Oktober – Crash?

Dieser Beitrag von mir erschien bei Wirt­schafts­Woche Online:
Oktober. Dies ist einer der besonders gefähr­lichen Monate, um am Akti­en­markt zu spe­ku­lieren. Die anderen sind Juli, Januar, Sep­tember, April, November, Mai, März, Juni, Dezember, August und Februar.“ Trotz dieser Erkenntnis von Mark Twain dürften nicht wenige Anleger froh sein, wenn der Oktober, tra­di­tionell der Monat mit der höchsten Vola­ti­lität an den Börsen, in drei Wochen vorbei ist. 
Könnte ich Crashs vor­her­sagen, würde ich nicht diese Kolumne schreiben, sondern statt­dessen in einem warmen Steu­er­pa­radies von meinen Spe­ku­la­ti­ons­ge­winnen leben. Es gehört neben der rich­tigen Analyse immer auch ein Quäntchen Glück dazu, nicht nur den Kurs­ein­bruch richtig vor­her­zu­sagen, sondern auch noch den genauen Zeit­punkt. In meinem letzten Artikel habe ich aus­führlich erläutert, dass es allemal besser ist, sich auf unter­be­wertete und unbe­liebte Märkte zu kon­zen­trieren, statt auf einen Ein­bruch am popu­lären Markt zu wetten. Pas­sendes Bei­spiel ist meine viel zu früh aus­ge­spro­chene Warnung vor den FAANGs. Wohl dem, der auf meine Pro­gnose nicht gehört hat. Er liegt, allen zwi­schen­zeit­lichen Ein­brüchen zum Trotz 2018 klar im Plus. 
Alles hängt an den USA
Womit wir erneut bei der vor­läu­figen Bilanz des Jahres 2018 wären: 
  • S&P 500: + 8%
  • Nikkei: +4,5%
  • Euro Stoxx 50: – 4,5%
  • DAX: – 6,2%
  • Shanghai: ‑17%
  • Gold: – 8,1%
Während der Nikkei Hoffnung macht, den jahr­zehn­te­langen Nie­dergang seit 1990 hinter sich zu lassen und Japan immer noch zu den attrak­tivsten und bil­ligsten Märkten gehört, ist die Lage in den USA eine andere: ein Markt, getrieben von immer weniger Werten, hoch bewertet, hoch gele­veragt (hohe Ver­schuldung der Unter­nehmen und hohe Ver­schuldung der Spe­ku­lanten) und gerade mit­tendrin in einer viel­leicht his­to­ri­schen Zinswende. 
Wenn man auf einen Crash setzen sollte, dann wäre es wohl ein­deutig an der Wall Street. Das denke nicht nur ich, das schreiben sogar seriöse Adressen, wie Goldman Sachs. Deren „Bear Market Pro­ba­bility Model“, welches 1999 und 2007 gut funk­tio­niert hat, liegt mit 80 Prozent deutlich über den dama­ligen Werten. Nur in den 1960er-Jahren wurden noch höhere Zahlen erreicht. Was folgte, war die Baisse der 1970er-Jahre, die Aktien in den USA und weltweit so billig machte, wie schon lange nicht mehr. Man muss kein Schwarz­maler sein, um zu der Schluss­fol­gerung zu kommen, die Wall Street zu meiden. 
Die magi­schen drei Prozent
Dies vor allem vor dem Hin­ter­grund der sich immer deut­licher abzeich­nenden Zins­wende in den USA. Immer wieder war ich an dieser Stelle skep­tisch mit Blick auf das Ausmaß der Zins­er­höhung. Meine Logik war und ist dabei eine ein­fache. Eine so hoch ver­schuldete Wirt­schaft ver­kraftet keine höheren Zinsen, ohne in eine schwere Rezession zu stürzen. Ein derart fra­giles Finanz­system ver­kraftet keine höheren Zinsen, ohne eine erneute Finanz­krise aus­zu­lösen, die jene der Jahre 2008 fort­fol­gende noch in den Schatten stellt. Nach dem Motto, es kann nicht sein, was nicht sein darf. 
Als magische Hürde wurde von Markt­be­ob­achtern und Chart­tech­nikern ein Satz von über drei Prozent für die zehn­jährige US-Staats­an­leihe (US-Tre­asury) genannt. Ab diesem Punkt würde es kri­tisch. Lange sah es für mich so aus, als ob diese Hürde hielte, vor allem, weil es eine Rekord­spe­ku­lation auf fal­lende Anlei­hen­kurse gab. Eine der­artig ein­seitige Posi­tio­nierung in den Märkten führt übli­cher­weise zu einer tech­ni­schen Gegen­re­aktion. Diesmal nicht. Es kam tat­sächlich zu einem Über­schreiten der Drei-Prozent-Hürde, und wir befinden uns auf gefähr­lichem Terrain. 
Die US-Staats­an­leihen defi­nieren so etwas wie den Spareckzins für das Weltfinanzsystem: 
  • Anleihen werden relativ zu Aktien attrak­tiver, was die Bewertung von Aktien ten­den­ziell drückt.
  • Die Zins­kosten für Unter­nehmen steigen, was zu gerin­geren Gewinnen führt. Auch dies spricht für tiefere Aktienkurse.
