Kern­energie: Die Fak­ten­checker checken nichts

Zuge­geben, es ist meist lang­weilig, Bill Gates zuzu­hören, einem Mann mit zu viel Zeit, zu viel Geld und zu viel Sen­dungs­be­wusstsein. Dass er sich nun nach der Welt­impfung dem Welt­klima rettend zuwenden will, bereitet mir auch einige Sorgen. Und nicht nur mir gries­grä­migen Welt­kli­ma­ret­tungs­skep­tiker! Wie ein Fuchs, der in den Hüh­ner­stall gefahren ist, hat Gates nämlich eine ket­ze­rische Idee ver­breitet, über die unsere EEG-gemäs­teten Ener­gie­wender nun schnell eine dicke Decke gön­ner­hafter Kor­rek­turen werfen müssen. Gates glaubt nämlich daran und erzählt nun uns, das Klima lasse sich mit Hilfe der Kern­kraft retten. How dare you!

Mythos Atom­kraft: Bill Gates irrt gleich fünffach“* titelt das Han­dels­blatt und die Autoren Hirsch­hausen und Kemfert möchten Gates Idee, im Kampf gegen den Kli­ma­wandel auch auf Atom­energie zu setzen, gleich zurück in „die Mot­ten­kiste” schubsen. Frau Kemfert ist bei solchen Schub­s­e­reien ja keine Unbe­kannte. Immer wenn es gilt, sich nach Kräften und mög­lichst kennt­nisarm im Dienst der Ener­gie­wende zu äußern, ist sie zur Stelle. Gehen wir also gleich in die Beweis­stücke des kem­fer­ti­schen Fak­ten­checks und machen mit spitzer Feder Löcher ins schöne Framing der „fünf Irrtümer”.

Irrtum 1

Atom­energie ist zwar CO2-ärmer als fossile Energien, aber kei­neswegs CO2-frei. Bei der Pro­duktion der Kraft­werke, beim Abbau von Uran, beim jah­re­langen Rückbau der Anlagen ent­stehen in erheb­lichem Umfang Treibhausgase.“

Es gibt leider über­haupt keine CO2-freien Pro­zesse in der Ener­gie­wirt­schaft, auch bei Sonne, Wind und Wasser nicht! Gräbt man nur tief genug, findet man immer etwas. Und bei Kem­ferts „Erneu­er­baren“ müssen wir nicht mal tief graben. Bis zum Beton­fun­dement der Wind­räder würde schon genügen oder wir schauen auf die Erzeugung des benö­tigten Kupfer, Stahl, GFK, die Her­stel­lungs­pro­zesse der Solar­zellen aus China und den Transport von dort nach Europa. Auch währe da der Abbau von Kobalt und Neodym oder der Die­sel­kraft­stoff, den die Fahr­zeuge der War­tungs­tech­niker ver­brennen oder die Gly­kol­bäder zur Abtauung ver­eister Wind­kraft­an­lagen. Der Ern­te­faktor der Wind­kraft und der Pho­to­voltaik ist so mies wie der Flä­chen­ver­brauch hoch ist. Vom Rückbau und der Ent­sorgung gar nicht zu reden. Die viel­ge­lobte Ener­gie­wende hat die CO2-Bilanz Deutsch­lands be- nicht ent­lastet. Fak­ten­che­cker­checker-Urteil: fak­ten­freies Ablenkungsmanöver!

Irrtum 2

Die ver­meintlich größte Stärke der Atom­kraft­werke liegt in ihrem „Grundlast“-Beitrag. Das klingt nach nütz­licher Ergänzung im Ener­giemix, weil erneu­erbare Energien in der Strom­pro­duktion schwanken. Doch Atom­kraft ist selbst eine Ener­gie­quelle mit großen Aus­schlägen, nicht nur durch Unfälle, sondern auch wegen viel­fäl­tiger Aus­fall­zeiten im „Nor­mal­be­trieb“. Es gibt auch schon aus­rei­chend Fle­xi­bi­li­täts­op­tionen für eine sichere Strom­ver­sorgung. Wer Digi­ta­li­sierung und Kli­ma­schutz zusam­men­denkt, kom­bi­niert Energie- und Last­ma­nagement, fle­xible Nach­frage und mit­tel­fristig Strom­speicher, die in kür­zester Zeit Schwan­kungen aus­gleichen. Erneu­erbare Energien sind fle­xible Teamplayer.“

Die „viel­fäl­tigen Aus­fall­zeiten“ rühren nicht von den „Unfällen“ her, sondern sind Folge plan­mä­ßiger, Revision genannter War­tungs­ar­beiten. Findet jährlich statt, ist extrem gründlich und gehört zum Sicher­heits­konzept und damit zur Betriebs­ge­neh­migung. Im Gegensatz zu Sonne und Wind sind Revi­sionen gut planbar, ins­be­sondere werden sie mit den Netz­be­treibern abge­stimmt. Die Aus­fall­zeiten sind zudem sehr klein und im Gegensatz zur Sonne und Wind laufen die Kern­kraft­werke ansonsten bei Tag, Nacht, Son­nen­schein und Flaute.

