Situation von Flücht­lingen in Libyen: Jedes Schulkind könnte die Ursachen besser erklären, als der Spiegel

Im Spiegel erschien heute ein Kom­mentar des Redak­teurs Maxi­milian Popp zur Lage der Flücht­linge in Libyen. Dort wird kei­nerlei Ursa­chen­for­schung betrieben, der Leser wird im Gegenteil für dumm ver­kauft. Wer ver­stehen will, wie es zu so inkom­pe­tenten Kom­men­taren kommen kann, muss sich mit dem Autor auseinandersetzen.
In dem Kom­mentar geht es unter der Über­schrift „Flücht­lings­elend in Libyen – Bar­barei im Namen Europas“ um die Situation der Flücht­linge in Libyen. Und niemand kann bestreiten, dass deren Lage dort unmenschlich ist. Aber wie üblich, wenn im Spiegel Ursa­chen­for­schung betrieben wird, geht es nicht um die wahren Ursachen, sondern darum, von ihnen abzulenken.
Herr Popp beschreibt korrekt und wort­reich die men­schen­un­würdige Lage der Men­schen und die Tat­sache, dass die EU ver­sucht, das Problem auf Libyen abzu­wälzen. Und nach langen und bild­lichen Aus­füh­rungen dazu kommt er zu einem fast rich­tigen Schluss:
„Die Europäer (…) tragen an der Bar­barei, die dort pas­siert, eine Mitschuld.“
In Wahrheit tragen die Europäer keine Mit­schuld, sondern gemeinsam mit den USA die Allein­schuld an dem Elend in Syrien. Dazu gleich mehr.
Bevor Herr Popp zu diesem Schuss gelangt, erklärt er, was seiner Meinung nach pas­sieren müsste, um mit der Situation umzu­gehen. Natürlich soll die EU alles bezahlen und vor allem die Flücht­linge auf­nehmen. Es gipfelt in fol­gender Forderung:
„Die EU sollte statt­dessen legale Wege für Flücht­linge nach Europa schaffen, also in Resett­lement-Pro­gramme inves­tieren, den Fami­li­en­nachzug fördern und huma­nitäre Visa vergeben.“
Es ist also ein wei­terer Artikel, der die Leser in Deutschland nach Schil­derung des Elends der Men­schen dazu bringen soll, mas­sen­hafte Umsiedlung aus Afrika gut zu finden. Und sei es auch nur aus huma­ni­tären Gründen.
Was Herr Popp dabei aber völlig igno­riert, sind die Schuld­fragen, aus deren Beant­wortung sich eine wirk­liche Lösung für die betrof­fenen Men­schen ergibt. Diese Fragen sind: Warum ist es zu der Flücht­lings­be­wegung aus Afrika gekommen? Und warum ist die Lage in Libyen so schrecklich, wie sie heute ist? 
Die Ant­worten sind schnell gegeben: Zu der Flücht­lings­be­wegung aus Afrika ist es gekommen, weil die EU mit Han­dels­ver­trägen die lokale Wirt­schaft in den afri­ka­ni­schen Ländern zer­stört, indem sie indus­triell pro­du­zierte und sub­ven­tio­nierte Waren dorthin expor­tiert, gegen die die ört­lichen Unter­nehmen nicht kon­kur­rieren können. Und ihre Märkte dürfen die afri­ka­ni­schen Länder nicht mit Zöllen schützen, um ihre eigenen Unter­nehmen vor solchen Importen zu schützen. Das schafft dort Arbeits­lo­sigkeit und Elend, wovor die Men­schen dann nach Europa flüchten.
Man müsste also nur diese Han­dels­ver­träge abschaffen und den Ländern wieder die Mög­lichkeit geben, selbst vor Ort zu pro­du­zieren und den Men­schen wieder Arbeit und eine Zukunft zu geben. Aber das würde ja die Gewinne der euro­päi­schen Kon­zerne schmälern. Also treibt man die Men­schen in Afrika ins Elend, ver­dient dabei noch viel Geld und pro­pa­giert dann „Resett­lement-Pro­gramme“. Das ist – ver­ein­facht gesagt – die Wirt­schafts­po­litik der EU gegenüber Afrika.

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Und dass Libyen heute ein Failed State ohne staat­liche Struk­turen, dafür aber mit Krieg und Elend ist, ist eben­falls das Ver­dienst des Westens. Als Gaddafi, so exzen­trisch er gewesen sein mag, dort geherrscht hat, ging es den Men­schen dort gut. Sie hatten kos­tenlose Bildung, kos­tenlose medi­zi­nische Ver­sorgung, kos­ten­losen Wohnraum und so weiter. Und Flücht­linge aus Libyen gab es nicht.
Wenn man den Men­schen aus dem Elend heraus helfen wollte, dann wäre das also recht einfach: Der Westen müsste erstens Afrika eine Chance auf wirt­schaft­liche Ent­wicklung geben und zweitens Libyen wieder sta­bi­li­sieren und die ange­rich­teten Schäden in dem Land besei­tigen. Nach dem Ver­ur­sa­cher­prinzip ist das ganz einfach und logisch.
