Kom­mentar im rus­si­schen Fern­sehen: Was zeichnet eine Demo­kratie aus?

Zu den Wahlen in Russland und in Moskau gab es in der Sendung „Nach­richten der Woche“ einen Beitrag, zu dem auch ein Kom­mentar gehört, mich nach­denklich gemacht hat. 
Den kom­pletten Beitrag, in den der Kom­mentar vorkam, zu über­setzen, macht wenig Sinn, denn es ging darin um den Stand der Aus­zäh­lungen am Sonn­tag­abend, in Deutschland würde man von Hoch­rech­nungen sprechen. Da in Russland jedoch jedes kleine Ergebnis, das bei der Wahl­kom­mission ankommt, sofort online ver­öf­fent­licht wird, gibt es in Russland keine Hoch­rech­nungen. In Russland kann man die ganze Zeit sehen, wie viel Prozent der Stimmen aus­ge­zählt sind und wie das aktuelle Zwi­schen­er­gebnis lautet. Die Zahlen werden minütlich aktualisiert.
Nach diesem Zwi­schen­stand der Aus­zäh­lungen kam jedoch noch ein Kom­mentar über das Wesen der Demo­kratie, der daran anknüpfte, dass Putin nach der Stimm­abgabe gefragt wurde, ob denn auch genug Kan­di­daten zur Wahl gestanden haben. An diese Frage schloss der Kom­mentar an, den ich hier über­setzt habe.
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Beginn der Übersetzung:
Ich möchte auf die Frage unseres Kor­re­spon­denten Koles­nikow zurück­kommen, der Wla­dimir Putin im Wahl­lokal gefragt hat: „Standen genug Kan­di­daten zur Auswahl?“ Er fragte nach der Wahl­mög­lichkeit, aber Putin ant­wortete weiter gefasst. Par­teien gäbe es in einigen Ländern 30 oder auch 100. Die Zahl selbst habe keine Aus­sa­ge­kraft. Es geht um die Qualität.
Und wirklich. In Russland bei­spiels­weise gibt es 55 regis­trierte Par­teien. Davon sind vier im Par­lament ver­treten. Das ist ungefähr der Durch­schnitt auch in anderen Länder. Es gibt auch fast fünfzig Par­teien in den Ver­ei­nigten Staaten, aber es gibt nur zwei Frak­tionen im Kon­gress, Demo­kraten und Repu­bli­kaner. In Frank­reich gibt es mehr als 40 Par­teien. 8 von ihnen sind im Par­lament. Etwa fünfzig Par­teien gibt es in Italien.
Und aus­ge­sprochen viel­fältig ist die poli­tische Palette in China. Neben der Kom­mu­nis­ti­schen Partei gibt es acht weitere Par­teien im Par­lament, sowie die Par­teien aus Hongkong und Macau. Kir­gi­sistan ist noch viel­fäl­tiger. Es gibt dort zwei­hundert poli­tische Par­teien. Das ist eine große Auswahl. Aber Indien stellt alle in den Schatten. Es gibt etwa zwei­tausend regis­trierte poli­tische Par­teien in Indien.
Was sagt das aus? Dass Kir­gi­si­stans Demo­kratie besser ist, als Frank­reichs Demo­kratie? Und Indiens Demo­kratie ist besser als die in Kir­gi­sistan? Nein, ich glaube nicht. Vielfalt ist natürlich wichtig, aber für sich genommen ist sie kein Indi­kator für die Qua­lität des poli­ti­schen Systems und den Schutz der Men­schen in einem Staat. Viel wich­tiger ist, was die Par­teien tun.
Ende der Übersetzung

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“