Foto: Grünen-Parteitag, über dts Nachrichtenagentur

His­to­rische Rede beim Wirt­schafts­forum: Putin im O‑Ton über Glo­ba­li­sierung und eine neue, gerechte Wirtschaftsordnung

Am Freitag hat Putin auf dem Wirt­schafts­forum in St. Petersburg eine Rede gehalten, die man wohl his­to­risch nennen wird. Ich habe die Rede kom­plett über­setzt. Bevor wir aber zu der Rede selbst kommen, will ich kurz erläutern, warum ich die Rede für his­to­risch halte.
Ich habe bei meiner Arbeit an meinem Buch über Putin so ziemlich jede Rede Putins gelesen und ana­ly­siert. Es gab bisher drei his­to­rische Reden von Putin: die Rede im Bun­destag 2001, in der er zur Zusam­men­arbeit zwi­schen Europa und Russland aufrief, die Rede auf der Mün­chener Sicher­heits­kon­ferenz 2007, in der die US-Politik heftig kri­ti­sierte und frontal angriff und die Rede vor der UNO-Voll­ver­sammlung 2015, über die in Deutschland schon gar nicht mehr berichtet wurde. Die aktuelle Rede fügt sich in das Muster dieser drei Reden ein.
Putin rechnet in dieser Rede deutlich mit dem west­lichen Wirt­schafts- und Finanz­system ab und ver­kündet den neuen wirt­schaft­lichen und tech­no­lo­gi­schen Kurs Russ­lands. Viele der Themen hat er auch früher ange­sprochen, aber so eine kom­plexe Abrechnung mit dem west­lichen Wirt­schaft­system der Glo­ba­li­sierung in Kom­bi­nation mit neuen rus­si­schen Pro­jekten für einen eigenen rus­si­schen Weg gab es noch nie. Diese Rede wird inter­na­tional viel Auf­sehen erregen, auch wenn zu erwarten ist, dass in Deutschland nicht (viel) über sie berichtet wird.
So haben es die deut­schen Medien auch schon mit der Rede von 2015 gemacht, aber Russland hat den in der dama­ligen Rede ange­kün­digten Weg seitdem kon­se­quent ver­folgt. Ähnlich dürfte es auch mit dieser Rede sein.
Damit genug der Vorrede, hier die voll­ständige Rede Putins vor dem St. Peters­burger Wirt­schafts­forum.
Beginn der Übersetzung:
Guten Tag, liebe Freunde und Kol­legen, meine Damen und Herren.
Ich freue mich sehr, die Staats-und Regie­rungs­chefs und alle Teil­nehmer des Inter­na­tio­nalen Wirt­schafts­forums in St. Petersburg in Russland begrüßen zu dürfen. Wir danken unseren Gästen für ihr freund­schaft­liches Ver­hältnis zu Russland, für ihre Bereit­schaft, mit uns zusam­men­zu­ar­beiten und wirt­schaftlich zu koope­rieren. Die Basis dafür ist – die Unter­neh­mens­führer wissen das sehr gut – Prag­ma­tismus, Ver­ständnis für gegen­seitige Inter­essen, natürlich gegen­sei­tiges Ver­trauen und offene und klare Positionen.
Ich möchte die Plattform des Wirt­schafts­forums in St. Petersburg nutzen, um nicht nur über die Ziele zu sprechen, die wir uns in Russland gesetzt haben, sondern auch darüber, wie sich unserer Ansicht nach das Welt­wirt­schafts­systems ent­wi­ckelt. Für uns ist das kein abs­traktes Thema. Die Ent­wicklung Russ­lands ist auf­grund seiner Größe, seiner Geschichte, seiner Kultur, seines mensch­lichen Poten­zials und seiner wirt­schaft­lichen Mög­lich­keiten nur innerhalb des glo­balen Kon­textes möglich.
Wie ist der Stand der Dinge heute, wie beur­teilen wir sie in Russland?
Formal sehen wir in letzter Zeit ein Wachstum der Welt­wirt­schaft. Ich hoffe, dass wir heute vor allem darüber sprechen werden, weil dies ein Wirt­schafts­forum ist. (Anm. d. Übers.: Putin spielt damit auf ver­gangene Dis­kus­sionen bei dem Wirt­schafts­forum an, bei denen ihn Jour­na­listen meist zu geo­po­li­ti­schen Themen und nicht zur Wirt­schaft befragt haben)
Ins­gesamt sehen wir formal eine positive Ent­wicklung. Das Wachstum betrug in den Jahren 2011 bis 2017 durch­schnittlich 2,8 Prozent jährlich. In den ver­gan­genen Jahren waren es knapp über drei Prozent. Aber unserer Meinung nach, und das müssen die Staats- und Regie­rungs­chefs offen aner­kennen, befindet sich das bestehende Wirt­schafts­modell trotz des erwähnten Wachstums leider in einer Krise. Und es handelt sich dabei um eine umfas­sende Krise. Die Pro­bleme häuften sich im letzten Jahr­zehnt an und ver­mehren sich weiter. Sie sind ernster und größer, als es schien.
Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden neue Märkte in den Prozess der Glo­ba­li­sierung auf­ge­nommen, was die Arch­ti­tektur der Welt­wirt­schaft dra­ma­tisch ver­ändert hat. Das vor­herr­schende Ent­wick­lungs­modell, das auf der west­lichen, so genannten libe­ralen, Tra­dition beruht, nennen wir es mal „euro-atlan­tisch“, begann nicht nur eine globale, sondern eine uni­ver­selle Rolle für sich zu beanspruchen.
