Staats-Jour­na­lismus auf dem Vormarsch

Von Roger Letsch — Wenn es noch so etwas wie Mei­nungs­freiheit gibt im Land, dann gehören dazu drei Aspekte. Die Freiheit, eine Meinung zu haben, sie gefahrlos äußern zu können sowie – und das steht natürlich am Anfang – sich zunächst selbst eine bilden zu können! Letz­teres gelingt umso besser und unvor­ein­ge­nom­mener, je näher man dem Ent­ste­hungsort der Infor­mation kommt, was im Zeit­alter des Internets deutlich leichter fällt als früher. Wer ein Ei beschreiben will, muss sich mit den Hühnern abgeben und sollte nicht einfach ein Omelett anstarren. Was für Eier gilt, gilt auch für Infor­ma­tionen aus der Politik, Wirt­schaft und der Poli­zei­arbeit. Die DLF-Sendung „@Mediasres“ vom 20.9.2018 zeigt jedoch, dass unsere Medien sehr unglücklich darüber sind, dass heute Infor­ma­tionen bereits am Ent­ste­hungsort ver­teilt und ver­breitet werden und nicht mehr, wie früher üblich, durch die Filter der Presse laufen. Dazu ließ man gleich zwei Prot­ago­nisten des „betreu­enden Jour­na­lismus“ zu Wort kommen: Marina Weisband (ehemals Pira­ten­partei) und den stell­ver­tre­tenden Vor­sit­zenden des Pres­se­rates Manfred Protze (Referent der katho­li­schen Jour­na­lis­ten­schule ifp).
Protze, der die „Deutsche Jour­na­lis­ten­union“ in der Gewerk­schaft verdi ver­tritt, ist der Meinung, die Polizei müsse sich stärker der „Richt­linie zur Bericht­erstattung über Straf­taten im deut­schen Pres­se­kodex“ ver­pflichtet fühlen, die besagt, dass die Ermitt­lungs­be­hörden Natio­na­lität und Her­kunft eines Täters nicht nennen sollen, es sei denn, es besteht ein begrün­detes öffent­liches Interesse. Der Deutsch­landfunk fragt: „Ist es also ein Problem, wenn die Polizei die Natio­na­lität von Straf­tätern twittert und gilt der Pres­se­kodex auch für die Polizisten?“
Das Minis­terium für Wahrheit
Natürlich…“, so Protze*. „…ein gewich­tiges Problem, aber nicht nur für die Presse, sondern für die Gesell­schaft. Medien müssten alles ver­meiden, was einer Dis­kri­mi­nierung oder Sip­penhaft gleich­komme, das haben die Erfah­rungen aus dem Dritten Reich gezeigt.“
Da hat er leider nur teil­weise recht! Dis­kri­mi­nierung und Sip­penhaft waren im Dritten Reich nämlich nicht von realen Ver­brechen indu­ziert, die jemand oder eine Gruppe begangen hatte, sondern aus­schließlich von der Zuge­hö­rigkeit zu dieser Gruppe und dem Willen der Regierung, diese Gruppe zu dis­kre­di­tieren, aus­zu­grenzen und zu ver­nichten. So beruhten bei­spiels­weise die anti­se­mi­ti­schen Ste­reotype, die man zur Aus­grenzung der Juden benutzte, eben gerade nicht auf Fakten oder poli­zei­lichen Erkennt­nissen, sondern auf einer kruden ideo­lo­gi­schen Agenda. Die Frage muss also über­setzt in unsere Zeit zunächst lauten: stimmen die Vor­würfe? Man darf in Deutschland heute noch davon aus­gehen, dass die Polizei bei­spiels­weise zum Zweck einer Fahndung oder in einem Zeu­gen­aufruf die Wendung „süd­län­di­sches Aus­sehen“ nicht ver­wenden wird, weil sie für die Sip­penhaft aller „Süd­länder“ ist, sondern weil im