Warum verderben die Machenschaften der Branche den Verbrauchern nicht den Appetit?
Der Deutsche ist knauserig, was das Essen angeht. Günstig soll es sein und satt machen. Der Deutsche isst gerne Fleisch, 60 Kilogramm pro Jahr. Und er zahlt für 600 Gramm Schweinenackensteak gerade mal 1,99 Euro. Wie viele Verbraucher denken darüber nach, warum Fleisch als einziges Lebensmittel nicht teuer, sondern sogar billiger geworden ist? Wie vielen ist es egal, dass Tiere unter elenden Bedingungen dahinvegetieren, bis sie zur Schlachtbank geführt werden? Dass sie vollgestopft werden mit minderwertigem Futter, Hormonen und Antibiotika?
Die Liste der Lebensmittel- und Fleischskandale wird immer länger. Und dennoch gehen tagtäglich Unmengen von Billigfleisch und ‑wurst über die Ladentheke. Wo bleibt das schlechte Gewissen? Haben die Verbraucher keine Angst um ihre Gesundheit? Sie sind sich der desolaten Zustände in der Branche durchaus bewusst, ziehen aber oft keine Konsequenzen aus diesem Wissen, wie die folgende Geschichte zeigt.
Mit einer betagten Freundin machte ich eine kleine Wanderung, und wir kehrten in einer rustikalen Schänke ein. Der Wirt gab eine Runde köstlichen kubanischen Rum aus. Der löste offenbar die Zunge meiner Freundin, denn plötzlich echauffierte sich Liselotte über die schier unglaublichen Missstände in der Fleischindustrie. „Das ist ja so eine Sauerei! Die Schweine im Kastenstand, die können sich gar nicht mehr umdrehen! So eine Quälerei. Eine Unverschämtheit ist das! Das muss endlich aufhören. Das hält doch kein Schwein aus!“ Und dann sprach sie im Brustton der Überzeugung: „Ich mache mir zuhause kein Fleisch mehr. Fleisch esse ich nur außerhalb, im Restaurant.“
Zunächst hat es mich geschüttelt vor Lachen, dann wurde ich sehr nachdenklich und merkte an, dass Liselotte ja „außerhalb“ erst recht nicht wisse, ob ein glückliches oder ein unglückliches Schnitzel auf ihrem Teller liege. Und ob es nicht die bessere Lösung sei, wenn überhaupt, Fleisch ganz bewusst aus guter Haltung zu kaufen und zuhause zuzubereiten. Da ihr doch das Herz blute angesichts der armen Tiere, die massenhaft gequält und ausgebeutet würden. Liselotte schenkte mir kaum Gehör, trank noch ein Gläschen Rum, bestellte sich ein Schnitzel mit Pommes und aß es mit großem Appetit. Ich glaube, Liselottes Verhalten steht für das vieler Menschen. Sie finden die Missstände in der Branche unerträglich, regen sich darüber auf, schrecken aber nicht davor zurück, in der Kantine ein halbes Hähnchen oder ein Schweineschnitzel für ein paar Euro zu bestellen. Und so werden weiter Tiere gequält, und die Branche arbeitet mit fiesen Tricks, um mit minderwertigen Produkten satte Gewinne zu machen.
Metzgermeister Franz Josef Voll wechselte angesichts der dubiosen Praktiken seiner Zunft die Seiten und wurde Lebensmittelkontrolleur. Inzwischen ist er pensioniert und hat ein Buch geschrieben: „Schweinebande!: Der Fleischreport- Ein Metzgermeister über die Praktiken seiner Zunft.“ In seinem Insiderbericht rechnet er mit den Machenschaften der Fleischverarbeitungsbranche ab. Für das zdf-Magazin Frontal 21 hat er eine Wurst gebastelt. Besser gesagt: Die Illusion einer Wurst. Aus 9 % Fleisch, 27 % Wasser und 46% Separatorenfleisch. Das sind minderwertige Fleischreste, die von den Knochen abgetrennt, zerkleinert und zu einer breiigen Masse verarbeitet werden. Um den hohen Wasseranteil zu kaschieren, kippte Voll noch Schlachtblutplasma – das gibt’s als Pulver – in die Pampe. Für den Fleischgeschmack sorgten Gewürze, Aromen und Geschmacksverstärker. Materialwert: 59 Cent pro Kilogramm. Die Frontal 21-Redakteure reichten die gepanschte Wurst bei der Deutschen Landwirtschaftlichen Gesellschaft, DLG, zur Qualitätskontrolle ein. Die Wurst, die überwiegend aus Fleischabfällen bestand, bekam eine Silbermedaille! Die Illusion von Wurst, die in der Herstellung 59 Cent pro Kilo kostet, wird im Supermarkt für mehr als 7 Euro verkauft. „Kaufen Sie Fleisch und Wurst nur beim Metzger Ihres Vertrauens“, empfiehlt „Schweinebanden“-Autor Voll. „Und fragen Sie nach, aus welcher Haltung die Tiere kommen, die Ihr Metzger verarbeitet!“
In Deutschland werden pro Jahr etwa 70.000 Tonnen Separatorenfleisch verkauft. Es muss eigentlich deklariert werden, deswegen sollten Sie unbedingt das Kleingedruckte lesen, wenn Sie Wurst kaufen. Damit sind Sie allerdings noch nicht auf der sicheren Seite, denn oft fehlt der Hinweis. Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer sagte gegenüber Frontal 21, Separatorenfleisch sei heutzutage in der Fleischproduktion kaum noch nachweisbar. Sie sollten sich auch der Tatsache bewusst sein, dass in einer solchen „Wurst“ vor allem künstliche Aromen und Geschmacksverstärker (Glutamat!) für Geschmack sorgen. Substanzen, die nachweislich die Gesundheit schädigen.
Sie essen kein Schwein und bevorzugen Geflügelwurst? Sie glauben, dass da nur Geflügel drin ist? Nein! Stiftung Warentest hat 107 Produkte kontrolliert. Bei etwa jeder vierten Wurst stand dick „Geflügel“, „Pute“ oder „Truthahn“ auf dem Etikett, doch es war auch Fleisch vom Schwein oder Rind verarbeitet – überwiegend fast genauso viel, manchmal war sogar mehr Schweine- als Geflügelfleisch. Das war nur am Kleingedruckten zu erkennen. Eine echte Schweinerei! Ex-Metzgermeister und Lebensmittelkontrolleur Voll weiß, was noch in die Geflügelwurst kommt: Geflügelhaut, Joghurt (weil das billiger ist als Fleisch), Wasser, Separatorenfleisch. Auf dem Etikett steht dann: „Mit Joghurt verfeinert.“
Die schmutzigen Tricks der Fleischverarbeitungsbranche haben mir den Appetit auf Schnitzel, Steak oder Salami schon lange verdorben. Doch wenn Sie nicht darauf verzichten können oder wollen wie meine Freundin Liselotte, sollten Sie sich der Tatsache bewusst sein, dass die Branche Sie mit billigen Preisen ködert und minderwertige Wurst- und Fleischwaren mit Zutaten „veredelt“, die später oft nicht mehr nachweisbar sind.
Quellen:
https://www.test.de/Gefluegelwurst-Oft-mit-Schwein-und-Rind-4246853–0/
https://www.stern.de/genuss/essen/wurst–frontal-21-deckt-auf–wie-aus-abfall-wurst-wird-7933260.html
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