Steu­er­wett­bewerb senkt die Steuerlast

Dieser Artikel basiert auf einer Rede, die am 22. Sep­tember 2018 auf der European Stu­dents for Liberty-Regio­nal­kon­ferenz in Reykjavik gehalten wurde.
„Steuern sind Raub“ ist oftmals die libertäre Stan­dard­po­sition, wenn es um Steu­er­po­litik geht. Warum? Weil „eine Steuer ein erzwun­gener Beitrag“ ist, und man damit das Eigentum einer Person ohne deren Erlaubnis nimmt. Es soll in diesem Artikel aller­dings nicht unter­sucht werden, ob diese Behauptung wahr ist, ob Steuern tat­sächlich Dieb­stahl sind.
Dieser Artikel soll den Effekt dieser Aussage statt ihres Wahr­heits­ge­haltes beleuchten. Den Wahr­heits­gehalt der Aussage außen vor­lassend, so ist „Steuern sind Raub“ ein Spruch, der adäquat und bündig ein mora­li­sches Problem auf­zeigt. Er mag ein guter Weg sein, die­je­nigen auf­zu­muntern, die eben­falls ent­rüstet darüber sind, dass die Regierung einen großen Teil des eigenen Ein­kommens oder Profits beschlag­nahmt. Bei anderen Men­schen hin­gegen wird man, wenn man sich auf jene Worte bezieht, nicht unbe­dingt volle Zustimmung ernten – eher Staunen. Sogar wenn man es doch schafft, jemanden von der Wahrheit der Aussage zu über­zeugen, wird die übliche Antwort darauf sein, dass ein gewisses Maß an „Raub“ dann wohl (im Sinne des Gemein­wohls) nötig wäre.
Wenn „Steuern sind Raub“ das einzige Argument ist, das wir zu bieten haben, dann haben wir ein Problem — und zwar ein großes. Unsere Oppo­sition ist sowieso schon stark. Von allen Seiten des poli­ti­schen Spek­trums tönen die Rufe nach Steu­er­erhö­hungen. Da sind zum einen natürlich unver­hohlen sozia­lis­tische Poli­tiker wie Bernie Sanders und Jeremy Corbyn, die ständig die “bösen 1%” oder aus­beu­te­ri­schen Kon­zerne atta­ckieren. Es gibt zum anderen aber auch Sozi­al­de­mo­kraten, die viel­leicht denken, dass Steuern grund­sätzlich schlecht sind, aber dass „die Reichen“ im Sinne der Umver­teilung hin zu „den Armen“ trotzdem zur Kasse gebeten werden sollten. Dann gibt es soge­nannte „Wirt­schafts­kon­ser­vative“, die ihre im Wahl­kampf ver­spro­chenen Steu­er­re­form­pläne nicht umsetzen, sobald sie rea­li­sieren, dass das mit Kür­zungen bei den (Militär-)Ausgaben ver­bunden wäre.
Am schlimmsten jedoch sind wahr­scheinlich supra­na­tionale Orga­ni­sa­tionen und Büro­kratien, deren Beitrag zur Wirt­schafts­po­litik größ­ten­teils daraus besteht, beständig mehr Regu­lie­rungen und höhere Steuern zu emp­fehlen. Zu diesen Orga­ni­sa­tionen zählen unter anderem der Inter­na­tionale Wäh­rungs­fonds (IWF), die Ver­einten Nationen (UN), die Weltbank und die OECD. Die wahr­scheinlich füh­rende Stimme in Sachen unver­schämter Steu­er­pro­pa­ganda aber ist die Euro­päische Union. Zusätzlich zu ihren schon lange anhal­tenden Plänen der Steu­er­har­mo­ni­sierung, hat sie nun auch noch damit begonnen, ihre inter­na­tio­nalen Steu­er­pläne in Schulen zu pro­pa­gieren (als Bei­spiel genügt ein Blick auf TaxEDU und das Video­spiel Tax­landia, ein Projekt, das euro­päische Steu­er­zahler mehr als 110.000 Euro gekostet hat).
Ange­sichts der ver­hee­renden Situation, in der jeder, der für nied­rigere Steuern argu­men­tiert, sofort von allen Seiten gescholten wird, stellt sich die Frage, was eine mög­liche Lösung wäre. Mein Argument ist es, dass wir öfter für Steu­er­wett­bewerb als grund­le­gendes Prinzip der Steu­er­po­litik plä­dieren sollten.
Eines der wich­tigsten öko­no­mi­schen Prin­zipien ist, dass Anreize eine Rolle spielen – auf den ersten Blick ein unschein­bares Prinzip, dem nicht jeder unein­ge­schränkt zustimmen wird. Denn wir sind keine Engel und es gibt Böses in der Welt. Auch wenn der Großteil der Men­schen nicht böse ist, sind sie, so erinnert mich der katho­lische Teil in mir, fehlbar. Unsere Natur ist eine sündige, und selbst mit den besten Absichten machen wir immer noch Fehler.
