Nicht, dass es irgendwen erstaunt hätte, dass der EU-Kommissar Oettinger vom Prüfer der Konzerne zum Berater derselben wechseln würde. Aber dass es so blitzartig geht, dass er nicht einmal die vorgeschriebenen zwei Jahre Anstandsfrist wahrt, das erstaunt auch Insider. Herr Oettinger ist berühmt für sein überaus gutes Verhältnis zu den Großunternehmen. Dort wird man in alter Freundschaft ja wohl mit einem guten Job aushelfen müssen, damit Günther nicht am Hungertuche nagt. Das Übergangsgeld in Höhe des halben Gehaltes für drei Jahre zusätzlich zur Mindestrente reicht ja nur zum Nötigsten.
Seit Januar 2017 ist Herr Oettinger EU-Kommissar für Haushalt und Personal in Europa. Davor war er EU-Kommissar für Digitalwirtschaft, wo er sich schon als explizit wirtschaftsfreundlich erwies. Er war es, der die Uploadfilter im Netz unbedingt durchsetzen wollte und das Leistungsschutzrecht gegen das freie Netz verschärfte. Befürworter des freien Netzes kritisierte er für ihr „Taliban-artiges Denken“. „Taliban“ war eigentlich jeder, der ihm mit seinen konzernfreundlichen Zielen im Weg war, so z.B. auch freie Journalisten von Futurezone, die ihm kritische Fragen zum Geoblocking stellten.
Günther Oettingers Bestellung zum EU-Kommissar war schon von Anfang an umstritten. Die Seite „Lobbycontrol“ schrieb bereits zu seiner Ernennung:
„Viele EU-Kommissare gelten als ausgesprochen konzernfreundlich. Der künftige Haushaltskommissar Günther Oettinger setzt noch einen obendrauf. 90 Prozent seiner Treffen fanden 2016 mit Firmenvertretern statt. Eine Firma mit Interesse an der Nabucco-Pipeline sponserte während seiner Zeit als Energiekommissar das von ihm organisierte Mini-Davos. Und mit dem Lobbyisten und Putin-Bekannten Klaus Mangold feierte er Geburtstag.“
LobbyControl und andere Nichtregierungsorganisationen, wie zum Beispiel Transparency International, Corporate Europe Observatory, European‘s Women Lobby, Oxfam International, forderten die Abgeordneten auf, Oettingers Ernennung nicht zuzustimmen. Sie meldeten starke Bedenken an, Herrn Oettinger dieses Ressort zu unterstellen, wo er für die Einhaltung der Ethikregeln der EU-Mitarbeiter verantwortlich ist. Dass er diese wirklich streng und unnachgiebig umsetzen würde erschien den Organisationen sehr unwahrscheinlich. Seine Beziehungen und Verflechtungen mit den Großkonzernen und der Industrie, deren Aufseher er ja sein sollte, waren zu bekannt und offensichtlich. Lobbycontrol formulierte es damals salopp „Und wenn es darum geht, mit seinen „Buddies“ aus der Wirtschaft zu netzwerken, nimmt er es mit seinen eigenen Ethikregeln schon mal nicht so genau.“
EU-Kommissare müssen seit 2014 ihre Lobbytreffen dokumentier en. Wie eine Auswertung von Transparency International‘s Integrity Watch ergibt, hat kein anderer EU-Kommissar eine so hohe Frequenz von Treffen mit Wirtschaftslobbyisten wie Herr Oettinger.
Im Herbst 2019 lief die Amtszeit Herrn Oettingers als EU-Kommissar ab. Wie erwähnt, wäre dann eine zweijährige „Abkühlzeit“ vorgeschrieben, eben weil man doch noch ein Feigenblatt vor die vielzitierte „Drehtür“ hängen möchte. Es kommt halt beim Wahlvolk nicht so gut an, mitansehen zu müssen, wie die von seinem Geld bezahlten Politiker in die Drehtür zum politischen Amt eintreten, dort ihre Runden drehen und hochbezahlt in der Wirtschaft wieder herauskommen. Man muss kein Raketenwissenschaftler sein, um sich ausmalen zu können, dass die Wirtschaft sich nicht gerade um solche Politiker reißt, die besonders pingelig und unnachgiebig waren – und sicher muss die Politik auch die Wirtschaft berücksichtigen. Es kommt jedoch ein „Gschmäckle“ auf, wenn Leute, die die Belange und Interessen der Bevölkerung in einem bestimmten Ressort vertreten und schützen sollten, dann mit ihrer Erfahrung, ihren Verbindungen in die Politik und ihrem Insiderwissen direkt im Anschluss an ihr Amt all dies den Konzernen zur Verfügung stellen. Also ihnen quasi helfen, ihren jeweiligen Nachfolger nach Strich und Faden auszumanövrieren, falls der nicht eh schon mitspielt.
