Selbstmord Dr. Thomas Schäfer: Wenn sogar Abschieds­briefe zen­siert werden

Der Finanz­mi­nister des Bun­des­landes Hessen, Dr. Thomas Schäfer, wird im Spiegel als ein sorg­fäl­tiger, dis­zi­pli­nierter Mensch beschrieben, ver­ant­wor­tungs­be­wusst, ehr­geizig, ziel­strebig. Er war, so der Spiegel, auf der Ziel­ge­raden zum Minis­ter­prä­si­denten des Bun­des­landes Hessen, sobald der jetzige Amts­in­haber Volker Bouffier in den Ruhe­stand geht. Hohe Intel­ligenz, ein Jura­studium, eine Bank­aus­bildung und seine eiserne Selbst­dis­ziplin gaben Dr. Thomas Schäfer das Rüstzeug für eine beacht­liche Kar­riere. So ein Mann bringt sich nicht einfach um und über­lässt Frau und zwei Kinder dem Schicksal. Er muss sehr ver­zweifelt gewesen sein.

Dazu schreibt der Spiegel:

„Bislang sind die Gründe unklar, aus denen Thomas Schäfer wohl beschlossen hat, sein Leben zu beenden. Er hin­terließ einen Abschieds­brief, in dem er sich offen­kundig zu erklären ver­suchte. Und es gibt die Ein­schätzung von Regie­rungschef Bouffier, dass Schäfer ‚erdrückt‘ worden sei von der Sorge, die ‚rie­sigen Erwar­tungen der Bevöl­kerung‘ in der Coro­na­krise nicht erfüllen zu können, also zum Bei­spiel nicht genug Geld für staat­liche Hilfen bereit­stellen zu können.“ 

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Das schreibt der ehedem für seine rück­sichtslose Wahr­heits­liebe berühmte Spiegel, als er noch mit dem bewun­dernden nom de guerre des „Sturm­ge­schützes der Demo­kratie“ bedacht wurde, wider bes­seren Wissens.

Dr. Thomas Schäfer, dessen zur Unkennt­lichkeit zuge­richtete Leiche an den Gleisen der ICE-Strecke Köln München gefunden wurde, konnte nur durch DNA-Proben iden­ti­fi­ziert werden. Das bedeutet, er ist vor den Zug gelaufen. Die kri­mi­nal­wis­sen­schaft­lichen Unter­su­chungen bestä­tigen, dass es ein Selbstmord gewesen sein muss. Und das bestätigt auch sein Abschiedsbrief.

Dessen Inhalt wurde direkt nach der Meldung seines Frei­todes in groben Zügen in der FAZ wie­der­ge­geben, aber sehr schnell gelöscht und mit der For­mu­lierung abgetan: „Wie aus Ermitt­ler­kreisen zu hören war, hat Schäfer einen Abschieds­brief hin­ter­lassen. Darin habe er die Gründe für seinen Suizid genannt. Weitere Angaben zum Sach­verhalt wollten die Ermittler am Sams­tag­abend nicht machen.“

Aller­dings zu spät. Der ori­ginale FAZ-Text an dieser Stelle wurde natürlich von der Inter­net­ge­meinde sehr wohl zur Kenntnis genommen und gespei­chert. Er lautete: „Wie aus Ermitt­ler­kreisen zu hören war, hat Schäfer einen Abschieds­brief hin­ter­lassen. Darin habe er die Gründe für seinen Suizid genannt. Dem Ver­nehmen nach soll Schäfer darin von einer ‚Aus­sichts­lo­sigkeit‘ gesprochen haben, die er gesell­schaftlich, aber auch bezogen auf die wirt­schaft­liche Lage des Landes sehe. Diese Aus­sichts­lo­sigkeit habe er unter anderem konkret auf die der­zeitige Situation bezogen, die ihm offenbar ‚zu schaffen‘ gemacht habe. Ob dies aller­dings mit kon­kreten Ängsten in Bezug auf den Coro­na­virus zusam­men­hänge oder eher all­ge­meiner Art gewesen sei, das sei auch für die Ermitt­lungs­be­hörden derzeit nicht ersichtlich.“

Der Spiegel deutet davon nur ein wenig an. Die FAZ hat den Text sehr schnell zurück­ge­zogen, denn die hes­sische Lan­des­re­gierung und mehrere Land­tags­ab­ge­ordnete übten heftige Kritik an der teil­weisen Offen­legung der Sui­zid­gründe. Viel­leicht auch aus Pietät, aber durchaus nicht vor­dringlich aus Rück­sicht­nahme. Denn das, was durch diese mageren Zeilen über­deutlich her­vor­schimmert, ist, dass Dr. Schäfer wusste, was auf Deutschland und damit auch auf Hessen zukommen wird.

Ein Hühne und Erfolg­reicher wie Dr. Schäfer, wirft sich nicht vor den Zug, weil er die „Erwar­tungen der Bevöl­kerung“ nicht erfüllen kann. Jemand mit einem solch zarten Naturell käme in der Politik keinen Mil­li­meter weit.

Nein, es ist sehr wahr­scheinlich davon aus­zu­gehen, dass Herr Dr. Schäfer wusste, was kommt und dass es sehr, sehr übel wird. Welcher Aspekt von Not, Ver­zweiflung und Zusam­men­bruch ist dabei zweit­rangig. Da mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Genau das sollen wir aber nicht. Wir sollen immer noch davon aus­gehen, dass nach Corona alles wieder ganz normal ist und die Welt wieder heile. Offen­sichtlich will man schla­fende Hunde nicht wecken. Denn noch schnarcht der deutsche Michel und träumt vom ganz nor­malen Leben. Wenn das, was auf uns alle zukommt so ist, dass selbst ein Mann wie Dr. Schäfer sich lieber vom Zug über­fahren lässt, dann könnte der Michel ja doch wach werden. Deshalb musste die FAZ diesen Passus ziemlich subito wieder entfernen.

So etwas nennt man Zensur.

Und wenn eine Zeitung Pas­sagen aus dem Abschieds­brief zitiert, dann ist das (laut hes­si­scher Lan­des­re­gierung) eine Ver­schwö­rungs­theorie und der FAZ „unwürdig“.