Letzte Woche war der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu Gast in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Mit dem Moderator sprach er über sein letzte Woche erschienenes Buch „Regieren – Innenansichten der Politik“. Endlich gab der enge Merkel-Vertraute und damals zuständige Fachminister zu, was sich im September 2015, dem Schicksalsmonat Deutschlands, hinter verschlossenen Türen tatsächlich zugetragen hat. Lesen Sie hier, wie diese katastrophalen Fehlentscheidungen zustande kamen.
So kann es nicht weitergehen
Wir schreiben den 12. September 2015, genau eine Woche nachdem Angela Merkel angeordnet hat, die Grenzen für den Migrantenstrom zu öffnen, genauer: nicht zu schließen. Sämtliche Einheiten der Bundespolizei werden in Alarmbereitschaft versetzt. 21 Hundertschaften machen sich gleich auf den Weg an die deutsch-österreichische Grenze. Die deutschen Außengrenzen sollen wieder gesichert, die Ordnung wiederhergestellt, Deutschland wieder ein richtiger Staat werden (Staat = Staatsgebiet + Staatsvolk + Staatsgewalt).
Denn ein Staatsgebiet ist nur vorhanden, wenn es abgegrenzt ist zum Nicht-Staatsgebiet. Und jenes ist Eigentum des Staatsvolkes, nicht das Eigentum von jedem, der beschließt, es für sich zu vereinnahmen oder ohne Erlaubnis einzudringen. Und zur Staatsgewalt gehört als originäre Aufgabe die Grenzen zu sichern sowie die Herstellung von Recht und Ordnung, insbesondere die Sicherheit seiner eigenen Staatsbürger.
Die Staatlichkeit soll also schon am nächsten Tag wieder in vollem Umfang hergestellt werden. Denn so kann es nicht weitergehen wie in den letzten sieben Tagen – das ist allen klar. Innerhalb von nur einer Woche sind etliche Zigtausende völlig unkontrolliert in unser Hoheitsgebiet eingedrungen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, welche Probleme das bereitet. Doch dies ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was in den folgenden Monaten und Jahren für Probleme verursacht worden sind durch die Anordnung der Kanzlerin, die Grenzen nicht mehr zu kontrollieren und jeden hereinzulassen, der irgendwie das Wort „Asyl“ aussprechen kann. Und das können viele. Sehr viele!
Das Chaos bricht über Deutschland herein
Das soll ab morgen wieder anders sein. Wer keinen Pass oder kein Visum hat, soll wieder abgewiesen werden. Später wird man zu Recht fragen, ob der Befehl der Kanzlerin vom 5. September überhaupt rechtmäßig war. Wenn das unerlaubte Grenzübertritte waren, die seither stattfanden, haben sich die Beamten der Bundespolizei dann nicht strafbar gemacht, wenn sie diese direkt vor ihren Augen geschehen ließen? Dann aber hätte die Regierungschefin zu massenweisen Straftaten angestiftet. Damit soll jetzt also Schluss sein. Der Rechtsstaat soll wieder voll und ganz ein solcher werden und bleiben.
Das Chaos, das durch die Entscheidung vom Samstag, dem 5. September, angerichtet wurde, ist bereits sechs Tage später enorm. 14 von 16 Bundesländern melden am Freitag, den 11. September, dass sie vorerst keine neuen „Flüchtlinge“ (Immigranten) aufnehmen können. Merkels alles andere als weitblickende Entscheidung hat ganz Deutschland innerhalb von nicht mal einer Woche an den Rand des Leistbaren geführt. Ganz Deutschland meldet nur noch 850 freie Plätze. Dem stehen 40.000 Immigranten gegenüber, die nach Schätzung des Außenministeriums alleine an diesem Wochenende erwartet werden. 40.000 (!).
Zum Vergleich: Die Obama-USA wird sich später dazu bereit erklären, 10.000 syrische „Flüchtlinge“ aufzunehmen und wertet dies selbst als großzügige Tat. 10.000 nicht an einem Wochenende, sondern im ganzen darauffolgenden Jahr. Und die USA sind ca. 27,5 mal so groß wie Deutschland und haben viermal so viele Einwohner.
