Pixabay

Spahns Organ­spende-Entwurf: Wer nicht wider­spricht, wird zum mensch­lichen Warenlager

Am Don­nerstag bringt Bun­des­ge­sund­heits­mi­nister Jens Spahn seinen Gesetz­entwurf zur Neu­re­gelung der Organ­spende in den Deut­schen Bun­destag ein. Dort wird darüber abge­stimmt, ob in Zukunft nach seinem Hirntod jeder auto­ma­tisch zum Organ­spender wird, der zu Leb­zeiten nicht aus­drücklich Wider­spruch dagegen ein­gelegt hat. Ein ver­fas­sungs­wid­riger und frei­heits­feind­licher Ansatz, der mit einem huma­ni­tären Tot­schlag­ar­gument begründet wird und gegen die Selbst­be­stimmung (Würde) des Men­schen ver­stößt, meinen Daniel Matissek und Jürgen Fritz.

(von Daniel Matissek)

Jens Spahns Wider­spruchs-Geset­zes­entwurf: nach­voll­ziehbar moti­viert, aber hoch umstritten

Hier bestellen!

Dass das Thema Organ­spende ethisch-mora­lisch umstritten und heikel ist, steht außer Frage. Unstreitig sind mehr Auf­klä­rungs­maß­nahmen not­wendig, muss mehr zur aktiven Anwerbung frei­wil­liger Spende unter­nommen werden, um die nach wie vor klaf­fenden Eng­pässe und Lücken zu schließen. In der Analyse hat Bun­des­ge­sund­heits­mi­nister Jens Spahn natürlich recht, wenn er die hohe Zahl der Todes­fälle auf­grund eines Mangels an Spen­der­or­ganen beklagt – die wohl sogar deutlich höher liegt als bislang ange­nommen, wie dts Nach­rich­ten­agentur den Minister zitiert: „Mehrere tausend Pati­enten ver­lieren in Deutschland jedes Jahr auf­grund feh­lender Spen­der­organe ihr Leben“, sagte Spahn auch der Bild am Sonntag.

Zu den ver­stor­benen Pati­enten, die bereits auf der War­te­liste für Spen­der­organe gelistet waren, aber nicht mehr recht­zeitig eine Spende erhielten – im Jahr 2018 waren die 901 Per­sonen – kommen jedoch noch die­je­nigen, die laut Spahn „erst gar nicht erst auf der Liste auf­ge­nommen werden, weil sie ohnehin kaum Chancen auf ein Spen­der­organ haben sowie außerdem die­je­nigen, die nach langem Warten so krank geworden sind, dass sie wieder abge­meldet werden.“ Zu Recht merkt der Minister an: „Das ist eine huma­nitäre Kata­strophe.“

Soweit, so richtig. Doch dass Spahn diese dras­ti­schen Zahlen her­an­zieht, um seinen hoch­um­strit­tenen Wider­spruchs-Geset­zes­entwurf zu pro­moten, über den der Bun­destag am Don­nerstag abstimmen will, ist mora­lisch höchst frag­würdig. Auch wenn der Mangel an Spen­den­or­ganen ein Miss­stand ist, er kann nicht dadurch behoben werden, dass man wie vor­ge­sehen jeden Deut­schen mit Beginn seines 17. Lebens­jahres zum poten­zi­ellen Organ­spender erklärt, solange er dem nicht explizit wider­spricht oder „seine Ablehnung gegenüber Ange­hö­rigen zum Aus­druck gebracht hat“, wie es in der Novelle heißt.

Anmaßung eines staat­lichen Ver­fü­gungs­rechts über den Körper

Die Begründung, wenn bei der gegen­wär­tigen Regelung Men­schen sterben, müsse der Staat dem Bürger die Ent­scheidung eben abnehmen, ist ein buch­stäb­liches Tot­schlag­ar­gument: Nach dieser Logik könnte der Staat auch Auto­fahren, bestimmte Lebens­mittel oder Sport­arten zunächst ver­bieten, weil sie jährlich tau­sende Tote fordern, und dann Aus­nah­me­re­ge­lungen auf Antrag erlassen. Der nicht-frei­heit­liche, anti­li­berale Ansatz ist hier ent­scheidend. Denn in der Praxis bedeutet Spahns Entwurf, dass der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu ver­fügen und diese postum durchweg zu Ersatz­teil­lagern zu erklären, sofern diese nicht durch einen aus­drück­lichen schrift­lichen oder beur­kun­deten Wil­lensakt das Gegenteil erklärt haben.

