Gefangen im Euro – oder: Will­kommen im Bett des Prokrustes

Man kennt ihn aus der grie­chi­schen Mytho­logie: den Riesen Pro­krustes, den Unhold und Wege­la­gerer, Sohn des Mee­res­gottes Poseidon. Pro­krustes bot Vor­bei­rei­senden ein Bett an, und wenn sie sich frei­willig nicht hin­ein­legen wollten, zwang er sie hinein in das „Pro­krustes-Bett“. Waren die Rei­senden zu lang für die Lie­ge­stätte, hackte er ihnen die Glied­maßen ab, bis sie hin­ein­passten; waren sie zu kurz für das Bett, streckte er sie auf seinem Amboss solange, bis sie die richtige Größe hatten. Pro­krustes machte also passend, was nicht passend war. Der Euro ist gewis­ser­maßen so etwas wie ein Prokrustes-Bett.

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Viele Länder liegen derzeit im Euro-Pro­krustes-Bett, haben sich anfänglich mit großer Euphorie frei­willig hin­ein­gelegt, mussten nicht einmal dazu gezwungen werden. Nachdem das anfäng­liche Hoch­gefühl ver­flogen ist, zeigt sich, dass einige Teil­neh­mer­länder nicht den Anfor­de­rungen, die die Teil­nahme am Euroraum auf­erlegt, genügen können oder genügen wollen. Daran sind nicht zuletzt die Folgen des geplatzten „Euro-Booms“ schuld. Sie haben vor allem den Süd­ländern schwere Kapi­tal­ver­luste beschert. Unter­nehmen haben ihre Wett­be­werbs­fä­higkeit ein­gebüßt. Die Arbeits­lo­sigkeit ist gestiegen. Das Wachstum ist geschwächt. Vorbei ist vie­lerorts der Traum von der wohl­stands­brin­genden Kraft der Einheitswährung.
Bemü­hungen zu refor­mieren, wachs­tums­för­der­liche Struk­turen zu schaffen – durch Steu­er­sen­kungen, Dere­gu­lierung und Staats­ver­klei­nerung –, sind zumeist nicht zu erkennen. Das Gegenteil ist eher der Fall. Man setzt allent­halben auf staat­liche Len­kungs­wirt­schaft, in der die Staaten zuse­hends darüber bestimmen, was wann wie und wo zu pro­du­zieren ist. Das ist kein Zufall, es kann nicht über­ra­schen. Denn der Euro folgt einer Eigen­logik: Er kann und wird nur Bestand haben, wenn die freie Markt­wirt­schaft (bezie­hungs­weise das, was noch von ihr noch übrig ist) immer weiter, Stück für Stück zurück­ge­drängt wird.
Denn nur so lassen sich die poli­tisch stö­renden wirt­schaft­lichen Leis­tungs­un­ter­schiede, die zwi­schen den ein­zelnen Ländern bestehen, ein­ebnen, und zwar indem die wirt­schaftlich noch relativ starken Länder geschwächt werden relativ zu den wirt­schaftlich weniger leis­tungs­fä­higen Ländern. Dieser Prozess ist in vollem Gange und zeigt sich in vielen Facetten. Bei­spiel 1: Der „Target-2-Saldo“ der Deut­schen Bun­desbank beläuft sich mitt­ler­weile auf 935 Mrd. Euro; Luxemburg, die Nie­der­lande, Irland und Finnland weisen eben­falls beträcht­liche positive Target-2-Salden gegenüber dem Euro­system bezie­hungs­weise den Euro-Ländern mit nega­tiven Target-2-Salden aus.
Die Target-2-Salden bezeugen, dass die Euro­päische Zen­tralbank (EZB) strau­chelnden Banken in zum Bei­spiel Italien, Spanien und Por­tugal neue Euro zur Ver­fügung stellt. Auf diese Weise werden die Geld­häuser „gerettet“ und damit auch die Ein­lagen ihrer Kunden. Zu bezahlen haben das die Bürger in allen anderen Euro-Teil­neh­mer­ländern, weil durch das Geld­men­gen­ver­mehren die Güter­preise höher aus­fallen (im Ver­gleich zu einer Situation, in der die Geld­menge nicht aus­ge­weitet worden wäre). Ihnen wird Wohl­stand vor­ent­halten bezie­hungs­weise ihr Wohl­stand wird, dort wo die Güter­preise steigen, herabgesetzt.
