Dieter Nuhr brachte es in seiner letzten Sendung auf den Punkt. Wie kann es sein, dass Oxfam erneut meldet, die Reichen seien reicher geworden, wo doch 2018 das schlechteste Jahr für Vermögenswerte seit 1901 war? Egal, meinte er, Hauptsache die Nachricht passt in das gewünschte Narrativ und wird dann entsprechend laut und oft zitiert. Vor allem natürlich von den öffentlich-rechtlichen Medien.
In den vergangenen Jahren habe ich regelmäßig Kommentare zu diesen Studien geschrieben, weil Autoren die Wirkung unserer Geldordnung, der steigenden Verschuldung und der Zinspolitik der Notenbanken vergessen oder unterschlagen.
→ Piketty, Credit Suisse und nun Oxfam: Symptome statt Ursache
In diesem Jahr hatte ich einfach keine Lust. Es langweilt mich und die Leser von bto, die das alle mindestens so gut wissen, wie ich.
→ Piketty, Credit Suisse und nun Oxfam: Symptome statt Ursache
In diesem Jahr hatte ich einfach keine Lust. Es langweilt mich und die Leser von bto, die das alle mindestens so gut wissen, wie ich.
Deshalb heute eine Professorin meiner Alma Mata. Zwar vergisst auch sie die meines Erachtens entscheidende Bedeutung von Leverage zur Erklärung der unerfreulichen Phänomene, dafür nimmt sie die Geschichten der Ungleichheit aus anderer Sicht auseinander. Der Beitrag in Cicero ist frei zugänglich. Hier die Highlights aus meiner Sicht:
- „Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum hat die Entwicklungsorganisation Oxfam auch 2019 eindrückliche Zahlen zur globalen Ungleichheit der Vermögen veröffentlicht. Dass die 1892 Milliardäre (meist Männer) mehr als viermal mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der Menschheit (mehrheitlich Frauen) stößt auf Unverständnis. Zu Recht: Armut und eine grosse Kluft zwischen Arm und Reich verletzen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, sondern gefährden die Entwicklung oder die politische Stabilität eines Landes.“
– Stelter: Egal, dass es viel weniger arme Menschen auf der Welt gibt als noch vor zehn Jahren. Egal, dass man aus dem höheren Anteil der Frauen, was durch die Entwicklungsländer und auch kulturell bedingt ist, keine Schlüsse auf die Industrieländer ziehen darf.
- „Auf dem Papier – und somit als Basis von Statistiken wie derjenigen von Oxfam – war ich mit einem Nettovermögen von je ein paar Tausend Franken bis vor wenigen Jahren nicht nur vermögensärmer als meine Söhne – sondern auch als fast alle Bauern in Afrika: Weil die Schulden auf dem Haus die Bewertung der Immobilie überstiegen. Daneben bleiben meine künftigen Rentenleistungen, teils selbst angespart, teils aus Ansprüchen der öffentlichen Rentenversicherung, unberücksichtigt im Vermögen.“
– Stelter: Da würde ich nun sagen, dass die Schulden natürlich normalerweise nicht den Wert des Hauses übersteigen sollten. Abgesehen davon verhelfen gerade die Schulden zu einem deutlichen Zuwachs der Vermögen aufgrund des bereits diskutierten Leverage-Effektes. Aber was hier gezeigt wird, bestätigt nur, was immer gilt: Nimm eine Statistik, die du selbst gefälscht hast.
- „Als der kürzlich verstorbene IKEA-Gründer aus der Schweiz nach Schweden zurückwanderte, sank auf einen Schlag die Vermögensungleichheit in der Schweiz – und stieg in Schweden. Den Schweden ging es nach der Vergrößerung der Vermögensungleichheit allerdings nicht schlechter. Wenn überhaupt, dann eher etwas besser, sorgte doch der zugezogene IKEA-Patron für höhere Steuererträge.“
– Stelter: Köstlich!
- „Die Verteilung der Vermögen wäre dann aussagekräftig, wenn sie die Verteilung des Wohlstandes widerspiegelte. Tut sie aber nicht, und dies selbst innerhalb eines Landes nicht. Ein paar Fakten: Zu den Ländern mit der größten Ungleichheit im Vermögen zählen nicht nur Russland und Indien – sondern auch Schweden und Dänemark. Deutsche Haushalte haben im Durchschnitt nur rund halb so viel Vermögen wie griechische Haushalte und weniger als ein Drittel italienischer Haushalte. Gemessen an der Vermögensverteilung ist Griechenland gerechter als Deutschland und beide Länder viel gerechter als Schweden.“
– Stelter: Wir wissen, dass dies auch mit der Art der Vermögensanlage zu tun hat. Mehr Immobilienbesitz erklärt es und der wiederum profitiert vom Leverage.
