Ich hatte zunächst nicht vor, über diese Rede ausführlich zu berichten. Nach einem Spiegel-Artikel, der so derartig mit Unwahrheiten über Klima- und Umweltschutz in Russland angefüllt war, habe ich meine Meinung jedoch geändert. Über diesen Spiegel-Artikel habe ich am Samstag bereits geschrieben.
In Deutschland wird immer behauptet, Russland sei der Klimaschutz egal, Russland würde gar den (menschengemachten) Klimawandel bestreiten. Den Klimawandel bestreitet Russland keineswegs, aber es wird in Frage gestellt, ob und wie stark der Mensch dafür verantwortlich ist und ob es überhaupt möglich, den CO2-Ausstoß so zu reduzieren, wie es in Deutschland propagiert wird.
Russland ist im Gegenteil von Klimaveränderungen mehr betroffen, als jedes andere Land der Welt, denn in Sibirien tauen Permafrostböden auf und Wetterextreme häufen sich. Das ist ein Problem in und für Russland. Der Klimawandel hat auch dazu geführt, dass nun die Nordpassage weitgehend eisfrei und nun für Schiffe nutzbar geworden ist. Russland hat deshalb im äußersten Norden Flüssiggas-Terminals gebaut, um sein Gas nicht nur über Pipelines nach Europa und China verkaufen zu können, sondern auch per Schiff in andere Regionen der Welt. Ironischer Weise sind unter anderem die USA, die ihr Flüssiggas nach Europa verkaufen wollen, ein Abnehmer des billigeren russischen Flüssiggas.
Der Unterschied zur Politik in Deutschland ist, dass Russland das Thema ernsthaft und realistisch angeht und nicht durch eine ideologische Brille anschaut. Russland sucht funktionierende Lösungen und keine effekthaschenden, aber wirkungslose Parolen.
Vor diesem Hintergrund hat Putin letzte Woche bei einer großen internationalen Konferenz über Produktion und Industrialisierung, die in Jekaterinburg stattfand, eine Rede gehalten. Bei der Gelegenheit hat Putin sich auch mit Studenten getroffen und eine Stunde lang ihre Fragen beantwortet. Dabei hat er unter anderem auch über den deutschen Atomausstieg gesprochen, worüber ich bereits berichtet habe.
Ich habe jetzt auch die Rede Putins auf der Konferenz komplett übersetzt, weil sie all die unwahren Berichte in Deutschland über Russlands Blick auf dieses komplexe Thema eindrucksvoll widerlegt.
Beginn der Übersetzung:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Willkommen in einem der größten Zentren der Wissenschaft, Bildung und Industrie in Russland, in Jekaterinburg, auf dem Global Summit on Manufacturing and Industrialization.
Zum zweiten Mal schon versammeln sich hier Vertreter der Regierung, der Wirtschaft, der Wissenschaft und von non-profit-Organisationen aus fast der ganzen Welt. Und in der Tat zeigt sich, dass dieses Forum zu einer dringend benötigten internationalen Plattform für eine tiefe Diskussion über die Herausforderungen des neuen technologischen Zeitalters wird.
Ich möchte dieses Podium nutzen, vielen Dank für die Einladung, um noch einmal über Russlands Ansätze zur Lösung gemeinsamer grundlegender, ohne Übertreibung zivilisatorischer Probleme, und über unsere Vision der langfristigen Trends zu berichten, die die globale Entwicklung bestimmen und über die Risiken, denen wir bereits ausgesetzt sind oder in naher Zukunft ausgesetzt sein könnten.
Ja, heute ist es offensichtlich, dass der sich ständig beschleunigende technologische Wandel das Gesicht ganzer Regionen, Branchen, Produktionsprinzipien und Geschäftsmodelle radikal verändert.
Künstliche Intelligenz, 3D-Druck und andere Entwicklungen haben einen großen Einfluss auf die Effizienz und die Produktivität.
