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Das Klima parkt in Weißenfels

Zuge­geben, um die Seg­nungen von Markt­wirt­schaft und Digi­ta­li­sierung zu erleben, fährt man nicht aus­ge­rechnet nach Wei­ßenfels in Sachsen-Anhalt. In der Gegend fliegt eine Brief­taube schneller als eine SMS, und nachdem sich unren­table Indus­trien in den frühen 90ern vom Acker gemacht haben, ziehen auch die Men­schen weg. Sicher, es kommen auch neue Bewohner hier her, aber das ist eine ganz andere Geschichte, die ein andermal erzählt sein soll. Da ich vor langer Zeit in Wei­ßenfels geboren wurde, inter­es­siert und berührt mich das Schicksal dieser Stadt immer noch stark und wenn ich sie von Zeit zu Zeit besuche, fallen mir Ver­än­de­rungen viel­leicht deut­licher auf als jemandem, der täg­lichen Umgang mit dieser kleinen Stadt an der Saale hat.
Die bau­lichen Ver­än­de­rungen sind all­gemein positiv und gigan­tisch, gerade wenn man den Stadtkern mit dem fast noch geschlos­senen barocken Gebäu­de­be­stand betrachtet. Doch abseits vom Zentrum sieht es immer noch recht trostlos aus. Man könnte ver­muten, die Stadt sei mitt­ler­weile einige Nummern zu groß geraten für ihre Bewohner und die Leis­tungs­fä­higkeit ihrer Steu­er­zahler. Umso erstaunter war ich, als ich von einem gerade erst fei­erlich seiner Bestimmung über­ge­benen Bau­vor­haben erfuhr: einem fun­kel­na­gel­neuen Kli­ma­park­platz.
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Liebe Leser, Sie kennen mich. Sie ahnen deshalb, was ich dachte: „Das ist doch Ver­arsche!“ Als mir dann auch noch einige Schon­län­ger­hier­le­bende berich­teten, dass sich für den Park­platz „Keene Sau int’ressiert“, war meine Neugier geweckt. Also erst mal ins Netz und nach dem welt­weiten Medi­enecho gesucht, denn wenn es nun einen Ort gibt, an dem das Klima parken kann, ist das doch sicher eine ganz große Sache. Und tat­sächlich: der Prantl­hauser Beob­achter widmet dem Ereignis die Über­nahme einer AP-Meldung:
Ein rund 1,78 Mil­lionen Euro teurer soge­nannter Kli­ma­park­platz, der zum Umwelt­schutz bei­tragen soll, ist in Wei­ßenfels über­geben worden. Auf 4900 Qua­drat­metern Fläche stünden […] 84 Park­plätze, zwei Wohn­mo­bil­stell­plätze und 84 Stell­plätze für Fahr­räder zur Ver­fügung, teilte die Stadt­ver­waltung […] mit. An vier Park­plätzen seien Elek­tro­la­de­säulen ein­ge­richtet worden. Beleuchtet werde der Platz mit ener­gie­spa­renden LED-Lampen, zudem seien die Fahr­rad­stell­plätze mit einem Solardach überdacht.
Der Augen­schein bestätigt sowohl die AP-Meldung in der SZ also auch das Urteil der Ein­wohner: „Ich fahre da täglich mehrmals dran vorbei und habe noch niemals auch nur ein ein­ziges Fahrrad gesehen. Oder mal’n Auto.“ Nun, Autos parken da tat­sächlich kaum. Außer meinem, welches nicht zählt, denn ich war ja nur wegen des Park­platzes dort, waren am Samstag noch drei weitere Autos auf dem Platz. Ein Fahrrad hin­gegen oder ein E‑Auto auf Lade­mission war weit und breit nicht zu sehen.
Es stellt sich natürlich die Frage, warum um alles in der Welt dort über­haupt Autos parken sollten, ganz zu schweigen von der Frage, wer dort Fahr­räder in Massen abstellen soll und warum eigentlich? Es gibt dort buch­stäblich nichts, kein Ein­kaufs­zentrum, keinen Super­markt, kein Restaurant. Der Bahnhof liegt weit weg auf der anderen Seite der Saale und der benach­barte Kreis­verkehr unterhalb der Saa­le­brücke lädt auch nicht gerade zum Ver­weilen ein. Alles an diesem Ort ruft „nichts wie weg hier“. Ein Ein­druck, den selbst der ein­la­dendste Kli­ma­park­platz nicht zu ver­scheuchen vermag.
