Alles Leben ist Diskriminierung

Die Gleich­heits­ideo­logie ist seit der Fran­zö­si­schen Revo­lution zu einer zen­tralen Denk­figur der Politik geworden. Seit mehr als 200 Jahren schallt der Ruf nach der Egalité durch die Gesell­schaften der zivi­li­sierten Welt und trotzdem wird dieser Wunsch auch wei­terhin uner­füllt bleiben. Die Unmög­lichkeit seiner Umsetzung liegt nicht (nur) an den zahl­reichen welt­an­schau­lichen und tief­grei­fenden kul­tu­rellen Unter­schieden der Men­schen und Völker. Der Wunsch scheitert auch nicht an den weltweit so ver­schieden gestal­teten poli­ti­schen Ver­hält­nissen. Die Unmög­lichkeit der Gleichheit ist ganz einfach nur das Produkt aus den fun­da­men­talen und unver­rück­baren Gege­ben­heiten des Lebens. Die Natur und das Leben an sich sind wesenhaft so gestaltet, dass es eine all­ge­gen­wärtige Gleichheit niemals geben kann. Anders gesagt: Die Ungleichheit ist die Trieb­kraft des Lebens.

Das Prinzip des Lebens

Die Evo­lution beruht auf dem Grundsatz der Selektion. Das heisst, dass immer und überall das Prinzip der Auswahl regiert. Charles Darwin hat dieses Prinzip unter dem Begriff “The sur­vival of the fittest” zusam­men­ge­fasst. Das Leben per se kann gar nicht anders, als sich an diesem seinem Wesens­grundsatz zu ori­en­tieren. Und wo aus­ge­wählt wird, da wird auch unter­schieden, abge­wiesen und aus­ge­schieden. Das bedeutet nichts anderes als eine endlose und überall statt­fin­dende Diskriminierung.
Trotzdem oder gerade des­wegen ist die Sehn­sucht nach der Gleichheit ein Desi­derat, das schon in der Antike seinen Nie­der­schlag fand. Vor allem die “Gleichheit der Men­schen vor dem Gesetz” ist mitt­ler­weile ein nahezu uni­ver­seller Leitsatz geworden, der in den Men­schen­rechten und in den Ver­fas­sungen dieser Welt fest­ge­schrieben ist und einen förmlich sakro­sankten Status erreicht hat. Ent­wi­ckelte und fort­schritt­liche Gesell­schaften sehen heute über­haupt das Gleich­heits­prinzip und das Dis­kri­mi­nie­rungs­verbot als die zen­tralen Prä­missen ihrer poli­ti­schen Grundbedingungen.
Dabei wird aber gerade in den modernen und aus­dif­fe­ren­zierten Gesell­schaften ein Para­doxon erkennbar: Mag die Gleichheit vor dem Gesetz gerade noch so halbwegs funk­tio­nieren, so wird sie schnell unmöglich, wenn man den juris­ti­schen Raum ver­lässt. Je ener­gi­scher die Gleichheit aller Men­schen von einer Gesell­schaft auf allen Ebenen ange­strebt wird, desto häu­figer zer­schellen die Gleich­heits­prin­zipien an den unver­rück­baren Fakten des Lebens und am Men­schen selbst. Die Men­schen sind unter­schiedlich, sie haben jeweils andere Bega­bungen, Fähig­keiten und Fehler, und sie unter­scheiden sich im Aus­sehen, im Geschlecht, in der Attrak­ti­vität, in ihren cha­rak­ter­lichen Prä­gungen und in viele anderen Merk­malen. Ebenso sind die ver­schie­denen (sub-)kulturellen Bedin­gungen, in denen die Men­schen leben, oft grund­legend anders, ja in mancher Hin­sicht wider­sprechen diese sich sogar diametral.

Wer möchte zwangs­ver­partnert werden?

