Der staatliche Geldhahn für die "Kahane-Stiftung" muss schleunigst abgedreht werden .. (c) Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne, Flickr CC By 2.0

Vera Lengsfeld: Anetta Kahane, alias IM Vic­toria, die per­fekte Weich­zeich­nerin in eigener Sache

Manchmal ist der Zufall ein mieser Verräter.
Am ver­gan­genen Montag, als die Achse des Guten neue Erkennt­nisse aus der IM-Akte von Anetta Kahane publi­zierte, die dem Bild, das von ihrer Sta­si­tä­tigkeit bisher gezeichnet wurde, wider­sprach, strahlte die ARD spät­abends einen von der “Stiftung zur Auf­ar­beitung der SED-Dik­tatur” geför­derten Film aus: „Aus­land­s­kader – Bot­schafter des Sozia­lismus“. Eine der befragten Prot­ago­nisten war Anetta Kahane.
Und dieser Film zeigt, wie geschickt Anetta Kahane an einem bestimmten Bild ihrer DDR-Zeit strickt.
In ihrem Ein­gangs­statement ver­kündet Kahane, dass sie sich in der DDR als Aus­land­s­kader beworben hatte, um „ihre Sehn­sucht nach eigener Freiheit“ zu stillen. Das ist bemer­kenswert für eine Person, die sich anscheinend wenig Gedanken gemacht hat, wie es mit der Freiheit der Men­schen bestellt ist, über die sie an die Staats­si­cherheit berichtete.
Von den im Film vor­ge­stellten Aus­land­s­kadern waren offenbar nicht alle auch Mit­ar­beiter der Staats­si­cherheit, wie Kahane. Es ist im Film zwar die Rede davon, dass die DDR neben anderen Gütern auch ihr System der Kon­trolle expor­tierte, aber von ihrem obersten Kon­troll­organ, der Staats­si­cherheit, ist im Film wenig zu hören.
Aber es geht in diesem Stück auch nicht um den Film (der ins­gesamt sehr inter­essant war), sondern um Anetta Kahane, die Vor­sit­zende der Amadeu Antonio Stiftung und eine der Ein­la­denden für eine ‚Fach­tagung‘, die ich als klaren Angriff gegen die DDR-Auf­ar­beitung sehe.
Kahane stellt im Film ihre Geschichte so dar: Sie stu­dierte Latein­ame­ri­ka­nistik, um ins Ausland zu kommen. Zunächst schienen sich ihre Hoff­nungen nicht zu erfüllen. Nach und nach wurden ihre Kom­mi­li­tonen ein­ge­setzt. „Ich blieb allein zurück.“ Und dann die Aussage: „Erst nachdem sie sich als Betreuerin von Wider­stands­kämpfern aus aller Welt ‘bewährt’ hatte“, durfte sie ins Ausland. 1979 wird sie zu ihrem ersten Einsatz nach São Tomé, Afrika, geschickt.
Ein sehr selek­tiver Blick auf ihren Wer­degang. Ihre inof­fi­zielle Mit­arbeit für die Staats­si­cherheit, die sie vor der Zulassung zum Studium ange­fangen hatte, ver­schweigt sie hier geflissentlich.
