Drei Beutel, ein Gericht: Gas­tro­nomie ver­kauft meist nur noch die Illusion von fri­schen Gerichten — Wer selbst kocht, isst besser

Die soge­nannte Pan­demie hat auch gute Seiten: Die Men­schen greifen öfter zu Pro­dukten aus der Region, und sie kochen wieder öfter als vor Corona. Das gaben 30 Prozent bei einer Befragung durch das Mei­nungs­for­schungs­in­stitut „Forsa“ Mitte April an. Aus dem „Ernäh­rungs­report 2020“ des Bun­des­land­wirt­schafts­mi­nis­te­riums geht noch mehr Erfreu­liches hervor: 90% der Befragten bekun­deten, dass nur Lebens­mittel in ihrem Ein­kaufskorb landen, die gesund sind. 20 % gaben an, dass sie häu­figer frische Zutaten ver­wenden. Und die große Mehrheit der Befragten sprachen sich für ein staat­liches Tier­wohl­kenn­zeichen aus. Der Appetit auf Fer­tig­ge­richte ist einigen ver­gangen: Ein Viertel der Befragten gab an, dass sie diese Pro­dukte sel­tener ver­wenden als vor der Krise. Die von Staats wegen für Kri­sen­zeiten emp­foh­lenen Nudel- und Kon­ser­ven­vorräte liegen also nicht mehr im Trend, ein Glück! Das ist wirklich eine groß­artige Neben­wirkung von Corona – nach zahl­losen Nah­rungs­mittel- und Fleisch­skan­dalen, die in der Ver­gan­genheit kaum ein Umdenken bewirkt hatten. Viel­leicht braucht der Deutsche eine Krise, um von lieb­ge­wonnen, unge­sunden Gewohn­heiten zu lassen.

Doch wie sieht es aus, wenn wir essen gehen in der Kantine, im Restaurant, im Hotel? Während Con­ve­nience (eng­lisch: Bequem­lichkeit) lange Zeit zumindest in der etwas geho­be­neren Gas­tro­nomie ein abso­lutes Tabu war, wird dem Restau­rant­be­sucher heute in 80 % der Fälle die Illusion von fri­schem, vom Koch mit Liebe zube­rei­tetem Essen ver­kauft – oft genug für teures Geld. Nach der Devise „drei Beutel, ein Gericht“, liefern pro­fes­sio­nelle Food-Anbieter Fer­tig­pro­dukte aus der Tüte oder Saucen aus dem Tetrapack. Kaum ein Koch macht sich heute noch die Arbeit, Saucen oder Fonds selbst her­zu­stellen. Viel zu auf­wendig! Vor­ge­fer­tigte Kar­toffel- oder Teig­pro­dukte in allen Varia­tionen, Sauce Hol­lan­daise aus der Packung – der Nie­dergang der Koch­kultur ist offenbar nicht mehr aufzuhalten.

Con­ve­nience-Unter­nehmen, die das Kochen für die Restau­rant­köche über­nehmen, gibt es inzwi­schen wie Sand am Meer. Mit klang­vollen Namen wie „Block Menü“, „Achenbach Deli­ka­tessen Manu­faktur“ oder „Hol­lyfood“. Die Anspruchs­vollen berück­sich­tigen indi­vi­duelle Wünsche ihrer Auf­trag­geber. Auf der Hol­lyfood-Web­seite sieht man, wie „drei Beutel, ein Gericht“ funk­tio­niert. Zum Bei­spiel „Rhei­ni­scher Sau­er­braten aus der Rin­der­sem­mer­rolle mit oder ohne Rosinen in Sauce, frisch gekochter Apfel­rotkohl mit Biss, hand­ge­machtes Kar­tof­fel­stampf aus fri­schen Kar­toffeln.“ Das Gericht wird – abge­packt in drei Beuteln pro Portion – für 5,50 Euro ange­boten – und im Restaurant natürlich wesentlich teurer ver­kauft. „Pro­dukt­si­cherheit, Kal­ku­la­ti­ons­si­cherheit, gleich­blei­bende hoch­wertige Koch­qua­lität! In Absprache ist es möglich, fast alles Ihren Wün­schen anzu­passen, gekocht nach Ihrer Rezeptur, Füll­menge je Beutel nach Ihren Vorgaben….Wir als Pro­duk­ti­ons­küche nach Ihren Vor­gaben!“ Der Koch muss nur noch die Tüten im Was­serbad auf­wärmen (was ich ziemlich unap­pe­titlich finde, weil beim Erwärmen Plas­tik­be­stand­teile ins Essen über­gehen können). Dann die Tüten auf­schneiden, auf dem Teller anrichten, nett gar­nieren, fertig ist das Gericht.

