So eine Analyse gab es noch nir­gends: Was das rus­sische Fern­sehen über das Chaos in der EU berichtet

Das rus­sische Fern­sehen hat in der Sendung „Nach­richten der Woche“ in drei Berichten über das Chaos in der EU berichtet. Eigentlich sind es drei ein­zelne Berichte, aber sie bauen auf­ein­ander auf und am Ende schließt sich der Kreis, daher habe ich nach langem Nach­denken beschlossen, sie alle in einem Artikel zusam­men­zu­fassen, auch wenn der recht lang geworden ist. Aber den Zustand der EU heute zeigen sie nur gemeinsam auf, wenn man sie einzeln ver­öf­fent­licht, geht der Zusam­menhang ver­loren. Das rus­sische Fern­sehen hat nämlich auf­ge­zeigt, wie die ver­schie­denen Streits in der EU um Migranten, Nord Stream, Gelb­westen, Vene­zuela und Infra­struk­tur­pro­jekte zwi­schen Italien und Frank­reich, Frank­reich und Deutschland und anderen zusam­men­hängen. So wurde es ein recht langer Artikel, aber er ist es wert, kom­plett gelesen zu werden. Ich habe also die drei Bei­träge des rus­si­schen Fern­sehens übersetzt.
(Von Thomas Röper)
Beginn der Übersetzung:
Erster Beitrag: „Ver­hältnis zu Italien: Frank­reich hat Mittel und Wege, sich zu rächen
Frank­reich zog seinen Bot­schafter aus Italien ab. Das hat es seit dem Zweiten Welt­krieg nicht mehr gegeben, als Frank­reich und Italien Feinde waren und auf ver­schie­denen Seiten der Front kämpften. Nach dem Krieg, bereits in den 1950er-Jahren, ver­söhnten sich die Länder end­gültig und grün­deten auf Basis eines gemein­samen roman­ti­schen Traumes die Euro­päische Wirt­schafts­ge­mein­schaft, den Vor­läufer der Euro­päi­schen Union.
Das letzte Drittel des 20. Jahr­hun­derts waren wahr­scheinlich die fet­testen Jahre für Europa. Die Mit­tel­schicht blühte, die Wirt­schaft wuchs, die Aus­sicht auf eine gemeinsame Währung ver­breitete Opti­mismus, die Außen­grenze der Euro­päi­schen Union war sicher und im Rahmen des Schen­gener Abkommens erfreute man sich an der Abschaffung von Grenzen und der Schaffung eines gemein­samen Arbeits­marktes. Es schien allen, dass es nur immer besser werden würde.
Und jetzt das. Den Bot­schafter zurück­rufen? Der nächste Schritt wäre der Abbruch der diplo­ma­ti­schen Bezie­hungen. Das klingt zwar unglaublich, aber wenn jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, Frank­reich würde den Bot­schafter aus Rom abziehen, wer hätte das damals geglaubt? Und nun ist es pas­siert. Die Ita­liener haben den Fran­zosen alles unter die Nase gerieben, auch ihre kolo­niale Ver­gan­genheit. Schließlich ist nach Meinung der Ita­liener Frank­reich schuld an der Migra­ti­ons­krise in Italien. Schon in einer relativ fernen Ver­gan­genheit, weil die Fran­zosen in ihren ehe­ma­ligen Kolonien keinen nor­malen Lebens­standard garan­tieren konnten, und jetzt wieder, weil sie nicht bereit ist, mit Italien die Last der Migra­ti­ons­welle aus Afrika zu teilen.
Die Sicher­heits­leute in der fran­zö­si­schen Bot­schaft in Rom sind zuver­lässig und werden durch mili­tä­rische Pan­zer­wagen ver­stärkt. Den dritten Tag schützen sie das Objekt vor Jour­na­listen, denn es ist kein Bot­schafter vor Ort. Er ist in Paris. Zu Beratungen.
Seit dem Zweiten Welt­krieg gab es das nicht mehr, dass der Palazzo Farnese ohne Haus­herrn war. Das letzte Mal rief Paris 1940 seinen Bot­schafter zurück, als Italien in den Krieg gegen Frank­reich eintrat. Heute, so scheint es, ist alles wieder sehr ernst.
