Coro­na­virus: Die Euro­päische Union zerbröselt

Während die Coro­na­virus-Pan­demie in Europa wütet — wo inzwi­schen mehr als 250.000 Men­schen mit der Coro­na­virus-Krankheit 2019 (COVID-19) dia­gnos­ti­ziert wurden und 15.000 gestorben sind — brö­ckeln die Grund­pfeiler der Euro­päi­schen Union Stück für Stück.

(von Soeren Kern)

Ange­sichts einer exis­ten­zi­ellen Bedrohung kehren die EU-Mit­glied­staaten, die weit davon ent­fernt sind, sich zusam­men­zu­schließen, um der Pan­demie als ein­heit­licher Block zu begegnen, instinktiv zur Ver­folgung des natio­nalen Inter­esses zurück. Nachdem sie jah­relang den US-Prä­si­denten Donald J. Trump dafür kri­ti­siert haben, dass er eine “America First”-Politik betreibt, kehren die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs zu genau dem Natio­na­lismus zurück, den sie öffentlich ver­achtet haben.

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Seitdem die Bedrohung durch das Coro­na­virus in den Blick­punkt gerückt ist, haben die Europäer kaum noch etwas von der hoch­ge­sinnten mul­ti­la­te­ralen Soli­da­rität gezeigt, die jahr­zehn­telang dem Rest der Welt als Fun­dament der euro­päi­schen Einheit ver­kauft wurde. Die ein­zig­artige Marke der EU, die als Modell für eine post­na­tionale Welt­ordnung gilt, hat sich als leere Fiktion erwiesen.

In den letzten Wochen haben die EU-Mit­glied­staaten ihre Grenzen geschlossen, den Export von kri­ti­schen Gütern ver­boten und huma­nitäre Hilfe zurück­ge­halten. Die Euro­päische Zen­tralbank, der Garant der euro­päi­schen Ein­heits­währung, hat die dritt­größte Volks­wirt­schaft der Eurozone, Italien, in ihrer ein­zig­ar­tigen Stunde der Not mit bei­spiel­loser Ver­achtung behandelt. Die von der Pan­demie am schlimmsten betrof­fenen Mit­glied­staaten — Italien und Spanien — wurden von den anderen Mit­glied­staaten im Stich gelassen und mussten alleine kämpfen.

Die Saat der Euro­päi­schen Union wurde in die Asche des Zweiten Welt­kriegs gepflanzt. Im Mai 1949 ver­kündete Robert Schuman, einer der Grün­der­väter der EU, mutig die Schaffung eines neuen Weltsystems:

“Wir führen ein großes Expe­riment durch, die Erfüllung des­selben immer wie­der­keh­renden Traums, der die Völker Europas seit zehn Jahr­hun­derten immer wieder beschäftigt: die Schaffung einer Orga­ni­sation zwi­schen ihnen, die dem Krieg ein Ende setzt und einen ewigen Frieden garantiert”.

Die Euro­päische Union, die seit sieben Jahr­zehnten im Ent­stehen begriffen ist, löst sich nun in Echtzeit auf — binnen Wochen. Nachdem sich der Staub der Coro­na­virus-Pan­demie gelegt hat, werden die EU-Insti­tu­tionen mit ziem­licher Sicherheit wie bisher wei­ter­ar­beiten. Es wurde zu viel poli­ti­sches und wirt­schaft­liches Kapital in das euro­päische Projekt inves­tiert, als dass die euro­päi­schen Eliten etwas anderes tun könnten. Die Anzie­hungs­kraft der EU als post­na­tio­nales Modell für die eigenen Bürger, und noch viel weniger für den Rest der Welt, wird jedoch ver­flogen sein.

Zu den jüngsten Bei­spielen für die ein­seitige Ver­folgung natio­naler Inter­essen durch euro­päische Führer, von denen viele öffentlich für den Glo­ba­lismus ein­treten, aber in Zeiten der Ver­zweiflung dem Natio­na­lismus ver­fallen, gehören:

