Man ist noch kein guter Mensch, bloß weil man unter­drückt wird

„Man ist noch nicht gut und klug, bloß weil man arm ist.“ (Erich Kästner: Fabian – Die Geschichte eines Mora­listen, 1931, oder: Der Gang vor die Hunde, Rekon­struktion der unzen­sierten Urfassung, 2013) Genauso wenig ist man schon des­wegen ein guter Mensch, bloß weil man unter­drückt wird.

Ethik ist mehr als prak­ti­scher Gruppenegoismus

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Man ist noch kein guter Mensch, bloß weil man unter­drückt wird. Der Unter­drückte kann bis­weilen genau das Gegenteil sein. Gleichwohl ist auch seine Unter­drü­ckung falsch. Und wenn der Unter­drückte genau das anprangert, sei es aus einem kurzen Anflug von Denken in ethi­schen Prin­zipien oder einfach nur aus rein per­sön­lichem oder Gruppen-Ego­ismus, so hat er unab­hängig von der mora­li­schen Begründung damit Recht, dies anzu­prangern. Das macht ihn aber nicht schon zu einem guten oder edlen Men­schen. Er bleibt vielmehr, was er ist, auch wenn er etwas Rich­tiges und Berech­tigtes sagt und moniert.

Um zu einem guten Men­schen zu werden, müsste er sein Inneres und damit natürlich in der Folge seine Hand­lungen ändern, die ja jenem ent­springen. Der­ge­stalt ändern, dass er nicht nur seine Unter­drü­ckung ablehnt und moniert, sich gegen sie erhebt, sondern jeg­liche Unter­drü­ckung ablehnt und bekämpft, sprich die Negation der Unter­drü­ckung von Men­schen durch Men­schen zum Prinzip erhebt, an dem er sich all­gemein, unab­hängig von seiner eigenen Person und seiner Gruppe, der er sich zuge­hörig fühlt, orientiert.

Er müsste sich also zu etwas Höherem auf­schwingen, was jen­seits seiner je eigenen Inter­essen liegt, in denen nur er und seine eigene Familie, seine eigene Mafia-Bande, sein eigener Clan, sein eigenes Volk … vor­kommen. Er müsste dies alles gleichsam tran­szen­dieren. Jemand, der nur für seine eigene Freiheit kämpft oder die seiner Familie, seines Clans oder seines Volkes, je nachdem worüber er seine Iden­tität defi­niert, der liebt nicht die Freiheit an sich (Libe­ra­lismus), der liebt seine eigene Freiheit respektive die seines Clans oder seines Volkes, was mit Ethik letztlich wenig zu tun hat, eher mit prak­ti­schem Grup­pen­ego­ismus. Was für ein Unter­schied zu Erich Kästner und seinem Fabian!

Kästner und Fabian: zwei Moralisten

Kästner und seine Haupt­figur in Der Gang vor die Hunde Fabian sind Mora­listen. Das heißt sind solche, die davon aus­gehen, dass die Hand­lungen der Men­schen auf ethi­schen Prin­zipien beruhen sollten, die ihrer­seits auf bür­ger­lichen Frei­heits­rechten und zwi­schen­mensch­licher Soli­da­rität gegründet sind, von der Gesell­schaft ihrer Zeit jedoch nicht beachtet werden. Es war die Zeit des her­auf­zie­henden Tota­li­ta­rismus, als Kästner den Fabian schrieb, sei es in natio­nal­so­zia­lis­ti­scher oder kom­mu­nis­ti­scher Aus­prägung, der unseren Zeit also viel­leicht nicht ganz unähnlich.

Kästners Mora­li­sierung erfolgt aber nicht mit dem erho­benen Zei­ge­finger, sondern vor allem mit dem Stil­mittel der Ironie. Deutlich kann man Kästners Ein­schätzung, die Welt sei nicht gänzlich zu bessern, erkennen. Die Handlung des Romans spielt Ende der 1920er Jahre. Das Werk erschien 1931. Kästner deutete diese Zeit nicht nur als eine des poli­ti­schen, sondern auch des mora­li­schen Ver­falls. Das Buch zeigt, dass der Untergang der Wei­marer Republik zumindest für Erich Kästner durchaus nicht uner­wartet kam.

Der Roman soll wohl vor allem ver­deut­lichen, dass es Fabian als Mora­listen unmöglich war, im Strom der Unmoral mit­zu­schwimmen. Der ursprüng­liche Titel dieser Satire lautete: Der Gang vor die Hunde. Er wurde jedoch von den Ver­legern abge­lehnt. Es sollte nach Kästners eigener Aussage „schon auf dem Buch­um­schlag deutlich werden, dass der Roman ein bestimmtes Ziel ver­folgte: Er wollte warnen“.

Opti­mis­ti­scher Pes­si­mismus oder pes­si­mis­ti­scher Optimismus

In Fabian – Die Geschichte eines Mora­listen bezie­hungs­weise Der Gang vor die Hunde ent­wirft Erich Kästner ein pes­si­mis­ti­sches Bild der Gesell­schaft, im Großen wie im Kleinen. Denn, so begründet der Autor seine Geschichte eines Mora­listen selbst, „der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerr­spiegel vor­zu­halten“.

Wozu ein Zerr­spiegel? Um auf­zu­rütteln und zu warnen, sprich in der Absicht, die Men­schen durch innere Ein­sicht dazu zu bringen, dass sie sich selbst bessern, darum wissend, dass dies meist nicht gelingen wird, und es trotzdem immer wieder ver­suchen. Denn etwas anderes als dieser opti­mis­tische Pes­si­mismus oder pes­si­mis­tische Opti­mismus bleibt dem Mora­listen nicht übrig.

Den Natio­nal­so­zia­listen – Grup­pen­ego­isten par excel­lence – galt das Buch als „ent­artet“. Gerade auch wegen dieses Romans wurden die Werke Erich Kästners 1933 in Deutschland öffentlich ver­brannt.


Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com