Klaus Regling ist seit 2010 Chef des Euro-Rettungsfonds. Der mit 700 Milliarden Euro ausgestattete Fonds kann Staaten, die den Zugang zum Finanzmarkt verloren haben, Kredite unter Auflagen gewähren. Künftig sollen die Mittel des ESM auch als finanzielles Sicherheitsnetz für die Bankenabwicklung eingesetzt werden können. Die NZZ hat mit ihm gesprochen und wenig verwunderlich erklärt er den Sieg über die Eurokrise und macht sich über die Kritiker lustig, die den „Teufel an die Wand gemalt“ hätten und „Hyperinflation, Rechtsbrechung, riesige Verluste“. Zumindest Rechtsbruch war es bis jetzt schon, würde ich sagen. Aber egal, schauen wir uns das Interview mal an:
- „NZZ: Herr Regling, ist die Europäische Währungsunion eine Schönwetterkonstruktion? Nein. Der Euro-Raum ist trotz Krise zusammengeblieben. Kein Land trat aus. (…) Die Staaten, die den Marktzugang verloren hatten, haben hart gearbeitet, um an den Markt zurückzukehren.“ – Stelter: Schon hier könnte man Zweifel anbringen. War es die Disziplin oder doch eher der Kollege Draghi, der im großen Stil aufgekauft hat und damit den Markt ersetzt?
- „Schauen Sie nach Portugal. Das Land verlor in der Krise den Marktzugang und erhielt von uns einen Kredit über 26 Mrd. €. Das Land nahm harte Anpassungsmassnahmen vor mit Kürzung von Einkommen und Pensionen. Heute hat Portugal fast einen ausgeglichenen Haushalt, ein gutes Wachstum und eine Arbeitslosigkeit, die niedriger ist als vor der Krise.“ – Stelter: immer noch eine hohe private und staatliche Verschuldung und schwache Produktivität. Das Land hat keine nachhaltige Zukunft, wie ein Blick auf die Innovationsfähigkeit beweist. Es kann damit im starren Gerüst des Euro nicht auf Dauer funktionieren.
- „Schauen Sie nach Griechenland. Dort sehen wir wieder Wachstum. Seit drei Jahren sehen wir auch einen Überschuss im Gesamthaushalt. Die Arbeitslosenquote ist mehr als zehn Prozentpunkte niedriger als zum Höhepunkt der Krise Ende 2013. Die Bevölkerung hat sogar eine populistische Regierung abgewählt und eine reformorientierte Regierung gewählt.“ – Stelter: Und der Staat zahlt weniger Zinsen als die USA. Ist das wirklich ein rationales Marktverhalten? Recht hat Regling, alles mit billigem Geld zu verdecken, weil wir heute im Unterschied von vor zehn Jahren Konsens haben. Deshalb ist das Europroblem vordergründig gelöst und man braucht auch den ESM nicht mehr, löst doch die EZB alle Probleme.
- „Italien ist ein Sonderfall. Es war nie wirklich in der Krise und verlor nie den Marktzugang. Das Land hat einen Leistungsbilanzüberschuss. Dies bedeutet, es braucht kein ausländisches Kapital, um das Defizit zu finanzieren. Italien ist auch deshalb ein Sonderfall, weil es seit zwanzig Jahren nicht einmal halb so schnell wie der Euro-Raum wächst. Entsprechend schwierig ist es, den Schuldenstand abzubauen.“ – Stelter: Vor allem hat das Land immer mehr gespart als wir Deutschen. Das Problem ist, dass Italien im Gerüst des Euro nicht wirklich wieder wettbewerbsfähig werden kann. Und damit werden die Spannungen unweigerlich wieder zunehmen.