Die wich­tigste Trieb­feder des aktu­ellen Glo­ba­li­sie­rungs­mo­dells ist der Welt­handel. Er ist von 1991 bis 2007 mehr als doppelt so schnell gewachsen, wie das welt­weite BIP. Das ist ver­ständlich, denn in der ehe­ma­ligen Sowjet­union und Ost­europa ent­standen neue Märkte und die Waren strömten in diese Märkte. Aber diese Periode war nach his­to­ri­schen Maß­stäben relativ kurz.
Es folgte die globale Krise der Jahre 2008/2009, die die Ungleich­ge­wichte ver­schärfte und die Dis­ba­lance offen­legte. Sie zeigte auch, dass der Mecha­nismus des glo­balen Wachstums all­mählich ins Stottern kommt. Natürlich hat die Welt­ge­mein­schaft dann ernsthaft an den Fehlern gear­beitet. Wenn man jedoch der Wahrheit in die Augen schaut, sehen wir, dass der Wille und viel­leicht auch der Mut nicht aus­ge­reicht haben, die Pro­bleme voll­ständig zu ver­stehen und die nötigen Schluss­fol­ge­rungen zu ziehen. Es herrschte ein ver­ein­fa­chender Ansatz vor, der sagte, dass das Modell der glo­balen Ent­wicklung selbst durchaus gesund sei, nichts wich­tiges geändert werden müsse, es reiche aus, die Sym­ptome zu behandeln und ein paar Regeln und Insti­tu­tionen der Welt­wirt­schaft und der inter­na­tio­nalen Finanzen besser zu koor­di­nieren, und alles wird wieder gut. Damals gab es viele Hoff­nungen und positive Erwar­tungen, die sich aber schnell in Luft auf­lösten. Die Politik der „quan­ti­ta­tiven Lockerung“ und andere ergriffene Maß­nahmen lösten die Pro­bleme nicht in der Sache, sondern ver­la­gerten sie nur in die Zukunft. Ich weiß, dass es auch hier Dis­kus­sionen über diese so genannte „quan­ti­tative Lockerung“ gegeben hat. In der rus­si­schen Regierung und auch in der Prä­si­di­al­ver­waltung dis­ku­tieren und streiten wir ständig über diese Themen.
Ich werde statt­dessen die Daten der Weltbank und des IWF zitieren. Während vor der Krise von 2008/2009 das Ver­hältnis des Welt­handels mit Waren und Dienst­leis­tungen im Ver­gleich zum glo­balen BIP ständig wuchs, änderte sich der Trend nach der Krise. Es ist eine Tat­sache, dass es ein solches Wachstum nicht mehr gibt. Das im Jahr 2008 erreichte Ver­hältnis zwi­schen welt­weitem BIP und welt­weitem Handel wurde nicht wieder erreicht. Damit ist der Welt­handel nicht mehr der unum­strittene Motor der Welt­wirt­schaft. Und der neue Motor, dessen Rolle die hoch­mo­derne Technik spielen sollte, springt nicht wirklich an. Mehr noch: Die Welt­wirt­schaft ist in eine Phase der Han­dels­kriege und des wach­senden direkten und ver­deckten Pro­tek­tio­nismus eingetreten.
Was sind die Ursachen für die Krise der inter­na­tio­nalen Wirt­schafts­be­zie­hungen, die das Ver­trauen zwi­schen den Teil­nehmern der Welt­wirt­schaft unter­gräbt? Ich glaube, dass der Haupt­grund darin liegt, dass das Ende des 20. Jahr­hun­derts ein­ge­führte Modell der Glo­ba­li­sierung immer weniger zu der sich rasch ent­wi­ckelnden, neuen wirt­schaft­lichen Rea­lität passt.
In den ver­gan­genen drei Jahr­zehnten ist der Anteil der Indus­trie­länder am glo­balen BIP nach Kauf­kraft­pa­rität von 58 Prozent auf 40 Prozent gesunken. Und der Anteil der G7-Länder ist von 46 auf 30 Prozent gesunken, während der Anteil der Schwel­len­länder wächst. Eine solche rasante Ent­wicklung neuer Volks­wirt­schaften, nicht nur mit ihren eigenen Inter­essen, sondern auch mit ihren eigenen Ent­wick­lungs­platt­formen, ihren eigenen Ansichten zur Glo­ba­li­sierung und regio­nalen Inte­gra­ti­ons­pro­zessen, passt nicht zu den Vor­stel­lungen, die noch vor Kurzem als uner­schüt­terlich galten. Die Scha­blonen, die – man muss das deutlich sagen – von den Ländern des Westens kamen und ihnen außer­ge­wöhn­liche Vor­teile gaben, brachten ihnen Rendite und fes­tigten ihre Position für die Zukunft. Die übrigen Länder mussten in ihrem Fahr­wasser nach­ziehen. Natürlich wird viel über Gleich­be­rech­tigung gesprochen. Ich werde darüber gleich noch sprechen. Aber als dieses bequeme, gewohnte System begann, Risse zu zeigen, als Kon­kur­renten her­an­wuchsen, begannen die Staaten, die zuvor die Prin­zipien der Freiheit des Handels gepredigt hatten, von ehr­lichem und offenem Wett­bewerb gesprochen haben, in dem Wunsch, ihre Dominanz um jeden Preis zu wahren, in der Sprache von Han­dels­kriegen und Sank­tionen sprechen. Es folgten offene wirt­schaft­liche Raubzüge, den Kon­kur­renten wurden die Hände auf den Rücken gedreht. Es wurde mit Ein­schüch­terung gear­beitet, Kon­kur­renten durch so genannte nicht-markt­wirt­schaft­liche Methoden beseitigt.