Aber Herr Oettinger nimmt nicht einmal die zwei Jahre „Abkühlzeit“ in Kauf, sondern bricht auch hier alle Rekorde. Sofort nach seinem EU-Kommissarsamt hat er schon 13 neue, hochdotierte Jobs in der Wirtschaft bei denen, die er vorher so streng beaufsichtigt hat. Selbst die ARD schreibt:
„Das sorgt in Brüssel für eine neue Kontroverse über den umstrittenen Drehtüreffekt, den fliegenden Wechsel von der Politik in die Wirtschaft, mitsamt der Spezialkenntnisse und vor allem auch mit wertvollen Kontakten.“
Daniel Freund, EU-Grünen-Abgeordneter kritisiert diesen ‚fliegenden Wechsel‘ des deutschen Kommissars: „Allein sieben der 13 neuen Arbeitgeber von Oettinger stehen im Lobbyregister. Da liegt es also nahe, dass sich hier Lobbyfirmen einen exklusiven Zugang oder Insider-Wissen sichern wollen.“ Er sieht es auch so, dass die Unternehmen, die Oettinger verpflichten, schon wüssten, warum. Tatsächlich sind die Auflagen, die die EU den ausscheidenden Politikern auferlegt, nicht so einfach auf Einhaltung zu kontrollieren. De jure darf Herr Oettinger seinen neuen Arbeitgebern keine Tipps geben, bei welchem seiner guten Kontakte denn das Unternehmen mal eben anrufen könnte und ein wichtiges Anliegen unter der Hand regeln. Aber wie will man das überprüfen? Oder ob Herr Oettinger selber einen alten Freund aus der Brüsseler Politik anruft, über alte Zeiten redet und – apropos – da mal nebenbei eine Sache erwähnt, wo der alte Freund vielleicht einen Rat wüsste, wie das Unternehmen XYZ mit seinem Problem in Brüssel weiterkommt. Das sei aber genau der Grund, meint Daniel Freund, warum so viele Unternehmen an Herr Oettinger interessiert seien.
Tatsächlich gibt es schon auch Ausnahmegenehmigungen, dass ehemalige EU-Beamte auch direkt nach Ablauf ihrer Amtszeit einen neuen Job annehmen können. Aber gleich 13 Ausnahmen? Der WDR schreibt in seinem Kommentar:
„Oettinger hat sie gleich 13 Mal bekommen. Unter anderem für die Tätigkeit als Aufsichtsrat in der Tunnelbohrfirma Herrenknecht, die als Weltmarktführer der Branche gilt. Dazu kommen Tätigkeiten für die Unternehmensberatung Deloitte, für eine Fondsgesellschaft und für eine Kommunikationsberatung.“
„Freund hat eine Liste der Nebenjobs erstellt, die heute Mitglieder der einstigen EU-Kommission von Jean-Claude Juncker innehaben. Diese sind in den ersten zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus der EU-Kommission genehmigungspflichtig. Das Ergebnis: Manche Kommissare haben sich nur eine Tätigkeit genehmigen lassen. Beim ehemaligen Behördenchef Jean-Claude Juncker sind es fünf, doch Oettinger führt mit Abstand.“
Nun regt sich auch im EU-Parlament Ärger über eine so offensichtliche Bevorzugung und den Bruch der Vorschriften. Es gibt Vorschläge, auch weiterhin nach dem politischen Amt in die Wirtschaft wechseln zu können. Dies müsse aber dann von einer unabhängigen Instanz geprüft werden und auch die Genehmigung einer Ausnahme – die aber nicht innerhalb der Kommissariate selbst gewährt werden soll. Es müsse die volle Transparenz gewahrt und Interessenskonflikte ausgeschlossen werden.
Das ist eine gute Absicht. In der Praxis wird es ein Leichtes sein, auch das auszuhebeln. Der Betreffende durchläuft das vorgeschriebene Procedere, bekommt die Genehmigung für eine Tätigkeit bei einem Unternehmen, das keinen Interessenskonflikt birgt, arbeitet dort ein halbes Jahr und wechselt dann in ein Unternehmen, was ihm nicht genehmigt worden wäre. Da kann dann niemand viel gegen machen. Es ist sogar gut vorstellbar, dass die Unternehmen so etwas untereinander auskaspern.
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