- „Das Vermögen einer Familie kann aus zwei Gründen gering sein. Erstens, weil nach Steuern, Krankenversicherung und den üblichen notwendigen Ausgaben schlicht zu wenig zum Sparen bleibt. Hier geht es den ärmeren Haushalten in den reicheren Ländern nicht anders als der Mehrheit in den ärmeren Gegenden der Welt, auf einem viel höheren Lebensstandard natürlich.“
– Stelter: Und das ist gerade in Deutschland ein Problem, weil den Menschen zu wenig Geld in der Tasche bleibt und der Staat den Bürgern zu viel wegnimmt.
- „Zweitens sind die Vermögen dann geringer, wenn größere Ersparnisse angesichts der guten institutionellen Rahmenbedingungen und der sozialen Absicherung gar nicht mehr so nötig sind. Abgesehen von den Superreichen ist Vermögen kaum Selbstzweck, sondern vor allem Vorsorge. Im Sozialstaat ist die Ausbildung der Kinder jedoch kostenlos, und die Bewohner sind gegen die meisten Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter oder Tod gut versichert. Müssten wir ohne diese Versicherungen auskommen, wären wir gezwungen, nur schon für den Invaliditätsfall mehrere Jahreslöhne als Puffer auf die hohe Kante zu legen.“
– Stelter: Das leuchtet ein, erklärt aber nur unterschiedliche Sparquoten. Da beispielsweise Italien und Deutschland auf demselben Niveau liegen, erklärt dies die Unterschiede im Vermögen nicht.
- „Ein funktionierender Kapitalmarkt, der ebenfalls von staatlichen Rahmenbedingungen abhängt, sorgt zudem für den Zugang zu Krediten für eine breite Schicht der Bevölkerung. Er erlaubt den Kauf eines Hauses ohne viel Eigenkapital – vor allem aber unternehmerische Aktivitäten, die für den Wohlstand so zentral sind.“
– Stelter: Und bekanntlich treibt es vor allem die Vermögenspreise. Frage bleibt trotzdem, ob in Deutschland der Kapitalmarkt so schlecht ist bzw. schlechter als in Italien. Da bin ich nicht so sicher.
- „Griechische Haushalte sind deshalb ‘reicher’ als deutsche und schwedische, weil sie sparen mussten. Als Absicherung gegen Schicksalsschläge, für die Zukunft der Kinder.“
– Stelter: Sie haben aber auch mehr Immobilien.
- „Erstaunlich bleibt die große Vermögensungleichheit in Ländern mit moderater Einkommensungleichheit dennoch. Auf das Bild des Vermögens als geronnenes Einkommen will sie nicht passen. Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass die Einkommensverteilung so stark von der Vermögensverteilung abweicht: Individuelle Entscheidungen prägen die Vermögen viel stärker als die Einkommen.“
– Stelter: Eben die Frage nach Sparleistung und der Anlage der Ersparnisse.
- „Messbarkeit, Institutionen, unterschiedliche Entscheidungen: Sie alle tragen dazu bei, dass Vermögen ein viel schlechterer Indikator für Ungleichheit ist als Einkommen. Vermögen faszinieren die Menschen aber mehr. Die Bewertung sehr reicher Menschen geht von bewundernd (Stars in Musik und Sport) bis ablehnend (Wirtschaftsführer und Investoren). Dabei fallen auch die Millionen Roger Federers nicht vom Himmel, sondern werden letztlich aus den Eintrittsgeldern und TV-Gebühren der kleinen Leute bezahlt. Und der Anteil an den Superreichen, die bereits in eine superreiche Familie geboren wurden, ist deutlich tiefer als noch vor 20 Jahren.“
– Stelter: Auch, weil es immer schwerer ist, das Vermögen zu erhalten.
- „Die Welt ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden: Die globale Ungleichheit der Einkommen ist gesunken, die Kindersterblichkeit ist stark zurückgegangen, die Lebenserwartung und die Schulbildung sind gestiegen. Ist also alles gut? Nein, natürlich nicht. Die Ungleichheit in den Einkommen ist innerhalb der Länder gestiegen (…).“
– Stelter: Was wiederum auch nicht überraschend ist. Der Lohndruck aus der Globalisierung trifft überproportional die unteren Einkommensgruppen. Hier wäre der Staat gefordert, gegenzusteuern. Aber nicht so sehr mit mehr Transfers (die ohnehin mangels Masse bei den „Reichen“ wieder die Mittelschicht zahlen muss), sondern mit Investitionen in Bildung. Bekannt, aber anstrengend. Und unser Freund Marcel F. wird dennoch weiter über die Ungleichheit klagend durch die Lande ziehen.
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com