Studie zu Kin­des­miss­brauch in der katho­li­schen Kirche: Wenn Hüte­hunde zu Wölfen werden

Schon sehr lange gibt es bei feucht­fröh­lichen Abenden, wenn die der­beren Witze anfangen, auch den The­men­kreis “Kin­des­miss­brauch durch Priester”. Das Wissen um diese Pro­ble­matik ist alt. Und es wurde immer schon ver­schwiegen. Weil man früher an und für sich über so etwas nicht sprach und die Macht der Kirche groß war, blieb es bei Gerüchten – und die Opfer der Priester allein mit ihrer Scham und ihren see­li­schen Ver­wun­dungen. Niemand hätte ihnen geglaubt – oder besser: glauben wollen.
Das hat sich in den letzten Jahr­zehnten geändert. Die Opfer ver­steckten sich nicht mehr ver­schämt, sie gingen an die Öffent­lichkeit. Die katho­li­schen Kirche geriet unter Druck. Sie musste sich stellen. Seit vier Jahren wird von einer For­schungs­gruppe flä­chen­de­ckend unter­sucht, was, wann wo und mit wem vor­ge­fallen ist. Vier Jahre Spu­ren­suche von 1946 bis 2014 erbrachten Unmengen Doku­mente, Kopien, Befra­gungen. Alles das kris­tal­li­sierte am Ende in nüch­terne Zahlen und Tabellen. Gerade aus den Reihen der Kle­riker kommt oft das Argument, dass Kin­des­miss­brauch nicht nur ein Problem der Kirche sei. Das ist wahr, doch die Studie geht auch auf die ganz spe­zi­ellen Aspekte des Kin­des­miss­brauchs im Kir­chen­umfeld ein. Trei­bende Fak­toren für eine so unge­sunde und auf­ge­staute, sich dann an wehr­losen Kindern abre­agie­rende Sexua­lität sind gerade die psy­chi­schen Zwänge des Umfeldes: ver­leugnete Sexua­lität, ver­teu­felte Homo­se­xua­lität, unbe­dingter Gehorsam, keine echte Hilfe, wie mit dem unbe­frie­digten Sexu­al­trieb umzu­gehen sei. In einem Umfeld, wo eine gesunde, normale Sexua­lität schon Sünde und Schande ist und unter strenger Ver­schwie­genheit geschieht, macht es dann viel­leicht keinen großen Unter­schied mehr, sich dann an Kindern zu vergehen?
Und was bedeutet es, dass auf der Opfer­seite ein krasses Über­ge­wicht männ­licher Opfer offenbar wird? Im Großen und Ganzen sind von den Betrof­fenen der sexu­ellen Über­griffe 62 Prozent Jungen und 35 Prozent Mädchen. In manchen Teil­un­ter­su­chungen betrug der männ­liche Anteil der Opfer sogar 80 Prozent und mehr. Offenbart das einen hohen Pro­zentsatz von pädo­philen Homo­se­xu­ellen in den Reihen der Kle­riker oder den Mangel an anderen „Sexu­al­ob­jekten“? Einen sehr hohen Anteil, ein Viertel aller Opfer, stellen nämlich die Minis­tranten. Gerade hier gibt es recht deftige Witze, die der Repu­tation der Kir­chen­männer nicht zuträglich sind, aber den Erfah­rungs­ho­rizont des Volkes wider­spiegeln: Es ist sowieso von jeher ein offenes Geheimnis. Heute, im Zeit­alter der Sozialen Medien, gehen dann solche “Meme” genannte Bilder herum:
 

 
Die Ver­tu­schung der Ver­brechen wird in einem geson­derten Kapitel der Studie auf­ge­ar­beitet. Die Bis­tümer ver­tuschten den Miss­brauch sys­te­ma­tisch. Bei 1670 akten­kun­digen Beschul­digten eröffnete die Kirche nur gegen 566 ein kir­chen­recht­liches Ver­fahren, das ist nur ein Drittel der Fälle. Von diesen 566 blieben 154 ohne jede Strafe oder Sanktion, in 103 Fällen wurde eine Ermahnung ausgesprochen.
88 Beschul­digte wurden exkom­mu­ni­ziert, 41 wurden ent­lassen. Das sind dann zwar die „Höchst­strafen“ innerhalb des kirch­lichen Rechtes, aber sie treffen nur 7,8 Prozent der Beschul­digten. Und im Ver­gleich zu dem, was die dann als über­führt gel­tenden Täter bei einem welt­lichen Straf­ge­richts­prozess an Folgen zu gewär­tigen hätte, sind diese „Höchst­strafen“ ein Leicht­ge­wicht. Meist, so zeigt die Studie, reagiert die Kirche mit noch lascheren „Strafen“: Früh­pen­sio­nierung, Ver­set­zungen, Zele­bra­ti­ons­verbot, The­rapie, Beur­laubung, Ermahnung, kleine Geld­strafen oder nur Exer­zitien. (Das sind geist­liche Übungen, die zu einer inten­siven Besinnung und Begegnung mit Gott führen. Sie bestehen aus Gebet, Medi­tation, Fasten, Schweigen und die Worte Gottes zu lesen.)
Die Ver­set­zungen in eine andere Gemeinde sehen die Autoren der Studie durchaus kri­tisch. Hier seien „ein­schlägig vor­be­lastete Beschul­digte in einem weit­gehend ahnungs­losen Umfeld plat­ziert worden“, dies sei ein Risiko, das die Bischöfe „leicht­fertig oder bewusst in Kauf genommen“ hätten.
Das Resümee der Studie beur­teilt diese breit­flä­chige Ver­tu­schung und das Ver­schweigen in wohl­for­mu­lierten Worten: „Somit ist die Bereit­schaft der Kirche, Fälle des sexu­ellen Miss­brauchs mit den eigenen, dafür vor­ge­se­henen Ver­fahren zu unter­suchen und Beschul­digte gege­be­nen­falls einer kir­chen­recht­lichen Bestrafung zuzu­führen, in Anbe­tracht der Befunde als nicht sehr aus­ge­prägt anzusehen“. 
Hübsch ausgedrückt.
Es ist furchtbar für die Opfer. Die Kinder leiden oft ein Leben lang dar­unter. Über­ra­schend ist das alles nicht.
In einem so sexu­al­feind­lichen Umfeld der Heim­lichkeit und des Schuld­be­wusst­seins für eigentlich ganz normale Regungen und Bedürf­nisse, wachsen finstere Phan­tasien wie dunkle Blumen und machen die „Hirten der Schäflein“ zu rei­ßenden Wölfen. Die­je­nigen, die – wenn etwas her­aus­kommt – über den Mis­se­täter aus den eigenen Reihen richten, haben notabene meist großes Ver­ständnis für die zwar sündige, aber für manchen unbe­zwingbare „Flei­scheslust“. Manch einer, der dort als Richter über seinen Glau­bens­bruder sitzt, mag selber seinen Trieben schon einmal erlegen sein. Wie will er dann richten? Und hat er selbst viel­leicht, geschockt über sein Ver­brechen an einem Kind, so etwas nie wieder getan? Dann wird er das­selbe wahr­scheinlich von seinem Pries­ter­bruder erwarten und ihn nur ein­dringlich ermahnen.
Möglich auch, dass da eine unaus­ge­spro­chene Kum­panei mit­spielt: „Du hast gefehlt, Bruder, aber ich, Dein Richter, bin gnädig. Sollte ich der­einst fehlen, so werde auch mir diese Gnade zuteil. Denn unser aller Geist ist willig, aber unser Fleisch, ach!, so schwach!“?
Der Volksmund drückt es so aus: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“