„Medizin ohne Moral“: Ber­liner Hausarzt schreibt Buch über den Arzt als Erfül­lungs­ge­hilfe von Pharma-Unternehmen

In China hat vor zwei Jahren erstmals ein mit Künst­licher Intel­ligenz gefüt­terter Roboter das Medizin-Examen bestanden. Zur Vor­be­reitung war der „kleine Doktor“ Xiaoyi mit rund einer Million medi­zi­ni­scher Bilder, 53 medi­zi­ni­schen Büchern, zwei Mil­lionen medi­zi­ni­schen Akten und 400.000 medi­zi­ni­schen Fach­ar­tikeln sowie Berichten gefüttert worden. Maschinen statt Men­schen, Künst­liche Intel­ligenz statt Erfahrung und Empathie – sieht so die Zukunft der ärzt­lichen Ver­sorgung auch in Deutschland aus? Seit 25 Jahren gibt es im Gesund­heits­system einen fatalen Trend zur Tech­ni­sierung und Leis­tungs­ver­dichtung, die mensch­liche Kom­po­nente bleibt dabei zuse­hends auf der Strecke, kri­ti­siert der Ber­liner Internist Dr. Erich Freis­leben in seinem Buch „Medizin ohne Moral – Dia­gnose und The­rapie einer Krise“.

Freis­leben prak­ti­ziert seit 35 Jahren im Ber­liner Wedding als Hausarzt und ver­sucht, sich genügend Zeit zu nehmen für seine Pati­enten aller Alters­klassen, Ethnien und Schichten. In seinem Buch beschreibt er anschaulich, wie schwer das inzwi­schen ist. An einem ganz nor­malen Arbeitstag betreut Freis­leben um die 50 Pati­enten in seiner Praxis, oft nimmt er danach noch Schreibkram mit Anträgen und Attesten mit nach Hause. Den „täg­lichen Turbo“ nennt der Ber­liner Arzt das. Früher konnte er sich wesentlich mehr Zeit für seine Pati­enten nehmen. Heute muss er täglich zwei bis drei Mal so viele Pati­enten wie früher behandeln, damit seine Praxis wirt­schaftlich bleibt. Laut Freis­leben haben Pati­enten keine Lobby mehr, Ärzte seien „kom­mer­ziell kon­ta­mi­niert“ und zunehmend Erfül­lungs­ge­hilfen eines Inter­essen-Kon­glo­merats aus Pharma- und Tech­no­logie-Unter­nehmen und der Politik.

„Eine an den Bedürf­nissen des Pati­enten ori­en­tierte ganz­heit­liche Behandlung ist gemäß der ‘Evi­denz­ba­sierten Medizin‘ nicht mehr sys­tem­üblich, sondern juris­tisch gesehen sogar nicht mehr sys­tem­ge­recht.“, schreibt der enga­gierte Arzt. Und er beob­achtet mit Sorge, dass sich in den Main­stream-Medien kri­tische Berichte über Behand­lungs­kon­zepte außerhalb des medi­zi­ni­schen Estab­lish­ments häufen. Es gibt For­de­rungen, den Beruf des Heil­prak­tikers kom­plett abzu­schaffen, die Natur­heil­kunde wird in die eso­te­rische Ecke geschoben, es wird vor angeblich gefähr­lichen Impf­gegnern gewarnt, die Masern­partys feiern und mit ihrem unver­ant­wort­lichen Ver­halten den Rest der Menschheit gefährden. Gefährlich findet Freis­leben auch die Debatte um den Umgang mit Corona. Hoch inter­essant sind seine Recherchen zum Streit um die Homöo­pathie. Obwohl es weit über ein­tausend Studien gibt, die zu posi­tiven Ergeb­nissen kommen, berufen sich die Gegner meist auf eine einzige negative Analyse, die vom EASAC, dem European Aca­demies Science Advisory Council, als Beleg für die Unwirk­samkeit der Homöo­pathie ange­führt wird.  „Der aus­tra­lische Homöo­pathie-Bericht wurde zweimal ver­fasst“, schreibt Pro­fessor Harald Walach, ein deut­scher kli­ni­scher Psy­chologe, Wis­sen­schafts­theo­re­tiker und ‑his­to­riker. „Die erste Version, die offenbar zu ganz posi­tiven Ergeb­nissen gekommen ist, scheint in der Schublade ver­schwunden zu sein.“ Das Home­opathic Research Institute (HRI) in London erstritt gerichtlich die Her­ausgabe der ersten Version. Sieben Jahre nach Abschluss der Studie wurde am 28. August 2019 das Ergebnis bekannt­ge­geben: Die Wirk­samkeit von Homöo­pathie ist evi­denz­ba­siert nach­ge­wiesen. Davon aller­dings haben wir in den mei­nungs­bil­denden Medien nichts gehört oder gelesen.   

Freis­leben hat recher­chiert, wer die orga­ni­sierten Homöo­pa­thie­kri­tiker sind. Er zitiert aus einem Beitrag von Hajo Fritschi im anthro­po­so­phi­schen Magazin Info 3: „Das hängt damit zusammen, dass sich Kri­tiker zusam­men­ge­schlossen und im Rahmen der Gesell­schaft zur wis­sen­schaft­lichen Unter­su­chung von Para­wis­sen­schaften (GWUP) das Infor­ma­ti­ons­netzwerk Homöo­pathie (INH) gegründet haben. … Die Arbeit des INH ist pro­fes­sionell und zeigt inzwi­schen weit­rei­chende Ver­bin­dungen in Medien und Politik. … Das Netzwerk erscheint in Jour­na­lis­ten­kreisen als ver­läss­liche Infor­ma­ti­ons­quelle, dessen Ansichten über jeden Zweifel erhaben scheinen. … Um vor allem die Medien nach posi­tiven – im Sinne des INH also fal­schen – Infor­ma­tionen zu durch­forsten, bedient sich das Netzwerk neu­er­dings des Portals Med­Watch. Dieses scannt nach eigenen Angaben regel­mäßig das Internet nach unse­riösen, irre­füh­renden und gefähr­lichen Infor­ma­tionen zum Thema Gesundheit. Med­Watch wird finan­ziell unter­stützt vom Deut­schen Kon­su­men­tenbund, der auch das Infor­ma­ti­ons­netwerk Homöo­pathie mit­fi­nan­ziert und enge Ver­bin­dungen zur GWUP pflegt.“

Freis­lebens Fazit: „Die Phar­ma­lobby kann dankbar sein, dass ein gut orga­ni­siertes Hin­ter­grund-Netzwerk von radi­kalen Gegnern der Natur­me­dizin die Öffent­lichkeit darauf ver­pflichten will, nur ihre Pro­dukte in Anspruch zu nehmen.“  

„Medizin ohne Moral“ ist eine mutige, scho­nungslose Bestands­auf­nahme unseres schwer kranken (Gesundheits)systems. Ver­bunden mit einem Blick zurück in bessere Zeiten und einer Warnung vor der Zukunft. Das Buch ist ein ein­dring­liches Plä­doyer für eine kreative, ganz­heit­liche Medizin, in der wieder der Mensch im Mit­tel­punkt steht und nicht ein­zelne Krankheits-Symptome.

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