„Sie sind uns in den Rücken gefallen“, so kom­men­tierte der fran­zö­sische Bot­schafter damals die Kriegs­er­klärung, als er vor dem Chef des ita­lie­ni­schen Außen­mi­nis­te­riums, dem Schwie­gersohn Mus­so­linis, stand.
Im 21. Jahr­hundert sind Kriege anders. Es sind Infor­ma­ti­ons­kriege. Und sie beginnen nicht mit einem Schuss, sondern mit einer Zeile auf Twitter „über den Wind of Change“. Als Reaktion gibt es diplo­ma­tische Noten über den Verrat gemein­samer Werte.
Dabei sieht man auf dem Foto nicht einmal das, was Macron seit drei Monaten so ärgert, eine gelbe Weste. Aber es ist ihr Fehlen auf dem Foto, was den Verrat beweist. Es stellte sich heraus, dass die ita­lie­nische „Fünf-Sterne-Bewegung“ und die fran­zö­si­schen „Gelb­westen“ sich nicht zufällig getroffen haben und auf dem Champs Elysees spa­zieren gingen. Es war ein Geschäfts­treffen, bei dem die Seiten Pläne und Absichten dis­ku­tierten, um in das Euro­päische Par­lament einzuziehen.
Nord­italien: In den ehe­ma­ligen fran­zö­si­schen Ter­ri­torien hängen fran­zö­sische Flaggen auf den Bal­konen. Der Süden des Landes erstickt in Sar­kasmus: Die sen­siblen Fran­zosen zu ärgern, ist hier der liebste Nationalsport.
Das Treffen mit den „Gelb­westen“ war der letzte Tropfen in einer langen Reihe von Kon­flikten. Nach dem Wechsel der Prä­si­denten und Regie­rungen in den Ländern knackte es sofort zwi­schen Italien und Frank­reich. 2017 legte der neu gewählte Prä­sident Macron sein Veto gegen den Verkauf der Werften von Saint-Nazaire an die ita­lie­nische Fin­mec­canica ein.
Hinter den Werften „segelten“ andere Pro­bleme. Im ver­gan­genen Sommer ließ Italien die huma­nitäre „Aquarius“ nicht in ihre Häfen und schlug vor, dass Frank­reich die 620 Migranten auf­nehmen sollte. Frank­reich, das an seinen Grenzen Flücht­linge, ohne jemanden zu fragen, zu Zehn­tau­senden zurück­weist, begann plötzlich, von Unmoral und Zynismus zu sprechen. Pri­mier­mi­nister Conte hat seinen Besuch in Paris fast abgesagt und eine Ent­schul­digung verlangt.
Dieses heiße Thema brach in diesem Januar wieder hervor, als der Vize-Minis­ter­prä­sident von Italien, de Maio, in seinem Blog zunächst die „Gel­be­westen“ auf­for­derte, nicht auf­zu­geben, und dann im Radio vor­schlug, Sank­tionen gegen Länder ein­zu­führen, die nicht aus Afrika abziehen, sondern es statt­dessen wei­terhin kolonisieren.
Aber es gibt noch mehr Pro­bleme als die Migranten: Die ita­lie­nische Regierung ver­suchte trotz dro­hender Sank­tionen, einen Staats­haushalt mit einem bei­spiel­losen Defizit zu beschließen. Und wieder mit der gleichen Begründung: Warum darf Frank­reich das und wir nicht?
Rom hat Brüssel wütend gemacht, indem es sein Veto gegen die euro­päische Erklärung zur Aner­kennung von Guaido ein­gelegt hat. So etwas hätte man sich vor 20 Jahren nicht vor­stellen können, glaubt der frühere Außen­mi­nister Massimo D ‚ Alema. Er ist von den Linken, daher hat er keine posi­tiven Worte über das aktuelle Kabinett.
Mit der Abbe­rufung des Bot­schafters ist die Sache natürlich nicht vorbei, Frank­reich hat Mittel und Wege, sich zu rächen. Es könnten nun Pro­jekte über die Zusam­men­arbeit Alitalia und Air France oder Bahn­pro­jekte scheitern.
Zweiter Bericht: „Macron betrügt Merkel mit Trump
In der Euro­päi­schen Union brach ein fast wilder Streit zwi­schen Frank­reich und Deutschland aus. Dabei sah es danach über­haupt nicht aus. Denn gerade erst im Januar haben Emmanuel Macron und Angela Merkel in Aachen ihre Bezie­hungen gefestigt. Sie sahen so glücklich aus, dass einem bei den Bildern der Ver­gleich mit einer stan­des­amt­lichen Trauung in den Sinn kam.