FVZ Con­ve­nience bietet Schnitzel und Steaks in allen Varia­tionen an. Etwa „Schnitzel aus dem fri­schen Schwei­ne­lachs geschnitten, gewürzt, nicht gesteakt, her­ge­stellt nach Haus­frauen Art, mit Vollei und Milch sowie einer souf­flie­renden Panade aus extra­feinen, ori­ginal öster­rei­chi­schen Sem­mel­bröseln. Natür­liche, haus­ge­machte Optik. Brat­fertig.“ Das Schnitzel wird roh geliefert und muss vom Koch oder seinem Azubi nur noch in die Pfanne gehauen werden. Der Deut­schen liebstes Fleisch­ge­richt wird in ver­schie­denen Gewichts­klassen ange­boten – von 160 bis 300 Gramm. Der Gast denkt, es sei haus­ge­macht, und lässt sich das indus­triell her­ge­stellte Schnitzel schmecken. Übrigens: Der Begriff „haus­ge­macht“ ist gesetzlich nicht geschützt. Wenn Sie auf einer Spei­se­karte „haus­ge­macht“ lesen, können sie nicht unter­scheiden, ob das Schnitzel aus der Restau­rant­küche oder aus einer der vielen Vor­be­rei­tungs­küchen kommt.

Vor­sicht auch bei Eiern am opu­lenten Früh­stücks­buffet Ihres Luxus­hotels! Rührei wird meist aus Flüs­sigei zube­reitet, das pas­teu­ri­siert und kon­ser­viert palet­ten­weise aus Ländern wie Lettland oder der Ukraine impor­tiert wird, wo Käfig­haltung noch Standard ist. Sobald das Ei ver­ar­beitet ist, muss das nicht mehr dekla­riert werden. Spie­gelei gibt’s tief­ge­froren, zum Bei­spiel bei Eipro. „Zeit sparen, mehr schaffen“, lautet hier die Devise: „Mit tief­ge­kühlten Spie­gel­eiern von Eifix lässt sich wert­volle Zeit sparen. Ohne auf­wen­diges Auf­schlagen und Braten können Profis schnell und einfach Spie­geleier mit natür­lichem Geschmack auch bei erhöhtem Bedarf her­stellen. Eifix macht das Natur­produkt Spie­gelei zu einer sicheren Ange­le­genheit.“ Ver­kauft werden Beutel mit 50 Stück, Min­dest­halt­bar­keits­datum: 18 Monate!

Und weil Zeit Geld ist und es viel Zeit kostet, Eier hart zu kochen und in Scheiben zu schneiden, und weil die End­stücke dann kein Eigelb ent­halten, gibt es indus­triell her­ge­stelltes Ei an der Stange. Und das funk­tio­niert so: Eigelb und Eiweiß werden getrennt, das Eigelb wird maschinell gekocht und dann in eine Plas­tik­folie gegossen, die wird mit dem flüs­sigen Eiweiß auf­ge­füllt. Dann wird der Schlauch in regel­mä­ßigen Enden fest ver­dreht und zuge­bunden. Sieht aus wie eine Gelb­wurst. Die Eirolle wird nochmal gekocht, fertig ist das „per­fekte Produkt“, das immer gleiche Eier­scheiben garan­tiert. Ver­packt und tief­ge­froren ist das Ei an der Stange ein Jahr haltbar! Damit es in dieser langen Zeit nicht zäh wird, werden Stoffe zuge­setzt. Das Ei ohne Ende, ein Natur­produkt künstlich auf Effi­zienz getrimmt. Darauf kann man echt ein Ei schlagen!

In der Gas­tro­nomie wird der Gast meist getäuscht – mit der Illusion von in der haus­ei­genen Küche frisch zube­rei­teten Gerichten. Es gibt Glücks­fälle: Ich kenne ein gemüt­liches Restaurant, in dem der Koch sich jederzeit gerne über die Schulter schauen lässt. Da stehen keine Tetrapaks, da liegen keine Gulasch- oder Kar­tof­fel­brei­beutel. Ver­wendet werden nur leckere Zutaten aus der Region. Inzwi­schen ist das offenbar die Aus­nahme. Achten Sie mal darauf, wie lange es dauert nach der Bestellung, bis Ihnen im Restaurant ein warmes Gericht ser­viert wird. Wenn es schnell geht, lässt sich dahinter Con­ve­nience ver­muten, wenn etwas länger dauert, ist das aus meiner Sicht ein Indiz dafür, dass die Mahlzeit direkt nach der Bestellung in der Restau­rant­küche zube­reitet worden ist.

Quellen:

https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsreport2020.html

https://www.stern.de/genuss/essen/tricks-der-lebensmittelindustrie–finger-weg-vom-ei-auf-dem-back-shop-broetchen-7827352.html

https://www.faz.net/aktuell/stil/essen-trinken/vorgefertigtes-essen-in-restaurants-wird-immer-beliebter-15575478.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

 

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