Tat­zu­sam­menhang eben jemand gesucht wird, auf den die Beschreibung zutrifft. Die Häufung dieser Mel­dungen beruht eben auf der Häufung der Vor­fälle, nicht auf Ste­reo­typen und Vor­ver­ur­tei­lungen, ist also in keiner Weise ver­gleichbar mit dem Vor­gehen der Natio­nal­so­zia­listen im Dritten Reich! Ich will keine Sekunde glauben, dass Manfred Protze dieser kleine Unter­schied ent­gangen ist! Woher kommen dann aber seine Bauch­schmerzen? Lassen wir ihn weiterreden:
Früher hat die Polizei ihre Öffent­lich­keits­arbeit an die Medien adres­siert, das war ein Service…und zwar aus­schließlich und die Medien haben in ihrer Ver­ant­wortung und im Rahmen der Pflichten, die sich aus dem Pres­se­kodex ergeben, ent­schieden, welche der gelie­ferten Infor­ma­tionen sie ver­öf­fent­lichen und welche nicht. Das hat sich geändert, die Polizei adres­siert über die sozialen Netz­werke an die all­ge­meine Öffent­lichkeit, das heißt, zwi­schen der Ver­öf­fent­li­chung durch die Polizei und dem Empfang beim Publikum gibt es keine …[ in diese kleine Pause hätte das Wort „Filter“ gut gepasst] …Instanz mehr, die ent­scheidet, ob es ethisch ver­tretbar ist, die Natio­na­lität oder Ethnie zu nennen…“
Daher weht also der Wind! Protze möchte wie früher exklusiv mit den Eiern beliefert werden, die die Polizei findet, um selbst Ome­letts daraus zu braten und dem Kon­su­menten mit einem Schnipsel Peter­silie zu kre­denzen. Er möchte an den Mel­dungen feilen, möchte opti­mieren, ver­schönern, gute von gefähr­licher Infor­mation trennen und dem Kunden leicht Ver­dau­liches bieten, um ihn nicht zu „ver­un­si­chern“. Die „all­ge­meine Öffent­lichkeit“ soll also prin­zi­piell nur gefil­terte Infor­ma­tionen erhalten, darin sieht er die Aufgabe des Journalismus.
Dass es sich bei den Poli­zei­mel­dungen um Tat­sachen handelt, wie die Polizei selbst argu­men­tiert, reicht Protze ethisch „über­haupt nicht aus“. Und weiter „wir als Gesell­schaft haben auf jeden Fall zu ver­hindern, dass durch eine regel­mäßige Ver­knüpfung zwi­schen Natio­na­lität und Kri­mi­na­lität ein dis­kri­mi­nie­render Effekt ent­steht.“ Ich frage mich aller­dings, ob eine solche „regel­mäßige Ver­knüpfung“ über­haupt ent­stehen könnte, wenn es nicht auch „regel­mäßige Vor­fälle“ gibt. Soll man viel­leicht auch die Schilder „Cave Canem“ am Gar­tenzaun gegen „Vor­sicht, Tier beißt“ tau­schen, um Hunde nicht zu dis­kri­mi­nieren? Protze tritt offen dafür ein, durch Weg­lassen, Ver­flachen oder Ver­klau­su­lieren die Infor­ma­tionen der Polizei so zu ver­ändern, dass diese bei den Kon­su­menten nicht zu Ver­hal­tens­än­de­rungen führen können und ihm und einigen Jour­na­lis­ten­kol­legen wei­terhin einen sicheren Job beim Durch­sieben des Infor­ma­ti­ons­sandes nach unan­ge­nehmen Kieseln sichert. Mit der­selben Begründung könnte man auch eine Sirene auf „stummen Alarm“ umstellen, um den Schlaf der Nachbarn nicht zu stören. In einem künf­tigen „Minis­terium für Wahrheit“ hat sich Manfred Protze mit solchen Äuße­rungen min­destens für den Job eines Abtei­lungs­leiters empfohlen!
