Bekanntlich ist nichts so wichtig für den künftigen Wohlstand und die Fähigkeit, die Kosten einer immer weiter alternden Gesellschaft zu schultern, wie die Produktivität pro Kopf. Hierzu hatte ich schon vor einiger Zeit im Zusammenhang mit Behauptungen, Deutschland sei ein Gewinner des Euro, hingewiesen:
→ Deutschland der große Eurogewinner? – Falsch gerechneter Vergleich mit Japan als Basis für die Transferunion?
Darin habe ich gezeigt, wie es wirklich im Vergleich zwischen Japan, Großbritannien und Deutschland aussieht:
BIP pro Erwerbstätigen:
Deutschland: 1999, 80.545 US-Dollar (konstant 2011) und 91.770 US-Dollar 2018 macht ein Plus von 11.225 bzw. 14 Prozent.
Japan: 1999, 64.301 US-Dollar und 2018 77.261 US-Dollar, macht ein Plus von 12.960 bzw. 20 Prozent.
In Großbritannien stieg das BIP pro Erwerbstätigen von 68.475 auf 80.544 um 12.069 bzw. 17 Prozent!
Die Produktivität ist bei uns also weniger gewachsen als in anderen Regionen und selbst SPIEGEL ONLINE erkennt darin ein Risiko für die Zukunft:
- „An jedem einzelnen Werktag entstehen in diesem mauen Wirtschaftsjahr zwischen Flensburg und Garmisch rund 2700 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als wegfallen. (…) Seit Mitte der Nullerjahre läuft diese Jobmaschine scheinbar unabhängig von der Konjunktur. Von 1991 bis 2004 war die Zahl der Arbeitsplätze um 0,4 Prozent gesunken – obwohl die Wirtschaft im Schnitt jährlich um 1,5 Prozent wuchs. (…) von 2005 bis 2018 legte die Wirtschaft mit 1,4 Prozent im Schnitt schwächer zu – aber es entstanden sechs Millionen neue Arbeitsplätze, ein Zuwachs von deutlich mehr als 15 Prozent.“ – Stelter: Und dazu dann diese sehr schöne Abbildung.
Quelle: SPIEGEL ONLINE
Da muss man nun wirklich kein Mathematiker sein, um zu erkennen, dass die Produktivität pro Kopf zurückgegangen ist. Dann muss es aber auch einen wachsenden Niedriglohnsektor geben und generell langsamer steigende Löhne. Nur so ist es auch möglich, Unqualifizierte (Zuwanderer aber auch Einheimische) in Arbeit zu bekommen.
- „Zwar halten mehrere Umstände die Jobmaschine am Laufen – doch inzwischen treibt sie sich zum überwiegenden Teil von selbst an. Denn je knapper Arbeitskräfte werden, desto mehr horten Arbeitgeber sie regelrecht. (…) In der Folge werden Arbeitskräfte noch knapper, Arbeitgeber horten sie noch ausgeprägter – ein klassischer Selbstverstärkungseffekt. Gut die Hälfte der sechs Millionen neuen Jobs seit 2006 ist laut IAB-Studie allein auf diesen Effekt zurückzuführen, mit steigender Tendenz.“ – Stelter: Hier handelt es sich dann um die relativ besser Qualifizierten und da kann man sicherlich nur zustimmen. Es wäre dann auch nur eine Frage der Zeit, bis die Produktivität wieder wächst.
- „(…) die Hartz-Reformen (…) spielten sie eine wichtige Rolle (…) wirkten höchstens in den ersten Jahren (…) fungierten aber quasi als Initialzündung des Selbstverstärkungseffekts (…).“ – Stelter: So kann man das sehen. Sie haben natürlich auch den Markt nach unten geöffnet.
- „Noch stärker haben aber zwei weitere Effekte für neue Arbeitsplätze gesorgt: Das insgesamt recht schwache Lohnwachstum – das erst in den jüngsten Jahren stärker wurde. Und der Trend zu kürzeren Arbeitszeiten, den Arbeitgeber durch Neueinstellungen ausgleichen. Mit Abstand am stärksten war jedoch der sich selbst verstärkende Effekt der knappen Arbeitskräfte.“ – Stelter: Ein Trend, der sich ja noch deutlich schneller fortsetzen dürfte.
- „(…) ab Mitte der Zwanzigerjahre wird die Demografie voll durchschlagen. (…) ein Nettoverlust, derselbst mit enorm hoher Zuwanderung von Fachkräften kaum zu kompensieren sein wird. (…) Künftig werden die Beschäftigten noch deutlich höhere Ansprüche stellen und durchsetzen können. Auch die Digitalisierung verliert dadurch einen Teil ihres Schreckens: Zwar werden neue Jobs oft ganz neue und anspruchsvolle Fähigkeiten erfordern – aber Arbeitgeber werden sehr viel investieren, um ihre Arbeitnehmer dafür zu schulen. Andererseits dürfte auch die Abgabenlast der Arbeitnehmer steigen, etwa für die Rente der Babyboomer-Generation und die Pflege der vielen Alten.“ – Stelter: Sehr viele Punkte auf einmal. Richtig ist, dass Automatisierung und Digitalisierung Chance und nicht Risiko sind und dass die Ausgaben deutlich steigen werden.
- Womit wir auch zur Schattenseite kommen: „Der Jobboom der vergangenen Jahre (…) hat die Arbeitsproduktivität deutlich geschwächt: Die Wirtschaftsleistung pro Arbeitnehmer ist in Deutschland heute niedriger als vor der Finanzkrise. Ab einem bestimmten Punkt könnten deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb schlicht nicht mehr mithalten. Und dann wäre auch das goldene Zeitalter für die Arbeitnehmer vorbei.“ – Stelter: Und hier lohnt es sich nachzudenken. Kann es nicht sein, dass wir durch billiges Geld, schwachen Euro und die explodierende Verschuldung in der Welt einen Scheinboom erlebt haben, der auch Geschäfte, die sonst nicht wettbewerbsfähig gewesen wären, gezogen hat? Dann haben wir eine Illusion, die bei Wegfall dieser Rahmenbedingungen platzt.
Quelle: IAB
→ spiegel.de: „Jobmaschine Deutschland – aber nicht mehr lange“, 14. Mai 2019
Und hier der Link zur Studie:
→ doku.iab.de: „GDP-Employment Decoupling and the Slow-down of Productivity Growth in Germany“,2019
Quelle: bto