Stellt sich die Frage, warum Herr Popp nicht auf diese ein­fachen und viel huma­neren Lösungen kommt, denn niemand ver­lässt frei­willig seine Heimat in Afrika, um sich in Libyen in Lebens­gefahr zu begeben. Hätten die Men­schen in ihrer Heimat Zukunfts­per­spek­tiven, würden sie zu Hause bei Freunden und Familien bleiben, anstatt unter Lebens­gefahr in fremde Länder zu gehen, in denen sie sich ein Leben lang fremd fühlen werden.
Um diese Frage zu beant­worten, muss man sich den Lebenslauf von Herrn Popp anschauen.
Er ist durch die Kader­schmieden der Main­stream-Presse gegangen und dabei von Anfang an ein­gen­ordet worden. Kritik am Westen, spe­ziell an EU, Nato oder USA, ist für einen wie ihn verpönt. Also spricht er die vom Westen geschaf­fenen Ursachen der Pro­bleme nicht an, sondern redet nur über die Folgen. Das ist, als würde ein Zahnarzt einem Pati­enten mit Zahn­schmerzen ein Schmerz­mittel geben und ihn nach Hause schicken, anstatt den Zahn zu behandeln.
Herr Popp hat die Henri-Nannen-Schule für Jour­na­lismus absol­viert, die von Gruner + Jahr und von der „Zeit“ getragen und vom Spiegel zusätzlich gesponsert wird. Der Blick auf die Träger und Spon­soren der Schule zeigt, welches Weltbild dort ver­mittelt wird. Und so liest sich die Liste der Absol­venten der Schule auf Wiki­pedia auch wie das Who-Is-Who der deut­schen Mainstream-Presse.
Herr Popp mau­serte sich dann zu einem Experten für Süd­ost­europa, wofür er auch den Jour­na­lis­ten­preis der Süd­ost­europa-Gesell­schaft bekommen hat. Klingt gut, auch die Ziele der Gesell­schaft klingen gut und auf ihrer Seite kann man lesen:
„Ent­spre­chend ihrer Satzung ist die SOG eine private und gemein­nützige Vereinigung.“
Die Süd­ost­europa-Gesell­schaft ist also eine klas­sische, poli­tische NGO. Und das macht mich reflex­artig skep­tisch, denn ich habe noch keine einzige poli­tische west­liche NGO, also Nicht-Regie­rungs­or­ga­ni­sation, getroffen, die nicht mehr­heitlich von Regie­rungen finan­ziert und geführt wird. Auf der Seite der Süd­europa-Gesell­schaft findet sich dann auch nichts über deren Finan­ziers. Aber mit ein wenig Recherche, kann man dazu etwas finden. So fand ich zum Bei­spiel einen Artikel der Deut­schen Welle, in dem man über die Süd­ost­europa-Gesell­schaft lesen kann:
„Die Süd­ost­europa-Gesell­schaft, die vom Aus­wär­tigen Amt finan­ziert wird, soll die wis­sen­schaft­lichen, wirt­schaft­lichen und kul­tu­rellen Bezie­hungen zu den Staaten Süd­ost­eu­ropas fördern. Sie ver­an­staltet unter anderem Kon­fe­renzen und vergibt Stipendien.“
Wenn aber der deutsche Staat, in diesem Falle das Aus­wärtige Amt, eine Stiftung fördert, dann tut er das, um seine eigenen Inter­essen und seine eigene Politik durch­zu­setzen. Der deutsche Staat, bzw die deutsche Regierung, würde nie­manden finan­zieren, der dann die Fehler der Regierung offen legt. Wer auch immer von einer Regierung finan­ziert wird, wird nicht gegen diese Regierung oder ihre Politik auf­be­gehren, weil dann schnell Schluss mit der Finan­zierung wäre.
Wir fassen also zusammen: Herr Popp ist durch die Kader­schule der Main­stream-Presse (Henri-Nannen-Schule) gegangen, hat den Jour­na­lis­ten­preis einer staatlich finan­zierten Stiftung (Süd­ost­europa-Gesell­schaft) bekommen und arbeitet prak­tisch sein ganzes Berufs­leben beim Spiegel, der täglich seine Hörigkeit gegenüber der US-geführten Politik des Westens unter Beweis stellt.
Da muss man sich nicht wundern, dass Herr Popp mit keinem Wort die eigent­lichen Gründe für die Flücht­lings­be­wegung oder für die Situation in Libyen erwähnt. Offen­sichtlich ist wirk­liche Ursa­chen­for­schung weder Teil der Aus­bildung von Jour­na­listen, noch Vor­aus­setzung für den Erhalt von Jour­na­lis­ten­preisen. Dazu reicht es aus, die Politik des Westens und ihre Folgen kom­plett aus­zu­blenden, wenn man Artikel schreibt. Denn sollte Herr Popp diese Ursachen kennen und nicht darüber schreiben, dann würde er seine Leser ja bewusst falsch informieren.
Und das wollen wir doch einem Jour­na­listen vom Spiegel nicht unter­stellen, oder?
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“