Sehen Sie, es gibt viele Bei­spiele, ich werde nur davon erzählen, was uns direkt betrifft und was allen, glaube ich, auf der Zunge liegt. Zum Bei­spiel der Bau der Gas­pipeline Nord Stream 2. Ich habe im Saal unsere Partner gesehen, die daran arbeiten, nicht nur die rus­si­schen, sondern auch unsere Freunde aus Europa. Das Projekt zielt darauf ab, die Ener­gie­si­cherheit Europas zu ver­bessern, neue Arbeits­plätze zu schaffen, es liegt voll und ganz im natio­nalen Interesse aller Betei­ligten, sowohl der Europäer als auch Russ­lands. Wenn es diesen Inter­essen nicht ent­sprechen würde, würden unsere euro­päi­schen Partner es nicht umsetzen. Hat sie jemand dazu gezwungen? Sie kamen selbst zu uns, weil die Umsetzung dieses Pro­jekts in ihrem Interesse ist.
Aber das passt nicht in die Logik und ent­spricht nicht den Inter­essen der­je­nigen, die innerhalb des bestehenden uni­ver­sa­lis­ti­schen Modells an ihre Exklu­si­vität, ihre Ein­zig­ar­tigkeit, gewöhnt sind und daran, dass sie alles tun und lassen dürfen. Es passt nicht dazu, weil andere ihre Rech­nungen bezahlen sollen, und deshalb wird das Projekt per­manent tor­pe­diert. Es ist besorg­nis­er­regend, dass diese zer­stö­re­rische Praxis nicht nur tra­di­tio­nelle Märkte wie Energie oder Roh­stoffe getroffen hat, sondern auch in auf­stre­benden Indus­trien Einzug hält. Bei Huawei etwa ver­sucht man nicht nur, die Firma zu schwächen, man ver­sucht, sie brutal aus dem glo­balen Markt zu ver­drängen. Manche nennen das schon den „ersten tech­no­lo­gi­schen Krieg“ des digi­talen Zeitalters.
Man dachte, dass die rasante digitale Trans­for­mation, die sich sich rasant ver­än­dernden Branchen, Märkte und Berufe, darauf aus­ge­richtet sind, den Horizont für alle zu erweitern, die bereit und offen für Ver­än­de­rungen sind. Aber auch hier werden leider Mauern gebaut und direkte Verbote für den Kauf von Hightech-Pro­dukten ver­hängt. Es ist so weit gekommen, dass Uni­ver­si­täten sogar die Zulassung aus­län­di­scher Stu­denten in bestimmten Fach­rich­tungen ein­schränken. Ehrlich gesagt geht das nicht in meinen Kopf. Aber trotzdem geschieht das alles in der Rea­lität. Über­ra­schend, aber es ist so.
Monopol bedeutet immer die Kon­zen­tration des Ein­kommens bei wenigen auf Kosten aller anderen, und in diesem Sinne heben Ver­suche, die neue tech­no­lo­gische Welle zu mono­po­li­sieren, den Zugang zu ihren Früchten zu begrenzen, das Problem der glo­balen Ungleichheit auf ein ganz neues Niveau. Sowohl zwi­schen den Ländern und Regionen als auch innerhalb der Staaten selbst. Nun, wie wir wissen, ist Ungleichheit der Haupt­grund für Insta­bi­lität. Und es geht nicht nur um Ein­kommen, um mate­rielle Ungleichheit, sondern um die fun­da­men­talen Unter­schiede der Chancen für die Men­schen. In der Tat sehen wir den Versuch, zwei Welten zu schaffen und die Kluft zwi­schen ihnen wächst ständig. Einige haben Zugang zu den fort­schritt­lichsten Bil­dungs­sys­temen, der besten Gesund­heits­für­sorge, zu modernen Tech­no­logien, während andere keine Per­spek­tiven haben, keine Chance, auch nur der Armut zu ent­kommen, und einige sogar ums Über­leben kämpfen.
Mehr als 800 Mil­lionen Men­schen auf der Welt haben heute nur begrenzten Zugang zu Trink­wasser, etwa elf Prozent der Welt­be­völ­kerung haben nicht genug zu essen. Wenn das System auf einer immer offen­sicht­li­cheren Unge­rech­tigkeit beruht, wird es niemals nach­haltig und aus­ge­wogen sein.
Die Krise ver­schärft sich durch die wach­senden öko­lo­gi­schen und kli­ma­ti­schen Her­aus­for­de­rungen, die das sozio­öko­no­mische Wohl­ergehen der gesamten Menschheit unmit­telbar bedrohen. Klima und Öko­logie sind bereits zu einem objek­tiven Faktor für die Ent­wicklung der Welt geworden, zu einem Problem, das große Folgen hat, dar­unter eine neue, unkon­trol­lierbare Zunahme der Migration, erhöhte Insta­bi­lität und die Unter­mi­nierung der Sicherheit in Schlüs­sel­re­gionen der Welt. Gleich­zeitig besteht die große Gefahr, dass wir anstelle gemein­samer Anstren­gungen zur Lösung von Umwelt- und Kli­ma­pro­blemen mit Ver­suchen kon­fron­tiert werden, auch dieses Thema für unfairen Wett­bewerb zu nutzen.
