Gegen­stück zur Mün­chener Sicher­heits­kon­ferenz: Erste Ein­drücke von der Sicher­heits­kon­ferenz in Moskau

In Moskau fand vom 23. bis 25. April das Gegen­stück zur Mün­chener Sicher­heits­kon­ferenz, die Moscow Con­fe­rence on Inter­na­tional Security, statt. Ich hatte die Mög­lichkeit, sie einen Tag als Jour­nalist vor Ort zu beob­achten. Hier ein kurzer erster Bericht. 
Ich werde einige Reden der Kon­ferenz mit der Zeit in kom­pletter Über­setzung ver­öf­fent­lichen, sobald sie auf Rus­sisch online sind. Einige Vor­träge waren wirklich inter­essant und ent­hielten selbst für mich, der ich mich täglich mit den Themen beschäftige und auch rus­sische und andere Sicht­weisen lese, viel Neues. Heute möchte einen ersten Über­blick über die meiner Ansicht nach inter­es­san­testen Vor­träge geben.
In seiner Eröff­nungsrede kam der rus­sische Ver­tei­di­gungs­mi­nister Schoigu auf die umstrittene Rake­ten­abwehr der USA zu sprechen, die unter anderem in Rumänien und Polen auf­gebaut wird. Er wies auf die bekannte Tat­sache hin, dass eine solche Abwehr nie in der Lage sein wird, alle angrei­fenden Raketen abzu­fangen. Ein solches Abwehr­system ver­mittelt daher eine trü­ge­rische Sicherheit und erhöht die Gefahr eines ato­maren Krieges in Europa und der Welt, wenn sich eine Seite irr­tümlich wegen einer Rake­ten­abwehr in Sicherheit wiegt und auf die Idee kommt, einen solchen ato­maren Kon­flikt gewinnen zu können.
Im übrigen ist ein solches System auch kei­neswegs ein defen­sives, sondern ein offen­sives System. Bei einem Atom­krieg geht es darum, das atomare Potenzial des Gegners als erster aus­zu­schalten, wenn man einen solchen Krieg gewinnen will. Und genau darin liegt die trü­ge­rische Sicherheit des Systems: Man könnte auf die Idee kommen, in einem „Ent­haup­tungs­schlag“ die meisten Atom­waffen des Gegners aus­schalten zu können und die wenigen „Reste“ des Gegen­schlages mit einer Rake­ten­abwehr neu­tra­li­sieren zu können.
Das ist schon unter nor­malen Umständen recht unrea­lis­tisch, unter Berück­sich­tigung der neuen rus­si­schen Hyper­schall­ra­keten, die von der US-Rake­ten­abwehr gar nicht abge­fangen werden können, ist es der reine Wahnsinn. Aber trotzdem gibt eine solche Rake­ten­abwehr eine trü­ge­rische Sicherheit und erhöht damit die Gefahr eines Atom­krieges. Daher haben die Super­mächte im Kalten Krieg ja auch den ABM-Vertrag geschlossen, der solche Systeme ver­boten hat. Das hielt die Abschre­ckung auf­recht und hat den Frieden gesi­chert. Pervers, aber so funk­tio­niert die Logik der Abschre­ckung im Atomzeitalter.
Diese wich­tigen Abrüs­tungs­ver­träge haben die USA einen nach dem anderen gekündigt. Und obwohl die nun wieder mög­liche Sta­tio­nierung von ato­maren Kurz- und Mit­tel­stre­cken­ra­keten in Europa in erster Linie die Europäer bedroht, haben sie die USA nur für die Öffent­lichkeit kri­ti­siert, aber hinter den Kulissen und unbe­merkt von den „kri­ti­schen“ Main­stream-Medien in Wahrheit die ein­seitige Kün­digung durch die USA unter­stützt. Über die Kün­digung des INF-Ver­trages zum Bei­spiel hat Gor­bat­schow einen wich­tigen und intel­li­genten Artikel ver­öf­fent­licht, der auch im Westen zur Pflicht­lektüre gehören müsste, von den Main­stream-Medien aber eben­falls unter dem Teppich gehalten wurde. Denn: Wer kann schon Rus­sisch und solche Artikel lesen? 