Bei­spiel 2: Damit das Euro-Ban­ken­system vor Zah­lungs­aus­fällen bewahrt wird, soll eine Euroraum-ein­heit­liche Ein­la­gen­si­cherung aus der Taufe gehoben werden. Das wird dazu führen, dass bestehende Unter­schiede zwi­schen den Kre­dit­qua­li­täten relativ schlechter Banken und ver­gleichs­weise bes­seren Banken ein­ge­ebnet werden. Die staatlich vor­an­ge­triebene ein­heit­liche Ein­la­gen­si­cherung schaltet so den Sys­tem­wett­bewerb im Euro-Ban­ken­system ab – zu Gunsten der relativ schlechten Banken zu Lasten der noch relativ guten Banken. (Wie übrigens die Akti­en­kurse der Deut­schen Bank und der Comm­zerbank bezeugen, stammen aus Sicht der Inves­toren nicht alle schlechten Banken aus Südeuropa.)

Bei­spiel 3: Es ist absehbar, dass Zah­lungs­aus­fälle großer, sys­tem­re­le­vanter Euro-Banken abge­wehrt werden; man wird aus poli­ti­schen Gründen nicht zulassen, dass die vom Markt aus­sor­tiert werden. Im „Notfall“ wird die Ban­ken­rettung jedoch die betrof­fenen Staaten finan­ziell über­fordern. Die EZB muss ein­springen: Sie wird neu emit­tierte Staats­an­leihen kaufen und dafür sorgen, dass die auf diesem Wege „aus dem Nichts“ geschaf­fenen Euro als Eigen­ka­pital in die Geld­häuser ein­ge­zahlt werden. Die Zeche zahlen die Euro-Bürger in Form von Kauf­kraft­ver­lusten des Euro und de facto ver­staat­lichten Banken.
Bei­spiel 4: Die Ver­ge­mein­schaftung der Indus­trie­po­litik – ein nach wie vor höchst aktu­elles Vor­haben, denn der Rat der EU arbeitet derzeit fleißig an einer Vorlage für eine „Stra­tegie für die Indus­trie­po­litik der EU“ – eröffnet die Mög­lichkeit, wirt­schaftlich leis­tungs­fähige Länder wie zum Bei­spiel Deutschland zu bremsen bezie­hungs­weise her­ab­zu­setzen. Bei­spiels­weise indem umwelt­po­li­tische Vor­gaben gesetzt werden, die Schlüs­sel­in­dus­trien und –tech­niken ihrer Wett­be­werbs­fä­higkeit berauben. Zu nennen wäre hier bei­spiels­weise die deutsche Auto­mo­bil­in­dustrie bezie­hungs­weise der Dieselmotor.
Bei­spiel 5: Die Geld­po­litik der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB) sorgt chro­nisch für Krisen; die letzten Jahre bieten dafür reich­hal­tiges Anschau­ungs­ma­terial. Ist eine Krise erst einmal aus­ge­brochen, wird es der Politik möglich, die Ver­ge­mein­schaftung vor­an­zu­treiben und zwar in einer Inten­sität und Reich­weite, wie es in „Nor­mal­phasen“, im regu­lären Par­la­ments­be­trieb, nicht möglich wäre. Vor allem gelingt es Poli­tikern in der Krise besonders gut, die Ursachen der Notlage den „freien Märkten“ zuzu­schreiben und dar­aufhin markt- und frei­heits­feind­liche Poli­tiken durchzusetzen.
Die Alter­native
Um Miss­ver­ständ­nissen vor­zu­beugen: Dass viele Men­schen aus vielen ver­schie­denen Regionen ein ein­heit­liches Geld ver­wenden, ist öko­no­misch durchaus sinnvoll. So gesehen ist durchaus etwas dran an der Idee einer Ein­heits­währung. Aller­dings wird diese Idee zu einem gewal­tigen Problem, ja zu einem Fiasko, wenn die Ein­heits­währung in Form eines (supra-)staatlich mono­po­li­sierten unge­deckten Geldes in die Tat umge­setzt wird – wie es beim Euro zwei­felsohne der Fall ist. Wie aber sähe eine bessere Alter­native zum unge­deckten Euro-Geld aus?
Die Alter­native ist ein freier Markt für Geld. Den Geld­nach­fragern wird frei­ge­stellt, das Geld wählen zu dürfen, das ihren Wün­schen und Bedürf­nissen am besten ent­spricht; die Geld­nach­frager bestimmen also, was Geld ist. Solch ein freies Marktgeld funk­tio­niert pro­blemlos, es stellt quasi eine „natür­liche“ Geld­ordnung dar. Vorbei wäre es mit mone­tären Krisen a la Boom-und-Bust. Auch die chro­nische Geld­ent­wertung, die heute unwei­ger­liche Folge des unge­deckten Geldes ist, hätte ihr Ende. Und vor allem gäbe es keine poli­tische Willkür in mone­tären Ange­le­gen­heiten mehr, die heute dafür sorgt, dass einige wenige auf Kosten vieler profitieren.