  • Frank­reich. Am 3. März beschlag­nahmte Frank­reich alle im Land her­ge­stellten Schutz­masken. “Wir werden sie an medi­zi­ni­sches Fach­per­sonal und an die vom Coro­na­virus betrof­fenen Fran­zosen ver­teilen”, schrieb der fran­zö­sische Prä­sident Emmanuel Macron auf Twitter. Am 6. März zwang die fran­zö­sische Regierung Valmy SAS, einen Her­steller von Gesichts­masken in der Nähe von Lyon, einen Auftrag des bri­ti­schen National Health Service über Mil­lionen von Masken zu stornieren.
  • Deutschland, 4. März. Deutschland verbot den Export von medi­zi­ni­scher Schutz­aus­rüstung wie Schutz­brillen, Atem­schutz­masken, Schutz­mäntel, Schutz­anzüge und Hand­schuhe. Am 7. März berichtete die Schweizer Neue Zürcher Zeitung, dass die deut­schen Zoll­be­hörden die Rückkehr eines Schweizer Last­wagens mit 240.000 Schutz­masken in die Schweiz, die nicht Mit­glied der EU ist, ver­hindern. Die Schweizer Regierung bestellte den deut­schen Bot­schafter ein, um gegen das Export­verbot zu pro­tes­tieren. “Bei diesen Kon­takten wurden die deut­schen Behörden auf­ge­fordert, die blo­ckierten Pro­dukte unver­züglich frei­zu­geben”, wurde ein Schweizer Regie­rungs­sprecher zitiert. Nach einer Gegen­re­aktion anderer EU-Mit­glieds­staaten kehrte Deutschland am 19. März den Kurs um und hob das Export­verbot auf.
  • Öster­reich, 10. März. Öster­reich ist das erste EU-Land, das seine Grenzen zu einem anderen EU-Land geschlossen hat. Bun­des­kanzler Sebastian Kurz kün­digte Kon­trollen entlang der Grenze zu Italien und ein Ein­rei­se­verbot für die meisten Rei­senden von dort aus an. “Oberste Prio­rität”, so Kurz, “ist es, die Aus­breitung und damit die Ein­schleppung der Krankheit in unsere Gesell­schaft zu ver­hindern. Deshalb gibt es ein Ein­rei­se­verbot für Men­schen aus Italien nach Öster­reich, mit Aus­nahme von Per­sonen, die ein ärzt­liches Attest haben, das ihre Gesundheit bestätigt. Die Regierung kün­digte auch ein Verbot aller Flug- und Bahn­reisen nach Italien an. Die Ent­scheidung Öster­reichs drohte, den soge­nannten Schengen-Raum nichtig zu machen, der 1995 in Kraft trat und die Not­wen­digkeit von Pässen und anderen Arten von Kon­trollen an den gegen­sei­tigen Grenzen von 26 euro­päi­schen Ländern abschafft.
  • Slo­wenien, 11. März. Die Regierung hat einige Grenz­über­gänge zu Italien geschlossen und an den noch offenen Grenzen mit Gesund­heits­kon­trollen begonnen, um die Ver­breitung des Virus zu bekämpfen.
  • Tsche­chische Republik, 12. März. Pre­mier­mi­nister Andrej Babiš schloss die Grenzen des Landes zu Deutschland und Öster­reich und verbot auch die Ein­reise von Aus­ländern, die aus anderen risi­ko­reichen Ländern kommen. Am 22. März erklärte die Regierung, dass die Grenz­be­schrän­kungen bis zu zwei Jahre dauern können.
  • Schweiz, 13. März. Die Schweizer Regierung hat Grenz­kon­trollen zu anderen euro­päi­schen Ländern ein­ge­führt. Die Schweiz ist zwar nicht Mit­glied der Euro­päi­schen Union, gehört aber dem Schengen-Raum an.
  • Italien, 13. März. Die Prä­si­dentin der Euro­päi­schen Zen­tralbank, Christine Lagarde, hat die For­de­rungen Ita­liens nach finan­zi­eller Unter­stützung zur Bewäl­tigung der Pan­demie zurück­ge­wiesen. Nachdem ihre Bemer­kungen die Finanz­märkte erschüttert hatten, sagte Lagarde, dass die EZB “sich voll und ganz dafür ein­setzt, jeg­liche Zer­split­terung in einem schwie­rigen Moment für die Eurozone zu ver­meiden”. Der ita­lie­nische Prä­sident Sergio Mat­tarella ant­wortete, Italien habe ein Recht darauf, Soli­da­rität statt Hin­der­nisse von jen­seits seiner Grenzen zu erwarten.
  • Dänemark, 14. März. Pre­mier­mi­nis­terin Mette Fre­de­riksen ver­hängte bis min­destens 13. April Grenz­kon­trollen für den gesamten Land‑, See- und Luftverkehr.
  • Polen, 15. März. Die Regierung schloss die Grenzen des Landes für alle außer für pol­nische Bürger oder Per­sonen mit einer pol­ni­schen Aufenthaltsgenehmigung.
  • Deutschland, 16. März. Deutschland, das größte und mäch­tigste Land in der Euro­päi­schen Union, hat Kon­trollen an seinen Grenzen zu Öster­reich, Dänemark, Frank­reich, Luxemburg und der Schweiz ein­ge­führt. Der Schritt erfolgte, nachdem Deutschland an nur einem Tag 1.000 neue Fälle von COVID-19 regis­triert hatte.
  • Ungarn, 16. März. Pre­mier­mi­nister Viktor Orbán stoppt den gesamten Per­so­nen­verkehr nach Ungarn und lässt nur unga­rische Staats­bürger ins Land einreisen.
  • Spanien, 16. März. Innen­mi­nister Fer­nando Grande-Mar­laska hat die Ein­richtung von Kon­trollen an allen Land­grenzen verfügt.
  • Serbien, 16. März. Prä­sident Alek­sandar Vučić erklärte den Aus­nah­me­zu­stand auf­grund des Coro­na­virus. Er ver­ur­teilte die EU für die Beschränkung der Exporte von medi­zi­ni­scher Aus­rüstung und bat seinen “Freund und Bruder”, den chi­ne­si­schen Führer Xi Jinping, um Hilfe. “Euro­päische Soli­da­rität gibt es nicht”, sagte Vučić. “Das war ein Märchen auf dem Papier. Ich habe einen beson­deren Brief an die Ein­zigen geschickt, die helfen können, und das ist China”. Serbien bean­tragte 2009 die Mit­glied­schaft in der EU. Die Bei­tritts­ge­spräche begannen im Januar 2014.