Die neue Ordnung des Journalismus
Die ex-Piratin Marina Weisband emp­fiehlt sich mit ihrer Kolumne in der­selben „@Mediasres“-Sendung eben­falls für das „Minis­terium für Wahrheit“. Wir erinnern uns: „Mehr Trans­parenz in der Politik“ – mit diesem ehren­werten Ziel traten die längst ver­ges­senen Piraten einst an. Spontan fallen mir noch Begriffe wie „Wis­sens­ge­sell­schaft“, „freie Infor­mation“ und „Schutz vor staat­licher Willkür“ ein, liberale Basis­ideen allesamt. Ich will hier aber gar nicht die Wurst der Pelle hin­ter­her­werfen, denn die Piraten sind Geschichte – einige ihrer Front­leute scheinen aber auch inhaltlich ziemlich weit von der Fahne gegangen zu sein.
So wie Marina Weisband, die ehe­malige elo­quente Geschäfts­füh­rerin der Piraten. Ihre Kolumne beim DLF scheint mir so gar nicht mehr zum Prinzip der Infor­ma­ti­ons­freiheit zu passen, die sie einst vertrat. Natürlich kann man seine Meinung ändern, ein Stand­punkt ist schließlich kein Steh­punkt. Aber das Publikum und ich im Beson­deren wüsste schon ganz gern, wer die Meinung prä­sen­tiert, die Frau Weisband im DLF fein­stimmig vor­trägt. Es geht nämlich auch in Weis­bands Kolumne, unver­meidlich dieser Tage, um Meinung und Jour­na­lismus und (wie Douglas Adams es aus­drücken würde) den ganzen Rest. Und natürlich um Trump! Aber keine Sorge, der kommt nur als Metapher vor, der redet ja ohnehin nur Müll, mit dem sich kei­nes­falls seriöser Jour­na­lismus, sondern Comedy zu befassen habe. Zuhören muss dem niemand. Wozu auch, steht dessen voll­stän­diges Dane­ben­liegen doch ohnehin von Anfang an fest. Doch jetzt kommt Marina über den Teich und zur Sache.
Auch hier­zu­lande bemühen sich öffentlich-recht­liche Medien immer wieder, beide Seiten eines Argu­ments dar­zu­stellen, in dem Bemühen um fiktive Objektivität.“
Da frage ich mich doch, in welcher Höhle ohne WLAN und Satel­li­ten­empfang Frau Weißband die letzten Jahre ver­bracht hat. „Beide Seiten?“ Komm schon, Marina! Du musst doch auch gele­gentlich Illner, Will, Bun­des­pres­se­kon­fe­renzen mit Seibert oder Lite­ra­tur­emp­feh­lungen der Kanz­lerin ver­nommen haben! „Beide Seiten“ gab es da nie, außer viel­leicht beim Braten eines Ome­letts beim Hensler. Und wenn schon „beide Seiten“, dann sind die Rollen klar ver­teilt. Es gibt die beleh­rende und die zu beleh­rende Seite, von gleich­be­rech­tigtem Diskurs kann wohl kaum die Rede sein.
Bedingung, um bei Medien-Events vor­zu­kommen, ist eine Sammlung kano­ni­sierter Grund­an­nahmen, die nicht in Frage gestellt werden dürfen, sondern von denen man prin­zi­piell aus­gehen muss, um im Diskurs bleiben zu dürfen. Dazu gehören Aus­sagen wie „wir müssen den Kli­ma­wandel auf­halten“, „alle AfD’ler träumen nachts vom Vierten Reich“, „Asyl ist deut­sches Leis­tungs­recht“ oder „ÖR-Rundfunk ist eine Ein­richtung der Demo­kratie“. Weisband weiter:
Nicht umsonst haben wir uns über eine Woche damit befasst, ab welcher Distanz und Dauer man von einer „Hetzjagd” gegen Aus­länder sprechen kann. Dass der ganze Streit von vorn­herein dumm ist, hat man prak­tisch nur in den Mei­nungs­ar­tikeln gelesen.“
Das „ob“ und „wie“ wird also ersetzt durch „dass“ und „dumm“? Nicht, dass wir das nicht ohnehin par­allel hätten! Denn jeder, der auch nur das „ob“ in Frage stellte wie der säch­sische Minis­ter­prä­sident und der das „wie“ der Beweise auch nur anzwei­felte wie Maaßen, wurde als min­destens dumm bezeichnet und hat gefäl­ligst die Kon­se­quenzen zu ziehen. Das „ob“ ist aber ent­scheidend für die Lehren aus Vor­komm­nissen, wie wir sie in Chemnitz gesehen haben. Das Brüllen von Nazi­sprüchen ist nämlich auch dann abzu­lehnen und zu bekämpfen, wenn man nicht zu Über­trei­bungen greift und von Hetz­jagden oder gar von Pogromen spricht. Diese hyper­mo­ra­lische Über­stei­gerung rela­ti­viert wirk­liche Hetz­jagden und tat­sächlich und unstrittig statt­ge­fundene Pogrome. Ich halte das für extrem gefährlich.