Heute stehen wir vor zwei Extremen, zwei mög­lichen Sze­narien für die weitere Ent­wicklung. Das erste ist die Wie­der­geburt des uni­ver­sa­lis­ti­schen Modells der Glo­ba­li­sierung, ihre Ver­wandlung in eine Kari­katur ihrer selbst, bei dem die all­ge­mein­gül­tigen inter­na­tio­nalen Regeln durch die Gesetze eines Landes oder einer Gruppe ein­fluss­reicher Länder ersetzt werden. Ich bedauere, es kon­sta­tieren zu müssen, aber das tun heute die USA, indem sie ihre Gesetze der ganzen Welt auf­zwingen. Übrigens, darüber habe ich vor 12 Jahren gesprochen, ein solches Modell wider­spricht nicht nur der Logik der nor­malen zwi­schen­staat­lichen Bezie­hungen und den sich abzeich­nenden Rea­li­täten einer kom­plexen, mul­ti­po­laren Welt, sondern löst es löst auch keine Her­aus­for­de­rungen der Zukunft. (Anm. d. Übers.: Putin spielt hier auf seine – auch und gerade von seinen Kri­tikern so genannte – his­to­rische Rede bei der Mün­chener Sicher­heits­kon­ferenz 2007 an, bei der er den USA zum ersten Mal offen „die Leviten gelesen“ hat und genau eine solche Ent­wicklung pro­gnos­ti­zierte, wie wir sie heute erleben.)
Und das zweite mög­liche Sze­nario ist die Zer­split­terung des glo­balen Wirt­schafts­raums durch eine Politik des unge­zü­gelten wirt­schaft­lichen Ego­ismus und seiner gewalt­samen Durch­setzung. Aber das ist der Weg zu end­losen Kon­flikten, zu Han­dels­kriegen und viel­leicht auch echten Kriegen, kurz gesagt, ein Kampf alle gegen alle, völlig ohne Regeln.
Was kann die Lösung sein? Nicht eine uto­pische, kurz­lebige, sondern eine rea­lis­tische Lösung? Es ist klar, dass ein nach­hal­ti­geres und gerech­teres Ent­wick­lungs­modell neue Rege­lungen erfordert, die nicht nur klar for­mu­liert sind, sondern vor allem von allen respek­tiert und ein­ge­halten werden. Ich bin jedoch davon über­zeugt, dass das Gerede von einer solchen Wirt­schafts­ordnung ein guter und leerer Wunsch bleiben wird, wenn wir nicht wieder Begriffe wie Sou­ve­rä­nität, das bedin­gungslose Recht jedes Landes auf seinen eigenen Ent­wick­lungsweg und, wie ich hin­zu­fügen möchte, Ver­ant­wortung nicht nur für die eigene, sondern auch für die globale nach­haltige Ent­wicklung in den Mit­tel­punkt der Dis­kussion rücken
Was kann Gegen­stand der Regu­lierung solcher Abkommen und eines solchen gemein­samen Rechts­rahmens sein? Natürlich nicht die Auf­zwingung eines ein­zigen „wahren Kanons“, sondern vor allem die Har­mo­ni­sierung der natio­nalen Wirt­schafts­in­ter­essen, der Grund­sätze des Wett­be­werbs und der Zusam­men­arbeit zwi­schen den Ländern mit ihren ver­schie­denen Ent­wick­lungs­mo­dellen, Beson­der­heiten und Inter­essen. Solche Grund­sätze sollten so offen und demo­kra­tisch wie möglich erar­beitet werden.
Auf dieser Grundlage muss das Welt­han­dels­system an die modernen Gege­ben­heiten ange­passt werden, und die Effek­ti­vität der Welt­han­dels­or­ga­ni­sation gesteigert werden. Andere inter­na­tionale Insti­tu­tionen dürfen nicht zer­stört, sondern müssen mit neuen Bedeu­tungen und Inhalten gefüllt werden. Damit das rea­lis­tisch ist, reicht es nicht, nur Lip­pen­be­kennt­nisse zu den For­de­rungen und Inter­essen der Ent­wick­lungs­länder abzu­geben, die sich mit der Moder­ni­sierung ihrer Industrie, ihres Agrar­sektors und ihres sozialen Bereichs befassen. Das wären dann gleiche Ent­wick­lungs­be­din­gungen für alle.
Deshalb schlagen wir übrigens vor, über die Schaffung einer offenen, für alle zugäng­lichen Datenbank mit den besten Prak­tiken und Ent­wick­lungs­pro­jekten nach­zu­denken. Russland ist bereit, seine erfolg­reichen Pro­jekte im sozialen, demo­gra­phi­schen und wirt­schaft­lichen Bereich für alle zugänglich auf eine solche Infor­ma­ti­ons­plattform zu stellen und lädt andere Länder und inter­na­tionale Orga­ni­sa­tionen ein, sich dieser Initiative anzuschließen.
Nun zur Finanz­wirt­schaft. Ich stelle fest, dass die großen glo­balen Insti­tu­tionen im Rahmen des Bretton-Woods-Systems vor 75 Jahren gegründet wurden. Das jamai­ka­nische Wäh­rungs­system, das es in den 1970er Jahren ablöste und die Prio­rität des Dollars bestärkte, hat aber die wich­tigsten Pro­bleme nicht gelöst, vor allem bei der Aus­ge­wo­genheit der Wäh­rungs­be­zie­hungen und des Handels. Seit dieser Zeit sind neue Wirt­schafts­zentren ent­standen, die Rolle regio­naler Wäh­rungen hat zuge­nommen und das Gleich­ge­wicht von Macht und Inter­essen hat sich ver­ändert. Es liegt auf der Hand, dass diese tief­grei­fenden Ver­än­de­rungen eine Anpassung der inter­na­tio­nalen Finanz­in­sti­tu­tionen erfordern, ein Umdenken über die Rolle des Dollars, der erst zur Reser­ve­währung der Welt und nun zu einem Druck­mittel des Emit­tenten auf den Rest der Welt geworden ist.
Übrigens, meiner Meinung nach ist das der große Fehler der ame­ri­ka­ni­schen Finanz­in­sti­tu­tionen und poli­ti­schen Ent­schei­dungs­träger: Die USA selbst unter­graben ihre Vor­teile, die sie seit der Schaffung des Bretton-Woods-Systems haben. Das Ver­trauen in den Dollar sinkt weltweit.