  • Tsche­chische Republik, 17. März. Die tsche­chi­schen Behörden beschlag­nahmten 110.000 Gesichts­masken, die China an Italien geschickt hatte. Am 23. März übergab die Tsche­chische Republik das beschlag­nahmte Material an Italien. “Im Bus befinden sich 110.000 Masken als Geschenk an Italien, die das Material ersetzen sollen, das wahr­scheinlich ein chi­ne­si­sches Geschenk für ita­lie­nische Lands­leute war”, sagte die Spre­cherin des Außen­mi­nis­te­riums, Zuzana Stichova.
  • Deutschland, 18. März. Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel for­derte in einer der sel­tenen im Fern­sehen über­tra­genen Rede alle Deut­schen auf, Regeln zu befolgen, die darauf abzielen, direkte soziale Kon­takte zu redu­zieren und mög­lichst viele Neu­in­fek­tionen zu ver­meiden. “Es ist ernst”, sagte sie. “Nehmen Sie es ernst. Seit der deut­schen Wie­der­ver­ei­nigung, eigentlich seit dem Zweiten Welt­krieg, gab es noch nie eine Her­aus­for­derung für unser Land, bei der soli­da­ri­sches Handeln so ent­scheidend war. Merkels Ansprache an die Nation war das erste Mal seit fast 15 Jahren im Amt, dass sie sich anders als in ihrer jähr­lichen Neu­jahrs­an­sprache an das Land wandte. Die Euro­päische Union und andere EU-Mit­glied­staaten hat sie nicht erwähnt.
  • Belgien, 22. März. Das Coro­na­virus hat die Span­nungen zwi­schen dem Belgien mit Schlies­sungen und den Nie­der­landen, die keine Schlies­sungen haben, ange­heizt. “In den Nie­der­landen sind die Geschäfte noch immer geöffnet und Treffen von 100 Per­sonen erlaubt — das sind Brut­stätten für das Virus”, sagte Marino Keulen, Bür­ger­meister der bel­gi­schen Grenz­stadt Lanaken. Die bel­gi­schen Behörden haben entlang der Grenze Bar­ri­kaden errichtet und ordnen an, dass Autos mit nie­der­län­di­schen Num­mern­schildern umkehren und nach Hause zurück­kehren müssen. Keulen nannte die Grenz­kon­trollen ein “Signal an Den Haag”, um “schnell zu reagieren” und sich mit den Nach­bar­ländern abzu­stimmen. “Die nie­der­län­dische Regierung ist inkom­petent und lächerlich in ihrer Reaktion auf die Coro­na­virus-Krise”, sagte Leopold Lippens, der Bür­ger­meister der bel­gi­schen Küs­ten­stadt Knokke-Heist. “Die Nie­der­lande tun nichts, also müssen wir uns schützen.”
  • Spanien, 25. März. Nachdem die spa­nische Regierung keine Hilfe von der Euro­päi­schen Union erhalten hatte, bat sie die NATO um Hilfe bei der Beschaffung von 1,5 Mil­lionen Gesichts­masken und 450.000 Atem­schutz­ge­räten. Der NATO fehlt dieses Material und sie beschränkt sich darauf, das spa­nische Ersuchen an die übrigen 29 Ver­bün­deten wei­ter­zu­leiten, von denen viele auch Mit­glieder der EU sind.
  • Polen, 25. März. Die pol­ni­schen Behörden ver­hin­derten den Export von Hun­dert­tau­senden von Fla­schen mit Hand­des­in­fek­ti­ons­mitteln nach Nor­wegen, das nicht Mit­glied der EU ist. Das nor­we­gische Unter­nehmen Norenco pro­du­ziert und ver­packt in einer eigenen Fabrik in Polen Hand­des­in­fek­ti­ons­mittel für den skan­di­na­vi­schen Markt. Norenco-Chef Arne Haukland sagte, nachdem er eine Export­lizenz bean­tragt hatte, seien fünf Männer in der Fabrik ein­ge­troffen und hätten ver­langt, dass ihnen der Bestand an Hand­des­in­fek­ti­ons­mitteln gezeigt werde. Er sagte, das Unter­nehmen habe dar­aufhin ein Schreiben erhalten, in dem es auf­ge­fordert wurde, jedes von ihm her­ge­stellte Hand­des­in­fek­ti­ons­mittel zu einem Fest­preis an die ört­lichen Stadt­be­hörden in Lubin zu ver­kaufen, und zwar im Rahmen der Anfang März in Polen ver­ab­schie­deten Not­stands­ge­setze für Coro­na­viren. Die Beschlag­nahmung wird das Ver­sor­gungs­problem der nor­we­gi­schen Kran­ken­häuser noch verschärfen.
  • Frank­reich, 25. März. Prä­sident Emmanuel Macron rief in einer Ansprache an die Nation in einem Mili­tär­kran­kenhaus in der öst­lichen Stadt Mul­house, die vom Coro­na­virus besonders stark betroffen ist, zur natio­nalen, nicht zur euro­päi­schen Einheit auf: “Wenn wir uns in den Krieg stürzen, greifen wir voll ein, mobi­li­sieren wir vereint. Ich sehe in unserem Land Fak­toren der Spaltung, Zweifel, all jene, die das Land zer­splittern wollen, wenn es nur eine einzige Beses­senheit geben muss: die Einheit im Kampf gegen das Virus. Ich rufe zu dieser Einheit und diesem Enga­gement auf”.
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In Italien ergab eine am 18. März ver­öf­fent­lichte lan­des­weite Umfrage, dass 88% der Ita­liener glauben, dass die EU ihrem Land nicht hilft. Nur 4 % dachten das Gegenteil, während 8 % keine Meinung dazu hatten. Mehr als zwei Drittel (67%) der Ita­liener gaben an, dass sie glauben, dass die Zuge­hö­rigkeit zur Euro­päi­schen Union ein Nachteil für ihr Land sei.