Liest man weiter im Artikel der SZ, kommt einem die makabre Idee, es soll ohnehin niemand mit seinem Fahrzeug die edlen Pflas­ter­steine beschatten.
Die auf dem Park­platz ver­legten Beton­pflas­ter­steine seien mit einer Titan­dioxid-Schicht ver­sehen, die eine soge­nannte Pho­to­ka­talyse ermög­lichen: Durch den Einfall von Licht würden dabei umwelt­schäd­liche Stick­oxide in unbe­denk­liche Nitrate umgewandelt.“ 
Das klappt natürlich nur, wenn das Son­nen­licht den Pflas­ter­stein erreicht, weil ihm kein Auto, Fahrrad oder Solardach im Wege steht. Mit anderen Worten, ein Park­platz ist nur solange ein Kli­ma­park­platz, wie kein Auto darauf parkt. Außerdem – aber das ist der allzeit alerten Presse sicher klar – sind Nitrate nur solange unbe­denklich, bis sie ins Grund­wasser gelangen und dem Bauern als Umwelt­ver­schmutzung in die Gum­mi­stiefel geschoben werden können. Der hat in Wei­ßenfels nun eine Ausrede: Es war nicht die Gülle, sondern der Parkplatz!
Ob die ver­edelten Pflas­ter­steine ihrem luft­ver­bes­sernden Tagwerk nach­gehen können, hängt natürlich sowieso vom Wetter ab. Bei Son­nen­schein haben Stick­oxide in der unteren Atmo­sphäre nämlich nur eine Lebens­dauer von wenigen Stunden bis Tagen und die Stadt­rei­nigung wird in Wei­ßenfels alle Hände und Besen voll zu tun haben, damit den Steinen noch Kli­ma­arbeit übrig bleibt. Auch die Ange­wohnheit, dass Schmutz, Staub, Schnee, Sand, Laub und Kau­gummi sich auf den Pflas­ter­steinen sammeln, ver­mindert deren kata­ly­tische Zau­ber­kraft erheblich.
Aber es ist wohl ohnehin der falsche Ansatz, aus der beab­sich­tigten (medialen) Wirkung des Stra­ßen­be­lages, der solar­be­trie­benen Beleuchtung oder des Bedarfs an Stell­flächen für Rad, Renault und Rost­laube auf den Grund zu schließen, warum fast 1,8 Mil­lionen Euro im Wei­ßen­felser Saa­lesand ver­buddelt werden musste. SZ weiter:
Das Bau­vor­haben Kli­ma­park­platz wurde den Angaben zufolge durch den euro­päi­schen Fond für regionale Ent­wicklung des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. Die 93 Prozent För­derung betrage etwa 1,66 Mil­lionen Euro. Die rest­lichen Kosten hat die Stadt Wei­ßenfels der Mit­teilung nach aus Eigen­mitteln finanziert.“
Stolze 93% dieser solar­be­leuch­teten, titan­di­oxid­be­schich­teten Pflas­ter­stein­wüste hat also die EU bezahlt. Geld, dass nur scheinbar nie­mandem weg­ge­nommen wurde, weil die riesige Farm, auf der dies Geld zusam­men­ge­klaubt wurde, von Lis­sabon bis Tallinn reicht. Ein­ge­setzt wurde es in Wei­ßenfels indes für ein Projekt, von dem tat­sächlich niemand etwas hat. Also nichts als Ver­geudung für das Symbol eines Pro­blems, welches in der Rang­folge für Wei­ßenfels nach dem Verfall der Bau­sub­stanz in der Peri­pherie, Wegzug und schwin­dender Kauf­kraft, Ver­kehrs­wegen, Arbeits­plätzen, Kom­mu­ni­kation, Sicherheit und sicher 99 anderen Dingen höchstens unter „weit, weit weg“ rubriziert.