Und der Ansturm würde weitergehen, auch weit über das nächste Wochenende hinaus. Auch das ist klar. Die deutsche Botschaft in Afghanistan berichtet, die Regierung in Kabul habe eine Million Reisepässe gedruckt. Eine Million! Und die meisten, die sich einen solchen ausstellen lassen, wollen nach Deutschland. Die Innenstaatssekretärin Emily Haber warnt intern, Österreich habe die Kontrolle völlig verloren und winke nur noch durch in Richtung Deutschland.
Die ersten schweren Fehler Merkels
Unfassbar kurzsichtig war Merkels Entscheidung der Grenzöffnung/-nichtschließung – wie so viele ihrer Entscheidungen – deshalb, weil jedem halbwegs verständigen Menschen klar sein musste, dass diese Information binnen Stunden um die ganze Welt gehen und eine Sogwirkung sondergleichen auslösen würde. Die Bilder der Bahnhofsklatscher und Teddybärwerfer taten ihr übriges. So muss überall auf der Welt der Eindruck entstehen, die Deutschen würden sich über jeden, der zu ihnen kommt und ihr schrumpfendes Staatsvolk auffüllt, abgöttisch freuen und ihm zutiefst dankbar sein.
Dass Merkel selbst sich in den Tagen zuvor auch noch mit Immigranten zusammen fotografieren lässt, die teilweise sogar den Arm um sie zu legen suchen, verschafft ihr weltweit den Ruf von „Mutti Merkel“, was ihrem Ego schmeicheln mag, zumal sie noch kurz zuvor als die Eiskönigin galt, die die armen Griechen am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Aber genau dieser Mutti-Merkel-Ruf verstärkt den ohnehin schon kräftigen Sog nochmals zusätzlich. Die Folge: es werden nicht weniger, die kommen wollen, sondern immer noch mehr. Dass das nicht lange gutgehen kann, erkennen die letzten Tage nun sogar die etwas Einfältigeren in der politischen Chefetage. Damit ist klar, es muss etwas geschehen.
Die Kritik an der Bundesregierung nimmt von Tag zu Tag zu
Hinter verschlossenen Türen wird der Ton allmählich schärfer. Zwischen Donnerstagabend und Freitagmittag (10./11. September) gibt es fünf Telefonkonferenzen. Die Landesinnenminister machen ihrem Ärger über das dilettantische Agieren der Bundesregierung Luft. „Wir befinden uns im Flugzeug, dessen Sprit ausgeht und wissen nicht, was wir tun sollen“, bringt es ein Sitzungsteilnehmer auf den Punkt. Freitagmittag fordern die Landesinnenminister der Union von ihrem Parteifreund und Bundesinnenminister Thomas de Maizière explizit die Einführung von Grenzkontrollen und die Zurückweisung an der österreichischen Grenze. Doch der Bundesinnenminister, der für die innere Sicherheit zuständig ist, traut sich nicht eigenmächtig eine Entscheidung zu treffen, obschon es in seinem Ressort liegt. Seine Antwort: Merkel muss entscheiden.
Am nächsten Tag, Samstag, werden die sechs wichtigsten Politiker Deutschlands eine Telefonkonferenz abhalten und Grenzkontrollen und Zurückweisungen beschließen. Doch der Beschluss wird niemals umgesetzt werden und kurze Zeit später wird man behaupten, dies sei praktisch nicht möglich. Inzwischen behauptet die neue CDU-Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer nun wieder, das sei doch möglich, will aber ihrer Vorgängerin natürlich nicht widersprechen. Ein unfassbarer Vorgang, im Grunde eine – ich bitte den Ausdruck zu entschuldigen, aber er trifft es irgendwie am besten – Verarschung des gesamten deutschen Volkes! Dazu gleich mehr.
