Noch stellen die IS-Heimkehrer kein großes Problem dar, denn der IS in Syrien wurde militärisch besiegt und seine Kämpfer sind entweder tot oder sitzen in Gefängnissen und Lagern in Syrien und dem Irak. Das abstruse an der Situation ist, dass die deutsche Politik ratlos ist, was mit den deutschen Staatsbürgern unter ihnen geschehen soll. Einerseits will man sie nicht in Deutschland haben, denn es wird schwierig, ihnen vor deutschen Gerichten den Prozess zu machen, fernab der Zeugen und Tatorte. Andererseits will man sie auch nicht unbedingt vor Ort lassen, weil ihnen dort die Todesstrafe droht.
Bisher konnte man das Problem in Berlin aussitzen, denn noch hat niemand ernsthaft angekündigt, die dort gefangenen deutschen Staatsbürger, die auf Seiten des IS gekämpft haben, nach Hause zu schicken. Das ändert sich gerade.
Nach der Einigung von Putin und Erdogan über Syrien fallen die kurdisch kontrollierten Gebiete, wo die meisten der IS-Anhänger inhaftiert sind, wieder langsam unter syrische Kontrolle. Und in Syrien scheint man nicht gewillt zu sein, ausländische Staatsangehörige in Gefängnisse länger als nötig zu versorgen. Der Westen hat Sanktionen gegen Syrien verhängt, was der Wirtschaft schadet, da ist es verständlich, dass Syrien der EU nicht den Gefallen tun will, die Leute auf eigene Kosten zu versorgen. Immerhin geht es um Tausende IS-Kämpfer und ihre Familien, die nicht minder radikal sind. Und da der Westen den Krieg angezettelt und die Islamisten unterstützt hat, hat Syrien keinen Grund, in dieser Frage allzu nett zum Westen zu sein und für ein Problem zu bezahlen, dass der Westen geschaffen hat.
Am Sonntag konnte man im russischen Fernsehen über den Umgang mit den IS-Kämpfern, die dort in Lagern interniert sind, hören:
„Die Terroristen in den Gefängnissen werden nach Ländern „sortiert“ und an die Behörden der Länder übergeben, aus denen sie nach Syrien gekommen sind. Dabei geht es um die Europäische Union, die GUS und sogar China.“
Aber es ist nicht nur Syrien, das betroffen ist. Auch in den syrischen Gebieten, die nun von der Türkei kontrolliert werden, sind Gefängnisse mit IS-Kämpfern. Und auch die Türkei hat bereits kurz nach Beginn ihrer militärischen Operation angekündigt, die ausländischen Islamisten, die in ihre Hand fallen, in die Herkunftsländer zurückzuschicken. Die Türkei nannte dabei explizit die „Länder des Westens“ und die „Länder der EU, aus denen die Kämpfer des IS und der PKK gekommen sind„.
Alleine aus Deutschland sind es wahrscheinlich über Tausend radikale Menschen mit deutschem Pass, die man nach Deutschland zurückschicken will.
Einige Länder haben bereits reagiert. Dänemark hat ein Gesetz erlassen, dass es ermöglicht, den Betroffenen die dänische Staatsangehörigkeit abzuerkennen, wenn sie noch eine andere Staatsangehörigkeit haben. Man will diese Leute nicht zurücknehmen. In Deutschland gibt es noch keine öffentlich bekannten Pläne, wie mit dem Problem umgegangen werden soll.
Im Zuge der türkischen Operation sollen schon IS-Kämpfer aus Gefängnissen in Nordsyrien entkommen sein, weil entweder die Gefängnisse beschossen und beschädigt wurden und die Betroffenen einfach durch Löcher in der Wand herausspazieren konnten, oder weil die Kurden die Wachmannschaften abgezogen hatten, die an der Front gebraucht wurden. Zahlen dazu liegen nicht vor, aber es gibt dazu übereinstimmende Meldungen.
In Deutschland ist man sich der Gefahr bewusst, wie man am 22. Oktober im Spiegel dazu lesen konnte:
„In Syrien sind auch deutsche Anhänger des „Islamischen Staats“ (IS) aus der Haft freigekommen. Das bestätigt das Auswärtige Amt auf eine schriftliche Frage des FDP-Bundestagsabgeordneten Benjamin Strasser. „Die der Bundesregierung vorliegenden Informationen legen nahe“, heißt es darin, „dass sich unter den aus kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien entkommenen IS-Anhängerinnen und ‑Anhängern auch deutsche Staatsangehörige befinden.“ Zahlen nannte die Regierung keine. (…) „Wir müssen von einem kaum kalkulierbaren Sicherheitsrisiko ausgehen, wenn deutsche IS-Kämpfer aus syrischen Gefangenlagern geflohen sind“, sagt der FDP-Innenexperte Strasser. Er wirft der Bundesregierung Versagen vor: „Dieses Problem würde nicht bestehen, wenn man den Umgang mit den in Syrien internierten Deutschen nicht auf die lange Bank geschoben und sich um eine Entscheidung gedrückt hätte.““
Aber komischerweise gibt es in Deutschland bisher keine Berichte darüber, dass eine viel größere Zahl von IS-Terroristen nach Deutschland geschickt werden könnte und niemand weiß, was man mit ihnen anfangen soll, wenn sie in Deutschland aus Mangel an Beweise nicht verurteilt werden können. Da sind die paar einzelnen Terroristen, die in Nordsyrien aus den Gefängnissen weggelaufen sind, ein Witz im Vergleich zum Beispiel zum Lager Al-Hol, in dem 70.000 Menschen interniert sind, zum Großteil IS-Leute und ihre Familien.
Die Berichterstattung am 22. Oktober hatte wohl eher den Grund, die völkerrechtswidrige Operation der Türkei zu kritisieren, als sich ernsthaft mit dem Problem der IS-Heimkehrer zu beschäftigen.
Wie groß das Problem der Flüchtlinge ohnehin schon ist, kann man in Deutschland in der Kriminalstatistik nachlesen. Das habe ich hier im Detail analysiert.
In Deutschland gab es übrigens in den letzten Jahren mehr Terroranschläge, als in den 1970er Jahren durch die RAF. In den vier Jahren der „Hochphase“ der RAF zwischen 1976 und 1979 gab es in Deutschland 128 Terroranschläge, in den vier Jahren zwischen 2014 und 2017 waren 149.
Aber was in Deutschland vor sich geht ist ein Witz im Vergleich zu Dänemark und Schweden. Ausländische Banden führen dort Terroranschläge durch und kämpfen in den Städten mit Handgranaten und Gewehren gegeneinander. Alleine in Kopenhagen gab es 2019 bereits 15 Explosionen und in Schweden waren es landesweit 120 im ersten Halbjahr, was einen Anstieg um 45 Prozent zum Vorjahr bedeutet.
Und da sind die IS-Heimkehrer, die noch in Syrien sitzen, noch gar nicht dabei.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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