Es war ein epi­scher Vertrag über die deutsch-fran­zö­sische Zusam­men­arbeit und Inte­gration. Sie haben sich darauf ver­ständigt, innerhalb der EU eine besonders enge Union zu bilden, die deutsch-fran­zö­si­schen Inter­essen aktiver zu ver­tei­digen und die Wett­be­werbs­fä­higkeit der beiden Länder zu stärken. Der Weg der beiden zur Unter­zeichnung sah aus, wie ein roman­ti­scher Balztanz.
Auf diesen Bildern vom ver­gan­genen November sehen sie wie tur­telnde Tauben aus. So ver­wandelt die Liebe die Men­schen. Und hier haben sie unter­schrieben. Gerade so, als wollten sie hei­raten und dann… Doch die Flit­ter­wochen zwi­schen den Ländern dau­erten nicht lange. Es ver­gingen keine zwei Wochen und die Süd­deutsche Zeitung warf Macron einen „Ehe­bruch“ vor. Die Zeitung ver­öf­fent­lichte, dass Frank­reich plant, sich gegen „Nord Stream 2“ zu stellen. Einfach so. Wie ein Blitz­schlag aus hei­terem Himmel. Wie das? Sie hatten sich doch gerade erst auf gemeinsame Inter­essen und das Stärken der Wett­be­werbs­fä­higkeit geeinigt.
Deutschland ändert seine Ener­gie­po­litik: Abschaltung aller Atom­kraft­werke und Redu­zierung der Koh­le­ver­brennung. Prio­rität hat Gas. Und das kommt am bil­ligsten aus der Pipeline direkt aus Russland. Und jetzt ist Frank­reich dagegen. Der kalte Hauch des Ver­rates streifte Merkel aber nicht lange. Ein offi­zi­eller Ver­treter des Außen­mi­nis­te­riums von Frank­reich bestä­tigte, dass Paris wirklich beschlossen habe, für die Ände­rungen der EU-Gas­richt­linie zu stimmen, was den Bau von „Nord Stream 2“ erschwert hätte. Das war ein offen anti-deut­scher Schritt. Macron, so schien es, „tauschte“ Merkel gegen Trump, ging von der Oma zum Opa.
Oma wollte Macron eigentlich in München treffen. Dort war auf der jähr­lichen Inter­na­tio­nalen Sicher­heits­kon­ferenz ein gemein­samer Auf­tritt geplant. Dort hätte die ver­lassene Merkel Macron einige klä­rende Fragen stellen und über ihre Beziehung reden können. Aber Fehl­an­zeige. Die Mit­ar­beiter von Macron sagten, dass das Treffen mit Merkel für ihn keine Prio­rität hat, angeblich gäbe es Schwie­rig­keiten mit dem Ter­minplan, Merkel solle ohne ihn beginnen.
Merkel hat es aber auch nicht leicht. Frank­reich konnte gerade noch von ernst­haften Angriffen gegen „Nord Stream 2 “ abge­halten werden. Ja, Macron ist impulsiv. Und für ihn sind jetzt die Pro­bleme mit den „Gel­be­westen“ im eigenen Land viel wich­tiger als das Poli­tische mit Merkel und sogar ganz Deutschland.
Am 9. Februar gingen wieder mehr als 50.000 Gelb­westen auf die Straße, um zu pro­tes­tieren. Ganz Frank­reich dis­ku­tiert, wie eine Poli­zei­granate einem Foto­grafen die Hand abge­rissen hat. Und Macron will sie stoppen, indem er aus Paris harsche Aus­sagen zu inter­na­tio­nalen Ange­le­gen­heiten macht. Also um die Auf­merk­samkeit abzu­lenken und zu zeigen, wie cool er ist. Wenigstens mal bei „Nord Stream 2“: Obwohl, inwieweit betrifft die Sache eigentlich Frank­reich? Dann eben zu Vene­zuela: Erkennen wir als Prä­si­denten dort den put­schenden Guaido an. Obwohl, warum eigentlich? Ist das viel­leicht Ein­mi­schen in die inneren Ange­le­gen­heiten anderer Länder? Gerade so, als ob irgendein Land den Prä­si­denten Frank­reichs als einen der Führer der Gelb­westen aner­kennen würde. Wie würde Macron das gefallen? Obwohl, etwas Ähn­liches ist schon passiert.