Die Unions-Innenpolitiker gehen mit ihrer Kritik wohlweislich noch nicht an die Öffentlichkeit. Der Bevölkerung sagen sie nicht, dass Deutschland nach nur fünf Tagen Grenzöffnung mit dem Rücken an der Wand steht. Die Kritik findet nur hinter verschlossenen Türen statt. Warum? Weil sie wissen, dass öffentlicher Druck bei Merkel meist genau das Gegenteil bewirkt. Werden ihre Entscheidungen öffentlich kritisiert, schaltet sie nicht selten auf stur und macht auf bockig. Das Ganze hat stark pubertäre Züge. Das können Sie sehr oft beobachten bei unserer Bundeskanzlerin. Mit Kritik kann sie nicht umgehen. So wollen ihr die Unionspolitiker also den Weg nicht verbauen, so zu tun, als habe sie ganz von sich aus, ihre Fehlentscheidung korrigiert. Doch eine hält sich nicht daran: die CSU.
Die CSU stellt sich offen gegen Merkels Kurs
Zunächst kommt heftige Kritik von Hans-Peter Friedrich (CSU), den Merkel im Jahr zuvor als Bundesinnenminister entlassen hat, weil er den Koalitionspartner SPD, namentlich den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, höchst vertraulich gewarnt hatte, dass der Name des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy im Zusammenhang mit Kinderpornoermittlungen aufgetaucht sei. Dies hätte der damalige Bundesinnenminister strenggenommen nicht tun dürfen. Es war ein besonders kollegiales Verhalten, weil er der SPD ersparen wollte, dass sie Edathy, ein Hoffnungsträger in der SPD, eine gehobene Position zukommen lässt, um ihn kurze Zeit später zurücknehmen zu müssen und sich selbst blamiert. Friedrich ging davon aus, dass dies unter ihm und Gabriel oder maximal dem engsten Führungskreis der SPD bleiben würde. Doch was machten die Sozis? Sie warnten Edathy, der daraufhin Beweismaterial verschwinden ließ. Und was machte die Kanzlerin? Sie rügte nicht die SPD, sondern entließ daraufhin Friedrich als Bundesinnenminister. Dieser hatte nunmehr aus nachvollziehbaren Gründen wenig Veranlassung, Merkel besonders zu schonen.
In einem Zeitungsinterview sagt Friedrich bereits wenige Tage nach der Grenzöffnung am 5. September fast schon prophetisch: „Eine beispiellose politische Fehlleistung – Völlig unverantwortlich“ sei es, Zigtausende aufzunehmen, darunter womöglich „IS-Kämpfer oder islamistische Schläfer. Kein anderes Land der Welt“ würde sich „so naiv und blauäugig„ in Gefahr begeben. Aus Sicherheitsgründen werde man „schon bald Grenzkontrollen wieder einführen müssen“.
An die Kritik von Friedrich hängt sich ein anderer dran: Seehofer. Am Freitag, den 11. September, lässt er bekannt werden, dass die CSU Viktor Orbán zu ihrer nächsten Klausurtagung der Landtagsfraktion eingeladen hat. Orbán ist der große Gegenspieler Merkels in der Massenmigrationspolitik. Die Grenzöffnung nennt Seehofer – ebenfalls prophetisch – jetzt öffentlich einen „Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird“. Damit erschwert er aber Merkel die Korrektur ihrer Fehlentscheidung, die nun ihre bekannte Bockigkeit an den Tag legt und unter keinen Umständen zugeben will, dass sie einen Riesenfehler gemacht hat.
Selbst die SPD hat jetzt von der „Willkommenskultur“ genug
Aber nicht nur die CSU-Politiker üben massive Kritik. Jetzt schlagen sogar Anhänger der „Willkommenskultur“ Alarm. Selbst der SPD-Oberbürgermeister von München Dieter Reiter, bisher Verfechter der offenen Grenzen, hat jetzt genug: Es sei die Aufgabe der Kanzlerin, „mehr zu tun“, tönt es aus München. Der bayerischen Landeshauptstadt droht bereits am Freitag der Kollaps. Auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD) aus Rheinland-Pfalz kritisiert Merkel nun erstmals öffentlich und das im Namen seiner Kollegen, der Landesinnenminister: „Die Länder sind völlig überrascht worden von der Einreiseerlaubnis der Kanzlerin … wir hätten vorher davon wissen müssen.“ Nun sei man „in großer Not“.