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Hinter dieser Politik der USA steckt ein Kalkül des Kalten Krieges, nämlich der Versuch, einen ato­maren Schlag­ab­tausch auf Europa und Russland zu beschränken. Dem aber hat Russland bereits einen Strich durch die Rechnung gemacht und den USA auf­ge­zeigt, dass sie im Falle eines Angriffs gegen Russland nicht damit rechnen können, unge­schoren zu bleiben. Letztlich hat Russland damit – ob gewollt oder nicht – den Euro­päern eine Sicher­heits­ga­rantie gegeben, denn die USA wissen nun, dass Russland ein solches Spiel auf Kosten Europas nicht durch­gehen lässt.
Aber trotzdem kann die Sta­tio­nierung eines Rake­ten­abwehr-Systems manch einem „Experten“ und Ent­schei­dungs­träger das Gefühl der Unver­wund­barkeit ver­mitteln, obwohl es eine solche Unver­wund­barkeit bei einem ato­maren Schlag­ab­tausch – wie aus­ge­führt – nicht gibt. Und so sagte der Chef des rus­si­schen Gene­ral­stabes bei der auf die Begrüs­sungs­reden fol­gende Podi­ums­dis­kussion auch deutlich, dass sich die Europäer gut über­legen müssten, ob sie das aus der Sta­tio­nierung eines solchen Systems und der Sta­tio­nierung neuer ato­marer Kurz- und Mit­tel­stre­cken­ra­keten resul­tie­rende Risiko ein­gehen wollen.
Aber bei der Kon­ferenz ging es nicht nur um dieses Thema. Zum 20. Jah­restag des völ­ker­rechts­wid­rigen Krieges der Nato gegen Jugo­slawien war auch diese Ver­gan­genheit ein Thema. Besonders ein­drücklich war hierzu die Rede des ser­bi­schen Ver­tei­di­gungs­mi­nisters, der in seinem Vortrag nicht nur über den Krieg und die vielen zivilen Toten refe­rierte, die es bei der Bom­bar­dierung ziviler Ziele in Belgrad oder auch der Bom­bar­dierung eines Pas­sa­gier­zuges gegeben hat. Er sprach auch über die Lang­zeit­folgen, mit denen sein Land zu kämpfen hat, denn die USA haben Uran­mu­nition benutzt und in Teilen Ser­biens ist nun die Krebsrate explo­diert. Die Folgen des in Deutschland längst ver­ges­senen Krieges sind in Serbien also noch all­ge­gen­wärtig und kei­neswegs vergessen.
Und so sagte der ser­bische Ver­tei­di­gungs­mi­nister einen viel beach­teten Satz zu den Ver­suchen des Westens, sein Land nach diesen unge­sühnten Kriegs­ver­brechen der Nato in die Nato ein­zu­reihen und so gegen seinen tra­di­tio­nellen Partner Russland in Stellung zu bringen:
„Für den Frieden geben wir viel, für unsere Freiheit aber geben wir alles!“
Aber auch die moderne Krieg­führung, die außerhalb der Wahr­nehmung der Medien statt­findet, war ein Thema. Es ging aus­führlich um hybride Kriege, um Cyber-Kriege, um Wirt­schafts­kriege durch Sank­tionen und um „Farb­re­vo­lu­tionen“, mit denen die USA in den letzten Jahr­zehnten weltweit Regie­rungen gestürzt haben, die ihnen nicht gepasst haben. Als Bei­spiele seien hier der Maidan und die Orangene Revo­lution in der Ukraine, die Rosen­re­vo­lution in Georgien oder auch die heu­tigen Vor­gänge in Vene­zuela genannt.
Aus­führlich wurden die Methoden und „Waffen“ in solchen „unsicht­baren“ Aus­ein­an­der­set­zungen the­ma­ti­siert, ana­ly­siert und ihre Anwendung durch den Westen belegt. Es wurden die Sank­tionen genannt, über deren Folgen der ira­nische Ver­tei­di­gungs­mi­nister aus­führlich refe­rierte und er machte an die Adresse der USA in deut­lichen Worten klar, dass der Iran sich gegen die völ­ker­rechts­wid­rigen Sank­tionen der USA zu wehren wisse.