Doch gäbe es das „Problem” nicht, gäbe es auch die Mittel nicht. Das gilt für Kli­ma­schutz­maß­nahmen nicht nur in Wei­ßenfels. Und da man „Mittel” nunmal so gern hat, muss es das Problem einfach geben. Man darf auch annehmen, dass der groß­zügige Mit­tel­einsatz als voller Erfolg nach Brüssel gemeldet wurde, dass das Klima nun am liebsten in Wei­ßenfels parken wird und dass die Ein­wohner der Stadt ihre Dank­barkeit für Brüs­seler För­der­pro­gramme kaum in Worte fassen können. In der hie­sigen Mundart drückt man diese Dank­barkeit übrigens so aus: „Dos is dor lätze Schais”.
Mich hin­gegen beschleicht die Ver­mutung, es hier weniger mit einer gewon­nenen Kli­ma­schlacht an der Saal­e­front als vielmehr mit einer typi­schen Fehl­leitung der Mittel zu tun zu haben. Die Fehl­al­lo­kation von Res­sourcen ist nämlich ein wesent­liches Merkmal sozia­lis­ti­scher Plan­wirt­schaft, zu welcher sich die Brüs­seler Büro­kratie längst her­ab­ge­schwungen hat. Nicht immer absichtlich, so meine freund­liche Unter­stellung! Doch die Ent­fernung zwi­schen zen­tra­lis­ti­scher Büro­kratie und geradezu schild­aesker Bedarfs­vor­täu­schung ver­un­mög­licht jede ehr­liche Kom­mu­ni­kation. Und was schert es schon einen EU-Kom­missar, der einem durch Proporz zusam­men­geta­ckerten Ressort vor­steht, was von EU-Mitteln in einer Klein­stadt in Sachsen-Anhalt gebaut wird?
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Dort nimmt man gern das Geld, das eben da ist und liefert dafür die Begrün­dungen, die benötigt werden, damit die Papiere „stimmen”. Ich hatte einst selbst das „Ver­gnügen“, in den späten 90ern Jahr für Jahr ver­geblich um EU-Mittel für ein Projekt der Jugend­arbeit zu kämpfen, was immer wieder mit dem Hinweis abge­schmettert wurde, man fördere dieser Jahre nur die Errichtung oder Sanierung von Toi­letten, ich solle meine Anträge doch dahin­gehend umfor­mu­lieren. Dieses Spiel der Täu­schungen und der posi­tiven Bericht­erstattung kannte ich nur zu gut aus der DDR und war fas­sungslos, dass es nun im EU-Maßstab so wei­terlief. Ohne mich.
Was für die EU in den 90er Jahren Toi­letten für Jugend­arbeit waren, das ist heute der Kli­ma­schutz für so manche sinnlose städ­te­bau­liche Maß­nahme. Noch der größte Koko­lores kann heute eine groß­zügige finan­zielle För­derung erhalten, wenn im Antrag irgendwas von „solar“, „Stick­oxid­ver­nichtung“, „CO2” oder „E‑Mobil“ steht. Und sei es, um in Wei­ßenfels einen Kli­ma­park­platz zu errichten, den niemand haben wollte, den fast niemand benutzt und der dem Klima gepflegt am sta­tis­ti­schen Rau­schen vorbei geht.
Viel­leicht sollte ich ja wieder Jugend­arbeit betreiben. Aber nicht wie einst, als ich mit wenig Mitteln ver­suchte, der Jugend Astro­nomie und Raum­fahrt nahe zu bringen. Heute wäre es wohl oppor­tuner, die Frei­tags­kindern mit einer titan­di­oxid­hal­tigen Creme zu bestreichen, damit sie beim Demons­trieren eine aktive Rolle bei der Umwandlung gefähr­licher Stick­oxide in harmlose Nitrate spielen können. Ich finde, dafür sollte die EU dringend Gelder locker machen. Ich könnte das sogar wort­reich begründen, wenn man mir nur das Töpfchen nennt, aus dem es zu schlecken gilt.

Der Autor Roger Letsch ver­öf­fent­licht seine sehr lesens­werten Bei­träge auf www.unbesorgt.de