Die Aufgabe ist es also, eine Struktur, ein System zu finden, in dem den Men­schen Anreize gesetzt werden, das Richtige zu tun. In unserem Fall gilt es eine Struktur zu finden, in der Poli­tikern Anreize gesetzt werden, nied­rigere Steuern zu imple­men­tieren, selbst wenn sie es aus ihrer ideo­lo­gi­schen Per­spektive gar nicht wollen.
Hier kommt der Wett­bewerb ins Spiel. Für Befür­worter des freien Marktes hat der Wett­bewerb schon immer eine essen­zielle Rolle gespielt. Auf einem freien Markt setzen sich die besten Ideen durch und Men­schen können her­aus­finden, was erfolg­reich ist und funk­tio­niert, indem sie von den Erfah­rungen, Erfolgen und Miss­erfolgen Anderer lernen. Friedrich August von Hayek (1899–1992) bezeichnete Wett­bewerb als „einen Ent­de­ckungs­prozess, nicht nur, indem jedem, der besondere Umstände aus­nutzen will, auch die Mög­lichkeit gegeben wird, dies pro­fi­tabel zu tun, sondern auch, um Anderen Infor­ma­tionen darüber zu ver­mitteln, dass solch eine Mög­lichkeit besteht.“
Oft ver­gessen wird hierbei jedoch den soge­nannten „insti­tu­tio­nellen Wett­bewerb“, auch „staat­licher Wett­bewerb“ genannt. Wie durch den Namen erkennbar ist, ist damit Wett­bewerb zwi­schen Staaten und staat­lichen Orga­ni­sa­tionen gemeint. Die Idee dahinter ist ganz einfach: In einer Welt wie der uns­rigen, in der es mehr als einen Staat gibt, werden indi­vi­duelle Staaten prak­tisch unver­meidbar mit­ein­ander kon­kur­rieren (solange es Per­so­nen­frei­zü­gigkeit in irgend­einer Form gibt).
Nehmen wir also unser Bei­spiel der Steuern. Wenn auf der einen Seite Staat A mit einer ein­heit­lichen Steuer von 90 Prozent steht und auf der anderen Seite Staat B mit einer ein­heit­lichen Steuer von 30 Prozent, werden sich – ceteris paribus – Migra­ti­ons­ströme von A nach B bilden. Während mehr und mehr Men­schen und Unter­nehmen von A nach B ziehen, wird Staat A seine Steu­er­grundlage und so seine Ein­nahmen ver­lieren. Um sich weiter zu finan­zieren, muss er sich Staat B anschließen und die Steuern absenken, was schluss­endlich dazu führt, dass beide Staaten niedrige Steuern haben.
Die Linken liegen richtig, wenn sie dies ein „race to the bottom“ nennen, aller­dings muss die negative Kon­no­tation hinter dieser Phrase hin­ter­fragt werden. Immerhin würde ein „race to the bottom“ in der Steu­er­po­litik in ‚weniger Steuern‘ resul­tieren, und damit dazu, dass Men­schen und Unter­nehmen mehr ihres erar­bei­teten Ein­kommens und Profits in ihrer eigenen Tasche behalten dürfen.
Es gibt genügend Bei­spiele für den Erfolg von Steu­er­wett­bewerb, das beste Bei­spiel ist viel­leicht sogar die EU selbst. Steu­er­wett­bewerb blüht immer noch in Europa: Die Unter­neh­mens­steuern in der EU reichen von null Prozent auf der Isle of Man bis hin zu 35 Prozent auf Malta. Irland hat mit seiner zwölf­pro­zen­tigen Unter­neh­mens­steuer besonders große Fort­schritte gemacht, nachdem man Tech­no­lo­gie­un­ter­nehmen wie Apple, Google, Microsoft und Oracle in das Land des Guinness locken konnte (das exzel­lente irische Bier mag ein wei­terer Grund dafür sein, dass Firmen dorthin gezogen sind). Dies hat zu aber­tau­senden Arbeits­plätzen, ver­blüf­fendem Wirt­schafts­wachstum und schluss­endlich zu mehr Wohl­stand für das Land geführt.
Wäh­rend­dessen haben andere EU-Mit­glieds­staaten kein beson­deres Wirt­schafts­wachstum ver­zeichnen können, sicherlich auch wegen ihrer hohen Steu­er­sätze. Es ist keine Über­ra­schung, dass Frank­reich mit einer Unter­neh­mens­steuer von 33 Prozent und Deutschland mit 30 Prozent die Vor­reiter der Idee gewesen sind, Steuern euro­paweit mit Hilfe einer Mini­mal­steuer zu har­mo­ni­sieren. Sie haben seit Jahren gegen Länder wie Irland ver­loren (oder, in ihrer Sprache, sie wurden beraubt).
Ein wei­teres Bei­spiel findet man auf der anderen Seite des großen Teiches. Eine neue Studie von Chris Edwards des Cato Insti­tutes zeigt, dass „Ame­ri­kaner zu Nied­rig­steu­er­staaten wandern“. Edwards teilte die Ver­ei­nigten Staaten in 25 Hoch­steuer- und 25 Nied­rig­steu­er­staaten ein und fand heraus, dass 2016 „fast 600.000 Men­schen von ers­teren zu letz­teren umge­zogen sind“.