Einen freien Markt für Geld zu schaffen, ist denkbar einfach. Die Güter, die als Geld infrage kommen – Gold, Silber, aber auch Kryp­to­ein­heiten – sind von jed­weder Besteuerung frei­zu­stellen. Gleich­zeitig wäre auch der „Legal Tender“-Status des Euro abzu­schaffen. Fortan hätte jeder die Freiheit, sein Geld selbst zu wählen. Die­je­nigen, die den Euro wei­terhin benutzen wollen, haben dazu die Freiheit. Die­je­nigen, die ihre Ver­träge in anderem Geld abwi­ckeln wollen – bei­spiels­weise in Gold, Silber oder Bitcoin –, genießen eben­falls die Freiheit, dies zu tun.
Dass ein freies Marktgeld nicht auf der poli­ti­schen Tages­ordnung steht, liegt nicht etwa daran, dass es nicht durch­führbar, nicht prak­ti­kabel wäre. Nein, dafür gibt es andere Gründe. So sind bei­spiels­weise viele mei­nungs­ma­chende Haupt­strom-Öko­nomen keine Unter­stützer eines freien Markt­geldes, sie sind meist glü­hende Befür­worter des staat­lichen Geld­mo­nopols. Sie beraten Regie­rungen und Poli­tiker. Und die wie­derum haben selbst keinen Anreiz, das staat­liche Geld­mo­nopol aus der Hand zu geben – denn für sie ist es ein unver­zicht­barer Macht­pfeiler. Für die Bürger hin­gegen wäre ein freies Marktgeld ganz zwei­fellos ein Segen. Es wäre die logische Folge ihres Selbst­be­stim­mungs­rechtes bei der Frage der Geldwahl.
Passend machen
Die Anhänger des Euro – eines unge­deckten Geldes – eifern Pro­krustes nach. Sie ver­suchen unbeirrt, das Unpas­sende passend zu machen, und sie gehen wie einst der mythische Pro­krustes nicht zim­perlich vor. Die Grund­pfeiler des freien Markt­systems werden unter­graben, bür­ger­liche und unter­neh­me­rische Frei­heiten und Rechte ein­kas­siert. Der Staat wird immer größer, immer mäch­tiger. Wohin das führt? Nun, der Ökonom Friedrich August von Hayek (1899–1992) schrieb 1960 dazu etwas, was auch heute seine Relevanz nicht ein­gebüßt hat, nämlich dass
der Sozia­lismus als bewußt anzu­stre­bendes Ziel zwar all­gemein auf­ge­geben worden ist, es aber kei­neswegs sicher ist, daß wir ihn nicht doch errichten werden, wenn auch unbe­ab­sichtigt. Die Neuerer, die sich auf die Methoden beschränken, die ihnen jeweils für ihre beson­deren Zwecke am wirk­samsten scheinen, und nicht auf das achten, was zur Erhaltung eines wirk­samen Markt­me­cha­nismus not­wendig ist, werden leicht dazu geführt, immer mehr zen­trale Lenkung der wirt­schaft­lichen Ent­schei­dungen aus­zuüben (auch wenn Pri­vat­ei­gentum dem Namen nach erhalten bleiben mag), bis wir gerade das System der zen­tralen Planung bekommen, dessen Errichtung heute wenige bewußt wün­schen. Außerdem finden viele der alten Sozia­listen, daß wir schon so weit auf den Zutei­lungs­staat zuge­trieben sind, daß es jetzt viel leichter scheint, in dieser Richtung weiter zu gehen, als auf die etwa in Miß­kredit geratene Ver­staat­li­chung der Pro­duk­ti­ons­mittel zu drängen. Sie scheinen erkannt zu haben, daß sie mit einer ver­stärkten staat­lichen Beherr­schung der nominell privat geblie­benen Industrie jene Umver­teilung der Ein­kommen, die das eigent­liche Ziel der sen­sa­tio­nel­leren Ent­eig­nungs­po­litik gewesen war, leichter erreichen können.
Glück­li­cher­weise folgt die mensch­liche Ent­wicklung aber keiner Gesetz­mä­ßigkeit (wie es Karl Marx und Friedrich Engels behaupten). Es sind vielmehr die Ideen, die Theorien, die die Men­schen in ihrem Handeln leiten und „Geschichte machen“. Das ist Grund zur Zuver­sicht: Denn wird von den Bürgern ver­standen, dass sie alle gewis­ser­maßen im Euro gefangen gehalten werden – und sprich­wörtlich passend gemacht werden für das Bett des Pro­krustes –, und dass ein freier Markt für Geld einfach zu haben ist und funk­tio­nieren würde, wäre die drang­sa­lie­rende und frei­heits­be­rau­bende Kraft des Euro ver­mutlich sehr rasch dahin.
Übrigens: Pro­krustes wurde von Theseus auf seiner Wan­derung nach Athen als letzter der Böse­wichte am Kephisos erschlagen. Es gibt also Grund zur Hoffnung: Das Schlechte findet, so lernen wir daraus ganz offen­sichtlich, doch irgendwann seinen Bezwinger.

Quelle: www.misesde.org