- „Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Zentralisiert ist die Geldpolitik, nicht aber die Fiskalpolitik. Das kann funktionieren, aber man muss koordinieren. Diese Koordination klappt nicht immer hundertprozentig, aber sie klappt einigermassen. Im vergangenen Jahr hatte der Euro-Raum ein Haushaltdefizit von 0,5% des BIP, die USA eines von rund 6%. Kommt es zu einer Krise, kann der Euro-Raum finanzpolitisch reagieren.“ – Stelter: Frankreich hatte ein Defizit von über drei Prozent, Deutschland einen Überschuss. Natürlich können die Deutschen, obwohl sie deutlich ärmer sind und in einem Land mit deutlich schlechterer öffentlicher Infrastruktur als die Franzosen leben, dann mal locker die Schulden Frankreichs mitübernehmen. Erschließt sich nicht schon aus diesem Umstand die Erkenntnis, dass das mit der gelungenen Rettung nicht so ganz stimmt?
- „Ob Sanktionen verhängt wurden, kann nicht der Massstab dafür sein, dass etwas funktioniert. Es gibt ja auch Sanktionen im Strassenverkehr, wenn man zu schnell fährt. Nur weil jemand noch nie eine Busse erhalten hat, kann man nicht sagen, die Sanktionen beeinflussten sein Verhalten im Strassenverkehr nicht.“ – Stelter: Da sitzt also ein Vertreter der Exekutive und sagt allen Ernstes, dass es kein Problem ist, wenn Regeln nicht durchgesetzt werden? Knapper kann man nicht zeigen, dass die EU und vor allem der Euroraum nicht regelbasiert funktionieren.
- „Die Klausel wurde nie verletzt. Das belegen fünf Urteile des Deutschen Bundesverfassungsgerichts und drei Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Wie gesagt, in Deutschland wurde während der Krise exzessive Kritik geäussert. Man hat den Teufel an die Wand gemalt: Hyperinflation, Rechtsbrechung, riesige Verluste – was alles nicht eintraf. Dadurch haben diese Fundamentalkritiker an Glaubwürdigkeit verloren.“ – Stelter: Ich habe immer wieder geschrieben, dass Gerichte die falsche Instanz sind. Deshalb kann man auch nicht erwarten, dass sie einseitig den Stecker am Europrojekt ziehen. Ich denke, das politisch besetzte Verfassungsgericht war sich dieses Dilemmas durchaus bewusst.
- „Der Euro ist die zweitwichtigste Währung im internationalen Währungssystem. Seine Bedeutung steigt. Das ist aber ein gradueller und langsamer Prozess, der früher eingesetzt hätte, wenn wir die Euro-Krise nicht gehabt hätten. Doch das Interesse am Euro nimmt zu.“ – Stelter: Kleiner Faktenhinweis, der Euro hat einen Anteil an den Weltwährungsreserven wie die D‑Mark früher. Franc, Lira und Peseten hatten den auch mal. Folglich hat das Gewicht des Euro abgenommen, nicht zugenommen!
- „Es gibt heute keine massiven makroökonomischen Ungleichgewichte in irgendeinem Land der Währungsunion. Vor zehn Jahren hatten wir ein halbes Dutzend Staaten mit Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten von über 10% des BIP.“ – Stelter: O. k., wer wirklich wissen will, wie es um die Eurozone steht, der schaut sich mehr Indikatoren an. Den Service biete ich hier:
→ Best-of bto 2018: IWF zeigt, dass Eurozone nicht funktioniert
→ Eurozone: Fakten statt Ökonomen-Träume
→ Selbst der Ex-Chefvolkswirt des IWF erkennt, dass eine Fiskalunion den Euro nicht retten kann
→ Sieben (gute) Thesen zur Eurozone
→ Die EU darf kein Elitenprojekt bleiben
→ Eurokrise: Die GroKo folgt den falschen Rezepten
→ ifo-Schnelldienst: Zehn Gründe, warum die Deutschen nicht die Gewinner des Euros sind
→ Die Illusion der Eurorettung
- „NZZ: Worauf führen Sie die Stabilisierung zurück? Wir haben eine Bankenunion geschaffen, mit einer europäischen Aufsicht für die fast 120 systemisch wichtigsten Banken. Das Kapital der Banken ist heute doppelt so hoch wie vor zehn Jahren, das sind fast 500 Mrd. € mehr. Und wir haben den Euro-Rettungsschirm ESM kreiert.“ – Stelter: Der Markt traut den Banken jedenfalls nicht und auch Studien wie die des ZEW zeigen, dass es wohl eher Hoffnung als Realität ist.