Die Agenda der tech­no­lo­gi­schen Ent­wicklung sollte Länder und Men­schen ver­einen und nicht spalten. Und dazu brauchen wir faire Grund­sätze in Schlüs­sel­be­reichen wie Hightech-Dienst­leis­tungen, Bildung, Tech­no­lo­gie­transfer, neue digitale Wirt­schaft und dem glo­balen Infor­ma­ti­onsraum. Ja, es wird sicher nicht einfach sein, ein so har­mo­ni­sches System auf­zu­bauen, aber es ist das beste Rezept, um das gegen­seitige Ver­trauen wie­der­her­zu­stellen und es gibt keinen anderen Weg.
Wir müssen zusam­men­ar­beiten, wenn wir das Ausmaß der glo­balen Her­aus­for­de­rungen der neuen Ära und unsere Ver­ant­wortung für morgen tat­sächlich ver­stehen. Dazu müssen wir das Potenzial der Ver­einten Nationen nutzen, dieser ein­zig­ar­tigen Ver­tretung aller Länder der Welt, durch die Stärkung ihrer wirt­schaft­lichen Insti­tu­tionen und auch neue Orga­ni­sa­tionen, wie die G20 effek­tiver ein­binden. Solange ein solches Regelwerk nicht ent­standen ist, müsssen wir von der gegen­wär­tigen Situation und den realen Pro­blemen aus­gehen und schauen, was wirklich in der Welt geschieht.
Als einen ersten Schritt auf dem Weg schlagen wir vor, eine Art Demi­li­ta­ri­sierung der Schlüs­sel­be­reiche der Welt­wirt­schaft und des Handels durch­zu­führen, nämlich die Ver­sorgung mit lebens­wich­tigen Gütern wie Medi­ka­menten und medi­zi­ni­scher Aus­rüstung zu sichern und den Handel damit vor Sank­tionen zu schützen. (Beifall im Saal unter­bricht die Rede) Vielen Dank für Ihr Ver­ständnis. Das gilt auch für Ver­sor­gungs­güter, die es ermög­lichen, die Belastung für Umwelt und Klima zu redu­zieren. Wie Sie sehen, sprechen wir über jene Bereiche, die für das Leben und die Gesundheit von Mil­lionen, oder besser gesagt, Mil­li­arden von Men­schen, ja für den ganzen Pla­neten ent­scheidend sind.
Liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen! Die heu­tigen Trends in der Welt zeigen, dass die Rolle eines Landes, seine Sou­ve­rä­nität und sein Platz im modernen Koor­di­na­ten­system von meh­reren Schlüs­sel­fak­toren bestimmt werden: Das ist zunächst die Fähigkeit, die Sicherheit seiner Bürger zu gewähr­leisten, es ist die Fähigkeit, nicht nur die nationale Iden­tität zu bewahren, sondern auch zur Ent­wicklung der welt­weiten Kultur bei­zu­tragen. Und es gibt min­destens drei weitere Fak­toren, die wir für grund­legend halten. Ich werde mich etwas aus­führ­licher auf sie konzentrieren.
Der erste Faktor ist das Wohl­ergehen und der Wohl­stand des Men­schen, seine Mög­lichkeit, seine Talente zu entwickeln.
Der zweite Faktor ist die Fähigkeit der Gesell­schaft und des Staates, schnelle tech­no­lo­gische Ver­än­de­rungen umzusetzen.
Der dritte Faktor ist schließlich die Freiheit für unter­neh­me­rische Initiativen.
Ich beginne mit dem ersten Faktor.
Heute liegt das BIP nach Kauf­kraft­pa­rität pro Kopf in Russland bei etwa 30.000 Dollar. Auf dem gleichen Niveau liegen auch die Länder Süd- und Ost­eu­ropas. Unsere Aufgabe in den kom­menden Jahren ist es nicht nur, unter die Top Fünf der größten Volks­wirt­schaften der Welt zu kommen und das ist kein Selbst­zweck, sondern nur ein Mittel, um bei allen grund­le­genden Para­metern, die Lebens­qua­lität und Wohl­be­finden der Men­schen wider­spiegeln, auf mit­tel­eu­ro­päi­sches Niveau zu kommen. Auf dieser Grundlage haben wir uns auch unsere natio­nalen Ziele für das Wachstum der Wirt­schaft und der Ein­kommen der Bürger, die Ver­rin­gerung der Armut, die Erhöhung der Lebens­er­wartung, die Ent­wicklung von Bildung und Gesund­heits­ver­sorgung und beim Umwelt­schutz gesetzt. Die natio­nalen Pro­jekte, die wir umsetzen, zielen darauf ab, diese Pro­bleme zu lösen.
Der zweite Faktor ist die zwangs­läufige tech­no­lo­gische Ent­wicklung. Die Mög­lich­keiten sind hier wirklich kollossal. Unsere Aufgabe ist es, zu den ersten zu gehören, die diese Tech­no­logien nutzen, ihnen zu einem echten Durch­bruch zu ver­helfen. So wird nach Ein­schätzung von Experten im nächsten Jahr­zehnt das zusätz­liche Wachstum des welt­weiten BIP auf­grund der Ein­führung künst­licher Intel­ligenz 1,2 Prozent jährlich betragen. Das ist das Dop­pelte von dem, was die Infor­ma­ti­ons­tech­no­logie zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts gebracht hat. Der welt­weite Markt für Pro­dukte der künst­lichen Intel­ligenz wird bis 2024 um fast das 17-fache auf etwa eine halbe Billion Dollar wachsen.
