Es war das Problem mangelhafter Technikfolgeabschätzung in der Energiewende, welches Cora Stephan in ihrem Kommentar auf NDR.de behandelte. Mit Phillippsburg II ging gerade ein weiteres grundlastfähiges Kernkraftwerk endgültig vom Netz und die entstandene Lücke, immerhin ein Fünftel des Strombedarfs von Baden-Württemberg, fließt nun aus Frankreich (Atom) und Polen (Kohle) zu uns. Doch auch Windanlagen haben Laufzeiten, auch Solarpaneele müssen irgendwann entsorgt werden…wie steht es also wirklich um die Nachhaltigkeit, wie um die Versorgungssicherheit?
Alles berechtigte Fragen, sollte man meinen. Alles auch Fragen, um die sich Investoren und Betreiber von Wind- und Solaranlagen und unsere Regierung doch sicher Gedanken gemacht haben müssen, nimmt man an. Doch wo Subventionen im Spiel sind, setzt oft nicht nur der Sachverstand aus. Auch der Wettbewerb hat schlechte Karten. Zugegeben: auch die Kernenergie wäre ohne reichlich Subventionen nie an den Start gekommen. Man sollte aber nicht glauben, Firmen wie Siemens hätten ein gesteigertes Interesse daran gehabt, diese Kraftwerke zu bauen. Das war der Staat – und zwar aus Prestige-Gründen. Und wenn Milliarden an Subventionen winken, baut man das, was gewünscht wird. Das ist heute nicht anders als vor 50 Jahren.
Die heutigen Verfechter von EEG, Fördertöpfen und risikolosen Investments in Wind und Sonne geißeln die Subventionen vergangener Tage für die Kernenergie und verlangen doch gleichzeitig Subventionen für sich, weil es ohne nun mal nicht gehe. Den inhärenten Widerspruch bemerkt man nicht mal. Nun, die Subventionen für die Kernenergie sollte man vielleicht zusammen mit den Steuereinnahmen, den jahrzehntelang günstigen Stromkosten in die finanzielle Waagschale werfen und die stabilen Netze sind ja auch nicht zu verachten. Ob Sonne und Wind hier mithalten können, müssen sie erst beweisen. Bisher ist nur zu sehen, dass die Netzstabilität sinkt, die Kosten steigen, Arbeitsplätze schwinden und Natur zu Industriegebieten umgewidmet wird.
Mein Interesse gilt hier aber nicht Stephans vortrefflichem Artikel, sondern vielen Kommentaren darunter. Das Spektrum ist gemischt, was natürlich gut ist. Aber es stechen doch jene heraus, die dünnhäutig bis beleidigt reagieren, fast, als hätte Cora Stephan den Schreiber des Kommentars mit ihrer Meinung persönlich verletzt oder beleidigt. Tenor: wie kann man nur Zweifel an der Windkraft haben, nicht an das Gelingen der Energiewende glauben und die Abschaltung eines Kernkraftwerks nicht euphorisch feiern? Wer sowas tut, ist rechts, AfD-Fan, von der Atomlobby bezahlt, ewiggestrig, Klimaleugner, Wünschdirwas!
Alle Fragen zur Energiewende längst beantwortet?
In Sachen Energiewende verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass eine große Anzahl meiner Mitbürger (und in diesem Fall der Kommentarschreiber) sich jahrelang mit den Textbausteinen der Profiteure eben dieser Energiewende hat abspeisen lassen, bis ein Sättigungsgefühl eintrat. Man glaubt, zu wissen und ist jetzt mit gestanztem Politblech angefüllt bis Oberkante Unterlippe. Jeder Zweifel, jede Nachfrage und jeder leise Anflug von Kritik verursacht bei vielen nur noch Übelkeit und das Erbrechen eben jenes Phrasenblechs, mit dem sie gefüttert wurden. Man liest einen Kommentar von X, der aber wortwörtlich und bis in die Beleidigungen hinein auch aus dem Mund von Habeck, Trittin, Roth, Baerbock oder einem anderen Sofabewohner bei Illner, Will und Co kommen könnte. Es ist aber nicht Dummheit, die unter dem Artikel von Cora Stephan jede Kritik abbügelt. Die Gesundbeter der Energiewende wissen einfach zu viel, was so nicht stimmt. Aufgeschnapptes gebiert Schnappatmung, wenn es in Zweifel gezogen wird.