  • Die höher ver­schul­deten Unter­nehmen kommen zusätzlich unter Druck, weil die Zins­kosten stärker steigen als das all­ge­meine Zins­niveau. Das Risiko schlägt sich in höheren Spreads (also Auf­schlägen gegenüber den Staats­an­leihen) nieder.
  • Spe­ku­lation auf Kredit lohnt sich weniger. Dies bringt alle Käufer auf Kredit unter Druck. Sei dies an den Börsen (Wert­pa­pier­kredite) oder an den Immo­bi­li­en­märkten (Hypo­theken). Folge ist ein zuneh­mender Ver­kaufs­druck, der sich – wie immer wieder anhand der Logik von Margin Calls an dieser Stelle erläutert – rasch in einem deut­lichen Ein­bruch an den Märkten ent­laden kann.
  • Die Nach­frage in der Wirt­schaft geht zurück. Unter­nehmen und Kon­su­menten schränken ihre Aus­gaben ein. In der Folge sinken die Gewinne der Unter­nehmen weiter, die Aktien kommen unter Druck.
  • Dies alles gilt nicht nur für die USA, sondern für die Welt­wirt­schaft. Überall kommen Schuldner unter Druck, vor allem jene, die den Fehler gemacht haben, sich auch noch in US-Dollar zu ver­schulden. Sie werden doppelt in die Zange genommen, von stei­genden Zinsen und einem teu­reren US-Dollar. Türkei und Argen­tinien genügen als Stichworte.
Dünne Auf­wärts­be­wegung
Insofern über­rascht es nicht, dass der Auf­schwung an der US-Börse zunehmend dünner wird. Der Markt beginnt, die Rezession zu riechen. Noch immer haben die Zins­er­hö­hungen der Fed zu Rezession, Baisse und Schwel­len­län­der­krise geführt. Hinzu kommt, dass der Blick auf das Zins­niveau allein keinen voll­stän­digen Ein­druck der Liqui­di­täts­ver­knappung durch die Fed gibt. Wenig beachtet wird, dass die Fed schon seit Monaten dabei ist, den Bestand an auf­ge­kauften Wert­pa­pieren zu redu­zieren. Ab Oktober strebt sie an, immerhin 50 Mil­li­arden US-Dollar pro Monat abzu­bauen. Damit ver­knappt sich die Liqui­dität mehr als in frü­heren Zins­er­hö­hungs­zyklen, die in zehn der letzten 13 Fälle eine Rezession zur Folge hatten, sonst eine Schwel­len­län­der­krise. Diesmal viel­leicht beides? 
2007 hatten wir eine ähn­liche Situation. Die Zinsen stiegen auf das Niveau des lang­fris­tigen Abwärts­trends. Die Börse zeigte sich davon vorerst unbe­ein­druckt und stieg weiter. Wenig später hatten wir Finanz­krise und Rezession. Nun bedeutet dies nicht, dass es diesmal genauso sein muss. Vieles spricht aber dafür, dass die Risiken deutlich gestiegen sind: 
  • Zum einen die bereits dis­ku­tierte feh­lende Breite der letzten Auf­wärts­ent­wicklung. Immer ein klares Zeichen für tech­nische Schwäche.
  • Spie­gel­bildlich sind viele Aktien in den USA schon deutlich im Minus.
  • Das zeigt sich auch am Volumen der gehan­delten Aktien. Erheb­liche Volumina führen nur zu kleinen Zuge­winnen, was ein Zeichen dafür ist, dass es erheb­liche Abga­be­be­reit­schaft gibt.
  • Die US-Börse ist – wie gezeigt – recht einsam mit der Per­for­mance in diesem Jahr. Auch der Anstieg seit 2009 war mit über 300 Prozent deutlich über dem Niveau der anderen Märkte in Europa und in Asien.
  • Die US-Märkte bleiben teuer, sowohl gemessen am CAPE-Ratio wie auch am Umsatz­mul­tiple des S&P 500.
  • Amerika ist vorerst das einzige Land, in dem die Zinsen wirklich steigen.
  • Zugleich scheint der Wirt­schafts­auf­schwung mitt­ler­weile zu Knappheit an den Arbeits­märkten und damit höheren Löhnen und Infla­ti­ons­raten zu führen.
  • Die US-Kon­su­menten sind so opti­mis­tisch wie seit 1999 nicht mehr. Immer, wenn der Opti­mismus besonders groß war, dauert es nicht mehr lange bis zum Einbruch.
  • Während die Unter­neh­mens­in­sider, also Mit­glieder des Manage­ments im Rekord­vo­lumen Aktien verkaufen.
In den letzten Tagen kam die US-Börse schon deutlich unter Druck. Die Vola­ti­lität ist wieder erheblich gestiegen. Leicht möglich, dass mehr Inves­toren kalte Füße bekommen, was wie­derum den Abwärts­trend beschleunigt. Durch die hohe Ver­schuldung im System kann es keinen lang­samen Kurs­rückgang geben. Wenn es rutscht, dann schnell. 
1987 und 1929 brauchte es keinen exo­genen Schock für einen Crash. Diesmal gäbe es genügend mög­liche Aus­löser. So oder so bin ich froh, wenn der Oktober vorbei ist.
 

Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com
→ wiwo.de: „Oktober – der Monat mit erhöhtem Crash-Risiko“, 11. Oktober 2018