Kahane kom­men­tiert, man habe sie auf eine Insel geschickt, wo sie nicht weg konnte. Das hört sich an, als wäre es eine Art Straf­aktion gewesen. Dabei war es ein viel­ben­ei­detes und für die über­wäl­ti­gende Mehrheit der DDR-Bewohner uner­reich­bares Privileg.
Trotzdem ver­suchten die SED-Ver­ant­wort­lichen auch im Ausland die Regeln der DDR auf­recht zu erhalten: Schon mit dem Ein­füh­rungs­vortrag sei ihr klar­ge­macht worden, dass sie keinen Kontakt zu Aus­ländern haben dürfe. Auf Kahanes Frage, wer denn als Aus­länder zähle, lautete die Antwort: Alle. Dar­unter fielen auch die wenigen Sowjet­bürger. Absurde Regeln, so emp­findet es Kahane heute, so empfand sie es offenbar auch schon damals.
Diesem ein­drucksvoll geschil­derten Zweifeln an der DDR steht ihre Tätigkeit für die Staats­si­cherheit gegenüber, die in dieser Zeit par­allel stattfand. Die Staats­si­cherheit und die SED bekamen von Zweifeln anscheinend nur sehr wenig mit, denn Kahane wurde später (1981) zum wei­teren Einsatz nach Mosambik geschickt. In diesem Jahr ist Anetta Kahane 27 Jahre alt.
In Mosambik sei ihr klar geworden, dass sie in der „DDR-Blase zu bleiben hätte“. Kahane schildert ein­drücklich eine Szene, in der sie sich hinter eine Hecke geschmissen hatte, als sie sich in Gefahr wähnte, mit einer uner­laubten Kon­takt­person gesehen zu werden. Sie schildert diesen Moment als Demü­tigung. Eine unmög­liche Situation, dass sie solche Reflexe aus­ge­bildet hatte. Eine ziemlich präzise Dar­stellung der Zwänge eines dik­ta­to­ri­schen Systems.
Und dann kommt in Kahanes Aus­las­sungen im ARD-Film plötzlich ein ganz anderer Tonfall: In Mosambik, so Kahane, sei ihr plötzlich klar geworden, „was vorher nur so ver­schwommen als Gefühl da war“ nämlich, „dass diese DDR-Deut­schen genau solche Ras­sisten sind, wie die West­deut­schen“. Ein Punkt, der in dem ARD-Film dann aus­führlich dis­ku­tiert wird. Und das Lebens­thema der Anetta Kahane in der Bun­des­re­publik, die als Vor­sit­zende der Amadeu Antonio Stiftung den Kampf gegen Ras­sismus, oder was von ihr als solcher emp­funden wird, in aller Mas­si­vität führt.
Und offen­sichtlich auch schon damals führte. Denn die von ihr erlangte Erkenntnis wollte sie 1981 ganz offenbar unbe­dingt mit dem Minis­terium für Staats­si­cherheit teilen.
In der Stasi-Akte sieht dies dann wie folgt aus (die aus­führ­liche Dar­stellung, auf­be­reitet von Dirk Max­einer, können Sie auf den Seiten der Achse des Guten nach­lesen, ich zitiere hier nur die Stelle zu dem Auf­enthalt in Mosambik):