Vier Möglichkeiten, Fragen nicht zu beantworten
Die Strategie, mit der einige Leser auf Stephans aufgeworfene Fragen antworten, kann man grob in vier Gruppen aufteilen. Zunächst gibt es zwei Möglichkeiten, der Beantwortung einer aufgeworfenen Frage aktiv auszuweichen. Man kann entweder behaupten, die Frage stelle sich gar nicht und tut dann so, als sei sie tatsächlich nie gestellt worden. Oder man behauptet, die Frage sei längst beantwortet, was auf dasselbe hinausläuft. Alternativ kann man die Frage auch als falsch gestellt und damit den Fragesteller als Deppen bezeichnen, auf dessen Niveau man sich aus Gründen der Würde nicht begeben wolle – und wieder bekommt man keine Antwort.
Wenn einem gar nichts anderes einfallen will, ist der Vorwurf des Lobbyismus die letzte Handgranate, die geworfen wird. Es kann ja nicht sein, dass da jemand aus eigener Anschauung zu einer Auffassung gelangt, die man selbst nicht teilt! Zudem hat man sich selbst freiwillig (und dummerweise noch dazu völlig unentgeltlich) auf jene Art der Welterklärung eingelassen, die da in der Kritik steht – es muss also Geld im Spiel sein! Das Unterbewusstsein leuchtet neidgelb und kommt dem mangelhaften Faktenwissen nur zu gern zu Hilfe: vernichtet sie, sie ist eine bezahlte Söldnerin!
Zusammenfassend: man kann Kritik ganz ohne Sachkenntnis abbürsten, ignorieren, alles besser „wissen” oder den Vorwurf der Fremdsteuerung erheben. Zur Sache geht es nie. Wenn Sie nun glauben, liebe Leserinnen und Leser, hier gewisse Parallelen zu den Verteidigungsstrategien von Ideologien und Heilslehren aller Art zu erkennen, sind Sie wohl auf dem richtigen Weg.
Die Kommentare
Wollen wir uns also mit einigen der Kommentare befassen, die geradezu exemplarisch für die Wirkung der jahrzehntelangen Propaganda stehen können. Ich nenne hier keine Namen, zitiere aber wörtlich. Sie finden die Texte wie gesagt unter dem Artikel auf NDR.de.
„Ich verstehe nicht wie man gegen Windkraft und Sonnenenergie sein kann! Denn damit leugnet man automatisch das Klima, was von zahlreichen bedeutenden Wissenschaftlern bestätigt ist. Dass wir erstmal Strom von Kohlekraftwerken in Polen oder Atomkraft aus Frankreich brauchen ist dagegen zu vernachlässigen, da es sich nur um eine Übergangszeit handelt, bis wir unsere Nachbarn von sauberer Energie überzeugt haben und Deutschland hier Vorreiter ist.“
Wer gegen Wind- und Sonnenenergie ist, leugnet also das Klima. Das ist offenbar ein religiöses Dogma und muss nicht weiter hinterfragt werden. Solche Schüsse aus der Hüfte werden gern wortreich und oft brillant widerlegt, doch der Schütze ist längst in den nächsten Saloon gezogen und hört nicht mehr zu. Und was unsere Nachbarn angeht, die uns in einer „Übergangsphase“ hin zur eigenen Glückseligkeit Kohle- und Atomstrom liefern müssen dürfen, werden die sich dann wohl weitere Nachbarn für den Weg ins Glück suchen müssen. Frankreich holt seinen Strom dann übergangsweise vielleicht aus Spanien, Spanien später aus Portugal. Die Portugiesen haben dann Pech, weil sie keinen Nachbarn mehr haben.
Dieses kurzsichtige Argument erinnert mich an eine Anekdote, von der Markus Krall berichtete. Natürlich sei die Erde eine Scheibe, das wisse doch jeder, meinte eine seiner Zuhörerinnen. Worauf die Erdscheibe denn gelagert sei, fragte Krall. Auf einer Schildkröte natürlich. Und diese? „Auf einer größeren Schildkröte! Und bevor sie fragen“, fuhr die Dame fort, „es gibt Schildkröten bis ganz nach unten!“ So ähnlich muss wohl auch die Energiewende für ganz Europa funktionieren, von der wir Deutsche als „Vorreiter“ unsere Nachbarn „überzeugen“ werden. Das Modell funktioniert für alle – außer für die Schildkröte „ganz unten“.
„Ich staune nur noch; wie kann die Kommentatorin nach so vielen Jahren Beschäftigung mit den gewaltigen Risiken und auch sichtbaren belastenden Folgen der Atomtechnik, auch in Deutschland (Kinderleukämien u.a.), solch einen Text verfassen: MeisterInnen-Leistung im Ausblenden.“
Gerücht verdoppelt – so wie Stimm und Echo – die Zahl Gefürchteter. (Shakespeare, Heinrich IV.). Ein solches Gerücht sind die Häufungen von Kinderleukämie in der Nähe von Kernkraftwerken. Denn gäbe es solche und noch dazu Zusammenhänge zum Betrieb der Kraftwerke, wären diese längst stillgelegt und geschlossen. Das Argument, die „Atomlobby“ hätte dies eben erfolgreich vertuscht und die Schließung verhindert, passt irgendwie nicht ganz zur offensichtlichen Machtlosigkeit derselben Lobby, was aktuell die endgültige Schließung voll funktionstüchtiger Anlagen angeht. Die Begründung dafür ist diffus, nicht konkret. Die einzigen sichtbaren Belastungen der Atomtechnik in Deutschland sind die „demonstrativen“ Begleiterscheinungen bei jeder Art von Transport.
