Komm schon, Marina! Du musst doch auch gelegentlich Illner, Will, Bundespressekonferenzen mit Seibert oder Literaturempfehlungen der Kanzlerin vernommen haben! „Beide Seiten“ gab es da nie, außer vielleicht beim Braten eines Omeletts beim Hensler. Und wenn schon „beide Seiten“, dann sind die Rollen klar verteilt. Es gibt die belehrende und die zu belehrende Seite, von gleichberechtigtem Diskurs kann wohl kaum die Rede sein.
Bedingung, um bei Medien-Events vorzukommen, ist eine Sammlung kanonisierter Grundannahmen, die nicht in Frage gestellt werden dürfen, sondern von denen man prinzipiell ausgehen muss, um im Diskurs bleiben zu dürfen. Dazu gehören Aussagen wie „wir müssen den Klimawandel aufhalten“, „alle AfD’ler träumen nachts vom Vierten Reich“, „Asyl ist deutsches Leistungsrecht“ oder „ÖR-Rundfunk ist eine Einrichtung der Demokratie“. Weisband weiter:
„Nicht umsonst haben wir uns über eine Woche damit befasst, ab welcher Distanz und Dauer man von einer „Hetzjagd” gegen Ausländer sprechen kann. Dass der ganze Streit von vornherein dumm ist, hat man praktisch nur in den Meinungsartikeln gelesen.“
Das „ob“ und „wie“ wird also ersetzt durch „dass“ und „dumm“? Nicht, dass wir das nicht ohnehin parallel hätten! Denn jeder, der auch nur das „ob“ in Frage stellte wie der sächsische Ministerpräsident und der das „wie“ der Beweise auch nur anzweifelte wie Maaßen, wurde als mindestens dumm bezeichnet und hat gefälligst die Konsequenzen zu ziehen. Das „ob“ ist aber entscheidend für die Lehren aus Vorkommnissen, wie wir sie in Chemnitz gesehen haben. Das Brüllen von Nazisprüchen ist nämlich auch dann abzulehnen und zu bekämpfen, wenn man nicht zu Übertreibungen greift und von Hetzjagden oder gar von Pogromen spricht. Diese hypermoralische Übersteigerung relativiert wirkliche Hetzjagden und tatsächlich und unstrittig stattgefundene Pogrome. Ich halte das für extrem gefährlich.
„Meinung ohne Substanz ist im Wesentlichen weißes Rauschen und Unterhaltung, durch die wir auf keinen Fall unser Verständnis von Journalismus ersetzen dürfen. Objektivität besteht nicht darin, alle Seiten zu sehen und zuzulassen. Sondern im Einordnen der Neuigkeiten in einen größeren Kontext.“
Welch ein Dünkel! Zumal das Substanzgebot für gelernte Journalisten und Regierungssprecher offenbar nicht gilt. Man muss aber kein Trainer sein, um zu merken, dass eine Mannschaft schlecht spielt und ob eine Auster schlecht ist, riecht nicht nur der Koch. Und was soll der „Größere Kontext“ sein? Sowas wie ein Fünfjahresplan vielleicht? Was Weisband hier versucht, ist, dem Nichtjournalisten die Befähigung abzusprechen, sich über bestimmte Zusammenhänge ein Urteil zu bilden. Dieses müsse immer aus einem journalistischen Filter kommen. Wer das noch für einen demokratischen Ansatz hält, hat echt den Schuss nicht gehört.
„Erstens müssen gerade sich um Objektivität bemühende Qualitätsmedien sehr viel besser die Spirale aus Provokation und Aufmerksamkeit analysieren und für sich Schlüsse daraus ziehen, um Fakten beim Berichten besser einzuordnen. Und zweitens müssen wir uns dringend über Finanzierungsmodelle für diese Art von Journalismus unterhalten, die nicht auf Klicks und Aufmerksamkeit beruhen. Und das ist meine Meinung.“
Diese „Art von Journalismus“ gibt es doch bereits, Marina! Und Du befindest Dich mitten drin! Die Selbsteinschätzung, dass es sich dabei um Qualität handelt oder ob diese Art des Journalismus nicht vor allem auf eine möglichst gleichgeschaltete, unaufgeregte und beschwichtigende Konsensgesellschaft der Stillen, Gutgläubigen und Angepassten abzielt, überlasse ich der Phantasie meiner Leser. Die Idee jedoch, für diese Art Glattschreiberei abseits von Aufmerksamkeit und Klicks „Finanzierungsmodelle“ zu finden, finden ausgerechnet jene Medienvertreter toll, denen gerade wegen ihrer gleichgeschalteten und beschwichtigenden Berichterstattung die Leser und Zuschauer davonlaufen. Es gibt nur einen Ort in Deutschland, wo Aufmerksamkeit und Klicks im Grunde keine Rolle spielen: die öffentlich-rechtlichen Medien.
