Die Berliner Morgenpost meldete schon im März diesen Jahres, dass laut Justizsenator Dirk Behrendt (die Grünen) ein Teil der Sicherungsverwahrten sich bei günstigen Prognosen künftig frei in Berlin bewegen können sollen.
Verurteilte Straftäter in Sicherheitsverwahrung sind Täter, bei denen das Gericht aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit angeordnet hat, dass sie auch nach Verbüßen ihrer Strafe weiterhin – zum Schutz der Allgemeinheit – in besonderen abgeschlossenen Unterkünften untergebracht werden. Sicherungsverwahrung ist eine besondere Form des Freiheitsentzuges. Die Sicherungsverwahrung muss vom Gericht schon im Urteil zur Haftstrafe festgelegt werden. Gerichte ordnen Sicherungsverwahrung nur an, wenn alle Prognosen zu dem Ergebnis geführt haben, dass ein Straftäter auch nach Verbüßung seiner Strafe zu weiteren Straftaten neigt und eine große Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Seit einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes müssen in der Sicherungsverwahrung die Betroffenen jährlich neu überprüft werden. Außerdem müssen sich die Bedingungen erheblich von regulären Haftbedingungen unterscheiden.
Das bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht nicht dahingehend geurteilt hat, dass für jeden Sicherungsverwahrten eine Möglichkeit zum offenen Vollzug geschaffen werden muss. In dem Urteil wurden lediglich gelockerte Bedingungen nach dem Ende der verhängten Strafhaft verlangt, aber auch dies in einer immer noch absolut kontrollierten Umgebung. Wie viele JVA-Bedienstete müssten dann für die angedachten 15 Schwerkriminellen im offenen Vollzug eingesetzt werden, um Flucht oder Straftaten wirksam zu verhindern, und geht das überhaupt? Die Leute in der Nachbarschaft der JVA fragen zu Recht, ob es denn sein muss, dass so ein Feldversuch mit ungewissem Ausgang in unmittelbarer Nachbarschaft zu Familien mit Kindern durchgeführt wird?
Berlins Ex-Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) findet das auch unangebracht: „Ich halte es nicht für sinnvoll, diese Überprüfung im Rahmen eines offenen Vollzuges und aller damit verbundenen Gefährdungen vorzunehmen.“
Es sind Gewalttäter, Mörder und Sexualstraftäter, die schon mehrfach straffällig geworden sind, bei denen Gutachter und ein Gericht diese präventive, freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung verhängen. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung erklärt die Berliner Senatsjustizverwaltung, dass alle infrage kommenden Sicherungsverwahrten wegen „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Gewaltdelikten“ verurteilt wurden. Einige dieser Täter sollen in Zukunft auch im offenen Vollzug untergebracht werden und sollen sich (unter Begleitung) tagsüber frei in der Stadt bewegen können. Wie Justizsenator Dirk Behrendt damals mitteilte, sollen einige dieser sogenannten Sicherungsverwahrten künftig in einer dann zur Verfügung zu stellenden, neuen offenen Vollzugs-Einrichtung außerhalb der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, an der Seidelstraße, leben.
In Berlin gibt es zurzeit 50 Sicherungsverwahrte, die nach Einschätzung der Gutachter wegen der Schwere und Brutalität ihrer Taten immer noch eine erhebliche Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Sie wohnen bisher getrennt von den normalen Strafgefangenen in Unterbringung auf dem Gelände der JVA Tegel und dürfen diese Einrichtung auch nicht verlassen. Die jährliche Überprüfung, ob eine weitere Verwahrung noch nötig ist, wird von der Strafvollstreckungskammer durchgeführt. Psychologische Gutachten entscheiden jährlich darüber, ob die prognostizierte Gefährlichkeit des Täters weiterhin gegeben ist.
Der Gesetzgeber habe schon seit Jahren solche Einrichtungen gefordert, die Vorgaben hätten schon seit 2013 umgesetzt werden müssen, heißt es. Justizsenator Dirk Behrendt legte Wert auf die Feststellung, dass diese gesetzliche Bestimmung noch zu Zeiten der SPD-CDU-Koalition vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden war. Offenbar möchte der Grünenpolitiker nicht als Initiator der offenen Doppelhaus-Sicherungsverwahrung verantwortlich gemacht werden. In dem besagten CDU-SPD-Gesetz steht, dass die in Frage kommenden Sicherungsverwahrten „vor allem zur Entlassungsvorbereitung im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.“
Den Plänen des grünen Senators zufolge soll jetzt tatsächlich eine solche Einrichtung in der JVA Berlin-Tegel mit so einem Pilotprojekt starten. Sicherungsverwahrte, bei denen die Anstaltsleitung von ihrer baldigen Entlassung ausgeht, so schrieb damals schon die „Berliner Morgenpost“ sollen dafür eine Doppelhaushälfte beziehen, in der früher Beamte aus dem Strafvollzug gewohnt haben. Es soll dann Wohnraum für acht bis zehn Sicherungsverwahrte geschaffen werden. Das Ganze werde ein bis zwei Millionen Euro kosten.
Der Plan, das war von vorneherein klar, würde wahrscheinlich auf heftigen Widerstand stoßen, denn in der Nachbarschaft wohnen ganz normale Leute mit Familie und Kindern in den Mietshäusern, die ziemlich sicher nicht angetan sein werden von der neuen Nachbarschaft. Die Idylle in den Doppelhaushälften und netten Gärten rundherum dürfte dabei vielleicht etwas leiden. „Uns ist bewusst, dass eine Einrichtung des offenen Vollzuges für Sicherungsverwahrte Fragen und Befürchtungen aufwirft“, räumt daher der Leiter der JVA, Martin Riemer, ein.