In einem Artikel mit der Über­schrift “Coro­na­virus bedroht die euro­päische Einheit” stellte Bill Wirtz, ein poli­ti­scher Kom­men­tator aus Luxemburg, fest:

“Während sich das Coro­na­virus ent­faltet, schließen die Schengen-Länder ihre eigenen Grenzen. Ob sie dies tun, weil sie glauben, dass eine koor­di­nierte euro­päische Antwort inef­fi­zient wäre, oder ob sie glauben, dass ihre eigenen Wähler es ihnen nicht abkaufen würden — in diesem Stadium ist es irrelevant. Allein die Tat­sache, dass die Grenzen in Europa wieder sichtbar sind, ist ein Miss­erfolg für die Inte­grität des Schen­gener Abkommens für offene Grenzen…

“Eine koor­di­nierte Reaktion der EU auf diese Krise gibt es nicht, und da die Emp­feh­lungen auf taube Ohren stoßen, befindet sich Brüssel in einer Ver­trau­ens­krise. Es gibt keine uni­ons­weite Kri­sen­re­aktion, keine koor­di­nierten Tests oder For­schung. Schlimmer noch, die EU-Insti­tu­tionen sind Zuschauer eines Krieges zwi­schen Ländern, die ver­suchen, die Exporte von medi­zi­ni­schen Gütern zu begrenzen, um sie für sich zu behalten. In Kri­sen­zeiten hat sich der wahre Ein­fluss und die Kapa­zität der EU gezeigt, und das ist sehr wenig.