Wer dies also etwa ver­säumt, ver­gessen oder ver­schlampt hat, kann nach dem Tod schlimms­ten­falls aus­ge­plündert werden – eine ver­stö­rende und beun­ru­hi­gende Vor­stellung. Nicht ohne Grund ist diese Lösung sogar nach Ein­schätzung des Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­riums glatt ver­fas­sungs­widrig, wie die WELT schreibt. Während das gesamte rest­liche Kabinett Spahns Schöne-Neue-Welt-Entwurf des a‑priori-Ver­fü­gungs­rechts über Leichname mit­tragen will, ist aus­ge­rechnet Bun­des­jus­tiz­mi­nis­terin Christine Lam­brecht (SPD), hier in einem sel­tenen Anflug von Grund­wer­te­ver­pflichtung und Rechts­treue, strikt gegen das Vor­haben: Dieses ver­letze das Recht auf kör­per­liche Unver­sehrtheit. Auch Spahns eigene Amts­vor­gänger im Gesund­heits­mi­nis­terium hatten so argumentiert.

Nächs­ten­liebe darf nicht erzwungen werden

Hier bestellen!

Wenn Jens Spahn davon spricht, „die Bereit­schaft zur Organ­spende ist gelebte Nächs­ten­liebe“, und anmerkt: „Jeder würde sich doch wün­schen, dass ihm oder seinen Ange­hö­rigen geholfen wird, wenn er ein Spen­der­organ benötigt. Dann können wir auch erwarten, dass sich jeder damit aus­ein­an­der­setzt, ob er selber poten­zi­eller Organ­spender sein will oder nicht“ – so hat er damit Recht. Doch das ist gerade KEIN Argument für eine gesetz­liche Ver­pflich­tungs­re­gelung, die zuerst durch aktive Anstrengung beseitig werden muss: Nächs­ten­liebe darf nicht erzwungen werden. Die Ver­fügung über den eigenen Körper ist eine ureigene Pri­vatent­scheidung, aus der sich der Staat her­aus­halten muss.

Die Bevöl­kerung selbst ist gespalten in der Frage: Etwa je die Hälfte ist für die Bei­be­haltung der bis­he­rigen aktiven Zustim­mungs­re­gelung, die andere Hälfte begrüßt die Widerspruchsregelung.

FDP, Grüne und sogar Links­partei sind strikt gegen Spahns Widerspruchslösung

Die Oppo­sition im Bun­destag wider­setzt sich dem Geset­zes­entwurf des CDU-Ministers daher auch in sel­tener Ein­mü­tigkeit: Sowohl Linken‑Chefin Katja Kipping, Grünen‑Chefin Annalena Baerbock und FDP-Chef Lindner sind strikt gegen die Wider­spruchs­lösung. Kipping befürchtet „Miss­trauen und weitere Ängste“ und ver­mutet, dass so dem „Ver­trauen in das Organ­spen­de­system“ weiter Schaden zugefügt werde.

Noch deut­licher wird Christian Lindner. Der FDP-Vor­sit­zende ist gegen die soge­nannte Wider­spruchs­lösung bei der Organ­spende. Das sei ein Ein­schnitt in die freie Selbst­be­stimmung der Men­schen, sagte Lindner, also gegen die Würde des Men­schen, möchte man ergänzen, welche auch über seinen Tod hinaus wirkt. „Richtig wäre gewesen, dafür zu sorgen, dass mehr Men­schen aus freiem Willen sich ent­scheiden zur Organ­spende“, so Lindner wörtlich. Dem schließt sich JFB an und ergänzt: über kon­se­quente, immer wieder durch­ge­führte Auf­klärung.

—————————–

Zum Autor: Daniel Matissek, Jg. 1972, ist freier Jour­nalist, Publizist und Unter­nehmer. 1990 bis 2004 gab er das regionale Monats­ma­gazin „t5 Journal“ für Saarland, Pfalz und Rhein-Neckar heraus und ver­legte mehrere Theater- und Kul­tur­pu­bli­ka­tionen (u.a. „Rotunde“). Neben seiner unter­neh­me­ri­schen Tätigkeit in den Bereichen Ver­trieb, Kom­mu­ni­kation und Gas­tro­nomie ist er seit 25 Jahren spo­ra­disch als freier Autor und Kolumnist für diverse Peri­odika, Tages­zei­tungen sowie als Gast­autor für mehrere Online-Magazine tätig. Matissek betreibt einen poli­ti­schen Facebook-Blog und war deshalb wie­derholt von will­kür­lichen Sperren durch diese Plattform betroffen.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com