Vera Lengsfeld: Die Ver­höhnung der Fried­lichen Revo­lution 1989!

Vor dreißig Jahren stand Leipzig im Zentrum der Fried­lichen Revo­lution, die das Ende der SED-Dik­tatur her­bei­führte und die Über­windung der Spaltung Deutsch­lands ermög­lichte. Von hier gingen die Mon­tags­de­mons­tra­tionen aus, die sich wie ein Busch­brand über die ganze DDR aus­brei­teten und schließlich zum Fall der Mauer und freien Volks­kam­mer­wahlen führten.
Wegen ihrer über­ra­genden Rolle sollte Leipzig sogar der Titel „Hel­den­stadt“ zuer­kannt werden, jeden­falls war das der viel­be­achtete Vor­schlag des Schrift­stellers Christoph Hein.
Nun geht aus­ge­rechnet von Leipzig eine unge­heure Geschichts­klit­terung aus, eine Ver­höhnung der Fried­lichen Revolution.

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Wie die Leip­ziger Volks­zeitung bereits im Mai unter der Rubrik „Son­der­themen“ meldete, planen die Leip­ziger Phil­har­mo­niker ein Gedenk­konzert zur Fried­lichen Revo­lution in der Peters­kirche. Der Titel der Ver­an­staltung lautet: „Freiheit, schöner Götterfunken“.
Aus­ge­rechnet am 9. Oktober, dem Jah­restag der großen Mon­tags­de­mons­tration, die der Beginn des Endes der SED-Dik­tatur bedeutete, soll mit der Neunten Sin­fonie von Beet­hoven das Werk erklingen, das Leonard Bern­stein mit dem neuen Text „Freiheit, schöner Göt­ter­funken“ 1989 in Berlin zum Fall der Ber­liner Mauer auf­führte. Was als „respekt­volle Wür­digung für die vielen Tausend, die sei­nerzeit in Leipzig mutig auf die Straße gegangen sind“, ange­kündigt wurde, gerät durch den enga­gierten Fest­redner Gregor Gysi aller­dings zu einer Ver­höhnung der Demonstranten.
Die Leip­ziger und alle anderen Demons­tranten in der ganzen DDR sind gegen die Herr­schaft der SED auf die Straße gegangen. Es war Gregor Gysi, der die Mau­er­schüt­zen­partei vor dem ver­dienten Untergang rettete. Beim letzten SED-Par­teitag, der am 8.Dezember 1989 stattfand, war die Mehrheit der Dele­gierten, gepeinigt von Scham und Reue ent­schlossen, die Partei auf­zu­lösen. Der damalige Partei-und Regie­rungschef Hans Modrow, drohte mit seinem Versuch, die Auf­lösung zu ver­hindern, zu scheitern. Da trat der bis dato fast unbe­kannte Rechts­anwalt Gregor Gysi, laut Fest­stellung des Bun­destags-Immu­ni­täts­aus­schusses von 1998 erwie­sener Mit­ar­beiter der Staats­si­cherheit, ans Mikrofon. Er über­zeugt die Genossen, ihre Ent­scheidung zu über­denken, denn dann wären auch das Ver­mögen und die Par­tei­struk­turen ver­loren, was „unab­sehbare Folgen“, besonders für den kom­menden Wahl­kampf, hätte.
Nach dieser Rede wird Gysi zum Par­tei­vor­sit­zenden der SED gewählt. Eine seiner ersten Amts­hand­lungen ist die Gründung einer Arbeits­gruppe zur Sicherung des Par­tei­ver­mögens. In der Legis­la­tur­pe­riode 1994–1998 recher­chierte der Bun­destags-Unter­su­chungs­aus­schuss geschätzten 24 Mrd DM ver­schwun­denem DDR-Ver­mögen hin­terher. Alle PDS-Funk­tionäre, die vom Aus­schuss ver­nommen wurden, ver­wei­gerten die Aussage mit der iden­ti­schen Erklärung, sie würden sich der Straf­ver­folgung aus­setzen, wenn sie ihr Wissen preis­geben würden. Seitdem wird nicht mehr nachgefragt.
Außerdem ver­passte Gysi der Partei den Zusatz­namen PDS, Partei des Demo­kra­ti­schen Sozia­lismus. Seitdem ist die SED noch dreimal umbe­nannt worden und immer noch unter uns. Gysi ist nicht mehr ihr Vor­sit­zender, aber im Pro­gramm hat sie noch den „Sys­tem­wechsel“, also die Abschaffung der Demokratie.
Für die Phil­har­monie Leipzig sei es „eine Ehre“, dass Gregor Gysi an diesem his­to­ri­schen Datum die Festrede hält, ließ die Phil­har­monie die Leip­ziger Volks­zeitung wissen. Gysi gelte in Politik, Wis­sen­schaft und Medien seit vielen Jahren als kom­pe­tenter Mei­nungs­führer und sei ein gefragter Autor und Inter­view­partner, lautete die Begründung. Zu seiner Rolle als letzter Par­teichef der SED und Retter des von der SED zusam­men­ge­rafften Ver­mögens kein Wort. Natürlich auch nichts zu seiner frag­wür­digen Rolle als Anwalt von Oppo­si­tio­nellen in der DDR.
Die angeb­liche Ehrung der mutigen Demons­tranten ist ange­sichts dieser Fakten eine Ver­höhnung. Die Leip­ziger Phil­har­monie täte gut daran, auf diesen Skandal zu verzichten.