“So wie es aus­sieht, haben die Länder mit einer Krise zu kämpfen, in der Kran­ken­haus­betten, medi­zi­nische Aus­rüstung und all­ge­meine Res­sourcen fehlen. Wenn das Virus jemals tiefer liegen sollte als jetzt und die Schluss­fol­gerung gezogen wird, dass die Euro­päische Union im Auge des Sturms ein macht­loser Zuschauer war (was sie auch ist), dann könnten das Schen­gener Abkommen und die offenen Grenzen in Europa sich mit einer schwierige Erho­lungs­phase aus­ein­ander setzen müssen.”

Darren McCaffrey, der poli­tische Redakteur des in Frank­reich ansäs­sigen Nach­rich­ten­senders Euronews, schrieb:

“In den ver­gan­genen Wochen ist die Soli­da­rität im Block zusam­men­ge­brochen. Die Länder haben begonnen, Grenz­kon­trollen für benach­barte EU-Länder ein­zu­führen, und sogar Deutschland hat Schritte unter­nommen, um den Strom von Men­schen zu steuern, die in sein Gebiet ein- und ausreisen.

“Am Dienstag bildete sich an der pol­nisch-deut­schen Grenze eine 35 Kilo­meter lange Schlange, in der Hun­derte von Europäer — Letten, Esten und Litauern — in Last­wagen, Autos und Bussen festsaßen.

“Da die EU Maß­nahmen ergreifen muss, um die Aus­breitung der Krankheit zu ver­hindern, machen sich viele Sorgen um das Wesen der Euro­päi­schen Union und ihre vier Frei­heiten [den freien Verkehr von Waren, Dienst­leis­tungen, Kapital und Menschen].

“Was ist die EU, wenn sich ihre eigenen Bürger nicht frei bewegen können? Was ist der Bin­nen­markt, wenn Waren die Grenzen Europas nicht unge­hindert pas­sieren können?”

In einem Artikel mit dem Titel “Nations First: Die EU kämpft um Relevanz im Kampf gegen das Coro­na­virus”, stellte das deutsche Nach­rich­ten­ma­gazin Der Spiegel fest:

“Während die Pan­demie in Europa um sich greift, zeigt die jahr­zehn­tealte Union ihre Schwächen. Während es der EU gelungen ist, Brexit und die Euro-Krise zu über­leben, könnte sich die Corona-Krise noch als unüber­windbare Her­aus­for­derung erweisen.

“Anstatt zu ver­suchen, gemeinsame Lösungen zu finden, wird der Kon­tinent bal­ka­ni­siert und kehrt zu natio­nalen Lösungen zurück. Anstatt sich gegen­seitig zu helfen, horten die EU-Länder Gesichts­masken, wie panische Europäer Toi­let­ten­papier horten. Die früh­zeitige Ent­scheidung einiger EU-Mit­glieds­staaten, keine medi­zi­ni­schen Geräte nach Italien zu expor­tieren — dem EU-Land, das bisher am stärksten von der Pan­demie betroffen ist — hat sogar die man­gelnde euro­päische Soli­da­rität über­schattet, die der unga­rische Minis­ter­prä­sident Viktor Orbán in der Flücht­lings­krise gezeigt hat.

“Die Europäer sind sogar in der Frage, wie das Virus zu bekämpfen ist, gespalten. Während Deutschland dafür sorgen will, dass mög­lichst viele Men­schen mit dem Virus gar nicht erst in Berührung kommen und sich infi­zieren, wollen die Nie­der­lande, dass mög­lichst viele gesunde Men­schen COVID-19 bekommen und über­winden und damit immun werden. Das Signal ist klar: Wenn es ernst wird, kümmert sich jeder Mit­glieds­staat auch 60 Jahre nach der Gründung der Gemein­schaft zunächst aus­schließlich um sich selbst”.

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Soeren Kern ist ein Senior Fellow am New Yorker Gatestone Institute.


Quelle: gatestoneinstitute.org