Die Ausführungen von Marina Weisband und Manfred Protze zeigen deutlich, dass der Journalismus in Deutschland weiter diesen Traum träumt. Den Traum vom Informationsministerium mit steuergeldalimentierten Journalisten, die ihre Aufgabe im Glattbügeln und Umsäumen von Regierungsamtlichen Meldungen sehen.
* Leider liegt derzeit keine Textfassung des Interviews mit Manfred Protze vor. Hier der Direktlink zur MP3-Datei beim DLF, das Interview ist der erste Beitrag.
Protze, der die „Deutsche Journalistenunion“ in der Gewerkschaft verdi vertritt, ist der Meinung, die Polizei müsse sich stärker der „Richtlinie zur Berichterstattung über Straftaten im deutschen Pressekodex“ verpflichtet fühlen, die besagt, dass die Ermittlungsbehörden Nationalität und Herkunft eines Täters nicht nennen sollen, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Der Deutschlandfunk fragt: „Ist es also ein Problem, wenn die Polizei die Nationalität von Straftätern twittert und gilt der Pressekodex auch für die Polizisten?“
Das Ministerium für Wahrheit
„Natürlich…“, so Protze*. „…ein gewichtiges Problem, aber nicht nur für die Presse, sondern für die Gesellschaft. Medien müssten alles vermeiden, was einer Diskriminierung oder Sippenhaft gleichkomme, das haben die Erfahrungen aus dem Dritten Reich gezeigt.“
Da hat er leider nur teilweise recht! Diskriminierung und Sippenhaft waren im Dritten Reich nämlich nicht von realen Verbrechen induziert, die jemand oder eine Gruppe begangen hatte, sondern ausschließlich von der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und dem Willen der Regierung, diese Gruppe zu diskreditieren, auszugrenzen und zu vernichten. So beruhten beispielsweise die antisemitischen Stereotype, die man zur Ausgrenzung der Juden benutzte, eben gerade nicht auf Fakten oder polizeilichen Erkenntnissen, sondern auf einer kruden ideologischen Agenda. Die Frage muss also übersetzt in unsere Zeit zunächst lauten: stimmen die Vorwürfe? Man darf in Deutschland heute noch davon ausgehen, dass die Polizei beispielsweise zum Zweck einer Fahndung oder in einem Zeugenaufruf die Wendung „südländisches Aussehen“ nicht verwenden wird, weil sie für die Sippenhaft aller „Südländer“ ist, sondern weil im Tatzusammenhang eben jemand gesucht wird, auf den die Beschreibung zutrifft. Die Häufung dieser Meldungen beruht eben auf der Häufung der Vorfälle, nicht auf Stereotypen und Vorverurteilungen, ist also in keiner Weise vergleichbar mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten im Dritten Reich! Ich will keine Sekunde glauben, dass Manfred Protze dieser kleine Unterschied entgangen ist! Woher kommen dann aber seine Bauchschmerzen? Lassen wir ihn weiterreden:
„Früher hat die Polizei ihre Öffentlichkeitsarbeit an die Medien adressiert, das war ein Service…und zwar ausschließlich und die Medien haben in ihrer Verantwortung und im Rahmen der Pflichten, die sich aus dem Pressekodex ergeben, entschieden, welche der gelieferten Informationen sie veröffentlichen und welche nicht. Das hat sich geändert, die Polizei adressiert über die sozialen Netzwerke an die allgemeine Öffentlichkeit, das heißt, zwischen der Veröffentlichung durch die Polizei und dem Empfang beim Publikum gibt es keine …[ in diese kleine Pause hätte das Wort „Filter“ gut gepasst] …Instanz mehr, die entscheidet, ob es ethisch vertretbar ist, die Nationalität oder Ethnie zu nennen…“
Daher weht also der Wind! Protze möchte wie früher exklusiv mit den Eiern beliefert werden, die die Polizei findet, um selbst Omeletts daraus zu braten und dem Konsumenten mit einem Schnipsel Petersilie zu kredenzen. Er möchte an den Meldungen feilen, möchte optimieren, verschönern, gute von gefährlicher Information trennen und dem Kunden leicht Verdauliches bieten, um ihn nicht zu „verunsichern“. Die „allgemeine Öffentlichkeit“ soll also prinzipiell nur gefilterte Informationen erhalten, darin sieht er die Aufgabe des Journalismus.