Letzte Woche lud die JVA Tegel die Anwohner zu einem Informationsabend im Kulturraum in der JVA ein. Etwa 400 Anwohner wurden eingeladen, 100 waren gekommen und sie alle sahen wenig glücklich aus. Die Berliner Morgenpost berichtet:
„Es dauerte fast eineinhalb Stunden, bevor sich dann doch hörbar Unmut breit machte. ‚Das haben sich die Straftäter doch selber eingebrockt und jetzt wird ihnen der rote Teppich ausgerollt‘, beschwerte sich ein Anwohner. ‚Ich werde mein Kind sicher nicht in Kontakt mit Sexualstraftätern treten lassen.‘ Eine Anwohnerin raunte: ‚Die Kinder werden denen ja auf dem Silbertablett präsentiert.‘“
Was die 48 Sicherungsverwahrten in Zukunft dürfen und können und wie man mit diesen Menschen umgehen wird, das erklärte die Leiterin der Abteilung für „besonders schwere Fälle“ der JVA Tegel, Kerstin Becker. Es wird nicht verschwiegen, dass von diesen Männern auch nach ihrer Freilassung eine erhebliche Gefahr ausgehen werde. Zwei Drittel dieser hoffnungsvollen Aspiranten sind Sexualstraftäter. Also genau die Klientel, deren Verstand und Einsichtsfähigkeit gegen übermächtige Triebe wenig Chancen hat, was ihr Vorleben eindrucksvoll beweist.
Seit 2013 wurden in Berlin 15 Sicherungsverwahrte aus der Haft entlassen, einer davon wurde rückfällig. Man habe ihn wegen eines Justizfehlers ohne Vorbereitungszeit entlassen müssen. Der Mann beging mehrere weitere Straftaten. Die anderen 14, die auf ihre Eignung geprüft wurden und eine Vorbereitungszeit durchliefen, seien nach ihrer Entlassung nicht mehr strafrechtlich auffällig geworden.
Dennoch räumt Kerstin Becker ein: „Niemand kann in deren Köpfe sehen.“ Tatsächlich liegt die Rückfälligkeitsrate von Straftätern bei fast fünfzig Prozent. Bei Räubern und Erpressern ist sie mit 72 Prozent besonders hoch, Mord und Totschlag begehen „nur“ 34 Prozent der entlassenen Straftäter. Der Großteil wiederholt jedoch nicht in die genau gleichen Taten. Nur 0,4 Prozent der Mörder morden wiederholt, begehen aber andere Delikte, wie Körperverletzung oder andere Gewaltdelikte. Bei Diebstahl ist jeder zweite ein Wiederholungstäter. Diese „Fakultät“ bleibt allerdings in ihrem Metier. Generell gilt: Männer haben höhere Rückfallraten als Frauen, jüngere höhere als ältere Täter, Verurteilte mit Vorstrafen höhere als nicht Vorbestrafte.
Die Berliner Zeitung bemerkt besorgt:
„Der Schutz der Bevölkerung vor Wiederholungstätern muss damit in diesen Fällen ein hervorgehobenes Ziel der Justizpolitik sein. In der öffentlichen Diskussion vermittelt die Berliner Justizverwaltung leider den Eindruck, diese Priorität zugunsten des Resozialisierungsgedanken zu stark in den Hintergrund zu drängen.“
Der Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP, Benjamin Jendro, kann dem ganzen Offenen-Vollzug-Projekt nur bedingt etwas abgewinnen:
„Unser Rechtsstaat setzt auf Resozialisierung. Die Möglichkeit des offenen Vollzugs ist im Regelfall hilfreich und folgerichtig, darf aber nie die Antwort auf Kapazitätsprobleme sein. Sicherungsverwahrung wird nicht umsonst angeordnet, sondern weil von diesen Straftätern belegbar eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht. Sie aber trotz dieser Einschätzung auf die Straße lassen zu wollen, ist grob fahrlässig und lässt sich keinem rechtschaffenen Bürger mehr erklären.“
Im Übrigen sei es ein Irrglaube, so Benjamin Jendro, man könne „derartige Personen außerhalb der Gefängnismauern und den damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen rund um die Uhr im Blick haben.“
Die Strategie der Abteilungsleiterin Becker, den Anwesenden Anrainern ihre Sorgen zu nehmen, ist zumindest originell: „In der JVA Tegel werden jeden Tag Häftlinge entlassen, sie sitzen neben ihnen in der U‑Bahn oder ziehen in ihre Nachbarwohnung ein.“
Dann aber führt sie ins Feld, dass diejenigen Sicherungsverwahrten, die für das Programm überhaupt in Frage kommen, sich einem Verfahren unterziehen müssen, dass in mehreren Jahren durch mehrere Stufen geht. Erst dann, sagt sie, wenn mehrere externe Gutachter, Psychiater und Psychologen und auch die Justizverwaltung übereinstimmen, dass sich der Kandidat „ernsthaft um die Veränderung seines Verhaltens bemühe“, dürfe er erstmals in Begleitung von JVA-Angestellten das Gefängnis verlassen und „draußen“, in der Stadt unterwegs sein. Funktioniert das, folgten weitere Untersuchungen und Prüfungen des Kandidaten, bevor weitere Hafterleichterungen möglich seien.
Nur, wenn dieses jahrelange Prozedere absolviert worden sei, gebe es den Übergang in den „Offenen Vollzug“. Dazu sind bisher nur drei Gefangene „qualifiziert“ worden. Alle drei seien, so Kerstin Becker, über sechzig Jahre alt und litten unter gesundheitlichen Problemen. Neun andere Gefangene seien in der Phase, in der sie in Begleitung von JVA-Bediensteten kurze Wege außerhalb der JVA unternehmen können, sei es für Erledigungen auf Behörden oder für eine ehrenamtliche Tätigkeit.
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