MH-17 Wrackteile - Photo by Jeroen Akkermans - flickr.com - CC BY-NC-SA 2.0

Neue Ent­wick­lungen bei MH17 — Stehen die Ermittler vor einer Blamage?

Wieder ein Thema, dass die deut­schen Medien derzeit meiden: Es gibt einige Neu­ig­keiten zum Abschuss von MH17 über der Ost­ukraine im Jahr 2014. Aller­dings liest man davon im deut­schen Main­stream kein Wort. Daher schreibe ich eine Zusam­men­fassung der jüngsten Entwicklungen.
Ich habe vor einigen Wochen eine Zusam­men­fassung der wich­tigsten Fragen zu MH17 geschrieben und wer sich für die Dinge in allen Details inter­es­siert, findet hier als Lese­probe das Kapitel über MH17 aus meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014. Aber Vor­sicht: Das Kapitel umfasst im Buch 70 Seiten, die Lese­probe sollten Sie sich nur vor­nehmen, wenn Sie die nötige Zeit haben.
Es gab im Lauf des letzten Jahres einige Mel­dungen, die den west­lichen Medien nicht ins Nar­rativ passen und über die sie daher auch nicht berichtet haben. Im 2018 haben die inter­na­tio­nalen Ermittler mit­ge­teilt, sie hätten die Seri­en­nummer der Rakete iden­ti­fi­ziert, mit der MH17 abge­schossen wurde. Russland hat darauf hin einige Monate später die Geheim­haltung für Num­me­rierung der Rakete auf­ge­hoben und die Bedeutung der Zahlen erklärt. Demnach war die Rakete im Dezember 1986 pro­du­ziert und danach in die West­ukraine trans­por­tiert worden, wo sie bis zum Zusam­men­bruch der Sowjet­union blieb und dann in die Bestände der ukrai­ni­schen Armee über­ge­gangen ist.
Ob diese rus­sische Version stimmt, wissen wir nicht, denn im Westen wurde darüber nicht berichtet und niemand übt nun Druck auf Kiew aus, sich zum Ver­bleib dieser Rakete zu äußern. Kiew könnte es ja bestreiten, aber Kiew sagt einfach gar nichts.
Auch die Nie­der­lande selbst, die sich in den west­lichen Medien als große Auf­klärer insze­nieren, spielen eine dubiose Rolle. Russland hat den Nie­der­landen alle Infor­ma­tionen und Daten gegeben, die ange­fordert wurden. Die Nie­der­lande sagen, Russland koope­riere und liefere nicht und fordern diese Dinge in der Presse wei­terhin an, geben Russland aber auf die Frage, was denn noch fehlt, keine Antwort. Gleich­zeitig haben die Nie­der­lande selbst ent­schei­dende Regie­rungs­do­ku­mente über MH17 zur Geheim­sache erklärt und geben sie nicht heraus. Nie­der­län­dische Jour­na­listen haben auf Her­ausgabe geklagt und vor dem Obersten Gericht ver­loren. Auch nie­der­län­di­schen Abge­ord­neten, die die Unter­lagen ein­sehen wollten, wurde die Ein­sicht verweigert.
Trotz all dieser Unklar­heiten hat sich der ermit­telnde nie­der­län­dische Staats­anwalt Wes­terbeke ent­schlossen, Anklage zu erheben. Das Ver­fahren ist für März 2020 geplant und dürfte ein Farce werden, denn es wird ein Straf­ver­fahren ohne Ange­klagte. Die sind nämlich nicht auf­findbar, ver­mutlich leben sie un Russland, aber Russland liefert seine Bürger nicht ans Ausland aus. Es wird also ein Ver­fahren ohne Ange­klagte und damit ohne Verteidigung.
Die Fak­tenlage ist dünn, Wes­terbeke hat keine belast­baren Beweise vor­gelegt, sondern stützt sich im Wesent­lichen auf vom ukrai­ni­schen Geheim­dienst abge­hörte Tele­fonate. Deren Echtheit wird aber ange­zweifelt, Experten haben in den Ton­spuren deut­liche Hin­weise auf Mani­pu­la­tionen gefunden. Und der ukrai­nische Geheim­dienst ist schon oft mit gefälschten „Beweisen“ erwischt worden, man arbeitet dort nicht allzu akkurat.
Exper­tisen und andere Beweise dafür, dass die Ukraine falsche Infor­ma­tionen geliefert hat, was eine private Ermittlung ans Licht gebracht hat, wurden von den nie­der­län­di­schen Ermitt­lungs­be­hörden nicht angenommen.
Malaysias Regie­rungschef hat die vor­ge­legten „Beweise“ der Hol­länder als „lächerlich“ bezeichnet. Andere malay­sische Poli­tiker, die an den Ermitt­lungen beteiligt waren, haben die Ermitt­lungen als „poli­ti­siert“ bezeichnet und berichtet, dass die Ermittler ein­seitig nach einer Schuld Russ­lands gesucht haben, anstatt objektiv in alle Rich­tungen zu ermitteln.
Vor einem Monat hat Malaysia sogar öffentlich emp­fohlen, die Mit­schnitte des ukrai­ni­schen Geheim­dienst nicht zu ver­wenden, man hält sie auch in Malaysia für Fäl­schungen. Und gerade heute hat der malay­sische Minis­ter­prä­sident erneut die Ergeb­nisse ange­zweifelt. Vor Jour­na­listen sagte er, die Resulte seien „nicht richtig“.
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Um eine Blamage abzu­wenden, braucht der nie­der­län­dische Staats­anwalt nun jeden Strohhalm. Im Juni hat der ukrai­nische Geheim­dienst einen Mann aus Donezk ver­schleppt und in die Ukraine gebracht, wo er in Haft saß. Er soll Kom­mandeur einer Flug­ab­wehr­brigade der Rebellen gewesen sein und als Zeuge aus­sagen, viel­leicht soll er auch ange­klagt werden.
Die Ukraine ver­handelt derzeit mit den Rebellen und Russland über einen großen Gefan­ge­nen­aus­tausch. Und natürlich kam auch dieser ver­schleppte Mann, Vla­dimir Tsemach, auf die Liste derer, die die Rebellen wieder in Freiheit sehen wollen. Man liest (natürlich nicht Deutschland, da gibt es ja keine Berichte darüber) immer wieder, dass Russland ihn auf die Liste gesetzt habe, es waren aber die Rebellen.
Da der Staats­anwalt aber jeden Strohhalm braucht, haben sich sogar Abge­ordnete des EU-Par­la­ments schriftlich mit der Bitte an Prä­sident Selensky gewandt, Tsemach auf keinen Fall frei­zu­lassen oder aus­zu­tau­schen. Trotzdem wurde er heute über­ra­schend von einem Kiewer Gericht aus der Unter­su­chungshaft ent­lassen.
Bleibt abzu­warten, wie es in diesem Polit-Thriller wei­tergeht und wann die deut­schen Medien das Thema mal wieder für sich entdecken.
Vor allem aber bleibt spannend, mit welchen „Beweisen“ Staats­anwalt Wes­terbeke das Gericht über­zeugen möchte: Beweise gibt es keine und es besteht die Gefahr, dass der Staats­anwalt und die Ermittler sich einem fairen Ver­fahren bis auf die Knochen blamieren.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“