Am Samstag, dem 12. September, werden mehr Immigranten nach Deutschland kommen als jemals zuvor und danach an einem einzigen Tag: 13.000. Nochmals zur Erinnerung, die 27,5 mal so große USA hatte angekündigt, im kommenden Jahr 10.000 syrische „Flüchtlinge“ aufnehmen zu wollen. 10.000, so viele nimmt Deutschland an diesem Tag innerhalb von Stunden auf.
Die am meisten überschätzte Person auf diesem Planeten
Am Samstag geht dann kurz nach 13 Uhr eine SMS von Horst Seehofer bei Merkel ein: „Ich kann dich nur dringend bitten, dem Ernst der Lage Rechnung zu tragen.“ In diesen Tagen, Wochen und Monaten zeigt sich, dass Merkel – die am meisten überschätzte Person auf diesem Planeten – in diesem Amt immer schon überfordert war. Zu einer vorausschauenden Politik, wie man sie von der Regierungschefin des wichtigsten Landes Europas erwarten würde, war diese Frau niemals fähig. Sie fährt immer nur auf Sicht. Und diese ist nie sehr weit, maximal bis zum nächsten Wahltermin. Hinzu kommt ihre immense Entscheidungsschwäche. Stets wartet sie sehr lange mit Entscheidungen, bis sich abzeichnet, was die Mehrheit will. Das macht sie dann. Über die geistigen und rhetorischen Fähigkeiten dem argumentativ etwas entgegenzusetzen, Führung zu übernehmen und andere zu überzeugen und sie dann mitzuziehen, verfügt sie bestenfalls rudimentär, wenn überhaupt.
Nun, am Samstag, den 12. September merkt sie also, dass die Stimmung zu kippen beginnt, dass sie handeln muss. Es geht nicht mehr anders. Aber wie soll sie aus der Nummer rauskommen, in die sie sich selbst, vor allem aber in die sie Deutschland durch ihre kopflose Entscheidung vom 5. September hineinmanövriert hat?
Um 15 Uhr bittet sie fünf der nach ihr wichtigsten sechs Politiker Deutschlands, in den nächsten Stunden telefonisch erreichbar zu sein: Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD), die beiden Parteivorsitzenden der Koalitionspartner, Außenminister Steinmeier (SPD), Innenminister de Maizière und Kanzleramtschef Altmaier (beide CDU). Wer fehlt, ist Wolfgang Schäuble (CDU), der als Finanzminister keine direkte Zuständigkeit hat.
Die Spitzen von CDU, CSU und SPD beschließen, was sie später als unmöglich darstellen werden
Zunächst werden Einzelgespräche geführt, um 17:30 Uhr lässt sie alle zusammenschalten. Der zuständige Minister de Maizière schlägt vor, an der deutsch-österreichischen Grenze befristet wieder Grenzkontrollen einzuführen. Niemand widerspricht. Dann geht es um die Schlüsselfrage, ob Personen ohne erforderliche Papiere zurückgewiesen werden sollen. Denn welchen Sinn sollten sonst Kontrollen machen, wenn man doch jeden durchlässt?
De Maizière und Seehofer sind für Zurückweisungen. Die zwei SPD-ler, Merkel und Altmaier legen sich nicht fest. Dann wird die Rechtslage erörtert. Man malt sich aus, was passiert, wenn die Migranten an der Grenze aufgehalten werden. Nach einer Weile wird de Maizières Vorschlag angenommen. Es soll wieder Grenzkontrollen mit Zurückweisungen geben. Außerdem soll der Zugverkehr von Österreich nach Deutschland für 20 Stunden gestoppt werden.
Die sechs wichtigsten Politiker Deutschlands, die Vorsitzenden der CDU, CSU und SPD, der Bundesinnenminister, der Außenminister und der Kanzleramtschef, beschließen das, was sie wenige Tage später als unmöglich ausgeben werden!