„Nach­richten der Woche“ hat heute bereits berichtet, wie der Vize-Pre­mier­mi­nister der ita­lie­ni­schen Regierung direkt bei Paris lie­bevoll eine Dele­gation der Gelb­westen emp­fangen hat. Also die, die in den staat­lichen Fern­seh­sendern in Frank­reich run­ter­ge­macht werden und die, die dem rus­si­schen Sender RT laut­stark für die ehr­lichen Berichte danken. (In dem Beitrag wird an dieser Stelle gezeigt, wie die Gelb­westen in Paris „Merci RT!“ skan­dieren, Anm. d. Über­setzers)
Da ist es klar, warum es Macron vor RT und „Sputnik“ schüttelt. Sie sind die rus­si­schen Medien. Und sie sind schuld an dem, was in Paris pas­siert. Und er – Macron – ist nur das Opfer. Der Prä­sident, der seinen Posten nur Dank der PR-Tech­niken bekommen hat und die Welt als eine Reihe von PR-Tricks ver­steht. Diesmal geht es gegen ihn, Macron.
Dritter Beitrag: „Die USA und China drängen der Euro­päi­schen Union einen här­teren Wett­bewerb auf”
Freier Wett­bewerb, gleich­be­rech­tigter Markt­zugang für Erzeuger, niedrige Preise für Ver­braucher, mit der Dekla­ration dieser schönen Prin­zipien hat die Euro­päische Kom­mission einen Angriff auf das größte Geschäfts­projekt der letzten Jahre gestartet. Nein, es geht jetzt nicht um Gas und Nord Stream 2. Es geht um Hoch­ge­schwin­dig­keitszüge. Die euro­päi­schen Bran­chen­führer, das fran­zö­sische Unter­nehmen Alstom und das deutsche Unter­nehmen Siemens bereiten seit zwei Jahren einen Fusi­ons­vertrag vor. Brüssel lehnte das nun ab.
„Unsere Unter­su­chungen haben gezeigt, dass der Zusam­men­schluss der beiden Unter­nehmen die Wett­be­werbs­fä­higkeit im Hoch­ge­schwin­dig­keitszug-Markt deutlich ver­ringern wird“, sagte Mar­greet Westager, EU-Kom­mis­sarin für Wettbewerb.
Die Hoch­ge­schwin­dig­keitstrecken sind die kapi­tal­in­ten­sivste Industrie in Bezug auf Tech­no­logie und Infra­struktur: Der Markt ist ein bru­taler Kampf um Mil­li­arden. Die Fusion wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, Wett­be­werbern aus den USA, Japan und China erfolg­reich ent­ge­gen­treten zu können. Aber die Pläne ent­sprechen nicht den euro­päi­schen Rechtsvorschriften.
„Diese Ent­scheidung der Euro­päi­schen Kom­mission ist schlecht. Das ist ein großer Rück­schritt für die euro­päische Industrie. Ich habe den Ein­druck, dass sie auf der Grundlage fal­scher Daten getroffen wurde. Das ist ein­deutig“ sagte Edouard Philippe, Pre­mier­mi­nister Frankreichs.
„Wollen wir, dass China und die USA in diesem Markt domi­nieren? Oder haben wir noch Ambi­tionen, in dem Markt mit­zu­spielen? Dies wird nur unter einer Bedingung möglich sein: durch die Zusam­men­legung der Ver­mö­gens­werte der beiden Unter­nehmen“, ist sich Wirt­schafts­mi­nister Peter Alt­meyer sicher.
Die Ent­täu­schung ist kolossal, aber sie haben diese Gesetze selbst geschrieben. Die Europäer ver­suchten am 8. Februar, ihre Maß­nahmen auf Pro­jekte mit Dritt­ländern aus­zu­dehnen. Hier geht es bereits um „Nord Stream 2“. Ände­rungen der EU-Gas­richt­linie sollten die Kon­trolle über den Bau und Betrieb der Pipeline in die Zustän­digkeit der Euro­päi­schen Kom­mission über­tragen. Damit hätte sie die Pipeline stoppen können, wenn sie wollte. Berlin fand das gar nicht lustig und am Tag vor der Abstimmung gerieten die Deut­schen in Panik: Der fran­zö­sische Prä­sident kün­digte seine Unter­stützung für die Ände­rungs­an­träge an, was ihnen die Fer­tig­stellung der Pipeline erschwert hätte. Was auch immer dann pas­sierte, Merkel konnte am Fol­getag erleichtert berichten: Alles ist gut.