Auch der Infor­ma­ti­ons­krieg war ein Thema, bei dem der Westen seine Bevöl­kerung medial auf die gewünschten Feind­bilder ein­schwört. Mit Hilfe eines koor­di­nierten medialen Dau­er­feuers werden in der west­lichen Öffent­lichkeit Feind­bilder geschaffen, wozu NGOs genutzt werden, die zu trans­at­lan­ti­schen Netz­werken gehören und in denen prak­ti­scher­weise die Chef­re­dak­teure der bedeu­tenden west­lichen Medien gut bezahlte Posten als Beiräte und ähn­liches haben und wo sie auf Ver­an­stal­tungen für gute Honorare kurze Reden halten dürfen.
Als Jour­na­listen waren wir in den Pres­se­räumen und konnten die Dis­kus­sionen auf großen Bild­schirmen ver­folgen. Manchmal wurden wir auch her­aus­ge­rufen, wenn sich ein Teil­nehmer den Fragen der Jour­na­listen stellte. Besonders inter­essant war hier der malay­sische Ver­tei­di­gungs­mi­nister Mohamad Sabu. Sabu warf dem Westen ganz unver­holen Unter­stützung des inter­na­tio­nalen isla­mis­ti­schen Terrors vor. So sagte er etwa:
„Der IS ist ein Kind, das Eltern hat, die sich über­legen sollten, was sie da tun!“
Auf der Kon­ferenz waren sowohl die Jour­na­listen, als auch die Teil­nehmer Experten, denen man nicht die CIA-Ope­ration Timber-Sycamore erklären musste, mit der der IS zu Beginn des Syrien-Krieges bewaffnet wurde. Es wusste auch so jeder, dass die USA mit „Eltern“ gemeint waren. 
Generell war die Kon­ferenz mit ihren hoch­ran­gigen Teil­nehmern aus Asien, Afrika und Süd­amerika schon deshalb ein inter­es­santes Erlebnis, weil man dort sofort fest­stellen konnte, dass die von west­lichen Medien erzählte Geschichte von der „inter­na­tio­nalen Iso­lation Russ­lands“ ein Märchen ist. Der auf­merksame Leser der west­lichen Medien kann das aber auch fest­stellen, wenn er sich zum Bei­spiel die Artikel über Vene­zuela nüchtern anschaut. Dort kann man lesen, dass ca. 50 Länder den Put­schisten Guaido unter­stützen. Dabei handelt es sich um Vasallen der USA, die der Linie Washingtons folgen. Aber auf der Welt gibt es über 190 Länder, das bedeutet, dass über 140 Länder, also knapp 3/4 der Welt­ge­mein­schaft, die legitime Regierung von Maduro unter­stützen. Wer ist nun iso­liert? Die 50 Länder oder die 140? 
Nur werden diese 140 Länder, die dem Kurs des Westens kri­tisch gegen­über­stehen, in der west­lichen Presse nie erwähnt, dann klingt die Unter­stützung der Politik des Westens durch 50 Länder nach viel, dabei handelt es sich um eine Min­derheit der Weltgemeinschaft.
Wer sich übrigens an dem Wort „Vasall“ für die „Ver­bün­deten“ der USA stört, der wurde auf der Kon­ferenz eines bes­seren belehrt, als Minister, aber auch Pro­fes­soren ange­se­hener Institute aus Frank­reich und Italien, dort offen erzählten, dass euro­päische Länder ihre Teil­nahme an der Kon­ferenz ursprünglich zugesagt hatten, dann aber diese Teil­nahme von den USA „untersagt“ wurde. Was sind dann aber die Europäer anderes, als Vasallen der USA, wenn sie nicht einmal selbst ent­scheiden dürfen, zu welcher Kon­ferenz sie fahren?
Im Gegensatz zu den euro­päi­schen Ländern waren übrigens alle nen­nens­werten Orga­ni­sa­tionen wie Inter­na­tio­nales Rotes Kreuz, OSZE oder UNO mit ihren Vor­sit­zenden oder deren Stell­ver­tretern auf der Kon­ferenz vertreten.
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“