Nach der Telefonkonferenz ruft de Maizière sofort den Chef der Bundespolizei an. Dieser lässt die von ihm längst vorbereitete Aktion, die er seit Wochen angemahnt hat, sofort anrollen. Am Sonntag, den 13. September, um 18 Uhr sollen die deutschen Grenzen geschlossen werden. Polizisten werden mit Hubschraubern aus ganz Deutschland an die deutsche Südgrenze geflogen.
Die Angst vor der eigenen Courage
Am Sonntag findet dann ab 14 Uhr eine Besprechung im Lagezentrum des Innenministeriums statt. Hier sollen alle Details diskutiert und festgelegt werden. Der Konferenzraum ist vollgepackt mit großen Bildschirmen und neuester Kommunikationstechnik. Anwesend: der Bundesinnenminister de Maizière (CDU), sämtliche Staatssekretäre, die Führung der Bundespolizei, insbesondere deren Chef Dieter Romann sowie vier Abteilungsleiter und einige Unterabteilungsleiter und Referatsleiter des Innenministeriums. Aus Bonn telefonisch zugeschaltet der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt.
De Maizière informiert zunächst alle, dass ab 18 Uhr wieder Grenzkontrollen durchgeführt werden sollen und fragt dann: Können wir zurückweisen oder nicht? Die Einschätzungen gehen auseinander. Die für die Sicherheit zuständigen Beamten sagen: Ja, können wir. Die für Migration Zuständigen äußern Zweifel. De Maizière ist offensichtlich ängstlich und traut sich nicht, die Entscheidung zu treffen, obschon am Tag zuvor die sechs entscheidenden Politiker genau dies schon beschlossen haben und er der zuständige Minister ist. Er will sich noch einmal Rückendeckung von der Kanzlerin holen.
Er nimmt sein Handy, zieht sich in eine Ecke des Raumes zurück und telefoniert. Merkel soll entscheiden – dann bleibt es an ihr hängen, wenn es unschöne Bilder gibt. Die scheint die Entscheidung aber auch nicht treffen zu wollen, stellt ihm offensichtlich Rückfragen. Jetzt geht de Maizière zurück in die Runde und fragt: Was machen wir, wenn die Migranten sich nicht zurückweisen lassen? Was, wenn 500 Flüchtlinge mit Kindern auf dem Arm auf die Bundespolizisten zulaufen? Das würden die Polizeiführer vor Ort entscheiden, antwortet Dieter Romann.
SPD: Wir holen nicht wieder für euch die Kohlen aus dem Feuer
Jetzt will de Maizière wissen, wie lange es dauern würde bis der Dominoeffekt eintrete. Wenn Deutschland dicht mache, würde sich der Migrantenstrom ja in Österreich stauen, sodass auch Österreich seine Südgrenze schließen würde, dann Slowenien, Ungarn, Kroation, Serbien, Mazedonien und schließlich Griechenland. Wenn die Immigranten dort festsitzen, werden sich mit geringer Zeitverzögerung auch keine neuen mehr auf den Weg machen, so die Dominotheorie. Ob das auch wirklich sicher sei, will de Maizière jetzt wissen. Und wie lange das dauern würde. „Vielleicht drei Tage“ antwortet man ihm. Aber auch das reicht de Maizière nicht. Jetzt nimmt er wieder sein Telefon, verlässt den Raum. Wen er anruft, kann nur vermutet werden, dürfte aber klar sein. Offensichtlich hat er Angst, die Entscheidung selbst zu treffen und hätte gerne, dass Merkel entscheidet oder ihm zumindest klare Rückendeckung gibt. Aber auch von ihr scheint noch immer keine Entscheidung zu kommen.
