Der Privatdetektiv Julian H., einer der Macher des berüchtigten Ibiza-Skandalvideos, ist vor einer Woche nach Österreich ausgeliefert worden, nachdem alle Rechtsmittel, die er eingelegt hatte, nichts halfen. Immer wieder wehrte er sich mit Einsprüchen gegen seine Auslieferung aus Deutschland nach Österreich. Doch nachdem alle Instanzen abgeklappert waren, ging‘s zurück nach Wien, wo er in U‑Haft in Wien-Josefstadt sitzt. Er geriert sich als verfolgter Aktivist gegen die bösen, korrupten Rechten. Tatsächlich sind die Vorwürfe gegen ihn aber völlig anderer Natur. Er soll wegen Rauschgifthandels und Besitzes von Rauschgift und wegen versuchter Erpressung vor Gericht kommen. Das hört sich nicht so richtig nach einem tapferen Aktivisten gegen die bösen „Nazis“ an. Und es geht weiter: Julian H. zettelt gerade einen Rauschgift-Skandal gegen Kanzler Sebastian Kurz an!
Das Bundesverfassungsgericht begründete die Zurückweisung seines Eilantrags gegen die Auslieferung folgendermaßen: Julian H. habe „nicht substantiiert dargelegt, dass er in der Republik Österreich politisch verfolgt wird und ihn dort kein faires Verfahren … erwartet“.
Die ganze Sache rundum das Video entwickelt sich zu einer Vollkatastrophe für alle, die damit in Berührung kommen. Selten war das Wort von dem, der eine Grube gräbt und selbst hineinfällt, so wahr. Sogar die, die von dieser Schlammschlacht in der Jauchegrube politisch profitierten, haben Spritzer auf dem weißen Chemisettchen. Der Begriff „Ibiza-Video“ hat längst eine andere Konnotation bekommen: Es wird jetzt mit undurchsichtigen Machenschaften, üblen Tricks, Täuschung und absichtlich böswilligem Zusammenschneiden und Verdrehen zum Zwecke des Rufmordes in Verbindung gebracht. Und da der österreichische Jung-Wunderwutzi Sebastian Kurz aufgrund des ganzen Skandals – zackbumm – plötzlich auf dem Kanzlerthron saß, weil die Herren Strache und Gudenus im Zieleinlauf abgeschossen wurden, hängt seiner Kanzlerschaft auch ein „G‘schmäckle“ an.
Selbstverständlich weist Herr Julian H. das alles zurück. Alles Kabale, Lüge und Verdrehungen. Kommt ja aus berufenem Munde, ist man versucht zu denken.
Die österreichischen Ermittler werfen ihm jedenfalls die erwähnten Straftaten vor, sogar die taz widmete ihm einen ganzen Artikel. Seine Sicht ist, zusammengefasst, kurz erzählt: Herr H. Ist ein Opfer der parteiischen, durch und durch rechts verorteten, österreichischen Behörden, wo man sich gegen ihn verschworen hat und Rache üben will wegen des Ibiza-Videos. Die Beschuldigung, zweieinhalb Kilo Kokain verkauft zu haben, sei eine Lüge und stamme von zwei früheren Mitarbeitern, von denen er einen im Streit gefeuert habe. Der andere sei selbst mit Drogen erwischt worden und erhofft wohl eine mildere Strafe, indem er Julian H. belastet. Nun jaaa, räumt er ein … früher, im Jahr 2019 habe ja wirklich ein anderer Mitarbeiter versucht, das gesamte, ungeschnittene Video an Herrn Strache zu verkaufen. Das sei aber doch keine Erpressung gewesen und im übrigen ganz ohne das Wissen von Herrn Julian H. Und ganz gegen seinen Willen geschehen.
Ja, und sicher, stimmt schon, man habe ihn einmal mit 20 Gramm Kokain im Zuge eines beruflichen Einsatzes erwischt, gibt Julian H. im taz-Interview zu. Aber das sei nur Besitz und nicht Handel gewesen.
Was für ein Sumpf an Lügen, Intrigen, Dealerei, Rache und Verrat, welch charmante Gesellschaft. Eine Schlangengrube ist ein Kuschelzoo dagegen. Nur Julian H. ist ein missverstandener Aufrechter, ein Held der Aufklärung finsterer Machenschaften.
Die FAZ fasst die Geschichte der Entstehung des Ibiza-Videos, die der Idealist und Verfechter der Wahrheit Julian H. verbreitet, wie folgt zusammen:
„Ein Freund H.s, der Wiener Anwalt M., wollte Informationen eines Leibwächters Straches über angebliche korrupte Handlungen der Polizei melden, doch die habe sich dafür nicht interessiert. Daraufhin habe man gemeinsam die Ibiza-Falle ausgeheckt, um Straches wahre Natur zu enthüllen. Aber auch für dieses Video habe sich leider niemand interessiert. Als Strache dann in der Regierung gewesen sei und alle schlimmen Pläne in die Tat umzusetzen begonnen habe, ‚gab es kein Zurück mehr‘. Geld? Nein, um Geld sei es ihm nie gegangen. Das entlockte auch dem Interviewer von der ‚taz‘ die ungläubige Frage: ‚Kann man das glauben: Ein Privatdetektiv wird zum politischen Aktivisten?‘“
Tatsache ist, dass Julian H. und der „Anwalt M.“ nach dem Dreh des Ibiza-Videos 2017 eben schon versuchte, es für 5 Millionen Euro zu verkaufen. Es ging also offensichtlich doch um Geld. Die Herren wandten sich an verschiedene zahlungskräftige, vermutliche Interessenten, denen jedoch die Sache offenbar nicht behagte – unter anderem den Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner. Niemand biss an, weder die SPÖ noch die ÖVP. Auch zu den Grünen suchte Julian H. & Co. Kontakt – und sandte eine fragwürdige Nachricht an den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen … ganz kurz, bevor die Bombe platzte. Die involvierten Hauptmedien versicherten, nichts für den veröffentlichten, böswilligen Zusammenschnitt bezahlt zu haben.
