Die Enteignungsphantasien eines unbedarften Jusochefs, der trotz aller historischen Erfahrung meint, das Heil wieder im Sozialismus suchen zu müssen, sind nicht das Problem. Es ist der erschreckend fruchtbare Boden, auf dem diese Phantasien wuchsen und gediehen sind. Er wurde von der Politik der letzten dreißig Jahre kräftig gedüngt. Mir fällt bei der Debatte das Kunert-Gedicht über den Menschen ein, der sich aus den Kriegstrümmern herausarbeitete, sich schüttelte und sagte: „Nie wieder. Jedenfalls nicht gleich.“
Bei der westlichen Linken galt die sozialistische DDR mehrheitlich als das bessere Deutschland, vor allem, weil sie es nicht selbst aushalten musste. Beim gepflegten Rotwein in der Toskana war gut philosophieren, dass die Teilung Deutschlands die gerechte Strafe für den Weltkrieg und die nationalsozialistischen Verbrechen sei. Die Strafe verbüssten ja allein die Ostdeutschen. Über den Mauerfall war man in diesen Kreisen entsetzt. Erschwerend kam hinzu, dass man dieses Entsetzen angesichts der weltweiten Euphorie, die von der Friedlichen Revolution ausgelöst wurde, nicht adäquat äußern konnte.
Ein Gutes hatte das Verschwinden des sozialistischen Lagers für seine Apologeten allerdings dann doch: Sobald die schäbige Realität nicht mehr zu besichtigen war, konnte man ungeprüft behaupten, dass der Sozialismus doch die bessere Alternative sei, er wäre bisher nur noch nicht richtig ausgeführt worden. Die verhungernden Nordkoreaner sind sicher hinter fast undurchdringlichen Grenzen verschlossen, auf Kuba kann man sich durch die Karibik-Romantik von dem Elend der Kubaner ablenken lassen, und das vor unseren Augen scheiternde sozialistische Experiment Venezuela wird anscheinend verdrängt.
Kevin Kühnert wuchs auf in einer Umgebung, die, verführt von der SED-PDS-Propaganda und ihren willigen Westhelfern, erst fand, dass nicht alles schlecht gewesen sei in der DDR. Später war das Meiste sogar gut.
Man hatte zwar den Kampf gegen die Wiedervereinigung verloren, die von den aufmüpfigen DDRlern auf der Straße durchgesetzt wurde, um so mehr war man entschlossen, den Propagandakrieg um die wirklichen und behaupteten Fehler beim Wiederaufbau der Neuen Länder zu gewinnen.
Bürger zweiter Klasse sollten die Ostdeutschen nun angeblich sein, nachdem sie erstmals volle Bürgerrechte und ‑freiheiten genießen konnten. Von Kolonialisierung war die Rede, von Abbau Ost. Aufbauhelfer wurden gemobbt, Alteigentümer zum Teil zum zweiten Mal enteignet. So wurde die Bodenreform für sakrosankt erklärt. Angeblich hätte es eine Bedingung der Noch-Sowjetunion gegeben, Bodenreformland nicht an die ehemaligen Besitzer zurückzugeben. Auch als Michail Gorbatschow das öffentlich dementierte, wurde an dieser Legende festgehalten.
Kürzlich hat SED-Linke-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch die Unverschämtheit besessen, einen Treuhand-Untersuchungsausschuss zu fordern. „Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden“, behauptet er. Verheerende politische Fehler der Nachwendezeit müssten aufgearbeitet werden, weil der durch die Treuhand angerichtete Schaden bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens sei. Pikanterweise fand er lediglich beim Thüringer AfD-Chef Björn Höcke uneingeschränkte Zustimmung. Sozialisten sind eben Sozialisten, ob national oder international.
Was Bartsch wohlweislich verschwieg und der Öffentlichkeit unbekannt ist; die Treuhand ist keineswegs eine Erfindung von bösen Kapitalisten, sondern wurde von der SED, genauer dem Noch-Staatschef Hans Modrow, gegründet. Die vergiftete Saat für die in der Tat verhängnisvollen Fehler dieser Anstalt wurde von den in ihr tätigen SED-Genossen gelegt.
Der entscheidende Fehler war übrigens, die SED nicht zu verbieten, sondern ihr unter anderem Namen und mit ihrem zu DDR-Zeiten zusammengerafften Vermögen die Weiterexistenz zu ermöglichen. Wenn es einen Untersuchungsausschuss geben müsste, dann wäre es ein zweiter Untersuchungsausschuss zum verschwundenen DDR-Vermögen. Im Ausschuss, der in der Legislaturperiode 1994–1998 tätig war, haben alle vorgeladenen SED-Genossen, an der Spitze Gregor Gysi, die Aussage verweigert mit der identischen Erklärung, sie würden sich der Strafverfolgung aussetzen, wenn sie ihr Wissen preis geben würden. Sie bezahlten dann ein paar hundert DM Strafe und wurden nie wieder behelligt, obwohl es sich um eine Summe von geschätzten 24 Milliarden DM handelte, denen der Bundestag zum größten Teil vergeblich hinterher recherchierte. Heute würden sich die Genossen nicht mehr strafbar machen, denn die Verjährung ist bereits eingetreten. Sie könnten in einem zweiten Untersuchungsausschuss ihr Wissen offenbaren, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Dabei könnte auch Genosse Bartsch angehört werden, den der erste Untersuchungsausschuss unbegreiflicherweise nicht vorgeladen hatte, obwohl er Bundesschatzmeister der SED-PDS war.
Last, not least: Es gab für Kühnert Gegenstimmen aus der SPD. Es war aber gerade die SPD, die den heutigen sozialistischen Phantasien den Weg geebnet hat. Nur vier Jahre nachdem die SED entmachtet wurde, hat die SPD in Sachsen-Anhalt die SED-PDS wieder an der Macht beteiligt, wenn auch vorerst nur am Katzentisch, als Mehrheitsbeschaffer für die rot-grüne Minderheitsregierung. Nachdem im Deutschen Bundestag 1994 eine SED-PDS-Politikerin als Bundestagsvizepräsidentin gewählt wurde, war die Partei endgültig anschlussfähig. Es dauerte nicht lange und sie konnte in den Ländern wieder mitregieren. Da ist es kein Wunder, dass die Aufarbeitung der DDR-Pleite nie richtig durchgeführt wurde.
Kevin Kühnert hat sich nur zur Speerspitze der Ewiggestrigen Sozialismus-Apologeten gemacht. Wie sich das in zum Teil enthusiastischer Zustimmung, nicht nur im Sturmgeschütz des demokratischen Sozialismus „Spiegel“ zeigt, ist Kevin nicht allein zu Haus. Das Gespenst des Kommunismus ist bei ihm.
Vera Lengsfeld — vera-lengsfeld.de