Wir hätten da mal einen Anfangsverdacht

Kom­missar Krause, guten Morgen. Wir hätten da mal einen Anfangs­ver­dacht.“ Wenn sie diese Worte hören, nachdem ein Roll­kom­mando um vier Uhr morgens die Tür zu ihrer Wohnung ein­ge­treten hat, wissen sie, dass sie nicht in einem Rechts­staat leben. In einer Demo­kratie viel­leicht schon noch. Es wäre ja möglich, dass die Abstimmung des Gre­miums, dem sie den nächt­lichen Haus­besuch ver­danken, nur ganz knapp zu ihren Ungunsten aus­ge­fallen ist. So ein Pech aber auch. Aber Demo­kratie bedeutet eben auch, dass vier Wölfe und drei Schafe über das Mit­tag­essen abstimmen. Rechts­staat bedeutet, dass die Schafe nicht zum Essen kommen und ihren Anwalt mit einer einst­wei­ligen Ver­fügung schicken. Deshalb lautete der kor­rekte Mor­gengruß von Kom­missar Krause in einem Rechts­staat „Wir haben hier einen rich­ter­lichen Durch­su­chungs­be­schluss“, sonst darf Kom­missar Krause zwar klingeln, sie müssen ihn aber nicht zur Durch­su­chung einladen.

(von Roger Letsch)

Der Pri­vat­sphäre jedes ein­zelnen Bürgers gilt (oder besser: galt) der besondere Schutz des Rechts­staates, weil unsere Ver­letz­lichkeit dort am größten ist. Dazu gehört die Wohnung. Dazu gehörte früher auch mal das Bank­ge­heimnis – gestrichen. Eben­falls gestrichen wurde nun die Unan­tast­barkeit von per­sön­lichen Gegen­ständen wie dem Mobil­te­lefon, und zwar mit der im Februar in Kraft getre­tenen Ver­schärfung der Stra­ßen­ver­kehrs­ordnung (StVO). Und die meisten haben nicht mal bemerkt, dass ein wei­teres Stück unserer Bür­ger­rechte abge­räumt wurde, weil es dem Staat lästig und hin­derlich war.

Verbot von „Blitzer-Apps” und wie man es durchsetzt

Denn während sich die Auto­fahrer vor­wiegend über stark erhöhte Buß­gelder auf­regen, hat es eine andere Geset­zes­än­derung wirklich in sich. Das Verbot von soge­nannten „Blitzer-Apps“, welche vor „festen und mobilen Gefahren“ warnen, krankt nämlich an der Frage, wie sich die Nutzung solcher Apps bei einer Kon­trolle durch die Polizei nach­weisen ließe. Theo­re­tisch kann der Polizist natürlich fragen, ob man ihm mal eben sein Mobil­te­lefon aus­händigt. Treublöd wie manche meiner Mit­bürger sind, würden einige dieser „Bitte“, zumal wenn mit Nach­druck vor­ge­tragen, sogar Folge leisten. Das musste man aber nicht tun. Das Smart­phone gehört gewis­ser­maßen zu unserer erwei­terten Pri­vat­sphäre und nur ein rich­ter­licher Beschluss kann hier eine Her­ausgabe erzwingen. Und selbst in diesem Fall ist es mehr als fraglich, ob man durch Ent­sperrung des Telefons zur Koope­ration ver­pflichtet werden kann.

Die Polizei darf auch immer noch nicht einfach so in ihrem Handy her­um­schnüffeln, es brauche dafür – Achtung, jetzt kommt’s dicke – einen Anfangs­ver­dacht! Als solcher genügt, dass die Polizei erklärt, einen Signalton gehört zu haben, der aus ihrem Handy kam. Dann darf die Polizei das Handy sicher­stellen und sogar beschlag­nahmen. So ein Anfangs­ver­dacht ist ja schnell zur Hand und wenn er sich später nicht bestätigt, wird das Telefon eben zurück­ge­geben. Natürlich erst, nachdem es gründlich unter­sucht wurde! Machen sie sich also darauf gefasst was pas­sieren kann, wenn ihnen ein Polizist bei einer Ver­kehrs­kon­trolle sagt „Bei Ihnen piept’s!“

Die Norm gilt vorerst nicht für Bei­fahrer, die solche Apps noch benutzen dürfen. Da hat das Gesetz eine lustige Lücke. Blöd ist das Ganze somit vor allem für Allein­fahrer, die im Zweifel nicht mal einen Zeugen dafür haben, dass es bei ihnen nicht „gepiept hat“.

Mir geht es hier nicht darum, „Blitzer-Apps“ zu ver­tei­digen, obwohl deren Erfolg ein schönes Bei­spiel dafür ist, wie sich ziviler bür­ger­licher Unge­horsam heute zu digi­talen Netz­werken ver­knüpft, um staatlich ver­ord­neter Beu­tel­schnei­derei und Ver­fol­gungs­druck aus­zu­weichen. Ich habe auch nicht die Befürchtung, die Polizei würde nun überall Pieps­ge­räusche hören und mas­senhaft Handys beschlag­nahmen. Die Polizei hat weiß Gott anderes zu tun.

Rechts­staat ohne Gewaltenteilung?

Es geht vielmehr darum, dass die Gewal­ten­teilung in diesem Land nicht sehr aus­ge­prägt ist. Das hat erst im Mai 2019 der EuGH durch seine Ent­scheidung bestätigt, der zufolge deutsche Staats­an­wälte keine Euro­päi­schen Haft­be­fehle aus­stellen dürfen. Es gebe „keine hin­rei­chende Gewähr für Unab­hän­gigkeit gegenüber der Exe­kutive”, so die Richter am EuGH, die Deutschland damit zum rechts­staat­lichen Schwel­lenland erklärten.

Gerade erst wurde das NetzDG um eine Mel­de­pflicht für „Hass im Netz“ ver­schärft. Doch so sehr ich mir auch wün­schen würde, dass dadurch gerade die immer scham­loser auf­tre­tende anti­se­mi­tische und anti­is­rae­lische Pro­pa­ganda ver­stummt, ist der Kol­la­te­ral­schaden der Geset­zes­ver­schärfung wohl größer als der Nutzen.

Man braucht nicht viel Phan­tasie, um sich vor­zu­stellen, dass sich diese Auf­wei­chung des Schutzes der Pri­vat­sphäre via StVO unter dem Vorwand der Bekämpfung einer unklar defi­nierten Emotion wie Hass ganz wun­derbar dazu nutzen ließe, den Druck auf unliebsame Poli­tiker oder Publi­zisten zu erhöhen, ohne dass man dafür auf die Ebene der rich­ter­lichen Beschlüsse vor­rücken muss.

Denn wer die Macht hat und die Deu­tungs­hoheit besitzt, kann beides defi­nieren: was Hass ist und wo es piepst.


Quelle: unbesorgt.de