„Ein peinliches Herunterbeten von unrichtigen und / oder grob irreführenden Propagandabehauptungen der alten, neu aufgestellten Atomlobby.“
Diese „neu aufgestellte Atomlobby“ konnte nicht mal verhindern, dass die vielen tausend Opfer des Erdbebens mit anschließendem Tsunami von 2011 in Japan einfach dem AKW in Fukushima zugeschoben werden. Es gibt in Deutschland in Wirklichkeit keine nennenswerte Atomlobby mehr. Die geräuschlose Stilllegung von Philippsburg II hat dies gerade wieder eindrucksvoll gezeigt. Die Forschungseinrichtungen an den Universitäten werden zusammengeschnurrt, Gelder in die Grundlagenforschung fließen immer spärlicher. Eine merkwürdig stille Lobby muss das sein, vor der da gewarnt wird – besonders laut übrigens von einer anderen Lobby, die gerade schmerzvoll aufheult, weil durch neue Abstandsregeln für Windanlagen angeblich Standorte gefährdet sind. Es ist schon seltsam, dass ein Grenzwert, der ja die Gesundheit von Menschen schützen soll, hier dem „technischen Fortschritt“ im Weg ist, während andere Grenzwerte, etwa die für Feinstaub und NOx, gar nicht niedrig genug sein können. Beklage einen Grenzwert als zu hoch und ich sage dir, für wen du trommelst.
„Mal wieder ein reißerischer, einseitiger Artikel von der AfD-Frau Stefan. Wie kann man hier von einer freien Journalistin sprechen?“
Liebe Mitbürger, freie Journalisten heißen so, weil sie kein Gehalt von einem Medienhaus, Verlag oder Sender erhalten und stattdessen einzelne Artikel oder Beiträge gegen Honorar dort abliefern. Der NDR hat (erfreulicherweise) eine Rubrik „Kommentar“. In welcher, wie die Bezeichnung nahelegt, Autoren ihre Meinung zu einem Thema äußern. Das darf reißerisch, einseitig und alles Mögliche sein, nur nicht langweilig. Eines ist ein Kommentar jedoch nie: Der Neutralität verpflichtet, denn er ist keine Nachricht! Deshalb heißt er auch nicht so. Umgekehrt ist dies leider immer seltener der Fall. Dass Cora Stephan allerdings eine „AfD-Frau“ ist, dürfte nicht nur sie selbst überraschen. Aber was rege ich mich auf. Heute gilt schließlich jeder, der nicht täglich das „Teeren & Federn“ für Weidel oder das Kielholen für Meuthen fordert, als verkappter Antidemokrat und Faschist, dem man die Bürgerrechte entziehen muss. Das wird allmählich langweilig.
„Atomkraft ist nicht CO2- frei. Uranbergbau, die Anreicherung, die Produktion und der Transport der Brennstäbe sind es nicht. Die Nachbehandlung und Endlagerung erst recht nicht. […] Sie werden nie erfahren, was Ihre Nachkommen einmal darüber denken werden, dass Uroma Cora lieber milchmädchenhafte Kommentare verfasst hat, statt ihren Lebensstil zu hinterfragen. Es ist erschütternd.“
Mich schüttelt es auch. Vor Lachen. Aber ich will hier gar keine Rechnung zum CO2-Ausstoß aufmachen, weil ich das für ein Nebenthema halte. Es geht in erster Linie um Versorgungssicherheit, ein Thema, welches ein Land, welches auch weiterhin Industrieland sein möchte, gar nicht ernst genug nehmen kann. Natürlich ist die Kernenergie nicht vollständig CO2-neutral! Das Dumme ist nur: es gibt überhaupt keine CO2-freie Energiegewinnung. Wer mir also etwas erschütterndes über den Uranbergbau erzählen will, der darf über die Minen für Kobalt, Neodym oder Wolfram nicht schweigen. Wer von Uran-Anreicherung und Wartung erzählt, aber bei der Gewinnung von Lithium nichts zu meckern hat und die Dieseltransporter nicht sieht, die zur Wartung der Windkraftanlagen durchs Land fahren, der ist ein Heuchler. Punkt! Von all den restlichen CO2-intensiven Materialien (Carbonfasern, Verbundstoffe, Beton, Stahl…), aus denen so eine Windkraftanlage besteht, möchte ich gar nicht erst anfangen. Der Erntefaktor ist für die Kernenergie jedenfalls um Größenordnungen besser als für Sonne und Wind, was zwar allgemein bekannt, aber in der Betrachtung gern verschwiegen wird. Diese Frage „stellt sich halt nicht“.