„Men­schen ziehen nach New Hamp­shire und weg aus Mas­sa­chu­setts. Nach South Dakota und weg von ihren Nachbarn. Nach Ten­nessee und raus aus Ken­tucky. Und nach Florida aus New York, Con­nec­ticut, New Jersey und so ziemlich jedem anderen Hochsteuerstaat.“

Als Beweis­stück drei (von vier) müssen wir in die 1990er- und 2000er-Jahre zurück­gehen. Die Jahre um die Jahr­tau­send­wende brachten zahl­reiche Libe­ra­li­sie­rungen überall in der west­lichen Welt hervor, von Aus­tralien und Neu­seeland bis nach Skan­di­navien. Inter­es­san­ter­weise wurden die meisten dieser Länder damals von links­ge­rich­teten Regie­rungen geführt. Deutschland könnte dabei das ver­blüf­fendste Bei­spiel sein, denn als 1998 die mitte-links Sozi­al­de­mo­kraten eine Koalition mit den noch lin­keren Grünen schlossen, erwartete wohl niemand, dass sie markt­wirt­schaft­liche Reformen ein­führen würden.
Aber Deutschland war damals in keiner guten Position. Das Land verlor Unter­nehmen wie auch Men­schen ans Ausland. So pas­sierte also das scheinbar Unmög­liche: Eine links­ge­richtete Regierung, die kei­neswegs an den „Neo­li­be­ra­lismus“ glaubte, ent­schied sich plötzlich dafür, die kapi­ta­lis­tischste Regierung seit Ludwig Erhard vier Jahr­zehnte zuvor zu werden. Die Reformen beinhal­teten Kür­zungen der Unter­neh­mens­steuer (von 56 auf 39 Prozent) wie auch den Spit­zen­steu­ersatz auf Ein­kommen (von 53 auf 42 Prozent).
Bei unserem letzten Bei­spiel sind die Kon­se­quenzen noch nicht ganz klar. Trotzdem zeigt sich schon jetzt, dass Donald Trumps Steu­er­kür­zungen den Steu­er­wett­bewerb auf der Welt ange­kurbelt haben. Nathan Keeble und ich schrieben letzten Januar, dass der Tax Cut and Jobs Act der Kata­ly­sator sein könnte, „um Europa nach innen wie auch nach außen wett­be­werbs­fä­higer zu machen.“ Nun könnte sich dieser Wett­be­werbs­aspekt mate­ria­li­sieren. Berichten zufolge werden auf­grund Trumps Steu­er­kür­zungen die Steu­er­ein­nahmen gegenüber mul­ti­na­tio­nalen Unter­nehmen für manche Länder von 1,6 bis 13,5 Prozent sinken, am stärksten in Nach­bar­ländern wie Mexiko. Trumps Steu­er­kür­zungen haben auch in euro­päi­schen Ländern zu For­de­rungen nach Steu­er­re­formen geführt. In Deutschland wurden diese Vor­schläge schon von Denk­fa­brikenInter­es­sens­gruppen wie auch pro­mi­nenten Poli­tikern gemacht. Frank­reich, das Wirt­schafts­re­formen immer abge­lehnt hat, scheint bestimmt, eben­falls endlich seine Steuern zu senken. Zu guter Letzt hat die bri­tische Regierung in den letzten Jahren stets ver­lauten lassen, dass sub­stan­zielle Steu­er­kür­zungen geplant sind.
Steu­er­wett­bewerb ist heute ein glo­bales Geschäft. Mit der sich inten­si­vie­renden Arbeits­teilung und immer stär­keren inter­na­tio­nalen Han­dels­strömen haben wir heute eine wirklich globale Wirt­schaft, in der alle Länder mit­ein­ander kon­kur­rieren. Wenn jemand einen letzten Beweis für die Effek­ti­vität von Steu­er­wett­bewerb ver­langt, kann er ihn in den welt­weiten Unter­neh­mens­steu­er­sätzen und deren Ent­wicklung in den letzten Jahr­zehnten finden. Die fol­gende Grafik, zusam­men­ge­stellt von Daniel Mit­chell, zeigt, dass die Unter­neh­mens­steuern weltweit seit 1980 enorm gesunken sind:
Diese Bei­spiele zeigen, dass – während wir auf mora­li­scher Basis für nied­rigere Steuern plä­dieren und in indi­vi­du­ellen Ländern für Steu­er­re­formen kämpfen sollten – wir uns auch ebenso darauf fokus­sieren sollten, ganz einfach den insti­tu­tio­nellen Wett­bewerb zu ver­tei­digen. Es ist eine schwierige, wenn­gleich löb­liche, Aufgabe, Men­schen davon zu über­zeugen, dass niedrige Steuern för­derlich sind. Aber nach Struk­turen zu suchen, in denen Regie­rungen Anreize gesetzt werden, unseren Zielen zu folgen, egal welche poli­ti­schen Ansichten diese Regie­rungen haben, ist womöglich die prak­ti­ka­belste Option, die zur Ver­fügung steht.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf Eng­lisch ver­öf­fent­licht beim Aus­trian Eco­nomics Center.


Quelle: misesde.org