Wie andere füh­rende Länder der Welt hat Russland eine nationale Stra­tegie für die Ent­wicklung künst­licher Intel­ligenz erar­beitet. Ent­wi­ckelt wurde sie von der Regierung unter Betei­ligung von hei­mi­schen Hightech-Unter­nehmen. Das Dekret über den Start dieser Stra­tegie wird in naher Zukunft unter­zeichnet. Ein detail­lierter, schritt­weiser Akti­onsplan ist in das nationale Pro­gramm der digi­talen Wirt­schaft inte­griert. (Anm. d. Übers.: Ist eigentlich irgendwem etwas über ein solches Pro­gramm für Deutschland bekannt?)
Russland verfügt über starke Human­res­sourcen, eine gute Aus­gangslage für die Schaffung der fort­schritt­lichsten tech­no­lo­gi­schen Lösungen. Und das gilt nicht nur für künst­liche Intel­ligenz, sondern auch für andere Gruppen soge­nannter End-to-End-Tech­no­logien. In diesem Zusam­menhang lade ich unsere Unter­nehmen mit staat­licher Betei­ligung sowie füh­rende rus­sische Pri­vat­un­ter­nehmen ein, wichtige Partner des Staates bei der Ent­wicklung dieser wis­sen­schaft­lichen und tech­no­lo­gi­schen Bereiche zu werden. Es geht, wie gesagt, um künst­liche Intel­ligenz und andere digitale Tech­no­logien. Das schließt sicherlich neue Mate­rialien, Gen­tech­no­logien für die Medizin, Land­wirt­schaft und Industrie, sowie tragbare Ener­gie­quellen, sowie die Tech­no­logie für ihre Über­tragung und Spei­cherung ein. Das prak­tische Ergebnis einer solchen Part­ner­schaft sollte die Pro­duktion und För­derung bahn­bre­chender Pro­dukte und Dienst­leis­tungen sowohl im In- als auch im Ausland sein. Für den Staat ist das eine Chance, eine mächtige, sou­veräne tech­no­lo­gische Basis zu bilden. Für die Unter­nehmen ist es die Chance, in eine neue tech­no­lo­gische Ära ein­zu­treten. All diese Fragen haben wir vor einer Woche bei einem außer­or­dent­lichen Treffen in Moskau dis­ku­tiert. Dafür werden in nächster Zeit ent­spre­chende Ver­ein­ba­rungen mit Sberbank, Rostec, Rosatom, der Rus­si­schen Eisenbahn und Ros­te­lecom abge­schlossen. Die ent­spre­chenden Doku­mente sind schon erstellt. Ich bitte auch darum, dass sich an diesem Groß­projekt unsere füh­renden Unter­nehmen des Ener­gie­sektors Gazprom, Rosneft, Rosseti und Transneft betei­ligen. Ich habe die Regierung ange­wiesen, diese Arbeit zu organisieren.
Wie wird die Zusam­men­arbeit zwi­schen Staat und Groß­un­ter­nehmen auf­gebaut? Im Rahmen des Part­ner­schafts­ver­trages inves­tieren die Unter­nehmen in For­schung und Ent­wicklung, Kom­pe­tenz­zentren, Unter­stützung von Start-Ups, Wis­sen­schaft, Management, Inge­nieur­wesen und werben aus­län­dische Spe­zia­listen an. Im Gegenzug wird der Staat sich ver­pflichten, finan­zielle und steu­er­liche Unter­stüt­zungs­in­stru­mente zur Ver­fügung zu stellen, um die Nach­frage nach inlän­di­schen High-Tech-Pro­dukten anzu­kurbeln, auch durch öffent­liche Auf­träge, das heißt, der Staat hilft, den Markt zu erschaffen. Wir werden daran arbeiten. Viel­leicht werden unsere chi­ne­si­schen Freunde auch einiges von diesen neuen Ange­boten und Pro­dukten kaufen.
Es ist not­wendig, das System der tech­ni­schen Stan­dar­di­sierung und Regu­lierung zu ver­feinern und hier sogar eine Art expe­ri­men­telles Rechts­system zu schaffen. Ein adäquates, fle­xibles recht­liches Umfeld ist ein Schlüs­sel­thema für neue Indus­trien. Sie zu bilden ist auf der ganzen Welt nicht einfach, es gibt viele heikle Pro­bleme für die Sicherheit des Staates und für die Inter­essen der Gesell­schaf und der Bürger. Aber um Ergeb­nisse zu erzielen, ist es von ent­schei­dender Bedeutung, den Ent­schei­dungs­prozess zu beschleu­nigen, daher bitte ich die Kol­legen aus der Regierung und die Experten der Wirt­schaft, einen wirk­samen Mecha­nismus vorzuschlagen.
Neue Branchen werden auch Spe­zia­listen mit neuem Wissen benö­tigen. Dazu moder­ni­sieren wir aktiv die Pro­gramme und Inhalte der Bildung. Im August findet, wie Sie wissen, in Kasan die Welt­meis­ter­schaft der Berufe, World­S­kills, statt, bei der auf Initiative Russ­lands erstmals Wett­be­werbe in den Bereichen „Kom­pe­tenzen der Zukunft“ ver­an­staltet werden, wie zum Bei­spiel in den Bereichen maschi­nelles Lernen und Big Data, Kom­po­sit­tech­no­logien und Quan­ten­technik. Ich wünsche unserem Team und allen Teil­nehmern viel Erfolg.
