Warum Putin meint, dass Russland keine par­la­men­ta­rische Republik sein sollte

Putin wurde in einer Fra­ge­stunde gefragt, was er davon hält, Russland von einer Prä­si­di­al­re­publik in eine par­la­men­ta­rische Republik umzu­bauen. Seine Antwort ist eine inter­es­sante Analyse der Stärken und Schwächen ver­schie­dener Regie­rungs­formen, daher habe ich sie übersetzt.

Vor einigen Tagen hat sich Putin in einer kleinen rus­si­schen Stadt mit Akti­visten von zivil­ge­sell­schaft­lichen NGOs getroffen, um über die von ihm in seiner Rede an die Nation ange­scho­benen Reformen der Familien- und Kin­der­för­derung zu dis­ku­tieren. Solchen Dis­kus­sionen stellt Putin sich oft und sie sind immer wieder sehr inter­essant, denn Putin hat sichtlich Spaß daran, mit den Men­schen zu dis­ku­tieren und von ihnen auch neue Denk­an­stöße zu bekommen. Die Ideen für manch eine Reform und manches Gesetz in Russland haben ihren Ursprung in solchen Dis­kus­si­ons­runden gehabt. Leider dauerte diese inter­es­sante und stel­len­weise lustige Dis­kussion mit vielen Lachern fast zwei Stunden und ich kann sie beim besten Willen nicht kom­plett übersetzen.

Inter­essant war jedoch die Frage eines Lehrers an Putin. Der Lehrer wollte wissen, ob es nicht besser wäre, Russland zu einer par­la­men­ta­ri­schen Demo­kratie zu machen. Inter­essant war das auch, weil Putin bei seiner Antwort – ohne es beim Namen zu nennen – offen­sichtlich Deutschland als Bei­spiel genommen hat. Ich habe die Frage und Putins Antwort übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Frage: Ich bin auch Lehrer für Sozi­al­wis­sen­schaften und in der Tat dis­ku­tieren wir in der Schule auch über Ihre Ver­fas­sungs­in­itia­tiven. Sie haben vor­ge­schlagen, die Ver­ant­wortung der Minister gegenüber dem Par­lament zu erhöhen.

Wie stehen Sie dazu, die Ver­ant­wortung der Regierung und der Minister noch mehr zu erhöhen? Ich meine, heute sind sie ver­ant­wortlich für die Wirt­schaft, für den sozialen Bereich, für alles, was im Prinzip für die Men­schen wichtig ist. Und Sie wie­derum könnten meiner Meinung für die für die Sicherheit des Landes und die Außen­po­litik ver­ant­wortlich sein. Wie stehen Sie zum Übergang Russ­lands in eine par­la­men­ta­ri­schen Republik?

Wla­dimir Putin: Das habe ich schon gesagt.

Par­la­men­ta­rische Repu­bliken gibt es auf der Welt, diese Form der Orga­ni­sation des Staates ist in vielen Ländern üblich, vor allem in euro­päi­schen Ländern, und wird effektiv ange­wendet, obwohl es dort auch Prä­si­di­al­re­pu­bliken gibt. Nehmen wir die Bun­des­re­publik Deutschland, sie ist eine par­la­men­ta­rische Republik und Frank­reich zum Bei­spiel ist eine Prä­si­di­al­re­publik. Es gibt also ver­schiedene Formen in Europa und auf der ganzen Welt. Indien ist eines der größten Länder der Welt und es ist ein par­la­men­ta­ri­sches Land und die Ver­ei­nigten Staaten sind ein prä­si­diales Land.

Ist das für uns möglich? Theo­re­tisch ist es möglich. Ist das ziel­führend oder nicht? Dazu hat jeder seine eigene Meinung. Ich glaube das nicht. Und ich werde Ihnen sagen, warum.

Damit eine par­la­men­ta­rische Republik effektiv funk­tio­niert, ist es not­wendig, dass die poli­ti­schen Struk­turen über eine lange Zeit gewachsen sind. In Europa gibt es Par­teien, die seit Jahr­hun­derten exis­tieren. Aber in unserem Land sind Par­teien in der Regel mit einer bestimmten Person ver­bunden. Das auf­fäl­ligste Bei­spiel in unserem Land ist Wla­dimir Schi­ri­nowski. Solange es Schi­ri­novski, gibt es die LDPR, wenn es keinen Schi­ri­novski mehr gibt… Die Idee der Partei selbst ist gut, aber ob die Partei ohne ihren Vor­sit­zenden so weiter funk­tio­nieren kann, ist schwer zu sagen. Aber wir sollten besser nicht experimentieren.

Es gibt noch eine andere Über­legung. Die par­la­men­ta­rische Regie­rungsform, die in Europa weit ver­breitet ist, hat heute große Probleme.

In einigen Ländern können sie trotz einer solchen poli­ti­schen Tra­dition sta­biler poli­ti­scher Par­teien sechs Monate lang keine Regierung bilden. Sie schaffen es nicht. Können Sie sich vor­stellen, was pas­siert, wenn Russland sechs Monate lang ohne Regierung wäre? Das wäre eine Kata­strophe! Glauben Sie mir, das ist unmöglich. Das wäre ein kolos­saler Schaden für den Staat.

Damit sie um jeden Preis eine Regierung bilden können, einigen sie sich auf Koali­tionen unter Par­teien, die völlig ent­ge­gen­ge­setzte Ziele haben. Alle haben das Wohl der Men­schen als Ziel, aber jede Partei hat völlig andere Ideen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Ein Bei­spiel: Die einen wollen alle Arten von Ener­gie­trägern nutzen, ein­schließlich der Atom­energie und andere sagen, dass sie keine Atom­energie wollen. Und dann schließen die sich einer Koalition zusammen. Wie sollen sie die natio­nalen Her­aus­for­de­rungen wirksam angehen? Das ist nur ein offen­sicht­liches Bei­spiel. Es gibt noch viele andere.

In der Praxis sagen die west­lichen die Experten selbst, ich lese manchmal, was sie schreiben, dass der Par­la­men­ta­rismus bekann­ter­maßen in einer Krise steckt. Und sie denken darüber nach, wie sie ihn neu beleben können, wie sie ihm eine neue Qua­lität geben können, wie sie dieses System effek­tiver gestalten können.

Ich denke, dass für Russland mit seinem rie­sigen Ter­ri­torium, mit seinen vielen Reli­gionen und Kon­fes­sionen, mit seinen vielen Völkern, die im Land leben – wir können sie nicht einmal zählen, die einen sagen, es sind 160, andere sagen, es sind 190 – wei­terhin eine starke, prä­si­diale Macht brauchen.

Ende der Übersetzung


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“