Atom­ab­kommen mit dem Iran: Im Gegensatz zur EU erfüllen Russland und China ihre Verpflichtungen

Die EU „bemüht sich um den Erhalt des Atom­ab­kommens mit dem Iran“ können wir in der Presse immer lesen. Dass man tat­sächlich etwas dafür tun kann, anstatt sich nur zu „bemühen“, konnte man bei einem Treffen der Prä­si­denten Russ­lands und des Iran sehen. Was sind die Unterschiede?
Das Atom­ab­kommen ist im Grunde ein sehr ein­faches Dokument. Der Iran lässt die Kon­trolle seiner Atom­an­lagen durch die Inter­na­tionale Atom­ener­gie­be­hörde zu und schränkt die Anrei­cherung von Uran über eine bestimmte Höhe ein, außerdem lagert er nicht mehr als eine bestimmte Menge ange­rei­chertes Uran. Damit ist sicher­ge­stellt, dass der Iran nicht an einer Atom­bombe arbeiten kann, selbst wenn er es wollte.
Im Gegenzug ver­pflichten sich die USA, Russland, China, Deutschland, Frank­reich und Groß­bri­tannien, die Sank­tionen gegen die Iran auf­zu­heben und den voll­stän­digen Handel mit dem Iran wieder aufzunehmen.
Das Abkommen wurde vom UN-Sicher­heitsrat in einer Reso­lution in den Stand des Völ­ker­rechts erhoben und ist damit für alle Staaten der Welt völ­ker­rechtlich bindend. Es gibt im Abkommen auch keine Aus­stiegs­klausel, sondern es wurden dort Regu­larien fest­gelegt, wie man mit Ver­stößen der Ver­trags­partner umgehen würde.
Dort ist geregelt, dass, sollte der Iran seine Ver­pflich­tungen nicht ein­halten, die Sank­tionen auto­ma­tisch wieder in Kraft treten. Sollte ein anderer Ver­trags­partner seine Ver­pflich­tungen nicht mehr erfüllen und zum Bei­spiel wieder Sank­tionen gegen den Iran ein­führen, regelt das Abkommen in Artikel 26, dass der Iran nicht mehr ver­pflichtet ist, sich an das Abkommen zu halten. Wörtlich heißt es dort:
„Der Iran hat mit­ge­teilt, dass er solch eine Neu-Ein­führung von Sank­tionen gemäß Annex II, oder eine Ein­führung von Sank­tionen in Ver­bindung mit nuklearen Themen als Grund ansehen wird, seine Ver­pflich­tungen dieses Abkommens ganz oder teil­weise auszusetzen.“
Die USA haben im Mai 2018 diesen Vertrag gebrochen. Auch wenn die deut­schen Medien von einem „ein­sei­tigen Aus­stieg der USA“ sprechen, war es nichts anderes, als ein offener Ver­trags­bruch. Der Iran hat trotzdem ein Jahr lag still­ge­halten und gehofft, dass vor allem die EU ihre Ver­pflich­tungen aus dem Abkommen doch noch erfüllt. Das hat sie bis heute nicht getan und so hat der Iran im Mai 2019 ange­kündigt, seine Ver­pflich­tungen schritt­weise eben­falls nicht mehr ein­zu­halten. Aber der Iran hat immer deut­liche gemacht, dass er sofort wieder alle Ver­pflich­tungen erfüllt, wenn die EU das gleiche tut.
Die EU hin­gegen ver­kündet fol­gendes, wie man immer wieder in den deut­schen Medien lesen kann:
„Die euro­päische Seite sei ent­schlossen, den legi­timen Handel mit Iran auf­recht­zu­er­halten, um das Abkommen zu erhalten.“
Das klingt gut, aber die EU hat sich ver­pflichtet, den Handel zu ermög­lichen. Derzeit wird er jedoch von der EU ver­hindert. Da euro­päische Banken aus Angst vor US-Sank­tionen keinen Zah­lungs­verkehr mit dem Iran abwi­ckeln, kann es auch keinen Handel geben. Denn wie soll Handel funk­tio­nieren, wenn man seine Rech­nungen nicht bezahlen kann?
Die EU könnte den Zah­lungs­verkehr über die EZB abwi­ckeln oder auch andere Mög­lich­keiten finden, ihre Banken vor US-Sank­tionen zu schützen. Zwar hat die EU „Instex“ geschaffen, eine Art Tausch­börse, bei der Waren im Iran-Handel mit­ein­ander ver­rechnet werden können, aber selbst die funk­tio­niert bis heute nicht.
Hinzu kommt, dass die EU – eben­falls aus Angst vor den USA – kein ira­ni­sches Öl mehr kauft. Damit gibt es de facto keinen Handel, weil die EU sich weigert, ihn zu ermöglichen.