Ich möchte betonen, dass wir eine ganz neue Plattform „Russland, das Land der Chancen“ gebildet haben, die auf per­sön­liches und beruf­liches Wachstum abzielt. Die Wett­be­werbe und beruf­lichen Olym­piaden, die in diesem Rahmen statt­finden, sind offen für Schüler, Jugend­liche, Men­schen unter­schied­lichen Alters, für Teil­nehmer nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen Ländern. Das Projekt zur För­derung und Bildung des Per­sonals ist in seiner Grö­ßen­ordnung bei­spiellos in der Welt. Allein in den Jahren 2018 und 2019 nahmen mehr als 1,6 Mil­lionen Men­schen teil. Wir werden dieses System auf jeden Fall wei­ter­ent­wi­ckeln, es effi­zi­enter und trans­pa­renter machen, denn je mutigere und talen­tiertere Men­schen in Wirt­schaft und Wis­sen­schaft, Regierung und Soziale Dienste kommen, desto erfolg­reicher werden wir in der Lage sein, die Ent­wick­lungs­pro­bleme zu lösen, desto höher wird die globale Wett­be­werbs­fä­higkeit unseres Landes sein.
Der dritte erwähnte Faktor ist die Wett­be­werbs­fä­higkeit des Landes. Dabei geht es um ein güns­tiges Geschäfts­umfeld. Wir arbeiten kon­se­quent daran und werden diese Arbeit fort­setzen. Heute haben wir bei einer Reihe von Dienst­leis­tungen für Unter­nehmen, in der Qua­lität der nötigen Ver­wal­tungs­ver­fahren, zu Ländern mit starken und lang­jäh­rigen unter­neh­me­ri­schen Tra­di­tionen auf­ge­schlossen und einige sogar schon überholt.
Es gibt eine gesunde und wach­sende Kon­kurrenz zwi­schen den Regionen Russ­lands um Unter­nehmer, um Inves­ti­tionen und Pro­jekte. Die Effi­zienz des Manage­ments der Ver­wal­tungen hat sich deutlich ver­bessert. Das ein­ge­führte „Nationale Rating“ des Inves­ti­ti­ons­klimas der Regionen Russ­lands ist zu einem großen Antrieb für solche Ver­än­de­rungen geworden. Und gemäß der Tra­dition, die sich bereits auf dem Wirt­schafts­forum in St. Petersburg eta­bliert hat, möchte ich die Gewinner der Rang­liste 2019 nennen und ihnen gra­tu­lieren: Moskau, Tatarstan, Tjumen, Kaluga und St. Petersburg.
Was die Dynamik der Ver­bes­serung des Inves­ti­ti­ons­klimas angeht, waren die füh­renden Regionen Jakutien, Pri­morski Kraij, Samara, Krim, Nord­os­setien, Perm, Nischni Now­gorod, Udmurtia, Iwa­nowskaja und Now­gorod. Bei dieser Gele­genheit bitte ich die Leiter der Regionen, die Ver­treter des Prä­si­denten in den Bezirken, ihre Arbeit zu ver­stärken, um pri­vates Kapital, nationale Pro­jekte und andere Ent­wick­lungs­pro­jekte anzu­locken. Dazu können Sie auch auf die Mög­lich­keiten des Rus­si­schen Fonds für Direkt­in­ves­ti­tionen und andere moderne, effi­ziente Mecha­nismen zugreifen.
Wie bereits gesagt, gibt es positive Ver­än­de­rungen im Geschäfts­klima bei der Ver­waltung, aber es gibt immer noch genügend akute Pro­bleme, die die Unter­nehmen betreffen. Vor allem handelt es sich um den archai­schen und über­trie­benen Kon­trollwahn der Auf­sichts­be­hörden, der unzu­mutbar ist und manchmal bis zum ille­galen Ein­dringen der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden in das Geschäfts­umfeld, in die Arbeit von Unter­nehmen geht. (Anm. d. Übers.: Diese Pro­bleme gibt es. In Russland sind manche Auf­sichts­be­hörden völlig über­eifrig, man kann in den letzten anderthalb Jahren bei fast jedem innen­po­li­ti­schen Auf­tritt Putins hören, wie er dagegen ankämpft und die Auf­sichts­be­hörden immer mehr an die Leine nimmt, damit sie zwar ihrer Auf­sichts­pflicht nach­kommen, aber ohne die Unter­nehmen dabei unnötig bei der Arbeit zu behindern. Letztlich ist diese Frage wohl eine Grat­wan­derung zwi­schen staat­licher Auf­sicht und unter­neh­me­ri­scher Freiheit, die es in allen Ländern der Welt gibt. Russland ver­sucht derzeit massiv, den Unter­nehmen das Leben zu erleichtern, aber die exis­tie­renden Pro­bleme auf diesem Gebiet sind in den Medien sehr präsent.)
In diesem Jahr haben wir die größte, tief­grei­fendste und radi­kalste Reform im Bereich der Kon­trolle und Über­wa­chung seit dem Ende der Sowjet­union ein­ge­leitet. Ich möchte Sie daran erinnern, dass ab dem 1. Januar 2021 der gesamte, weit­gehend ver­altete Rechts­rahmen seine Gül­tigkeit ver­liert. Als Ersatz soll ein klares System von Anfor­de­rungen defi­niert werden, jeg­liche Über­schneidung von Kom­pe­tenzen staat­licher Behörden soll aus­ge­schlossen werden, die Gründe für außer­plan­mäßige Kon­trollen werden begrenzt und es wird ein risi­ko­ori­en­tierter Ansatz ist festgelegt.
Bereits in diesem Jahr soll ein Infor­ma­ti­ons­dienst ins Leben gerufen werden, der es ermög­licht, Infor­ma­tionen über Inspek­tionen durch Auf­sichts­be­hörden einer­seits und Beschwerden von Unter­nehmern ande­rer­seits objektiv abzu­gleichen und schnell auf alle Unre­gel­mä­ßig­keiten zu reagieren.