Im Rahmen des Auf­ent­halts im Feb/März 1981 in Maputo, Hotel Polana (Mocam­bique) stellte eine Quelle unserer DE fest, dass ins­be­sondere der DDR-Bürger XY [Name vom BStU geschwärzt] ca. 50 J Einsatz in Mocam­bique als Kühl­an­la­gen­tech­niker u. einige um ihn gescharte DDR-Bürger sehr unan­genehm auf­fielen. Im persönlichen Gespräch u. all­ge­meinem Ver­halten traten ras­sis­tische Ten­denzen auf. Sehr grob­schlächtig u. laut­stark äußerte er sich negativ über Land u. Leute, wie
– die Schwarzen können nichts
– das Essen sei Fraß
– Scheißland
u. man könne sich nicht amü­sieren. u.ä.
Sein Ver­halten war belei­digend für die Auf­bau­arbeit in Mocam­bique. Er vertrat die DDR unwürdig.
Quelle: IM
Quelle ist ehrlich u. zuverlässig”


Für mich eine glas­klare Denun­ziation. Und natürlich für die Betrof­fenen brand­ge­fährlich. Aus der Akte von IM Vic­toria geht nicht hervor, was den denun­zierten Per­sonen geschehen ist. Harmlos war ein solcher Bericht damals in keinem Fall.
Das ist die Aktenlage. Aber was macht Kahane im ARD-Film daraus? Im Film erwähnt Kahane ihre Spit­zel­tä­tigkeit in einem ganz anderen Zusam­menhang. Im Flugzeug von Maputo zurück nach Ost­berlin hätte sie mit einer Tüte Cas­hew­kerne in der Hand geweint und sich geschworen, wenn sie zurück nach Berlin käme, würde sie dem „Sta­si­fuzzi“ sagen, dass sie nicht mehr mit­mache. „Ich kann mit diesem Land nichts mehr anfangen.“
Eine PR-Meis­ter­leistung von Kahane: Auf diese Weise wird ihre Spit­zel­tä­tigkeit erwähnt, aber so, dass ein völlig anderer Dreh ent­steht. Die eigent­liche Denun­zia­ti­ons­arbeit wird ver­schwiegen und geht damit prak­tisch unter, das Bild der unan­ge­passten DDR- und DDR-Bürger (!) – Kri­ti­kerin wird nicht gestört.
Diese Dar­stellung taucht im Film übrigens im letzten Abschnitt, der eigentlich die End­acht­ziger Jahre behandelt, auf. Eine Dar­stellung, die – sagen wir mal vor­sichtig – unpräzise ist. Der in Rede ste­hende Mosambik-Auf­enthalt, ein­schließlich des Rück­flugs nach Ost­berlin war im Frühjahr 1981. Laut der von Anetta Kahane selbst in Auftrag gege­benen Gut­achten hat ihre IM-Tätigkeit bis 1982 ange­dauert. Die feh­lenden Wochen und Monate hat Kahane wohl gebraucht, um ihre Berichte über die „ras­sis­ti­schen“ DDR-Bürger zu fer­tigen, bevor sie mit diesem Land und seiner Stasi dann endlich fertig war.
Lassen Sie uns bilan­zieren: Anetta Kahane hatte eigentlich genug gewusst und erkannt, in was für einem Staat sie gelebt hat und vor allem, was für einem Regime sie gedient hat. Und vor allem in welcher Art und Weise, nämlich als willige Denunziantin.
Aber welches Fazit zieht Kahane in dem Film? Sie zeichnet fol­gendes Bild: „Das, was die DDR in ihrer Legi­ti­mität aus­machte, hat mich drin gehalten und das, was ihre Rea­lität war, hat mich raus­ka­ta­pul­tiert.“ Mit dem Aus­rei­se­antrag 1987 und der Rückkehr nach der Wende mit Gründung der Amadeu Antonio Stiftung ergibt sich für den Zuschauer ein ver­meintlich rundes Bild.
Was Sie als Legi­ti­mität der DDR gesehen hat oder noch heute sieht, bleibt unklar. Eines wird aber über­deutlich: Über die Rolle, die sie selber darin gespielt hat, kann oder will sie bis heute keine wahr­heits­ge­treue Aus­kunft geben.
Man sieht eine Frau, die ihre Eigen-PR per­fek­tio­niert hat. Aber manchmal ist der Zufall ein mieser Verräter.

Nachtrag

Ich möchte diese Betrachtung nicht schließen, ohne die berüh­rendsten Szenen des Bei­trags erwähnt zu haben.
Ein Thema war, dass Aus­lands­rei­se­kader ihre Kinder, wenn sie ein bestimmtes Alter über­schritten hatten, nicht mehr mit­nehmen durften. Sie wurden dann in ein Kin­derheim abge­schoben. Dieses Schicksal erlitt Toni Krahl von der Rockband City, der dies mit Peter Kahane, einem von zwei Brüdern Anetta Kahanes, teilte. Beide Männer schildern, wie sie im Heim oft ver­geblich auf Post ihrer Eltern war­teten (Peter Kahane erwähnt explizit, dass sein Vater für einen Jour­na­listen erstaunlich wenig an seine Söhne schrieb). Und wenn, dann waren es „semi-sozia­lis­tische Ermah­nungen“ (Toni Krahl). Die Kin­der­heimzeit hat beide Männer geprägt, bis heute. Zwar will der Regisseur Kahane dieser Zeit auch Gutes abge­winnen; er habe im Heim den wahren Wert von Freund­schaft ken­nen­ge­lernt. Aber seltene Post­karten von der Copa­cabana zu bekommen, ver­setzte jedes Mal „einen Stich“.
Immerhin ist hier die Haltung von Anetta, die als fünf Jahre jün­geres Kind an der Seite der Eltern bleiben durfte, während ihre Brüder ins Kin­derheim gehen mussten, klar: „Ein Ver­brechen an den Familien”, nennt sie diese Politik. Die geschwis­ter­lichen Bezie­hungen zwi­schen ihr und ihren Brüdern seien schwer belastet worden und im Prinzip bis heute gestört.


Vera Lengsfeld — www.vera-lengsfeld.de