Davon spricht der Iran, wenn er die EU auf­fordert, sich endlich an ihre Ver­pflich­tungen aus dem Atom­ab­kommen zu halten. Aber anstatt das Thema auf­zu­greifen spricht die deutsche Presse von „Ulti­maten des Iran“, was natürlich für den Leser nach einer Frechheit des Iran klingt. Dabei fordert der Iran nichts anderes, als dass die EU sich endlich an gültige Ver­träge hält.
Das Thema wird also dem deut­schen Leser von den Medien nicht erklärt, der deutsche Leser kennt diese Hin­ter­gründe nicht. Die EU spricht dann immer wieder von irgend­welche Schwie­rig­keiten, aber sie tue ja, was sie kann. Das klingt nur so lange über­zeugend, bis man sich anschaut, was die anderen Ver­trags­partner, also Russland und China wäh­rend­dessen tun. Die ira­ni­schen Vor­würfe richten sich nämlich aus­schließlich gegen die EU, Russland und China treiben Handel mit dem Iran. Es geht also, wenn man denn möchte.
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Und das bedeutet, dass die EU trotz aller Lip­pen­be­kennt­nisse nicht mit dem Iran Handel treiben möchte, dass sie also ihre im Atom­ab­kommen über­nom­menen Pflichten nicht ein­halten will. Aber das traut man sich den Men­schen in Europa offen­sichtlich nicht offen zu sagen.
Am Montag fand das Treffen der Prä­si­denten des Iran, der Türkei und Russ­lands zum Thema Syrien statt. Bei dieser Gele­genheit trafen sich Putin und der ira­nische Prä­sident Rohani auch zu einem Vier­au­gen­ge­spräch und dis­ku­tierten über Wirt­schafts- und Handelsfragen.
Russland ist Teil der Eura­si­schen Wirt­schafts­union, die einige Staaten der ehe­ma­ligen Sowjet­union umfasst und die sich zu einer Zoll­union zusam­men­ge­schlossen haben, um den Handel zu erleichtern. Der Iran hat im Mai 2018 mit der Eura­si­schen Wirt­schafts­union eine Ver­ein­barung geschlossen, dieser Frei­han­delszone bei­zu­treten. Das ist zwar erst eine vor­läufige und zeitlich begrenzte Ver­ein­barung, aber immerhin. Bei dem Gespräch mit Putin sagte der ira­nische Prä­sident:
„Die Zusam­men­arbeit des Iran und der Eura­si­schen Wirt­schafts­union ist eine gute Mög­lichkeit, den wirt­schaft­liche Zusam­men­arbeit zwi­schen unseren beiden Ländern auszubauen.“
Russland und der Iran haben einige gemeinsame Groß­pro­jekte laufen, so geht es um den Bau von Kraft­werken und um die Elek­tri­fi­zierung der ira­ni­schen Eisenbahn. All dies sind übrigens Mil­li­ar­den­pro­jekte, auf die die EU durch ihre Unter­wür­figkeit gegenüber den USA ver­zichtet. So ent­stehen eben in Russland Arbeits­plätze und nicht in der EU. Die EU zahlt also die Rechnung für die US-Politik.
Die EU ist der größte Wirt­schaftsraum der Welt und sie könnte die USA in die Schranken weisen. Aber sie tut es nicht und man fragt sich, warum sie ihren eigenen Inter­essen schadet, um den USA zu dienen.
Mir drängt sich da der Ver­gleich mit Indien im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts auf. Indien wurde von der Kolo­ni­al­macht Groß­bri­tannien mit den gleichen Mitteln kon­trol­liert, mit denen die USA heute die EU kon­trol­lieren: Die Briten haben damals jeden Streit unter den indi­schen Maha­ra­dschas befeuert, sodass sich diese nicht gemeinsam gegen die Kolo­ni­al­macht erheben konnten.
Das ging so weit, dass hun­dert­tau­sende indische Sol­daten im ersten Welt­krieg in den euro­päi­schen Schüt­zen­gräben gestorben sind, obwohl Indien mit diesem Krieg selbst nichts zu tun hatte und auch nichts dabei gewinnen konnte.
Erst als Gandhi die Inder hinter sich vereint hat, konnte Indien seine Freiheit erlangen.
Und so machen es die USA auch in der EU. Ein unver­ges­senes Bei­spiel dafür ist, wie die USA beim Irak-Krieg 2003 kur­zerhand die EU in das „neue Europa“ und das „alte Europa“ geteilt haben. Am Ende sind pol­nische Sol­daten im Irak gestorben, ohne das Polen oder die Familien der Sol­daten davon irgend­einen Vorteil hatten.
Das ist nur ein Bei­spiel von unendlich vielen. Wie lange müssen wir noch warten, bis ein „euro­päi­scher Gandhi“ die EU-Staaten von der US-Vor­macht befreit, die der EU und ihren Mit­glieds­staaten nur Schaden zufügt?

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“