Ist es wirklich glaubwürdig, dass man erst versuchte, 5 Millionen aus dem Sudelvideo herauszuschlagen und es dann kostenlos herausgegeben hat? Und wenn es stimmt, dass die „Herstellungskosten“ etwa 100.000 € betrugen, wer hat die bezahlt? Und wer bezahlt jetzt die Anwälte? Und war das Ganze wirklich nur die Idee von Julian H.? Wenn man die „cui bono“-Frage (wem nützt es?) stellt, kommen einem doch ganz andere Namen in den Sinn. Selbst der Oberste Gerichtshof Österreichs geht laut Äußerungen des Vorsitzenden Richters davon aus, das Julian H. diese Filmaufnahmen zu Geld machen wollte. Ein sehr naheliegendes Motiv.
Ist aber laut Julian H. alles ganz, ganz anders und von ihm aus reiner Kampf um Gerechtigkeit. Das hört sich in der „taz“ so an:
„Julian H.: Das stimmt aber nicht. Das Ganze begann mit einem früheren Bodyguard von Strache, der Material über dubiose Geldzuwendungen und Spesenabrechnungen von ihm gesammelt hatte. Davon erzählte der Bodyguard 2015 einem Freund von mir, einem Wiener Anwalt. Als dieser die Sache an das österreichische Bundeskriminalamt meldete, aber nichts passierte, bat er mich um Hilfe, um Strache die Korruption selber nachzuweisen. Und dann entstand die Idee mit dem Video. Ich habe da anfangs nur mitgemacht, um ihm einen Gefallen zu tun.“
taz: Sie organisierten Anbahnungstreffen und lockten Strache auf eine verwanzte Villa nach Ibiza – ein hoher Einsatz für einen Freundschaftsdienst.
„Julian H.: Je mehr ich mich mit der Sache beschäftigte, umso mehr handelte ich auch aus Überzeugung und Empörung. Ich war überrascht, wie offen Straches Vertrauter Johann Gudenus vom ersten Treffen an war, obwohl wir hier russisches Schwarzgeld offerierten. Und ich merkte, dass etwas faul ist im Staate Österreich. Es gibt ein System, Wirtschaftsinteressen mit Parteispendenkonstruktionen durchzusetzen. Versuche, die Medien zu steuern. Undurchsichtige Kontakte nach Russland. Und so hoch war der Aufwand für mich gar nicht. Die verdeckten Kameras habe ich im Internet bestellt.“
Dass das Ganze einen Regierungsumsturz verursacht hat, das will Julian H. nicht erwartet haben. Und dennoch stellt er sich als eine Art neuzeitlicher Robin Hood dar, der den bösen, korrupten Rechten das Handwerk legen wollte, trotz aller Unbill, die er dafür in Kauf nehmen musste.
Der Unschuldsengel Julian H. hat aber schon den nächsten potenziellen Regierungssturz auf der Pfanne. Nur diesmal würde es den smarten, jungen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz treffen, der von dem Ibiza-Video enorm profitierte. Julian H.‘s Behauptung: Es gebe Beweise dafür, dass Kanzler Kurz nach der Nationalratswahl 2017 mit seinen engen Parteifreunden im Büro eines befreundeten, prominenten Szene-Gastwirtes Kokain konsumierte. Das kam so ganz nebenbei bei einer Anhörung des Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages zu den Vorgängen rund um den Wirecard-Skandal heraus.
Dr. Jens Zimmermann von der SPD befragte Julian H. zu seinen Wahrnehmungen bezüglich der Wirecard-Causa, und dessen Aussagen sind offenbar überzeugend. Denn der Ex-Detektiv, der das Ibiza-Video gemacht hatte, kennt sich aus in seinem Metier und bei allem, was Drogenhandel, kriminelle Deals und die dunkle Seite der Politiker angeht. Eigentlich wurde er nur deswegen von einem deutschen Untersuchungsausschuss zu den kriminellen Machenschaften rund um Wirecard befragt. Er war als Privatermittler nämlich schon oft in solchen Kreisen unterwegs, dabei auch für die österreichische Kriminalpolizei, das Innenministerium und auch nicht-österreichische Regierungen und Behörden.
Vor dem Ausschuss zu Wirecard, so berichtet das österreichische Medium „Wochenblick“, berichtete Julian H. von Videobeweisen dafür, dass Kanzler Kurz nach der Wahl 2017 beim Konsum und der Weitergabe von Kokain gefilmt wurde. Der Szene-Gastwirt stand schon länger im Ruf, dass bei ihm gekokst werde. Dem Wochenblick wurden die brisanten Ausschuss-Unterlagen anonym zugespielt. Informierte Kreise bestätigen die Echtheit des Dokuments. Auf eine weitere Frage von Dr. Zimmermann, ob es noch mehr als die Audio- und Videoaufnahmen von dieser „Koksparty“ gebe, um die Behauptungen zu untermauern, entgegnete Julian H., es gebe darüber hinaus noch interne BVT-Papiere (Österreichisches Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung), die das alles bestätigen.
Die deutschen Politiker im Ausschuss sollen schockiert gewesen sein. Welche Auswirkungen das auf die österreichische Regierung und auf Kanzler Kurz hat, wird abzuwarten sein.
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