Es scheint, dass wir in der goldenen Zukunft angekommen sind. In der postindustriellen Gesellschaft, frei von Umweltrisiken, von der Zukunftsforscher des 20. Jahrhunderts geträumt haben.
Aber die Hoffnung, dass neue Technologien den Planeten vor zunehmendem anthropogenem Einfluss und Belastungen retten werden, hat sich in vielerlei Hinsicht als Illusion erwiesen. Die Schädigung der Natur und des Klimas setzt sich fort. Und sie wird durch immer mehr Dürren, Ernteausfälle und Naturkatastrophen immer offensichtlicher.
Übrigens, in Russland spüren wir das am stärksten. Bei uns steigt die Temperatur, ich habe vor kurzem darüber gesprochen, die Temperatur in Russland wächst zweieinhalb Mal schneller als im Durchschnitt auf dem Planeten.
Schauen Sie nur, was in diesen Tagen in der Region Irkutsk passiert: ein riesiger Waldbrand, Hunderttausende Hektar Wald brennen, und es gab schreckliche Überschwemmungen.
Wenn nichts unternommen wird, wird die rasche technologische Entwicklung die Probleme nicht lösen, sondern im Gegenteil die Umweltherausforderungen verschärfen, einschließlich des Klimawandels und des Problems der Verschwendung endlicher Ressourcen.
So werden schon bis Mitte des nächsten Jahrzehnts Milliarden von Kommunikationsgeräten und eine schnell wachsende Infrastruktur der Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Big Data voraussichtlich mehr als 30 Prozent des weltweiten Stroms verbrauchen. Die Frage, woher diese zusätzliche Energie kommen soll, ist noch gar nicht geklärt.
Gleichzeitig bedeutet die Erhöhung des Energieverbrauchs und die erhöhte Energieprodutkion zur Deckung des Bedarfs unweigerlich neue Risiken, wie weitere Veränderungen des Klimas. Bereits heute wird ein Viertel aller CO2-Emissionen von der Energieerzeugung verursacht. Weitere große Emittenten von Treibhausgasen sind Landwirtschaft, Industrie und Verkehr.
Und es gibt auch noch keine Entscheidung darüber, wie man diese langfristige Entwicklung der Steigerung der Produktion mit dem Naturschutz und einer hohen Lebensqualität der Menschen vereinbaren kann. Wie kann sichergestellt werden, dass die digitale Revolution und die Robotik nicht in einer Ressourcen- und Umweltsackgasse enden?
Diese Fragen erfordern unserer Ansicht nach eine gründliche Diskussion. Doch anstatt über die Probleme der globalen Klima- und Umweltagenda zu sprechen, sehen wir leider oft regelrechten Populismus, Spekulationen, und manchmal, ich habe keine Angst es so zu nennen, ein Stochern im Dunkeln.
Das geht so weit, dass die Welt aufgerufen wird, den Fortschritt aufzugeben, was es bestenfalls ermöglichen wird, die bestehende Situation zu bewahren, was nur lokal für Wohlergehen für einige wenige Auserwählte schaffen kann. Gleichzeitig sollen Hunderte Millionen Menschen auf dem Planeten akzeptieren, was sie haben, oder ehrlicher gesagt, was sie nicht haben: Zugang zu sauberem Wasser, zu Nahrung, zu Bildung und anderen Früchten der Zivilisation.
Solche archaischen Ansätze sind natürlich ein Weg ins Nirgendwo, das führt nur zu neuen Konflikten. Das Ergebnis dieses Ansatzes ist die Migrationskrise in Europa und auch in den Vereinigten Staaten.
Die Absolutisierung, der blinde Glaube an einfache und spektakuläre, aber ineffektive Lösungen führt zu Problemen. Ich meine damit Ansätze wie den vollständigen Verzicht auf Kernenergie oder fossile Energie und die Hoffnung, sie durch bestehende alternative Energiequellen ersetzen zu können.