Nun wollen Merkel und de Maizière offensichtlich, dass die SPD die Entscheidung explizit mittragen solle. Gabriel, der SPD-Vorsitzende, und Steinmeier, der Außenminister hatten am Tag zuvor ja bereits zugestimmt. Aber jetzt sollen sie nochmals zustimmen, angesichts der Tatsache, dass einzelne Beamte rechtliche Bedenken geäußert haben. Gabriel hat gegenüber Vertrauten mehrfach beklagt, dass Merkel immer wieder versuche, Verantwortung abzuwälzen. Rasch kursiert in der SPD die Parole: „Wir haben schon die Agenda 2010 gemacht, wir können für die CDU nicht auch noch die Grenze schließen.“ Auch vom Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden kommt also keine Rückendeckung.
Es bleibt alles beim Alten: Wer Asyl aussprechen kann, wird reingelassen
De Maizière traut sich daraufhin nicht, die Grenzschließung anzuordnen, wenn die SPD keine explizite Zustimmung gibt. Er verlässt den Raum erneut und ruft ein drittes Mal an. Dann kommt er zurück und ordnet an, dass der Einsatzbefehl umgeschrieben wird. Der entscheidende Satz lautete:
„Wer nicht einreiseberechtigt ist, soll auch im Falle eines Asylgesuches zurückgewiesen werden.“
Die fünf von mir hervorgehobenen Worte werden jetzt gestrichen. Stattdessen werden die Bundespolizisten angewiesen, dass „Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten ist.“ Kurz: Jeder, der Asyl sagt, darf weiterhin rein. Aber wozu dann überhaupt Kontrollen? Die Polizisten an der Grenze – manche wurden von Hamburg an die österreichische Grenze geflogen! – können es kaum glauben. Dafür der ganze Aufwand?!
Der Tag, der über die Zukunft Deutschlands entschied
Dieser Tag, der 13. September 2015 war der entscheidende. Natürlich war der erste große Fehler die Grenzöffnung respektive ‑nichtschließung am 5. September. Anschließend die Fotos der Kanzlerin mit den „Flüchtlingen“, die um die Welt gingen. Der Schaden hätte jetzt aber noch begrenzt werden können. Man hätte dies als Lehre auffassen können, so etwas nie wieder zu machen. Die zigtausende Immigranten, die in diesen acht, neun Tagen völlig unkontrolliert nach Deutschland einströmten, hätte unser Land verkraften können. Es waren wahrscheinlich noch unter 100.000. Jetzt erst wurde der allergrößte Fehler begangen: die Grenzen wurden nicht wieder geschlossen. Aber warum nicht?
Weil de Maizière als zuständiger Minister und vor allem Merkel als Regierungschefin, die ja die Grenzöffnung selbst angeordnet hatte, nicht den Mut aufbrachten, die Entscheidung der Grenzschließung zu treffen. Weil einige Beamte rechtliche Bedenken geäußert hatten. Rechtliche Bedenken, die sich übrigens im Nachhinein als unbegründet erwiesen. Wenige Wochen später werden sowohl das Innen- wie auch das Justizministerium zu der „gemeinsamen Rechtsauffassung“ kommen: Zurückweisungen an der Grenze seien nicht zwingend, aber möglich gewesen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages wird diese Einschätzung später in einem Gutachten ebenfalls bestätigen.
Aus neun Tagen werden 190
In der Folge bleibt die deutsche Grenze offen und das nicht für acht, neun Tage, sondern für 190 – bis zum 9. März 2016, als die Balkanroute dank Sebastian Kurz, dem österreichischen Außenminister, geschlossen wird. Gegen den erklärten Willen der deutschen Bundeskanzlerin!
In den nächsten Wochen und Monaten werden nicht viele Zigtausende oder Hunderttausend nach Deutschland hineinströmen, nicht 200.000, nicht 300.000, nicht 400.000, nicht 500.000, nein fast eine Million! (Die genaue Zahl kennt wahrscheinlich kein Mensch.) Die Handelnden bzw. die Nicht-Handelnden, die Verantwortung übernehmen hätten müssen, sich aber nicht trauten, dies zu tun, werden ab jetzt, um sich selbst zu exkulpieren, behaupten, es sei rein praktisch gar nicht möglich, die deutschen Außengrenzen zu sichern, obschon der Chef der Bundespolizei wochenlang just darauf drängte und die sechs entscheidenden Politiker unseres Landes dies am 12. September selbst beschlossen haben. Und Kramp-Karrenbauer behauptet nun auch plötzlich wieder, dass dies möglich sei.