Energiewende ohne Endlager?
Noch zwei Gedanken zur Problematik der Endlagerung. Erstens: wir haben kein Endlager, brauchen aber für unseren Müll dennoch eines – dass wir aus der Kernenergie aussteigen, sorgt nur für noch mehr Dringlichkeit bei unsicherer Finanzierung. Am Gefahrenpotenzial der Stoffe ändert auch der Ausstieg nichts. Statt nach einer Million Jahren sind wir mit der Endlagerung aber wohl etwa 20 Jahre früher fertig. Was für ein beklopptes Beispiel wir doch der Welt sind! Glückwunsch! Zweitens: andere Länder gehen das Problem offensiv an und entwickeln neue Reaktortypen, die, weil sie mit schnellen statt mit langsamen Neutronen arbeiten, günstigere Zerfallsreihen haben, sehr viel mehr Energie aus den eingesetzten „Brennstoffen“ erzeugen und als Endprodukte sehr viel kürzer radioaktiven Müll zurücklassen.
Wir reden hier von Halbwertzeiten von einigen Hundert Jahren, nicht mehr von Millionen. Endlager in Salz oder Gestein wird so überflüssig. Als Stichworte seien hier nur Dual-Fluid, Schnelle Brüter, Thorium-Flüssigsalz oder ‑Flüssigblei-Reaktoren genannt. Es gibt also Technologien, sogar bereits einsetzbare. Ein Blick nach Russland oder China kann Klarheit schaffen. Doch bringt man solche Ideen ins Spiel, ist man natürlich „von der Atomlobby bezahlt“. Das von der SPD erfundene „Windbürgergeld“ hingegen ist natürlich nicht auf dem Mist einer Lobby gewachsen, um die Akzeptanz der Windkraft zu optimieren. „Aber diese Akzeptanzkosmetik bezahlt doch keine Lobby!“, werden die Leser vielleicht einwenden. Stimmt, das bezahlt der Steuerzahler, dieser Trottel. Das ist dann natürlich was ganz anderes!
„Der Kommentar von Frau Stephan hat in meiner Familie ungläubiges Stauen und Kopfschütteln hervorgerufen und scheint mir ein „gutes” Beispiel für die Lobbyarbeit der großen Energieoligopolisten zu sein, die nun versuchen den Ausstieg aus der Atomenergie und Kohleverstromung mit allen Mitteln zu verhindern.“
In diesem Land verhindert keiner mehr irgendwas, schon gar nicht, wenn man wie Cora Stephan einen Kommentar schreibt, der nicht mehr als 4:30 Minuten lang sein darf, um ins Format des Senders zu passen. Zuletzt konnte man über eine Stunde lang beobachten, wie sich Professor Sinn vergeblich bemühte, die Risiken des in Energiefragen eingeschlagenen Weges gegen den Widerstand der Grünen Traumtänzerin Nestle darzulegen. Es war eine Qual!
Nein, wir verlassen uns hierzulande einfach darauf, dass sich bestimmte Fragen nicht stellen, weil sie längst beantwortet seien. Das Netz ist der Speicher und der Kobold hat immer recht! Dass wir die Antworten in Wahrheit nicht kennen und uns stattdessen als „Übergangslösung“ auf unsere Nachbarn verlassen, die wir durch unser Vorbild auch noch anregen wollen, es uns gleich zu tun, stört uns kein Bisschen. Auch nicht, wie unsere Nachbarn wirklich über unsere Weltrettungspläne denken.
In Energiefragen verhält sich der deutsche Michel leider nicht anders als ein Kleinkind, dass zwischen seinen Eltern und an deren Händen durch die Luft wirbelt. Dessen Füße berühren zwar den Boden nicht, aber es sieht, dass es immer noch vorankommt. Energetisch vorbildlich! Und jetzt ruft das Kind „Mama, Papa, jetzt ihr!“ Ich glaube, je schneller Polen und Frankreich loslassen, umso rascher der Aufschlag in der Realität. Nur ein solcher Aufschlag kann uns noch retten – vor einem noch größeren Aufschlag. Leider wird dabei so oder so auch so manches liebgewonnene Stück Porzellan zu Bruch gehen.
Quelle: unbesorgt.de
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