Dass es sich bei den Polizeimeldungen um Tatsachen handelt, wie die Polizei selbst argumentiert, reicht Protze ethisch „überhaupt nicht aus“. Und weiter „wir als Gesellschaft haben auf jeden Fall zu verhindern, dass durch eine regelmäßige Verknüpfung zwischen Nationalität und Kriminalität ein diskriminierender Effekt entsteht.“ Ich frage mich allerdings, ob eine solche „regelmäßige Verknüpfung“ überhaupt entstehen könnte, wenn es nicht auch „regelmäßige Vorfälle“ gibt. Soll man vielleicht auch die Schilder „Cave Canem“ am Gartenzaun gegen „Vorsicht, Tier beißt“ tauschen, um Hunde nicht zu diskriminieren? Protze tritt offen dafür ein, durch Weglassen, Verflachen oder Verklausulieren die Informationen der Polizei so zu verändern, dass diese bei den Konsumenten nicht zu Verhaltensänderungen führen können und ihm und einigen Journalistenkollegen weiterhin einen sicheren Job beim Durchsieben des Informationssandes nach unangenehmen Kieseln sichert. Mit derselben Begründung könnte man auch eine Sirene auf „stummen Alarm“ umstellen, um den Schlaf der Nachbarn nicht zu stören. In einem künftigen „Ministerium für Wahrheit“ hat sich Manfred Protze mit solchen Äußerungen mindestens für den Job eines Abteilungsleiters empfohlen!
Die neue Ordnung des Journalismus
Die ex-Piratin Marina Weisband empfiehlt sich mit ihrer Kolumne in derselben „@Mediasres“-Sendung ebenfalls für das „Ministerium für Wahrheit“. Wir erinnern uns: „Mehr Transparenz in der Politik“ – mit diesem ehrenwerten Ziel traten die längst vergessenen Piraten einst an. Spontan fallen mir noch Begriffe wie „Wissensgesellschaft“, „freie Information“ und „Schutz vor staatlicher Willkür“ ein, liberale Basisideen allesamt. Ich will hier aber gar nicht die Wurst der Pelle hinterherwerfen, denn die Piraten sind Geschichte – einige ihrer Frontleute scheinen aber auch inhaltlich ziemlich weit von der Fahne gegangen zu sein.
So wie Marina Weisband, die ehemalige eloquente Geschäftsführerin der Piraten. Ihre Kolumne beim DLF scheint mir so gar nicht mehr zum Prinzip der Informationsfreiheit zu passen, die sie einst vertrat. Natürlich kann man seine Meinung ändern, ein Standpunkt ist schließlich kein Stehpunkt. Aber das Publikum und ich im Besonderen wüsste schon ganz gern, wer die Meinung präsentiert, die Frau Weisband im DLF feinstimmig vorträgt. Es geht nämlich auch in Weisbands Kolumne, unvermeidlich dieser Tage, um Meinung und Journalismus und (wie Douglas Adams es ausdrücken würde) den ganzen Rest. Und natürlich um Trump! Aber keine Sorge, der kommt nur als Metapher vor, der redet ja ohnehin nur Müll, mit dem sich keinesfalls seriöser Journalismus, sondern Comedy zu befassen habe. Zuhören muss dem niemand. Wozu auch, steht dessen vollständiges Danebenliegen doch ohnehin von Anfang an fest. Doch jetzt kommt Marina über den Teich und zur Sache.
„Auch hierzulande bemühen sich öffentlich-rechtliche Medien immer wieder, beide Seiten eines Arguments darzustellen, in dem Bemühen um fiktive Objektivität.“
Da frage ich mich doch, in welcher Höhle ohne WLAN und Satellitenempfang Frau Weißband die letzten Jahre verbracht hat. „Beide Seiten?“ Komm schon, Marina! Du musst doch auch gelegentlich Illner, Will, Bundespressekonferenzen mit Seibert oder Literaturempfehlungen der Kanzlerin vernommen haben! „Beide Seiten“ gab es da nie, außer vielleicht beim Braten eines Omeletts beim Hensler. Und wenn schon „beide Seiten“, dann sind die Rollen klar verteilt. Es gibt die belehrende und die zu belehrende Seite, von gleichberechtigtem Diskurs kann wohl kaum die Rede sein.
