Screenprint des Heute-Journals vom 14.9.2018: Geld-Gießkanne der Zentralbanken im Krisenmodus 2008. Aus dem ist die EZB allerdings bis heute nicht heraus.

Zehn Jahre Lehman-Pleite – das ZDF feiert die euro­päische Stabilität

Von Roger Letsch — Was eigentlich genau vor zehn Jahren begann, wie Claus Kleber am 14.9.2018 im Heute-Journal (ab 14:28 min) ver­kündete, steht wohl bis heute nicht so genau fest. Finanz­krise, Ban­ken­krise, Staats­schul­den­krise, Ver­trau­ens­krise… von allem war etwas dabei. Kleber nennt es Finanz­krise und ver­ortet deren Beginn exakt auf den 14.9.2008, als die Invest­mentbank Lehman Brothers kol­la­bierte – und keiner, so Kleber, hätte das vor­aus­ge­sehen. Das ist sowohl richtig als auch falsch. Richtig deshalb, weil die Politik weltweit den keyne­sia­nis­ti­schen Ver­sprechen von Alan Greenspan glaubte – und damit ganz klar aufs falsche Pferd gesetzt hatte und auf dieses heute leider immer noch wettet. Falsch deshalb, weil es zu allen Zeiten Öko­nomen und Volks­wirt­schaftler gab, die vor dem lockeren Fiat-Geld und der auf­ge­blähten Finanz­wirt­schaft warnten, weil diese sich völlig von der Real­wirt­schaft ent­koppelt hatte. Klebers Aussage, „…das Finanz­system ist heute sta­biler, besser kon­trol­liert“ stimmt so pau­schal nicht, vor allem, weil weltweit eine weitere Kon­zen­tration in wenigen, gigan­ti­schen Insti­tuten statt­ge­funden hat. „Too Big To Fail“ ist das schlimmste, was man zulassen kann. Banken müssen pleite gehen können und man muss sie auch pleite gehen lassen, wenn es zum Schwur kommt. Die Lehman-Pleite war ein heil­samer Schock, den es so in der Eurowelt nicht gab. Dort wurde gerettet, dass es nur so krachte!
Heute hört man in Deutschland schon wieder begeis­terte Stimmen, die von der Fusion von Deut­scher und Com­merzbank schwärmen und ver­stärkt durch solche Bestre­bungen die Gefahr, Institute zu schaffen, die tat­sächlich „Too Big To Fail” sind. Der Wahnsinn der späten 90er wird wieder sichtbar, als man in deut­schen Banken voller Stolz und Unkenntnis ver­suchte, „mit den Großen“ zu spielen. Die Lan­des­banken, die das ver­suchten, gibt es heute nicht mehr. Doch Klebers Aus­sagen oder die Ein­spieler mit dem ehe­ma­ligen Staats­se­kretär im Finanz­mi­nis­terium Asmussen waren nicht das eigent­liche Problem. Erst die Aus­sagen der aus dem Bör­sensaal in Frankfurt (Wer vor diesem Hin­ter­grund spricht, muss einfach Ahnung haben) zuge­schal­teten Ste­phanie Barrett machten den Moment der Erin­nerung zum über­heb­lichen, euro­zen­tri­schen Schmierentheater.