Nun zu den Bezie­hungen zwi­schen der Wirt­schaft und den Straf­ver­fol­gungs­be­hörden. Die Logik unseres Han­delns ist fol­gende: Eine weitere Libe­ra­li­sierung der Gesetz­gebung, die Stärkung von Garantien und Eigen­tums­rechten, der Aus­schluss von auch nur for­malen Mög­lich­keiten durch Miss­brauch des Rechts Druck auf Unter­nehmen aus­zuüben, eine kon­se­quente Säu­berung der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden und des Jus­tiz­systems. Die wich­tigste Vor­aus­setzung für die Effi­zienz solcher Arbeiten ist die Erhöhung der Trans­parenz des Geschäfts­um­feldes. Das ist auch sehr wichtig, liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen. Bereits in diesem Jahr wird es eine digitale Plattform geben, eine Art digi­talen Ombudsmann, über die Unter­nehmer alle ihrer Meinung nach ille­galen Hand­lungen der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden melden können. Und eine solche Offenheit kann meiner Meinung nach ein Garant für das Ver­trauen zwi­schen Gesell­schaft, Wirt­schaft und Staat werden.
Generell gilt es, das Ver­wal­tungs- und Regie­rungs­system so schnell wie möglich auf digitale Tech­no­logien umzu­stellen. So soll die Effi­zienz aller Regie­rungs­be­hörden, die Geschwin­digkeit und die Qua­lität der Ent­schei­dungs­findung dras­tisch ver­bessert werden. Ich fordere die Regierung auf, gemeinsam mit den regio­nalen Regie­rungs­chefs einen kon­kreten Akti­onsplan in dieser Hin­sicht vor­zu­legen. Wir haben schon oft darüber gesprochen.
Liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen, mehr als einmal in seiner Geschichte führte Russland groß­an­ge­legte Pro­jekte der räum­lichen Ent­wicklung durch, die zu Sym­bolen tief­grei­fender und dyna­mi­scher Ver­än­de­rungen des Landes, seiner Bewegung nach vorn, wurden. Solche kom­plexen Pro­jekte werden heute im Süden Russ­lands, im Fernen Osten und in der Arktis umge­setzt. Heute gilt es, über den Auf­stieg großer Gebiete in Zentral- und Ost­si­birien nach­zu­denken, ihn gut vor­zu­be­reiten und zu planen, uns auf einen Ent­wick­lungsplan zu einigen. In dieser Makro­region befinden sich die reichsten Res­sour­cen­vor­kommen, etwa ein Viertel der Wald­re­serven, mehr als die Hälfte der Koh­le­re­serven, bedeu­tende Kupfer- und Nickel­vor­kommen, riesige Ener­gie­re­serven, von denen viele bereits erschlossen wurden.
Hinzu kommen noch ein­zig­artige Mög­lich­keiten für die Ent­wicklung der Land­wirt­schaft. Im Bereich des Minusin-Tals etwa gibt es mehr als 300 Son­nentage im Jahr. Das gibt uns die Mög­lichkeit, hier einen neuen, leis­tungs­starken agrar­in­dus­tri­ellen Komplex zu bilden. Nach Ansicht von rus­si­schen und aus­län­di­schen Experten können diese Res­sourcen der Makro­region Inves­ti­tionen in Höhe von meh­reren Bil­lionen Rubel, bis zu 3 Bil­lionen Rubel (Anm. d. Übers.: ca.48 Mrd. Euro), bringen. Natürlich nur, wenn der Staat in den Ausbau von Infra­struktur, Sozi­al­be­reich und Woh­nungsbau inves­tiert. Die Ent­wicklung von Gebieten in Mittel- und Ost­si­birien, nicht als Roh­stoff­basis, sondern als wis­sen­schaft­liches und indus­tri­elles Zentrum, sollte diese Region zu einer Ver­bindung zwi­schen dem euro­päi­schen Teil Russ­lands und dem Fernen Osten machen, zwi­schen den Märkten von China, Asien-Pazifik und Europa, ein­schließlich Ost­europa. Das sollte frische, gut aus­ge­bildete Arbeits­kräfte anlocken.
Ich fordere die Regierung zusammen mit der Exper­ten­ge­mein­schaft und der Rus­si­schen Aka­demie der Wis­sen­schaften auf, die not­wen­digen Pro­jekte vor­zu­be­reiten und im Herbst Bericht zu erstatten.
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Meine Damen und Herren, liebe Freunde! Heute haben wir in Russland begonnen, wirklich stra­te­gische und lang­fristige Pro­gramme umzu­setzen, von denen viele ohne Über­treibung globale Aus­wir­kungen haben werden. Die Geschwin­digkeit und das Ausmaß der Ver­än­de­rungen, die sich in der Welt voll­ziehen, sind in der Geschichte bei­spiellos und in der kom­menden Ära ist es wichtig, dass wir ein­ander zuhören und unsere Kräfte bündeln, um gemeinsame Pro­bleme zu lösen.
Liebe Freunde! Russland ist bereit für Her­aus­for­de­rungen und Ver­än­de­rungen. Wir laden alle zu einer breiten, gleich­be­rech­tigten Zusam­men­arbeit ein. Vielen Dank für Ihre Auf­merk­samkeit. Danke.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie diese Rede Putins inter­essant fanden, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Dort habe ich zu vielen aktu­ellen Themen von Wirt­schaft und Politik Reden und Podi­ums­dis­kus­sionen mit Putin aus­führlich zitiert und seine Ansichten dürften für den deut­schen Leser mehr als über­ra­schend sein.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“