Kemfert und Hirsch­hausen ver­suchen, Sorgfalt auf die Ebene des Chaos zu ziehen, auf der sich ihre Wind­räder drehen und durch Vokabeln wie „Unfall“ Bilder von Fuku­shima in den Köpfen zu erzeugen. Der Rest ist inhalts­loses, poröses Polit­ge­bimmel mit leeren Floskeln. Nur bei „fle­xible Nach­frage“ sollte man hell­hörig werden. Hier sind nämlich Sie gemeint, liebe Leser. Sie mit ihrem Was­se­kocher, ihrem Tesla, ihrer Wasch­ma­schine. Die „fle­xiblen Team­player“ sind die Ver­braucher. Motto: Räder müssen auch mal still­stehen für den Sieg. Fak­ten­che­cker­checker-Urteil: Fake-News, Framing und Verharmlosung

Irrtum 3

Atom­energie taugt nicht als Frie­dens­tech­no­logie. Im Gegenteil. Die Technik ist seit 80 Jahren vor allem aus mili­tä­ri­schen Motiven wichtig, ob im Zweiten Welt­krieg, im Kalten Krieg oder im Iran und in Nord­korea heute. Auch die angeblich neue Technik der von Gates pro­pa­gierten Reak­toren stammt aus den Anfängen mili­tä­ri­scher Ent­wick­lungen der Nach­kriegszeit. Die red­lichen Bemü­hungen inter­na­tio­naler Abkommen, das Problem der Atom­waffen zu mini­mieren, würden durch zusätz­liche Atom­kraft­werke konterkariert.“

Die Ent­wicklung der Pho­to­voltaik stammt nicht zuletzt aus mili­tä­ri­schen Satel­liten-Pro­grammen. Doch kein Stäubchen des Zweifels schafft es in diesem Fall auf die Argu­mente, denn die sind ja so sauber! Es spielt aber keine Rolle, ob die Kern­energie vor 80 Jahren mili­tä­risch begann, die Frage ist, ob sie heute noch dort steht, wo Kemfert sie hin­schieben möchte. Neue Kraft­werks­typen mit pas­siver Sicherheit und mit schnellen statt lang­samen Neu­tronen hätten zudem gänzlich andere Zer­falls­ketten und eigenen sich über­haupt nicht für die Anrei­cherung zum Zweck der Waffenproduktion.

Die Tech­no­logie ist da, wir setzten sie nur nicht ein, weil wir auf Panik­macher, Angst­ver­breiter und EEG-Pro­fi­teure wie Kemfert hören. Das Bild, welches Kemfert und Hirsch­hausen von der Kern­energie zeichnen, hat mit der Rea­lität etwa so viel zu tun, wie die Mühlen im Titelbild dieses Artikels mit modernen Win­kraft­an­lagen. Fak­ten­che­cker­checker-Urteil: Ablen­kungs­ma­növer! Gates spricht von Kern­energie und Kemfert ver­steht „Atom­bomben”. Über die Zeit­bombe EEG am Fun­dament der Industrie spricht sie lieber nicht.

Irrtum 4

Auch die von Gates‘ Unter­nehmen Ter­ra­Power pro­pa­gierten Reak­tor­kon­zepte sind nicht frei von Gefahren. Sie ver­wenden die Tech­no­logie des Schnellen Brüters, die von fast allen Ländern, die damit expe­ri­men­tierten, inzwi­schen auf­ge­geben wurde. Der Lauf­wel­len­re­aktor benötigt Werk­stoffe und Kühl­mittel, die bis heute nicht kom­mer­ziell ver­fügbar sind. Und auch die Mini-Reak­toren müssen irgendwann auf­wendig zurück­gebaut werden.“

Wie hin­ter­hältig! Die Argu­men­tation befindet sich hier etwa auf dem Niveau, auf welchem Green­peace gern Pirou­etten dreht: der gene­tisch ver­än­derte „Golden Rice“ hätte den Vit­amin­mangel in Asien nicht beheben können, sagte Green­peace. Dabei war es der Ein­fluss von Green­peace, der dessen Anbau ver­hin­derten. Wir sind in den 80er Jahren de facto aus der Atom­energie, der For­schung und der tech­ni­schen Umsetzung in Kraft­werken aus­ge­stiegen. Das akku­mu­lierte Wissen ist mangels Per­spektive längst abge­wandert und wei­ter­ge­zogen. Auf Druck einer unin­for­mierten und in Panik ver­setzten Öffent­lichkeit und einer gewissen grünen Partei.