Der Bör­sensaal in Frankfurt als Kompetenzkulisse

Es scheint noch zu brennen in den USA, zumindest kann man das glauben, wenn man der Expertin zuhört. Denn Lehren habe man in den USA wohl kaum gezogen aus der Krise. Daran ist natürlich Trump schuld, weil der die stren­geren Regu­lie­rungen für Banken wieder zurück­ge­fahren habe. Trump natürlich, was für eine über­ra­schende Fest­stellung für eine ZDF-Jour­na­listin! Die FED sei heute auch viel macht­loser als früher und dürfe gar nicht mehr retten – ganz anders (aber uner­wähnt) die EZB, die rettet jeden Tag, 247, und nicht nur Banken, sondern gleich ganze Länder! Wir lernen: dort wo die Zen­tralbank nicht mehr rettet, weil sie das angeblich auch nicht mehr darf, ist es fins­terer als dort, wo die Zen­tralbank seit zehn Jahren nichts anderes macht. Da muss man erst mal drauf kommen!
Dass die Ban­ken­re­gu­lie­rungen in den USA wieder zurück­ge­fahren wurden, stimmt auch nur zum Teil: eine Bank hat in den USA heute die Wahl: ent­weder starke Regu­lierung und die Aus­sicht auf Rettung, wenn’s brennt – oder eben keine Aus­sicht auf Rettung, dafür weniger Regu­lierung. Das ist aller­dings nicht das, was Frau Barrett den Zuschauern erzählte – aber eben genau das, was Trump umge­setzt hat. Eine eher unfrei­willige Pointe hatte Barrett, als sie von den Maß­nahmen berichtete, die man in den USA damals traf: „…man hat die Zinsen gesenkt, die sind aber der Zünd­stoff für neue Schulden“. Dass dies nämlich auf die EZB und den Euro genauso zutraf und im Unter­schied zu den USA auch immer noch zutrifft, ist ihr in der Eile wohl entfallen.
Klebers Nach­frage, ob denn Europa heute wenigstens sicherer wäre, beant­wortet Barrett mit dem Hinweis auf die „Sicher­heiten“, die die EZB im Euro­system nun ein­gebaut habe, zum Bei­spiel den ESM. Doch schon bei den von ihr erwähnten Stress­tests wird es lustig, denn was Experten, die solche Tools ent­wi­ckeln, von den „Stress­tests“ der EZB halten, kann man in einem Wort zusam­men­fassen: nichts! Alles Augenwischerei.
Doch schauen wir uns die Fakten an. Die FED hat in den USA den Leitzins längst schritt­weise erhöht, er liegt derzeit bei fast 2% – in der Eurozone hin­gegen bei 0%. Der Ein­la­gezins bei der EZB ist sogar negativ, was die Kre­dit­vergabe ankurbeln soll, in Wirk­lichkeit aber vor allem die Bar­geld­hortung fördert und die Sparer ent­eignet. Die Zins­er­höhung in den USA würgte dort die Kon­junktur nicht ab, während die Null­zins­phase in Europa lustig weiter geht, obwohl doch die Boom & Bust Theorie von Keyenes in solchen Zeiten emp­fiehlt, die viele emit­tierte Kohle wieder aus den Märkten zu holen, also die Zinsen zu erhöhen. Warum erhöht die EZB den Zins nicht, wenn die Wirt­schaft brummt und die „Stresstest“ so tolle Ergeb­nisse erbringen? Warum kauft nur die EZB Staats­an­leihen von Italien, Por­tugal oder Grie­chenland und warum muss die Euro­päische Zen­tralbank über­haupt Staats­an­leihen kaufen, obwohl ihr per Satzung die Staats­fi­nan­zierung strikt ver­boten ist? Der Trick, solche Geschäfte über Banken abzu­wi­ckeln ist in etwa so kreativ, wie wenn ein Dro­gen­händler seine Kunden per Brief­taube ver­sorgt, damit die Taube und nicht er wegen Dro­gen­handels ver­knackt werden möge. Der Keller der EZB ist voller wert­loser „Assets“, dar­unter sogar por­tu­gie­sische Staats­an­leihen aus dem Jahr 1940 (!!), die man mit Lauf­zeiten bis 2199 in Euro-Cash umge­tauscht hat. Ein Wunder, dass man auf dem ver­gilbten Papier über­haupt noch die Zahlen dieser auf Escudo lau­tenden „Wert­pa­piere“ lesen konnte!
Nichts der­gleichen ist in den USA nach 2008 pas­siert. Man hat Fannie May und Freddy Mac gerettet, bei Lehman war aber Schluss mit lustig. Deutschland hatte das­selbe Problem mit der HRE, wie Fannie May und Freddy Mac Hypo­the­ken­fi­nan­zierer. Die Com­merzbank jedoch ver­staat­lichte man mit Steu­ergeld. Ich will hier nicht den Schock klein­reden, der durch die Krise im Jahr 2008 um die Welt ging. Die Sache war kri­tisch und die poli­ti­schen Hau-Ruck-Aktionen, auch die der Bun­des­re­gierung, sind im Rück­blick nur schwer zu bewerten. Das gilt auch für das Garan­tie­ver­sprechen Merkels für deutsche Spar­ein­lagen. Viel­leicht hätte sie es aber bei diesem einen „Wir schaffen das“ belassen sollen. Doch das, was danach kam, die Maß­nahmen der EZB, die Ret­tungs­schirme und Fazi­li­täten, die Euro­rettung, die Grie­chen­land­rettung, die anhal­tenden Null­zinsen, die die garan­tierten Spar­ein­lagen der Deut­schen dann umso sicherer auf­fraßen, die Immo­bi­li­en­blase, in der wir uns gerade befinden, die gigan­ti­schen Target-Salden, die stän­digen Rufe nach Ban­ken­union, Euro-Bonds, euro­päi­scher Finanz­re­gierung… das alles sollen also die „Sicher­heiten“ sein, die Europa vor einer Anste­ckung durch die nächste Krise bewahren werden? Ich würde die Frage von Claus Kleber an Ste­phanie Barrett „Könnte heute immer noch solch ein Schock aus den USA kommen“ anders als diese beantworten:
Das Finanz­system der USA mag Pro­bleme haben, aber das sind derzeit ganz andere als die, die wir in der Eurozone sehen. Bis 2008 über­schwemmten die Sun­nyboys aus den Invest­ment­banken die Märkte mit Geld und die Poli­tiker hingen an ihren Lippen. Nach 2008 über­nahmen die Zen­tral­banken diese Aufgabe, flu­teten die Märkte weiter und zumindest die EZB hat bis heute nicht damit auf­gehört. Wo steht geschrieben, dass Zen­tral­banken klüger sind als Invest­ment­banken, wenn doch beide mit der­selben Droge Geld handeln und der Dro­gen­ab­hängige immer noch die Politik ist? Wer heute skep­tisch in die USA blickt, weil das so gut zur all­ge­meinen Trump-Hys­terie passt, aber glaubt, Europa sei über den Berg, ist ein Narr. Der nächste Schock wird sicher kommen, aber mit hoher Wahr­schein­lichkeit nicht aus den USA, sondern aus Brüssel, Athen, Rom, Paris oder Berlin. Und die Frage wird dann lauten: kann die Welt­wirt­schaft den Kollaps ihres größten Wirt­schafts­raums verkraften?“


Roger Letsch — unbesorgt.de