„Was die EU-Gas­richt­linie betrifft, so haben wir eine Einigung erzielt. Das war nur dank der engen Zusam­men­arbeit zwi­schen Deutschland und Frank­reich möglich“ sagte die Kanzlerin.
Die Ände­rungen der Gas­richt­linie wurden ange­nommen, aber ihre Umsetzung wurde den natio­nalen Regie­rungen über­lassen, Deutschland hat die Mög­lichkeit behalten, die Bezie­hungen mit „Gazprom“ selb­ständig zu regeln.
Man weiß es nicht sicher, aber die end­gültige Position Frank­reichs könnte durch die Wei­gerung der Euro­päi­schen Kom­mission beein­flusst worden sein, den am 8. Februar ange­kün­digten Deal über Hoch­ge­schwin­dig­keitszüge zu geneh­migen: Rache und Erpressung sind zunehmend als trei­bende Kräfte und poli­tische Instru­mente im Ver­hältnis der euro­päi­schen Haupt­städte gegen­ein­ander und im Ver­hältnis zu Brüssel zu beobachten.
Der Wider­stand Macrons vor der Abstimmung über Ände­rungen der Gas­richt­linie könnte neben der Wei­gerung, zur Sicher­heits­kon­ferenz nach München zu kommen, zum Teil mit dem ele­men­taren Wunsch ver­bunden sein, Merkel die Laune zu ver­derben, weil sie sich immer wieder gegen seine euro­päi­schen Pro­jekte stellt.
Macron kam an die Macht als Ver­treter der Ideen, für die die deutsche Kanz­lerin und die Finanz­in­sti­tu­tionen der EU seit der Schul­den­krise der Eurozone stehen: Weniger Macht für Gewerk­schaften, mehr für Arbeit­geber, Begrenzung des Haus­halts­de­fizits, Reformen bei Arbeits­markt und Steuern. Macron setzte diesen unpo­pu­lären Kurs um und ver­suchte, seine Beliebtheit durch hoch­ka­rätige gesamt­eu­ro­päische Initia­tiven zu erhalten, bis die Erhöhung der Steuern und Zölle Frank­reich in die Luft sprengte. Der Prä­sident stand plötzlich zwi­schen Merkel, die seinen Vor­stel­lungen über Finanzen und Wirt­schaft in Europa nicht folgte, und denen, die mit Losungen von „Umver­teilung von oben nach unten“ auf den Pariser Straßen demonstrieren.
„Große euro­päische Kon­zerne haben astro­no­mische Ein­kommen und ver­teilen Divi­denden an ihre Aktionäre. Das heißt, nur 10% der Bevöl­kerung besitzen 80% der Geld­menge und des Ver­mögens, was absolut inak­zep­tabel ist. Die Gelb­westen fordern eine ehr­li­chere Politik und eine gerechtere Ver­teilung des Wohl­standes in jedem Land“, sagte Jean-Claude Rainier, einer der Führer der Gelbwesten.
Die „Gelb­westen-Krise“ ist eine Folge der Frus­tration eines Teils der fran­zö­si­schen Gesell­schaft, der die Politik von Macron nicht unter­stützt, die nur auf die For­de­rungen der Euro­päi­schen Union eingeht. Macron ver­sucht, Kapital und Inves­ti­tionen der Wirt­schaft anzu­locken, indem er die Steuern für die Reichsten senkt, aber das ent­spricht nicht den Bedürf­nissen der Men­schen, denn die Finan­zierung des Pro­gramms läuft über die Erhöhung der Steuern der Mit­tel­schicht“, sagte der Ökonom David Kela.