Wird den Menschen das Leben auf einem Planeten gefallen, der von Windrädern und mit mehreren Schichten von Sonnenkollektoren bedeckt ist? Wie man bei uns sagt, anstatt zu Hause aufzuräumen, kehren wir nur den Müll unter den Teppich.
Jeder weiß, dass Energieerzeugung durch Wind gut ist, aber an die Vögel denkt man dabei nicht. Wie viele Vögel sterben in den Windrädern? Sie vibrieren so stark, dass die Würmer den Boden verlassen. Das ist kein Witz, das sind die schwerwiegenden Folgen der Verwendung dieser modernen Möglichkeiten der Energieerzeugung. Ich sage nicht, dass dies nicht weiterentwickelt werden sollte, aber wir sollten die damit verbundenen Probleme nicht vergessen.
Natürlich kann man niemandem verbieten, sich in Felle zu kleiden und wieder in Höhlen zu wohnen. Aber es ist einfach unmöglich, den Fortschritt der gesamten Menschheit zu stoppen. Die Frage ist: Auf welcher Grundlage können die von den Vereinten Nationen skizzierten Entwicklungsziele für das Jahrhundert realistisch erreicht werden?
Ich bin überzeugt: Um saubere Luft, Wasser, Nahrung und damit eine neue Lebensqualität und höhere Lebenserwartung für Milliarden von Menschen auf unserem Planeten zu erreichen, ist es notwendig, grundlegend neue Technologien und technische Geräte zu entwickeln, die weniger ressourcenintensiv, aber dafür umweltfreundlicher sind.
Solche supereffizienten wissenschaftlichen und technischen Produktionslösungen werden es ermöglichen, ein Gleichgewicht zwischen Bio- und Technosphäre herzustellen, die anthropogenen Auswirkungen auf die Natur und die Umwelt zu verringern und wirksam zu kontrollieren.
In diese Richtung arbeiten sogenannte naturähnliche Technologien, die natürliche Prozesse und Systeme nach den Gesetzen der Natur reproduzieren.
Ein Beispiel für naturähnliche Technologien ist, was auf den ersten Blick seltsam erscheint, die thermonukleare Energie (Fusionsreaktoren), die die Prinzipien der Erzeugung von Wärme und Licht im Zentrum unseres Sonnensystems nutzt, der Sonne.
Es besteht die Möglichkeit, eine kolossale, unerschöpfliche und sichere Energiequelle erhalten. Aber auf dem Gebiet der Kernfusion und bei der Lösung anderer grundlegender Probleme werden wir nur dann erfolgreich sein, wenn wir eine breite internationale Zusammenarbeit, eine Zusammenarbeit der Staaten, der Wirtschaft und von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete erreichen. Das kann nur gelingen, wenn die technologische Entwicklung wirklich global wird und nicht durch Versuche, den Fortschritt zu monopolisieren, den Zugang zu Bildung zu monopolisieren und den freien Austausch von Wissen und Ideen zu verhindern.
Ein markantes Beispiel für eine offene wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit ist übrigens der internationale thermonukleare Reaktor ITER, auf dessen Grundlage eine kontrollierte thermonukleare Fusion geplant ist.
Russland ist aktiv daran beteiligt und bereit, seine wissenschaftliche Infrastruktur für gemeinsame Forschung, für die Arbeit internationaler wissenschaftlicher Teams auf dem Gebiet der naturähnlichen und anderer Bereiche zur Verfügung zu stellen. Es geht dabei auch um die Schaffung einmaliger Cluster, die wir Megascience nennen.
Mit ihrer Hilfe werden Wissenschaftler buchstäblich sehen können, wie die Natur ihre Objekte schafft. Ich möchte anmerken, dass so ein Cluster zu einem integralen Bestandteil des interdisziplinären Zentrums naturähnlicher Technologien geworden ist, das seit mehr als zehn Jahren in einem unserer größten wissenschaftlichen Zentren in Russland, dem Kurtschatov Institut, funktioniert.
