Ich habe vor einigen Wochen eine Zusammenfassung der wichtigsten Fragen zu MH17 geschrieben und wer sich für die Dinge in allen Details interessiert, findet hier als Leseprobe das Kapitel über MH17 aus meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014. Aber Vorsicht: Das Kapitel umfasst im Buch 70 Seiten, die Leseprobe sollten Sie sich nur vornehmen, wenn Sie die nötige Zeit haben.
Es gab im Lauf des letzten Jahres einige Meldungen, die den westlichen Medien nicht ins Narrativ passen und über die sie daher auch nicht berichtet haben. Im 2018 haben die internationalen Ermittler mitgeteilt, sie hätten die Seriennummer der Rakete identifiziert, mit der MH17 abgeschossen wurde. Russland hat darauf hin einige Monate später die Geheimhaltung für Nummerierung der Rakete aufgehoben und die Bedeutung der Zahlen erklärt. Demnach war die Rakete im Dezember 1986 produziert und danach in die Westukraine transportiert worden, wo sie bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion blieb und dann in die Bestände der ukrainischen Armee übergegangen ist.
Ob diese russische Version stimmt, wissen wir nicht, denn im Westen wurde darüber nicht berichtet und niemand übt nun Druck auf Kiew aus, sich zum Verbleib dieser Rakete zu äußern. Kiew könnte es ja bestreiten, aber Kiew sagt einfach gar nichts.
Auch die Niederlande selbst, die sich in den westlichen Medien als große Aufklärer inszenieren, spielen eine dubiose Rolle. Russland hat den Niederlanden alle Informationen und Daten gegeben, die angefordert wurden. Die Niederlande sagen, Russland kooperiere und liefere nicht und fordern diese Dinge in der Presse weiterhin an, geben Russland aber auf die Frage, was denn noch fehlt, keine Antwort. Gleichzeitig haben die Niederlande selbst entscheidende Regierungsdokumente über MH17 zur Geheimsache erklärt und geben sie nicht heraus. Niederländische Journalisten haben auf Herausgabe geklagt und vor dem Obersten Gericht verloren. Auch niederländischen Abgeordneten, die die Unterlagen einsehen wollten, wurde die Einsicht verweigert.
Trotz all dieser Unklarheiten hat sich der ermittelnde niederländische Staatsanwalt Westerbeke entschlossen, Anklage zu erheben. Das Verfahren ist für März 2020 geplant und dürfte ein Farce werden, denn es wird ein Strafverfahren ohne Angeklagte. Die sind nämlich nicht auffindbar, vermutlich leben sie un Russland, aber Russland liefert seine Bürger nicht ans Ausland aus. Es wird also ein Verfahren ohne Angeklagte und damit ohne Verteidigung.
Die Faktenlage ist dünn, Westerbeke hat keine belastbaren Beweise vorgelegt, sondern stützt sich im Wesentlichen auf vom ukrainischen Geheimdienst abgehörte Telefonate. Deren Echtheit wird aber angezweifelt, Experten haben in den Tonspuren deutliche Hinweise auf Manipulationen gefunden. Und der ukrainische Geheimdienst ist schon oft mit gefälschten „Beweisen“ erwischt worden, man arbeitet dort nicht allzu akkurat.
Expertisen und andere Beweise dafür, dass die Ukraine falsche Informationen geliefert hat, was eine private Ermittlung ans Licht gebracht hat, wurden von den niederländischen Ermittlungsbehörden nicht angenommen.
Malaysias Regierungschef hat die vorgelegten „Beweise“ der Holländer als „lächerlich“ bezeichnet. Andere malaysische Politiker, die an den Ermittlungen beteiligt waren, haben die Ermittlungen als „politisiert“ bezeichnet und berichtet, dass die Ermittler einseitig nach einer Schuld Russlands gesucht haben, anstatt objektiv in alle Richtungen zu ermitteln.
Vor einem Monat hat Malaysia sogar öffentlich empfohlen, die Mitschnitte des ukrainischen Geheimdienst nicht zu verwenden, man hält sie auch in Malaysia für Fälschungen. Und gerade heute hat der malaysische Ministerpräsident erneut die Ergebnisse angezweifelt. Vor Journalisten sagte er, die Resulte seien „nicht richtig“.
Um eine Blamage abzuwenden, braucht der niederländische Staatsanwalt nun jeden Strohhalm. Im Juni hat der ukrainische Geheimdienst einen Mann aus Donezk verschleppt und in die Ukraine gebracht, wo er in Haft saß. Er soll Kommandeur einer Flugabwehrbrigade der Rebellen gewesen sein und als Zeuge aussagen, vielleicht soll er auch angeklagt werden.
Die Ukraine verhandelt derzeit mit den Rebellen und Russland über einen großen Gefangenenaustausch. Und natürlich kam auch dieser verschleppte Mann, Vladimir Tsemach, auf die Liste derer, die die Rebellen wieder in Freiheit sehen wollen. Man liest (natürlich nicht Deutschland, da gibt es ja keine Berichte darüber) immer wieder, dass Russland ihn auf die Liste gesetzt habe, es waren aber die Rebellen.
Da der Staatsanwalt aber jeden Strohhalm braucht, haben sich sogar Abgeordnete des EU-Parlaments schriftlich mit der Bitte an Präsident Selensky gewandt, Tsemach auf keinen Fall freizulassen oder auszutauschen. Trotzdem wurde er heute überraschend von einem Kiewer Gericht aus der Untersuchungshaft entlassen.
Bleibt abzuwarten, wie es in diesem Polit-Thriller weitergeht und wann die deutschen Medien das Thema mal wieder für sich entdecken.
Vor allem aber bleibt spannend, mit welchen „Beweisen“ Staatsanwalt Westerbeke das Gericht überzeugen möchte: Beweise gibt es keine und es besteht die Gefahr, dass der Staatsanwalt und die Ermittler sich einem fairen Verfahren bis auf die Knochen blamieren.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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