Meinung ohne Sub­stanz ist im Wesent­lichen weißes Rau­schen und Unter­haltung, durch die wir auf keinen Fall unser Ver­ständnis von Jour­na­lismus ersetzen dürfen. Objek­ti­vität besteht nicht darin, alle Seiten zu sehen und zuzu­lassen. Sondern im Ein­ordnen der Neu­ig­keiten in einen grö­ßeren Kontext.“
Welch ein Dünkel! Zumal das Sub­stanz­gebot für gelernte Jour­na­listen und Regie­rungs­sprecher offenbar nicht gilt. Man muss aber kein Trainer sein, um zu merken, dass eine Mann­schaft schlecht spielt und ob eine Auster schlecht ist, riecht nicht nur der Koch. Und was soll der „Größere Kontext“ sein? Sowas wie ein Fünf­jah­resplan viel­leicht? Was Weisband hier ver­sucht, ist, dem Nicht­jour­na­listen die Befä­higung abzu­sprechen, sich über bestimmte Zusam­men­hänge ein Urteil zu bilden. Dieses müsse immer aus einem jour­na­lis­ti­schen Filter kommen. Wer das noch für einen demo­kra­ti­schen Ansatz hält, hat echt den Schuss nicht gehört.
Erstens müssen gerade sich um Objek­ti­vität bemü­hende Qua­li­täts­medien sehr viel besser die Spirale aus Pro­vo­kation und Auf­merk­samkeit ana­ly­sieren und für sich Schlüsse daraus ziehen, um Fakten beim Berichten besser ein­zu­ordnen. Und zweitens müssen wir uns dringend über Finan­zie­rungs­mo­delle für diese Art von Jour­na­lismus unter­halten, die nicht auf Klicks und Auf­merk­samkeit beruhen. Und das ist meine Meinung.“
Diese „Art von Jour­na­lismus“ gibt es doch bereits, Marina! Und Du befindest Dich mitten drin! Die Selbst­ein­schätzung, dass es sich dabei um Qua­lität handelt oder ob diese Art des Jour­na­lismus nicht vor allem auf eine mög­lichst gleich­ge­schaltete, unauf­ge­regte und beschwich­ti­gende Kon­sens­ge­sell­schaft der Stillen, Gut­gläu­bigen und Ange­passten abzielt, über­lasse ich der Phan­tasie meiner Leser. Die Idee jedoch, für diese Art Glatt­schrei­berei abseits von Auf­merk­samkeit und Klicks „Finan­zie­rungs­mo­delle“ zu finden, finden aus­ge­rechnet jene Medi­en­ver­treter toll, denen gerade wegen ihrer gleich­ge­schal­teten und beschwich­ti­genden Bericht­erstattung die Leser und Zuschauer davon­laufen. Es gibt nur einen Ort in Deutschland, wo Auf­merk­samkeit und Klicks im Grunde keine Rolle spielen: die öffentlich-recht­lichen Medien.
Die Aus­füh­rungen von Marina Weisband und Manfred Protze zeigen deutlich, dass der Jour­na­lismus in Deutschland weiter diesen Traum träumt. Den Traum vom Infor­ma­ti­ons­mi­nis­terium mit steu­er­geld­a­li­men­tierten Jour­na­listen, die ihre Aufgabe im Glatt­bügeln und Umsäumen von Regie­rungs­amt­lichen Mel­dungen sehen.
* Leider liegt derzeit keine Text­fassung des Inter­views mit Manfred Protze vor. Hier der Direktlink zur MP3-Datei beim DLF, das Interview ist der erste Beitrag.

Roger Letsch auf unbesorgt.de