Hinter diese Schutzbehauptung der Unmöglichkeit werden die Akteure von 2015 fortan aber nicht mehr zurückfallen können, ohne sich selbst der Inkompetenz und der Lüge zu überführen, an der sie nun festhalten müssen. Man wird nun viel davon reden, dass man „die Fluchtursachen bekämpfen“ müsse, als ob Deutschland die Probleme Afrikas und der gesamten muslimischen Welt lösen könnte, inklusive dem Syrien- und anderen Bürgerkriegen. Man wird sich immer tiefer in Lügen und Täuschungen des Volkes verstricken und Deutschland immensen Schaden zufügen. Unzählige Frauen werden sexuell belästigt, nicht wenige vergewaltigt, Tausende werden bestohlen und ausgeraubt werden und einige deutsche Staatsbürger werden sterben.
Das Problem mit dem nicht enden wollenden Immigrantenstrom werden aber zwei andere lösen: Erdogan, dem man dafür viele Milliarden Euro und vieles mehr verspricht (den Plan treibt vor allem Merkel voran, die ihn von Schäuble übernommen hat, der ihr das schon Wochen und Monate vorher immer wieder nahelegte, was sie aber lange nicht wahrhaben wollte), und ein gerade mal 29-jähriger junger Mann in Österreich namens Sebastian Kurz, der sich dann im Jahre 2017 anschickte, österreichischer Bundeskanzler zu werden und der bereits 2015 das einzig Richtige macht: die Balkanroute zu schließen.
Kein böser Wille, kein hinterhältiger Plan, sondern schlichte Inkompetenz und ein Mangel an Mut
Im Internet und auch sonst schwirren viele Verschwörungsideologien umher. Verschwörungsideologien leiden fast immer unter dem gleichen Mangel: einer extrem starken Unterkomplexität, weshalb sie gerade bei schlichter gestrickten Menschen, die mit vielen Fakten und dem Denken in multiplen Zusammenhängen schnell überfordert sind, oft gut ankommen.
Natürlich gibt es seit langem Pläne, zig Millionen von Afrika und aus der muslimischen Welt nach Europa umzusiedeln (Replacement Migration). Natürlich gibt es seit langem Pläne als Gegengewicht zur USA und zu China ein großes neues Reich zu schaffen, zunächst die Vereinigten Staaten von Europa, dann Eurabia bzw. Eurabiafrika. Aber es hatte niemand in der Führung Deutschlands vor, das Chaos über Deutschland hereinbrechen zu lassen, um einen Bürgerkrieg zu evozieren oder ähnliches. Nein, die Wahrheit ist manchmal sehr viel trivialer als manche glauben.
Es war keine Bösartigkeit und keine Hinterhältigkeit, was von September 2015 bis März 2016 ablief, es war etwas ganz anderes: extreme Mutlosigkeit, um nicht zu sagen Feigheit, und: Inkompetenz. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und noch etwas, was zugleich den tieferen Grund des Ganzen darstellt. Ein völlig verweichlichtes Volk, das solche Bilder, wie Frauen mit kleinen Kindern auf dem Arm mit Gewalt zurückgedrängt werden, wohl in der Tat keine drei Tage ausgehalten hätte. Ein Volk, das nicht einmal mehr fähig ist, sich selbst und sein eigenes Territorium gegen unbefugte Grenzübertritte zu verteidigen. Ein Volk, das sich mehrheitlich sehnt nach seinem eigenen Untergang, genauer: nach seinem Aufgehen in einer Weltgemeinschaft, das mithin seine eigene Identität loswerden möchte, weil es sie nicht liebt und sich mit sich selbst nicht mehr identifizieren kann. Dagegen kommt kein Politiker an, was auch die AfD schmerzlich spüren muss.
Thomas de Maizière bei „Markus Lanz“
https://youtu.be/bGvXPS8iFxk
Jürgen Fritz — www.juergenfritz.com