Die weltweit mächtigste Quelle für Neutronen, der PIK-Reaktor, hat in der Nähe von St. Petersburg seine Arbeit aufgenommen. Auf dessen Basis entsteht ein internationales Neutronenforschungszentrum. Die Planung einer Quelle für Synchrotronstrahlung der vierten Generation wurde in Nowosibirsk begonnen. Unsere Pläne beinhalten den Bau und die Modernisierung von Megascience-Einrichtungen in Wladiwostok und Protvino bei Moskau.
Für internationale Forschungsteams in Russland, die große interdisziplinäre Projekte durchführen und wissenschaftliche Cluster schaffen, schaffen wir beste Bedingungen und Mechanismen.
Russland werden derzeit umfangreiche Wissenschafts- und Technologieprogramme begonnen, die eine starke umweltfreundliche, ökologische Dimension haben, einschließlich von Bereichen wie künstliche Intelligenz, Materialforschung, genomischer Technologien und sauberen Lösungen für die Landwirtschaft. Das schließt auch tragbaren Energiequellen und neue Technologien für die Übertragung und Speicherung von Energie ein.
Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir das Potenzial unserer führenden Unternehmen mit staatlicher Beteiligung einbinden. Übrigens war ich kürzlich in Italien, wo ich mit unseren Partnern gesprochen habe, und auch unsere dortigen Kollegen binden bei der Lösung solcher Probleme Unternehmen mit staatlicher Beteiligung ein. Seltsamerweise tun wir parallel das gleiche. Warum? Die Aufgabe ist erstens von internationaler Bedeutung und zweitens werden staatliche Gelder ausgegeben, die man gemeinsam auf diese Schlüsselbereiche der Entwicklung konzentrieren könnte.
Um all diese Aufgaben zu erfüllen, wollen wir, wie gesagt, das Potenzial unserer Unternehmen mit staatlicher Beteiligung einbinden und natürlich freuen wir uns über eine aktive Partnerschaft mit Privatunternehmen und sogenannten Technologieunternehmern. Wir halten es für entscheidend, ein wirksames rechtliches und regulatorisches Umfeld dafür zu schaffen.
Natürlich wissen wir, dass dies heute schwierig für uns ist. Das ist leider nicht schnell zu lösen. Wir wären gerne schneller, aber es ist sehr wichtig, keine vorschnellen Schritte zu unternehmen, keine Fehler zu machen, die dann zu unkalkulierbaren Konsequenzen führen können.
Die Regierung wurde bereits beauftragt, einen wirksamen Mechanismus für die rasche Annahme von Regulierungs- und Gesetzgebungsentscheidungen im technologischen Bereich auszuarbeiten. Wir werden weiterhin konsequent daran arbeiten, das Geschäfts- und Investitionsklima in Russland zu verbessern. Eine solche Freiheit für Initiativen ist eine Schlüsselvoraussetzung für den Erfolg der Gesellschaft und des Landes in einer sich rasch wandelnden Welt.
Liebe Freunde! Meine Damen und Herren!
Wir müssen genau die systematische Antworten auf die Herausforderungen finden, vor denen wir stehen. Das ist die Garantie für eine nachhaltige Entwicklung. Ich glaube, dass in einer Zeit des schnellen Wandels und leider auch großer Unsicherheiten die Priorität auf bedingungslosen Werten liegen sollte. Ich meine damit die Schaffung besserer Entwicklungsmöglichkeiten für die Menschen und die Förderung ihrer individuellen Potenziale.
Diesem Zweck müssen die beeindruckenden Fortschritte im technologischen Fortschritt dienen. Das ist unsere große Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und des Planeten als Ganzes. Und wir müssen auf jeden Fall zusammenarbeiten.
Liebe Freunde!
Russland ist offen für eine so breite, gleichberechtigte Zusammenarbeit.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ende der Übersetzung
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“