Der „schnelle Brüter“ wird gebaut, nur eben nicht in Deutschland. Im Kühlturm von Kalkar drehen sich nun ein zukunfts­si­cheres Ket­ten­ka­russell, während China und Russland in Kraft­werken neuerer Gene­ration den „Abfall“ aus den Druck- und Sie­de­was­ser­re­ak­toren der 60er und 70er Jahre bald zur Ener­gie­ge­winnung nutzen werden. Hat man statt einer Mil­lionen Jahre gefähr­lichem Strah­lungsmüll am Ende nur noch ein paar hundert Jahre lange Zer­falls­ketten vor sich, erscheinen auch End­la­gerung und Rückbau älterer Anlagen gar nicht mehr so undurch­führbar. Fak­ten­che­cker­checker-Urteil: unwis­sen­schaft­licher, poli­tisch moti­vierter Skeptizismus.

Irrtum 5

Die Kosten von Klein­re­ak­toren sind nicht nied­riger, sondern höher. Des­wegen hat man einst begonnen, große statt kleine Reak­toren zu bauen. Nur mit Sub­ven­tionen oder staat­lichen Geldern können Reak­toren gebaut werden. Bisher sind alle Atom-Start-ups nach kurzer Zeit wieder in der Ver­senkung ver­schwunden – aus immer den­selben Gründen: Risiko, Müll und Kosten. In den Zeit­räumen, die für Kli­ma­schutz besonders wichtig sind, den nächsten zwei bis drei Jahr­zehnten, sind die von Gates ver­folgten Kon­zepte irrelevant. Was zählt, ist die kon­se­quente Umsetzung der Ener­gie­wende als kom­plexes Gemein­schaftswerk. Im Zusam­men­spiel liefern die erneu­er­baren Energien all das, was Gates erreichen will: Ver­sor­gungs­si­cherheit, Dezen­tra­lität, Kli­ma­schutz und Frieden. Sie sind deutlich weniger risi­ko­be­haftet, preis­werter und bereits heute ein­satz­fähig. Nutzen wir einfach kon­se­quent, was wir schon haben!“

Echt jetzt? Sub­ven­ti­onsneid? Da neidet der Säufer dem Junkie den Joint. In Sachen Sub­ven­tionen würde ich ja an Stelle der Wind- und Son­ne­an­beter im Strom­preis­welt­meis­terland den Ball ganz flach halten. Und über Kern­kraft-Start-Ups wollen wir im Land der bank­rotten Solar­zel­len­pro­duktion auch lieber nicht reden. Zudem hat der Aus­stieg aus der Kern­energie jede Inno­vation auf diesem Gebiet aus dem Land und seinen Uni­ver­si­täten ver­grault. Hier wächst also nichts mehr, was auch nur ansatz­weise ein Start-Up werden könnte.

Von all den unter­stellten tollen Eigen­schaften besitzen die „Erneu­er­baren“ nur eines: Dezen­tra­lität. Sie ver­ringern jedoch die Ver­sor­gungs­si­cherheit, dienen nicht dem Kli­ma­schutz und sorgen lang­fristig auch nicht für Frieden, weil sie durch Vola­ti­lität und Knappheit eher zu Ver­tei­lungs­kämpfen und wegen ver­schie­dener knapper Res­sourcen zu deren Her­stellung zu Unruhen in den Ländern führen werden, wo Kobalt, Lithium und Neodym aus der Erde geholt werden. Über zahl­reiche der ergie­bigsten Vor­kommen hat zudem China die Kon­trolle. Fak­ten­che­cker­checker-Urteil: Lügen, Märchen und Verdrehungen.

Schluss­be­merkung

Niemand behauptet, dass die Kern­kraft eine risi­kolose Tech­no­logie ist. Wir sollten aber nicht auf die Ver­spre­chungen her­ein­fallen, die Ener­gie­wende sei risi­kolos und in ihrer aktu­ellen Form sogar alter­na­tivlos. In Kem­ferts Argu­men­tation klafft, wenn man die Lage so betrachtet, wie sie sie immer dar­stellt, zudem eine riesige Logik-Lücke:

Wenn der Kli­ma­wandel tat­sächlich eine Aufgabe gerade der nächsten Dekaden sein sollte, wie Kemfert behauptet, sollte die Menschheit dann nicht zunächst dieses Problem lösen? Und zwar mit den Mitteln, die sie jetzt gerade ver­lässlich zur Ver­fügung hat? Warum gerade jetzt mit dem Rückbau der letzten, gut funk­tio­nie­renden und CO2-neutral zu betrei­benden Kern­kraft­werke beginnen, wenn wir doch bereist unter „Irrtum 1“ erfahren mussten, wie CO2-lastig das wäre? Drei der sechs letzten ver­blie­benen Kern­kraft­werke Deutsch­lands sollen in diesem Jahr noch vom Netz gehen. Die Hälfte der ver­blie­benen Kapa­zität. Man kann 4 GW ver­läss­liche Energie nicht durch leere Phrasen ersetzen.

* Falls der Link nicht funk­tio­nieren sollte, hier gibt es den Artikel im Web-Archiv.


Der Autor Roger Letsch ver­öf­fent­licht seine sehr lesens­werten Bei­träge auf www.unbesorgt.de