Man betrachte nur einmal die Part­nerwahl in mono­gamen Gesell­schaften: Jeder Mann, der um eine bestimmte Frau wirbt, dis­kri­mi­niert damit alle anderen in Frage kom­menden Geschlechts­part­ne­rinnen. Und jede Frau, die einen bestimmten wer­benden Mann unter ihren Ver­ehrern aus­er­wählt, tut das­selbe. Bei der mono­gamen Part­nerwahl herrscht also ein erbar­mungs­loser Aus­schei­dungs­kampf nach dem K.o.- Prinzip. Diese Auswahl samt Bevor­zu­gungen bzw. Dis­kri­mi­nie­rungen ein­schließlich der Aus­scheidung von Unpas­senden sind so all­täglich, dass sie uns gar nicht auf­fallen, obwohl sie unser ganzes Leben durch­ziehen und uns regel­recht steuern.
Es grenzt fast an ein Wunder, dass die haupt­be­ruf­lichen Gleich­heits­fa­na­tiker noch keine Pläne aus­ge­heckt haben, wie man das “Recht auf einen Partner” zum Men­schen­recht und daher ein­klagbar machen könnte. Im Ernst: Jede auch nur ansatz­weise gesetzlich gere­gelte Gleich­ma­cherei am “Hei­rats­markt” würde mit Zwang und Frei­heits­ein­schrän­kungen ver­bunden sein und wäre für sich betrachtet wie­derum gegen die Men­schen­rechte (nämlich gegen das Recht auf Freiheit) gerichtet und letztlich absurd. Diese Ungleichheit zwi­schen den Kon­kur­renten und die völlig ungleiche Chan­cen­ver­teilung müssen wir also aus­halten. Freuen tut das nur die Pro­fi­teure dieser Situation: Kos­me­tik­kon­zerne machen Mil­li­ar­den­um­sätze und Plas­tische Chir­urgen helfen den beim Aus­sehen schlecht Weggekommenen.

Auch Unfähige sollen tolle Jobs haben?

Ein anderes Bei­spiel ist der Arbeits­markt: Jeder Arbeit­geber wird aus nahe­lie­genden Gründen nur die jeweils am besten pas­senden und fähigsten Bewerber anstellen. Ein echtes Gleich­heits­gebot würde dort geradezu lächerlich und letztlich auch destruktiv wirken — wer kann wollen, dass man alle Bewerber gleich behandelt und Leute ohne Qua­li­fi­kation oder gar voll­kommen Unfähige die schwie­rigsten Posi­tionen besetzen lässt? Das wäre haar­sträubend, zum Nachteil aller und würde die Wirt­schaft zer­stören. Niemand fordert also ernsthaft die totale Gleichheit am Arbeits­platz. Auch das beweist wie­derum, wie rasch die Gleich­heits­ideo­logie an ihre Grenzen stößt.

Schule — der Ort der Klassifikation

Oder schauen wir in die Schulen: Mit Beno­tungs­sys­temen wird die Leistung der Schüler dif­fe­ren­ziert bewertet, aber letztlich wird damit auch dis­kri­mi­niert. Es gibt gute und schlechte Schüler und kluge und weniger kluge Kinder. Das wird im Zeugnis fest­ge­halten. Mit der Ein­führung der schrift­lichen Beur­tei­lungen wurde vor einigen Jahren ver­sucht, diese nicht weg­zu­leug­nenden Unter­schiede zwi­schen den Schülern zu ver­schleiern und ein­zu­ebnen. Dieses Vor­haben gilt als gescheitert, in Öster­reich kommen die Schul­noten zurück. Wir werden wieder auf Anhieb wissen, wer der Klas­sen­beste ist und wer der Schlechteste.

Olym­pische Gedanken

Ein wei­teres Bei­spiel ist der Sport: Hier darf man noch am ehesten und unge­straft das Aus­schei­dungs­prinzip so anwenden, wie es die Natur vorgibt. Bei jedem Wett­kampf geht es um Sieg und Nie­derlage und bei jedem Match kann es nur einen Gewinner geben. Wer nicht zu den Bes­seren gehört, ver­liert. Das olym­pische Prinzip ver­mittelt uns zwar ein “Dabeisein ist alles”, aber wer fragt nach der Olym­piade um die zahl­losen Teil­nehmer? Es zählt letztlich nur der Sieg oder zumindest der Nachweis, unter den Besten gewesen zu sein — und nur der Platz am Sto­ckerl ist der Platz am Olymp.

Von der Natur zur Kultur

Wir als Men­schen haben zwar den Sprung von der Natur zur Kultur voll­zogen, aber wir konnten damit nicht die Grund­be­dingung namens “Auswahl” ver­lassen. Mögen wir auch noch so ver­zweifelt nach der Gleichheit streben, sie wird uns aus­serhalb des recht­lichen Bereiches nicht zuteil werden — und das ist gut so. Denn eine alles durch­drin­gende Gleichheit müsste tota­litär her­ge­stellt werden, sie würde ein Leben in Mao-Uni­formen bedeuten und wider­na­tür­liche, unter­drü­ckende Situa­tionen ohne Ende erzeugen. Am Ende würde sie jeg­liche Indi­vi­dua­lität zer­stören und den Men­schen aus­lö­schen. Eine Gesell­schaft der Klone wäre das hor­rible Finale. Wie das bisher größte Gleich­heits-Expe­riment der Welt­ge­schichte aus­ge­gangen ist, konnten wir übrigens bis 1989 im Osten beobachten.


Quelle: thedailyfranz