Nach der Abschaffung der Ver­mö­gen­steuer, was den Kapi­tal­ab­fluss aus Frank­reich stoppen sollte, sieht sich Macron nun gezwungen, über deren erneute Ein­führung nach­zu­denken. Nicht nur, dass Macron dabei inkon­se­quent wirkt, es gibt auch keine Garantie, dass dieser Schritt die Armen und die Mit­tel­schicht mit ihm ver­söhnen wird. Dafür werden die Reichen auf jeden Fall sauer über einen solchen Schritt sein. Das Problem des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­denten ist, dass weder Merkel noch die Euro­päische Union, in deren Interesse er handelt, ihm bei den Schwie­rig­keiten helfen, die seine Kar­riere zu beenden drohen.
Mehr noch: Merkel kann es sich leisten, bei ihren For­de­rungen hart­näckig zu bleiben, da ihre per­sön­lichen Per­spek­tiven in der Politik maximal bis zum Jahr 2021 reichen. Hinzu kommt, dass die Deut­schen nicht so leicht für soziale Themen auf die Straße gehen, wie die Fran­zosen, obwohl der Rückgang des Lebens­stan­dards in Deutschland spürbar ist. Immer weniger Men­schen in Deutschland können sich eine gute Wohnung, ein Auto und zweimal im Jahr einen Urlaub leisten. Immer mehr leben gerade noch von Zahltag zu Zahltag.
„Sie müssen ver­stehen, dass in Deutschland die Aus­gaben für Miete und Strom sehr hoch sind. Wir müssen 400 Euro für eine kleine Wohnung zahlen, dazu kommen Aus­gaben für teure Lebens­mittel und andere Grund­be­dürf­nisse. Und am Ende des Monats reicht das Geld nicht. Jetzt beginnen die Men­schen langsam darüber nach­zu­denken, was, auch wenn sie alle Kredite bezahlt haben, aus ihren Kinder wird. Auch wenn ihre Kinder eine gute Aus­bildung bekommen, werden sie so schlecht bezahlt, dass sie bei ihren Groß­eltern um Hilfe bitten müssen“, sagte der Publizist Jens Berger.
„Die Erwar­tungen, die wir mit der deut­schen Wirt­schaft ver­binden, sind nicht mehr so hoch, wie früher. Die wich­tigste Frage, auf die Deutschland eine Antwort finden sollte, ist: Was soll die Basis unserer Wirt­schaft sein? Deutschland ist in hohem Maße von seinen Exporten abhängig, sodass die Ver­schlech­terung der Bezie­hungen zu anderen Ländern unser Land sofort trifft. Es genügt, sich an den Brexit und den aktu­ellen Stand des Dialogs mit den Ver­ei­nigten Staaten zu erinnern“, sagt Gesine Lötsch, Ex-Chefin der Partei „Die Linke“, eine Bundestagsabgeordnete.
Die Abhän­gigkeit von der inter­na­tio­nalen Kon­junktur ist ein Schwach­punkt der deut­schen Wirt­schaft. Die Kon­junktur läuft schlecht. Die deutsche Regierung sah sich gezwungen, die Pro­gnose für das Wirt­schafts­wachstum in diesem Jahr von 1,8 auf 1 Prozent zu senken, was eigentlich Sta­gnation bedeutet. Ent­spre­chend sind die Erwar­tungen der gesamten euro­päische Wirt­schaft gesunken.
Ame­rikas Trump und China drängen Deutschland und der Euro­päi­schen Union einen här­teren Wett­bewerb auf. Die Ver­ei­nigten Staaten setzen offen auf Pro­tek­tio­nismus. Und die neuen Spiel­regeln in der Welt gehen einher mit ziemlich dra­ma­ti­schen Ver­än­de­rungen des sozialen und sogar kul­tu­rellen Hin­ter­grunds. Unver­ändert bleiben nur die Denk­muster und Rezepte der poli­ti­schen EU, die auf Verbote und Ein­schrän­kungen setzt.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie die rus­sische Sicht auf die euro­päische Politik inter­es­siert und Sie sich fragen, ob Russland tat­sächlich die EU spalten will, dann emp­fehle ich Ihnen mein Buch. Ich habe Putin aus­führlich in langen und unge­kürzten Zitaten zu Wort kommen lassen und dabei wird klar, welche Inter­essen Russland in seiner Politik gegenüber der EU tat­sächlich ver­folgt. Das Ergebnis dürfte viele über­ra­schen. Der Link unter dem Text führt zu einer Kurz­be­schreibung des Buches.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru