Vera Lengsfeld: Kom­mu­nalwahl in der DDR – Der Beginn der heißen Phase der Fried­lichen Revo­lution 1989

In diesem Jahr jährt sich die Fried­liche Revo­lution der DDR zum drei­ßigsten Mal. Je länger sie zurück­liegt, desto weniger Beachtung wird diesem wahrhaft welt­um­stür­zenden Ereignis geschenkt. Dabei hat die Revo­lution ohne Blut­ver­gießen nicht nur die Mauer zum Ein­sturz gebracht, sondern in den Monaten darauf das bis an die Zähne atomar bewaffnete Lager.
Für einen kurzen Augen­blick waren die Deut­schen das glück­lichste und belieb­teste Volk der Erde.Heute ist dieser Bonus nicht nur restlos ver­spielt, es mehren sich die Bemü­hungen, das Rad der Geschichte zurück­zu­drehen und ein neues sozia­lis­ti­sches Expe­riment zu starten. Die Ent­eig­nungs­phan­tasien des Juso-Chefs Kevin Kühnert sind, wie die gewaltige Zustim­mungs­welle, vor allem unter den Hal­tungs­jour­na­listen, zeigt, nur die Spitze des Eisbergs.
In dieser Situation ist es gut, einen Blick zurück­zu­werfen und sich ins Gedächtnis zu rufen, was für ein Regime die DDR-Revo­lu­tionäre abge­schüttelt haben.
Jeder wusste, dass es keine freien Wahlen gibt. Im Volksmund wurden sie spöt­tisch „Zettel falten“ genannt. Jeder wusste, dass die Ergeb­nisse von 99% für die Nationale Front der SED gefälscht waren. Am 7. Mai 1989, als tau­sende Bürger am Abend in die Wahl­lokale gingen, um bei der Stimm­aus­zählung dabei zu sein, hatte man zum ersten Mal Beweise für die Fäl­schungen in der Hand. Es war die erste erfolg­reiche Aktion der Bür­ger­rechts­be­wegung. Die heiße Phase der Fried­lichen Revo­lution begann.
Ich werde ab heute jede Woche an ein Ereignis vor dreißig Jahren erinnern. Die Gesamt­schau finden Sie in meinem „Tagebuch der Fried­lichen Revo­lution“.


Siebter Mai 1989 
Der Tag der Kom­mu­nalwahl ist da. In Leipzig demons­trieren über 1000 Men­schen gegen die Wahl­praxis in der DDR und fordern freie Wahlen. Als sich lan­desweit abzeichnet, dass die Betei­ligung weit geringer aus­fallen würde, als in den Vor­jahren, werden ab Mittag ver­stärkt die berüch­tigten Schlep­per­ko­lonnen ein­ge­setzt. Diese Schlepper hatten die Aufgabe, die Wahl­un­wil­ligen mit Ver­spre­chungen oder mit Ein­schüch­te­rungen zur Teil­nahme an der Abstimmung zu bewegen. Bevor die Wahl­lokale geschlossen wurden, kamen unge­wöhnlich viele Men­schen herein, die an der Stimm­aus­zählung als Beob­achter teil­nehmen wollten. Sie notierten sich die Ergeb­nisse genau und gingen anschließend zu den von der Oppo­sition ver­ein­barten Sam­mel­punkten. Es stellte sich heraus, dass in hun­derten Wahl­lo­kalen das Ergebnis kon­trol­liert worden war. Eines hatten alle Zahlen gemeinsam: Die Pro­zente lagen weit unter den übli­cher­weise ver­kün­deten 99,xx Prozent, die sonst immer als Resultat ermittelt worden waren. Erstmals hatten auch Mit­glieder der Block­par­teien CDU und LDPD sich an den Aktionen beteiligt. Gespannt war­teten alle auf das offi­zielle End­ergebnis. Als der Wahl­leiter Egon Krenz am späten Abend wieder ein Ergebnis über 99 % ver­kündete, ging ein Auf­schrei durch das Land. Man hatte immer gewusst, dass die Wahl­er­geb­nisse geschönt waren. Nun hatte man den Beweis in der Hand, dass die SED vor plumpen Fäl­schungen nicht zurück­schreckte. Noch in der Nacht traf die Oppo­sition die Vor­be­rei­tungen zur Ver­öf­fent­li­chung ihrer Zahlen. Eine Wahl­zeitung wurde gedruckt, die an die West­medien gegeben wurde, damit diese die Zahlen über den Bild­schirm auch in den letzten DDR-Haushalt verbreiteten.
Aber natürlich wurde die Zeitung auch im Inland ver­breitet und hun­dertfach kopiert. Als die ersten Oppo­si­tio­nellen am nächsten Tag demons­trativ die ersten Anzeigen wegen Wahl­fäl­schung erstat­teten, folgten viele Bürger diesem Bei­spiel. Es gingen so viele Anzeigen ein, dass die Staats­si­cherheit nur die Anweisung an die Staats­an­walt­schaften geben konnte, die Bear­beitung so weit wie möglich zu verzögern.


Quelle: vera-lengsfeld.de