- „Zur Stabilisierung haben wir im Krisenfall derzeit nur die nationalen fiskalischen Puffer. Diese sollten ergänzt werden durch einen europäischen Fiskal-Puffer. Die Hilfen müssten über den Konjunkturzyklus zurückbezahlt werden.“ – Stelter: Frankreich jubelt, denn wir haben oben ja gesehen, dass man Regeln nicht durchsetzen muss. Dies bedeutet kassieren, ohne zurückzuzahlen.
- „NZZ: Wäre ein staatlicher Insolvenzmechanismus verbunden mit der Drohung, dass ein Land aus der Währungsunion ausscheidet, wenn es zahlungsunfähig ist, keine Alternative zum ESM? – Beides wären massive Eingriffe in die Eigentumsrechte und in die Märkte. Zu meinen, das machte in einer Krise die Dinge einfacher als das, was wir jetzt aufgebaut haben, ist sehr verwegen.“ – Stelter: Da ist es doch besser, in die Eigentumsrechte der Steuerzahler einzugreifen – oder? Ich finde die Argumentation schon intellektuell schwach.
- „Für ein gutes Funktionieren der Währungsunion ist diese Unumkehrbarkeit notwendig. (…) Deshalb gibt es auch nur Geld gegen Auflagen für die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Diese Konditionalität ist ein massiver Eingriff in die Souveränität der Staaten.“ – Stelter: Aber wenn man sie nicht durchsetzt?
- „Wir versorgen Griechenland fünfzig Jahre lang mit sehr günstigen Krediten. Letztlich wirken diese Erleichterungen für Griechenland wie ein Schuldenschnitt. Aber dieses Vorgehen ist innerhalb der Währungsunion eben zulässig und führt zu keinen Kosten in den anderen Mitgliedstaaten.“ – Stelter: Wie kann ein Schnitt nicht zu Kosten führen? Das ist die Fortsetzung der Lügenpolitik der Bundesregierung. Ich erinnere daran, dass die große Lüge eine deutsche ist:
→ Griechenland: die Lüge der gewinnbringenden „Rettung“
- „NZZ: Allerdings gibt es den Vorwurf, dass man das Problem mit so langen Tilgungsfristen einfach schönrechnet. Es ist kein Schönrechnen. Griechenlands Schulden sind tragfähig, weil dem Land eine massive Entlastung gewährt wird. Im letzten Jahr betrug diese Haushaltsentlastung 13 Mrd. €. Das sind 7% des BIP. Und diese Entlastung, kombiniert mit einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, bringt das Wachstum zurück, womit die Schuldentragfähigkeit erreichbar ist. Aber es dauert einige Jahrzehnte.“ – Stelter: Deutsche Steuerzahler subventionieren Griechenland, nachdem sie dort französische Banken rausgehauen haben.
- „NZZ: Griechenland bezahlt derzeit für zehnjährige Staatsschulden einen Zins von nur 1,17%. Sind die Anleger schon wieder leichtsinnig? Nein, es ist vielmehr ein Zeichen, dass Griechenland eine glaubwürdige Politik macht. Deshalb schwimmt Griechenland wieder mit an den Finanzmärkten. Es zahlt ja eine Prämie, die Zinsen sind 156 Basispunkte höher als in Deutschland. Diese niedrige Prämie zeigt, dass Griechenland an den Märkten wieder als wettbewerbsfähig wahrgenommen wird.“ – Stelter: weniger als die USA?? Hm.
Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com
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