Bedingung, um bei Medien-Events vorzukommen, ist eine Sammlung kanonisierter Grundannahmen, die nicht in Frage gestellt werden dürfen, sondern von denen man prinzipiell ausgehen muss, um im Diskurs bleiben zu dürfen. Dazu gehören Aussagen wie „wir müssen den Klimawandel aufhalten“, „alle AfD’ler träumen nachts vom Vierten Reich“, „Asyl ist deutsches Leistungsrecht“ oder „ÖR-Rundfunk ist eine Einrichtung der Demokratie“. Weisband weiter:
„Nicht umsonst haben wir uns über eine Woche damit befasst, ab welcher Distanz und Dauer man von einer „Hetzjagd” gegen Ausländer sprechen kann. Dass der ganze Streit von vornherein dumm ist, hat man praktisch nur in den Meinungsartikeln gelesen.“
Das „ob“ und „wie“ wird also ersetzt durch „dass“ und „dumm“? Nicht, dass wir das nicht ohnehin parallel hätten! Denn jeder, der auch nur das „ob“ in Frage stellte wie der sächsische Ministerpräsident und der das „wie“ der Beweise auch nur anzweifelte wie Maaßen, wurde als mindestens dumm bezeichnet und hat gefälligst die Konsequenzen zu ziehen. Das „ob“ ist aber entscheidend für die Lehren aus Vorkommnissen, wie wir sie in Chemnitz gesehen haben. Das Brüllen von Nazisprüchen ist nämlich auch dann abzulehnen und zu bekämpfen, wenn man nicht zu Übertreibungen greift und von Hetzjagden oder gar von Pogromen spricht. Diese hypermoralische Übersteigerung relativiert wirkliche Hetzjagden und tatsächlich und unstrittig stattgefundene Pogrome. Ich halte das für extrem gefährlich.
„Meinung ohne Substanz ist im Wesentlichen weißes Rauschen und Unterhaltung, durch die wir auf keinen Fall unser Verständnis von Journalismus ersetzen dürfen. Objektivität besteht nicht darin, alle Seiten zu sehen und zuzulassen. Sondern im Einordnen der Neuigkeiten in einen größeren Kontext.“
Welch ein Dünkel! Zumal das Substanzgebot für gelernte Journalisten und Regierungssprecher offenbar nicht gilt. Man muss aber kein Trainer sein, um zu merken, dass eine Mannschaft schlecht spielt und ob eine Auster schlecht ist, riecht nicht nur der Koch. Und was soll der „Größere Kontext“ sein? Sowas wie ein Fünfjahresplan vielleicht? Was Weisband hier versucht, ist, dem Nichtjournalisten die Befähigung abzusprechen, sich über bestimmte Zusammenhänge ein Urteil zu bilden. Dieses müsse immer aus einem journalistischen Filter kommen. Wer das noch für einen demokratischen Ansatz hält, hat echt den Schuss nicht gehört.
„Erstens müssen gerade sich um Objektivität bemühende Qualitätsmedien sehr viel besser die Spirale aus Provokation und Aufmerksamkeit analysieren und für sich Schlüsse daraus ziehen, um Fakten beim Berichten besser einzuordnen. Und zweitens müssen wir uns dringend über Finanzierungsmodelle für diese Art von Journalismus unterhalten, die nicht auf Klicks und Aufmerksamkeit beruhen. Und das ist meine Meinung.“
Diese „Art von Journalismus“ gibt es doch bereits, Marina! Und Du befindest Dich mitten drin! Die Selbsteinschätzung, dass es sich dabei um Qualität handelt oder ob diese Art des Journalismus nicht vor allem auf eine möglichst gleichgeschaltete, unaufgeregte und beschwichtigende Konsensgesellschaft der Stillen, Gutgläubigen und Angepassten abzielt, überlasse ich der Phantasie meiner Leser. Die Idee jedoch, für diese Art Glattschreiberei abseits von Aufmerksamkeit und Klicks „Finanzierungsmodelle“ zu finden, finden ausgerechnet jene Medienvertreter toll, denen gerade wegen ihrer gleichgeschalteten und beschwichtigenden Berichterstattung die Leser und Zuschauer davonlaufen. Es gibt nur einen Ort in Deutschland, wo Aufmerksamkeit und Klicks im Grunde keine Rolle spielen: die öffentlich-rechtlichen Medien.
Die Ausführungen von Marina Weisband und Manfred Protze zeigen deutlich, dass der Journalismus in Deutschland weiter diesen Traum träumt. Den Traum vom Informationsministerium mit steuergeldalimentierten Journalisten, die ihre Aufgabe im Glattbügeln und Umsäumen von Regierungsamtlichen Meldungen sehen.
* Leider liegt derzeit keine Textfassung des Interviews mit Manfred Protze vor. Hier der Direktlink zur MP3-Datei beim DLF, das Interview ist der erste Beitrag.
Roger Letsch auf unbesorgt.de